12. Februar 2002

Staatstheater Darmstadt: "Lohengrin" von Wagner
Was Elsa alles schwant
Nicholas Broadhurst lässt die Oper in unserer Gegenwart spielen

Von Heinz Zietsch

Visionen werden manchmal Wirklichkeit. Elsa, angeklagt, ihren Bruder umgebracht zu haben, träumt von einem Mann, der sie erretten und von der Schmach des Brudermordes befreien wird. Sie träumt ihn förmlich herbei, diesen Ritter, der auf einem Schwan daherkommt.

Nicholas Broadhurst zeigt diesen Schwan mittels Filmprojektion, zugeschnitten auf Elsas Leib; dort sieht man ihn mit wogend weiten Flügelschlägen. Lohengrin ist also eine Projektion Elsas: plötzlich steht er hinter ihr. Der Glaube kann Berge versetzen, heißt es. Elsas Glaube lässt Lohengrin Wirklichkeit werden. Dazu klingt eine sakral anmutende Musik, deren feine harmonischen Verbindungen Generalmusikdirektor Stefan Blunier sorgfältig herausarbeitet.

Der Regisseur hat also genau auf die Musik gehört. Zugleich bringt er den Lohengrin-Mythos, indem er den Schwan auf Elsas Leib projiziert, mit dem antiken Mythos von Leda und dem Schwan in Verbindung.

Doch weder Antike noch Romantik ist in Broadhursts "Lohengrin"-Inszenierung angesagt, sondern er hat den Stoff in unsere Zeit mit ihren jüngsten kriegerischen Auseinandersetzungen verlegt. Der Zwischenvorhang spielt ausdrücklich auf den Kosovo-Krieg an: Laut Programmheft zeigt er die "Leichen getöter Albaner im Brunnenschacht eines Dorfes."

Gleich zu Beginn, zur ätherisch schönen Sphärenmusik des Vorspiels, das die lichte Welt Lohengrins mit höchsten Streichertönen widerspiegeln soll, bringt der Regisseur den Tod ins Spiel: Tote Schwäne werden versandfertig abgepackt. Ein Vorgriff auf Wagners Spätwerk Parsifal, mit dem die "Lohengrin"-Musik verwandt ist - schließlich ist Lohengrin der Sohn jenes Parsifal, der mit dem Töten heiliger Schwäne ein Sakrileg begangen hat.

Nichts ist mehr im Gleichgewicht in dieser Welt des Krieges. Jon Morell hat ein Einheits-Bühnenbild entworfen, das an eine zerschossene Fabrikhalle erinnert: eine von Granaten zerfetzte Rückwand, ein Halde verbrannter Erde und Mauerwerk. Wie kann in dieser Welt der Zerstörung Elsa überhaupt noch eine Beziehung zu Lohengrin aufbauen? Die Ehe von Ortrud und Telramund, der diese Frau nur geheiratet hat, weil sich Elsa ihm verweigerte, diese Ehe ist längst zerrüttet.

Broadhurst hat mit seinem Ausstatter Morell die Zeiten in den Kostümen bewusst durcheinandergebracht: Die agierenden Personen, Soldaten und die Protagonisten tragen moderne Kleidung, König Heinrich und seine Mannen dagegen mittelalterliche Ritterkostüme und -rüstung, um die zeitlose Institution der Macht zu symbolisieren. Das wirkt gewollt, verweist auf "Lohengrin" als Fantasy-Märchen, ist aber wohl auch typisch englisch: Schließlich tragen in England die Richter noch Perücken wie zu längst vergangenen barocken Zeiten.

Und wie schon im "Figaro", der ersten Darmstädter Inszenierung des Regieteams Broadhurst-Morell, haben die beiden auch jetzt wieder eine Art Baustelle auf der Bühne installiert. Schließlich herrscht Krieg, und in Kriegszeiten muss Zerstörtes wieder aufgebaut werden.

Doch an dieser überdeutlichen Nähe zur kriegerischen Gegenwart mit vielen Soldaten aus aller Herren Länder, mit allerlei Kriegsgerät bis hin zu einer riesigen Radaranlage (im Schlussbild) und Raketen sowie Gefangenen, die eingepfercht sind wie Hühnervieh in ihren Käfigen, haben sich offenbar viele Zuschauer gestört, obgleich im Text oft von Krieg und einer starken Nation die Rede ist.

