Frankfurter Rundschau
Mittwoch 29 Februar 2000

Zweifelhafte Italianità
Frankfurter "Trovatore" begann mit einer Idee und landete ganz woanders

Von Hans-Klaus Jungheinrich

Antonio CalendaVerdis Troubadour, neuinszeniert im Frankfurter Opernhaus, war für den Chefdirigenten Paolo Carignani erklärtermaßen Anlass, die Tradition der "italienischen Oper" einmal in Reinkultur zu zeigen. Eine tiefgründige Idee, eine Fiktion, eine Ausrede für Bequemlichkeit? Letzteres bestimmt nicht, denn "Tradition" kann, hundert Jahre nach Gustav Mahler und mitten im Urtextrummel, kaum noch schlichtweg "Schlamperei" bedeuten, eher eine andere Art von Au-thentizität, mehr am Leben, am Erleben, an der lebendigen Erinnerung orientiert als am Buchstaben. Der neuerliche Sprung in den Traditionalismus scheint dergestalt eine Konstruktion, eine romantische Beschwörung triftigeren (Opern-)Singens, eine Eichendorf-fsche Erweckung schlafender und träumen - der Lieder und Welten, die neu zu klingen anfangen, "triffst du nur das Zauberwort".

Nein, in Frankfurt traf man's leider nicht, und so wurde die Bemühung um eine rekonstruierte Troubadour-Italianità halbherzig und fragwürdig bewerkstelligt. Den Mut zu altmodisch pappigen und kinderbunten Kulissen, zum Verstaubten oder auch krud stilbrüchig Gestückelten fand das szenische Team nicht. Auf der Folie eines ländlichen Theaters à la Montepulciano sollte der Troubadour erstehen. Doch das beherrschende Bühnenelement von Francesco Calcagnini, ein entkerntes Rangtheater in Form einer zwischen Rundturm und ebener Fassade variablen, galeriendurchbrochenen Architektur, hatte dann doch mehr den glatten Chic einer klinisch gesäuberten modernistischen Optik. Für einige Szenen war dies auffällige Teil sowieso suspendiert, und dabei füllte sich die leere Bühne mit allerlei merkwürdigen Schinakeln, die mit ihren effekt-vollen Aufbauten wie bemüht sur-realisierte Prozessions - oder Karnevals-wagen anmuteten. Gepflegt konventionelle Kostüme (Paola Mariani).

Der Regisseur Antonio Calenda "dichtete" eine Rahmenhandlung hinzu, die kaum zu erkräftigter Italianità, dafür ziemlich in die Irre führte. Dafür wurde eine Schar von Grundschulkindern herangezogen, die als Zaungäste der Oper folgen. Kindliches Staunen als adäquate Rezeptionshaltung?

Da mag etwas dran sein. Doch wurde das reiz-volle Motiv auch dadurch ver-schenkt, dass die Sphären ge-trennt blieben, die Kinder nicht mit den Sängern wirklich "spielen" konnten. Die Rahmenironie driftete überdies zumindest an einer Stelle ins platt Parodistische, als nämlich am Schluss seiner Stretta der in Heldenpose erstarrende Manrico sich von einem der Winzlinge fotografieren lassen musste. Was denn nun: Sollte Operntradition nobilitiert oder denunziert werden? Ein Indiz, dass die Szeniker ihrem Konzept nicht trauten, es um eines schnöden Gags willen verrieten.

Das Verdi-Theater der jäh aufbrausenden und unbedenklich alle Markierungen dramatischer Glaubwürdigkeit überschießenden Emotionen (am nachdrücklichsten zur Bühnenevidenz gebracht vielleicht von Hans Neuenfels, auch in Frankfurt), zwischen den Akteuren fand es kaum statt. Hilflos und lahm blieb durchweg die Personenführung, die allenfalls auf dekorative Stellage bedacht war. So gerieten die langen Umbaupausen, die segensreich von den kindlichen Aktivitäten (etwa Malen auf eine Vorhangwand) ausgefüllt wurden, noch am ereignisreichsten. Diese musiklosen Strecken gaben fatalerweise aber auch wieder etlichen notorischen Krakeelern im Premierenpublikum (un)gehörigen Anlass, sich wortplänklerisch-aggressiv zu produzieren.

Die Essenz realisierter Italianità ist selbstverständlich der Gesang. Dafür bedarf es keines konzeptionellen "Zauberworts", aber einer Equipe wahrer, schöner, guter Stimmen. Schlecht stand es darum in Frankfurt nicht. Am enflammierendsten erwies sich ausgerechnet die Einspringerin Fiorenza Cedolins, die mit der Trovatore-Leonora jetzt ihr szenisches Deutschland-Debüt gab: eine weiche, abgerundete, in allen Lagen souverän geführte Stimme, facettenreich vor allem im Lyrischen, in raffinierten Abtönungen zartglühender Leidenschaftlichkeit, aufstrahlender Intensität und somnambuler Entrückung. Weich ebenfalls, allzu weich und mehr samtig-edel als metallisch-finster der Luna von Zelijko Lucic, der auch damit eher als harmloser Kavalier denn als wild-starrköpfiger martialischer Ehrenmann imaginiert wurde. Angenehm charakteristisch die Manrico-Tenorstimme von Vladimir Kouzmenko, die freilich im Premierenfieber nicht ganz höhen- und durchhaltesicher wirkte. Imponierend die substantielle Alt-Diktion der Azucena von Ildiko Szönyi, solid der Ferrando von Magnus Baldvinson, auch darstellerisch ein einsames Kabinettstückchen der Ruiz von Heinz Meyen.

Der Traum der vergegenwärtigten ehrwürdigen Italianità, das war vor allem der des Dirigenten Paolo Carignani. Traf er wenigstens das "Zauberwort"? Ach, so recht auch nicht. Die unumwegige Geradlinigkeit, der schneidend-elastische Drive, das Klare und Fettfreie der Toscaninischule: vorbei, verweht, nicht wieder holbar. Carignani huldigte vielmehr einem nahezu geschmäcklerischen, karajanesken Ästhetizismus, übernuanciertem Feinsinn, ausgefeiltestem Sensibilismus. Das klang orchestral stets kultiviert (chorisch manchmal allerdings auch leicht verwackelt), kaum aber einmal rabiat, temperamentvoll, aufgedreht. Verdi mit Mehltau. Nicht, dass die Tempi durchweg zu langsam und detailverklebt gewesen wären; manches kam recht flink und virtuos. Doch insbesondere bei den verweilenden Partien gingen die Proportionen fast verloren, weil Carignani allzugerne am Einzelnen haftete und genüsslich jeder sängerischen Attitude nachgab, wodurch der musikalische Strom sozusagen prismatisch zerlegt und eingeforen wurde - ein sehr elaboriertes, kaum aber der Dramatik förderliches, ein nicht atemberaubendes, aber den Atem zum Stocken bringendes Vorgehen. Carignani, so muss man resümieren, landete mit diesem Trovatore keineswegs bei der restituierten italienischen Operntradition. Eher demonstrierte er die Ohnmacht, diese zu erreichen. Wenn das "Romantik" ist, so war dies eine signifikante, eine auf ihre Weise auch respektheischend romantische Verdi-Annäherung. Aber gewiss doch: mehr "deutsche" (Verfehlungs-)Romantik als Italianità.

Termine: 1.,3., 6., 16. und 19.3.

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Dokument erstellt am 29.02.2000 um 20:53:47 Uhr
Erscheinungsdatum 28.02.2000