So mussten Broadhurst und Morell am Ende der mit zwei Pausen genau viereinhalb Stunden dauernden Premiere am Sonntag einen Schwall von Buhs über sich ergehen lassen, während sich die Begeisterten nicht so recht durchsetzen konnten. Endlich habe einer mal mit dem "alten Wagner-Mief" aufgeräumt, meinte ein Zuschauer.

Dieser Ansicht waren wohl auch viele Sänger und applaudierten dem Regieteam zu. Hubert Bischof umarmte gar Broadhurst demonstrativ, als wollte er damit signalisieren: Seht her, welch großartige Arbeit dieser Regisseur geleistet hat!

Bischof hat als Telramund jedenfalls von der guten Personenregie profitiert. Selten hat man diesen stets engagierten Sänger mit solcher Intensität und Darstellungskraft erlebt. Regelrecht gerührt von dem geradezu überwältigenden Beifall war Doris Brüggemann als Elsa.

Sie hatte diesen Applaus verdient. Wie sie den Text artikulierte, jeder Nuance nachspürte und dabei stets kraftvoll ihre Stimme ertönen ließ, das war großartig. Susan Owen verschaffte mit Macht der Ortrud Gehör und reicherte ihre Partie mit bestens passender hysterischer Schärfe an.

Ein Gewinn im Ensemble dürfte Friedemann Kunder sein, der mit schönen und markanten Tönen König Heinrich gesangliche Statur verlieh. Der in der Titelpartie gastierende Ralf Willershäuser brachte in den ariosen Teilen zwar schönes Stimm-Material ein, doch schien er manchmal nicht ganz auf der Höhe seines Parts zu sein.

Mit seiner schönen wie wohlgerundeten Stimme nahm sich Anton Keremidtchiev des Heerrufers an. Durchweg Bewunderung ist den von André Weiss bestens einstudierten Chören zu zollen. Selten kamen die Worte so deutlich und passgenau herüber. Das Orchester des Staatstheaters leistete unter Stefan Blunier famose Feinarbeit in der Abstimmung und in den harmonisch wunderbar modern klingenden Bläsersätzen.

Broadhurst stellt das tragische Schicksal von Elsa in den Mittelpunkt des Geschehens, dem Lohengrin wie ein Unbeteiligter gegenübersteht. Er ist nicht von dieser Welt. Und wenn sich Elsa mit Ortrud verbal auseinandersetzt, was der Ausstatter mit einer regelrechten Modenschau unterstreicht - diese Frauen benutzen die Kleidung als Waffe und Machtdemonstration -, kann Lohengrin, der dies aus der Distanz beobachtet, mit derlei menschlichen Konflikten nichts anfangen.

Elsa und Ortrud leben - im Gegensatz zu Wagners Vorlage - am Ende weiter. Die Krisen werden weiter gehen. Wie kann auch Friede einkehren, wenn noch nicht einmal die Konflikte im Inneren der Menschen bewältigt werden? Das ist wohl die Kernaussage von Broadhursts Inszenierung des "Lohengrin".

 


12. Februar 2001

Szenen aus einem Schlachthaus
Nicholas Broadhurst inszeniert Richard Wagners "Lohengrin" am Darmstädter Staatstheater

Von Erhard Zeiss

Es sei gleich zu Anfang verraten: Es gibt einen Schwan. Genauer gesagt gibt es sogar eine ganze Reihe von Schwänen. Sie hängen in der Neuinszenierung von Richard Wagners Lohengrin, die am Sonntag am Staatstheater Darmstadt Premiere hatte, an Fleischerhaken von der Decke oder an der blutverschmierten Kachelwand.

Brabant ist ein Schlachthaus, eine Tötungsmaschine: Regisseur Nicholas Broadhurst und Bühnenbildner Jon Morell setzten mit ihrer Interpretation von Wagners Oper die Reihe der "schwarzen" Lohengrin-Inszenierungen fort, die 1999 in Bayreuth mit der Produktion von Keith Warner begann. Bei Broadhurst herrscht Krieg: Vor diesem Hintergrund schildert er das Scheitern von vier Menschen.

Der englische Regisseur und sein Bühnenbildner sehen das Herzogtum Brabant und König Heinrich bereits im Kriegsstand - wenn das Gottesgericht über Elsas Schicksal entschieden hat, geht es gegen die Ungarn. Angesichts des Kosovo- und des Afghanistan-Krieges fiel es dem Produktionsteam nicht schwer, aktuelle Bezüge herzustellen. Und so ist ihr Brabant, ihre Bühne bevölkert von Soldaten, Arbeitern im Blaumann und von Schlächtern, die sich die blutverschmierten Gummihandschuhe an der weißen Schürze abwischen, um sich dann die Schutzhaube gerade zu rücken. Die brauchen sie auch: Schon der Zwischenvorhang zeigt die Leichen getöteter Albaner im Brunnenschacht eines Dorfes. Mittendrin, verbissen unter der Fahne mit schwarzem Adler und goldenem Kreuz auf blutrotem Grund um die Macht kämpfend: im farblich gedeckten Zweireiher der Polit-Profi Telramund, zickig in Pink dagegen seine First Lady Ortrud, dezent geschminkt, das Haar tadellos sitzend.

In diese Szenerie vor dem Erstschlag, einer Kriegs-Fabrik kurz vor Produktionsbeginn lässt Nicholas Broadhurst Lohengrin einbrechen, die Figur aus der Welt des Wunderbaren, des Übersinnlichen, des Mythos. Lohengrin kündigt sich wahrhaftig als Lichtgestalt an: Der Schwan - es gibt ihn also nicht nur am Haken ! - erscheint als Projektion auf dem weißen Gewand Elsas - ein überraschender und gelungener Einfall der Regie. Elsa verkörpert so tatsächlich die Verbindung zwischen der menschlichen und der göttlichen, jenseitigen Ebene. Sensibel und zart erzählt der Regisseur ihre Liebesgeschichte mit Lohengrin, der Kontrast zwischen der irdischen und der überweltlichen Liebe, den Wagner in dem Figurenpaar ebenfalls thematisierte, ist hier schlüssig herausgearbeitet.

Beider Scheitern erscheint bei Broadhurst nur konsequent. Bereits im Augenblick nach dem Gelöbnis, keine Fragen zu stellen, quälen diese Fragen die scheue, grüblerische, von der sie umgebenden Macht-Maschinerie eingeschüchterte Elsa. Der sich zuerst burschikos-kumpelhaft gebende Lohengrin ist andererseits doch zu schwach, Elsas Glauben an das Wunderbare auf Dauer aufrecht zu erhalten. Wenn er am Schluss über die Trümmer der Kriegs-Fabrik hinweg ins Nichts verschwindet, ist das keine Rückkehr in "Glanz und Wonne" Montsalvats.

Broadhurst kann nicht der Vorwurf gemacht werden, Typen statt Charaktere zu zeichnen. Auch sein Telramund ist bei aller Machtgier verletzlich und schwach, Ortrud dagegen überzeugt durch ihr konsequentes Festhalten am Racheplan.

In das an sich schlüssige Konzept des Regisseurs aber haben sich überflüssige Schwächen eingeschlichen. So fragt sich der Zuschauer verblüfft, warum König Heinrich, der an der Spitze der modernen Kriegsmaschine steht, im mittelalterlichen Kostüm auftreten muss. Und für Gelächter im Publikum sorgten die Pappmaché-Raketen, die im dritten Akt aufziehen, als stünden sie auf einem Karnevalswagen und nicht in der Kommandozentrale eines Kriegsherren.

Musikalisch zeigte der Darmstädter Lohengrin weit weniger Brüche. Stefan Blunier, erst seit 2001 Generalmusikdirektor des Staatstheaters, hatte das gelöst und präzise aufspielende Orchester jederzeit im Griff. War das Vorspiel mit breiten Tempi und zart-duftigen Streichern wahrhaftig ins vielzitierte Lohengrin-Blau getaucht, so griff Blunier gerade im dritten Akt beherzt zu und ließ das Blech strahlen, ohne in plumpen Bombast abzurutschen. Sängerisch gefiel am besten Doris Brüggemann als Elsa, die exzellente Diktion und warm-timbrierten Sopran hören ließ und Durchhaltevermögen zeigte.

Ralf Willershäuser gab eher einem lyrischen denn einem heldischen Lohengrin Ausdruck und geriet dabei in den dynamisch exponierten Passagen leicht unter Druck. Das zeigte sich auch bei der Ortrud von Susan Owen. Ihr Sopran überzeugte daneben aber durch ausdrucksvolle Farbigkeit. Hubert Bischof entfaltete erst im zweiten Akt sein ganzes Können und verlieh Telramund mit seinem volltönenden Bariton Profil. Friedemann Kunder als König Heinrich nahm auch die hohen Partien kraftvoll und weich und bewies Ausdauer, während Anton Keredtchiev volltönend und glänzend als Heerrufer Akzente setzte.

Keinesfalls dahinter zurück standen die Leistungen des Staatstheater-Chores, den André Weiss einstudiert hatte. Das Premieren-Publikum belohnte die musikalische Seite des Abends mit riesigem Applaus, doch gab es einige Buhs für Regisseur Broadhurst.

 


12. Februar 2002

Mordgesindel zieht in den Krieg
Richard Wagners "Lohengrin" hatte am Darmstädter Staatstheater Premiere.

Von Rudolf Jöckle

Das Ereignis dieser Aufführung ist ihre musikalische Umsetzung. Man spürt aus jedem Ton die Kontinuität einer Darmstädter Tradition. Nahezu nahtlos scheint nun Stefan Blunier als neuer GMD diesen Weg fortzusetzen. Das berühmte, so heikle Vorspiel kommt bei ihm aus einer unendlich scheinenden Ferne: Hier bildet sich die Sphäre des Wunders, die die Szene dann verweigert.

Blunier lässt sich Zeit, er kann Pausen bis an den Rand des Zerfalls dehnen, ohne dass Spannung verloren ginge. Der Puls der Musik schlägt ruhig, aber gerade damit verdichtet Blunier die Spannungsfelder. Das Orchester besticht dabei durch sein flexibles Spiel, die instrumentalen Stimmen sind klar durchgezeichnet, werden bisweilen aber auch sanft abgedunkelt. In die oben genannte Kontinuität ist auch der Chor eingebunden, im "Lohengrin" durch den Extrachor verstärkt. Er verblüfft durch seine Intonationssicherheit ebenso wie durch seine klaren Konturen, die auch in der Fülle, in der Emphase (Ankunft des Schwans) nicht verschwimmen. André Weiß als Chorleiter hat glänzend gearbeitet. Selten sah man bei einem "Lohengrin" den Chor so bunt: König Heinrichs Gefolge formiert sich aus einer Art Mönchsritter, die Brabanter halten es eher neuzeitlich mit Blaumann, Alltagskombination, Schwesternkittel oder Kampfanzug, und Elsas Damen dürfen als Schreckschrauben auftreten - Jon Morrell hat das alles entworfen, er war auch für das Einheits-Bühnenbild verantwortlich, eine sich verjüngende Mehrzweckhalle, die ein hoher Steg überquert. Die Rückfront zeigt ein großes Loch, offenbar von einer Granate gerissen. Denn Regisseur Nicholas Broadhurst, der schon einen frechen "Figaro" inszeniert hat, erkannte, dass die Brabanter nicht erst in den Krieg ziehen sollen, sondern schon einen führen.

Dieses Volk scheint ohnehin ziemlich mordlustig und brutal, auf einer Seite reihen sich die Gitter des Staatsgefängnisses, zur Linken rinnt Blut von den Wänden, auch drei Gehenkte sind kurzzeitig zu sehen. Bilder aus dem Kosovo hatten Broadhurst dazu angeregt. Und in diese Richtung zielt wohl auch das Brautgemach als eine von Kisten eingerahmte Provisoriumsecke des Raums mit vielen Kerzchen. Das Fatale: Diese Bilder bleiben ohne Konsequenz, auch dann, wenn im Finale putzige Marschflugraketen herangezogen werden.

Das Drama der zwei Paare und des letztlich biederen Königs spült solche Einfälle weg, der Rest erweist sich dann erstaunlich traditionsbehaftet, bisweilen durchaus griffig, spannend oder anrührend. Ausnahme: die Ankunft des Schwans. Die wird auf dem Gewand der Elsa sichtbar, auf das ein eilig fliegender Schwan projiziert wird. Immerhin, es ist ja Elsas Gebet, die den Gralsboten herbeizwingt. Doris Brüggemann als Elsa überragt denn auch die Solisten mit ihrer reinen Stimme, die so beseelt, hingebungsvoll, auch verzweifelt klingen kann. Ralf Willershäuser als Lohengrin darf ziemlich burschikos auftreten, zeigt einige Intonationstrübungen, steht jedoch die Partie auch in den lyrischen Momenten durch. Susan Owen als Ortrud muss sich da mehr anstrengen, der Tonansatz wirkt meist steif, die Stimme scheint derzeit ermüdet.Telramund wird von Hubert Bischof genau gezeichnet, trotz einiger Unruhe des Baritons. Gestanden und satt klingt der König Heinrich von Friedemann Kunder, Anton Keremidtchiev gibt dem Heerrufer eine souveräne Statur. Triumph für Blunier, wilde Buhs für die Regie.

 

egotrip.de
Februar 2001

Krieg, Macht, Liebe
Darmstädter Neuinszenierung von Richard Wagners "Lohengrin"

Als der Engländer Nicolas Bradhurst vor zwei Jahren Mozarts "" inszenierte, provozierte er mit seiner grotesk-ironischen Version neben vielen Bravos auch kräftige Buh-Rufe. Bei seiner Deutung von Wagners "Lohengrin" blieb er sich treu und benutzte ähnliche Bilder und Metaphern.

Bereits der Zwischenvorhang zeigt eine helle, runde Fläche mit zwei Fußsohlen. Erst dem Programm- heft ließ sich entnehmen, dass es sich um einen Brunnenschacht im Kosovo mit einer Leiche handelte. Damit war das Motto wie ein Menetekel auf die Stoffwand geschrieben: Krieg. Noch während des langen und sehr sensibel intonierten Vorspiels sieht man hinter diesem Vorhang geschlachtete Schwäne hoch oben an einem langen Seil vorbeiziehen, derweil unten auf der Bühne Frauen die bratfertigen Schwäne verpacken. Aus ist es mit dem "lieben Schwan", der den tapferen Ritter und mit ihm die Hoffnung bringt.

Wenn sich der Vorhang hebt, zeigt sich ein kaltes Stahlgerüst vor einer vom Krieg zerstörten Hauswand, die durch ein großes Bombenloch den Blick auf den Himmel freigibt. Auf der Empore sammelt sich eine archaische Heerschar in gold-düsteren Gewändern und Kapuzen, gerüstet mit Schwert und Schild. König Heinrich ist mit seinen Truppen hergekommen, um Gerichtstag zu halten - und gleichzeitig einen Feldzug vorzuberei- ten. Unten sammelt sich derweil ein buntes Volk aus Kellner, Soldaten, Freischärlern, Büromen- schen und Hausfrauen - alle in heutiger Alltags- kleidung. Unter ihnen befinden sich Friedrich von Telramund (Hubert Bischof), im grauen Zweireiher und mit rotem Emblem am Revers, und seine Gattin Ortrud (Susan Owen) im roten "Business"- Kostüm. Von hier aus nimmt die Handlung ihren Lauf, die zum Verständnis noch einmal kurz zusammengefasst sei.

Telramund klagt auf Betreiben seiner Frau sein Mündel Elsa von Brabant (Doris Brüggemann) des Mordes an ihrem Bruder an. Das eigentliche Motiv ist Rache, da sie ihm vor einiger Zeit die Hand verweigert hat. Die deswegen von Heinrich befragte Elsa verweigert eine Aussage mit dem Hinweis auf einen edlen Ritter, der für ihr Recht kämpfen wird, und erreicht von Heinrich die Zustimmung zu einem Gottesurteil. Ein Freiwilliger soll gegen Telramund um die Entscheidung über Schuld oder Unschuld kämpfen, doch es meldet sich kein williger Ritter.

Erst beim zweiten Ruf erscheint Lohengrin (Ralf Willershäuser), kämpft, gewinnt und schenkt Telramund - unkluger Weise - das Leben. Der ihm als Braut angedienten Elsa verlangt er den Schwur ab, ihn nie nach Namen und Herkunft zu befragen. Ortrud jedoch erkennt sofort diesen Schwachpunkt und stiftet den wegen der schmachvollen Nieder- lage geächteten und verzweifelten Telramund an, in diese Kerbe zu schlagen. Sie selbst schmeichelt sich bei der arglosen Elsa ein und versucht, sie zur verbotenen Frage zu bewegen. Nach der Hochzeit schließlich, im Ehegemach, kann die von Zweifeln gequälte Elsa nicht mehr an sich halten und stellt die Frage, Lohengrin tötet den im selben Augen- blick als hinterhältiger Mörder auftauchenden Telramund im Kampf und kündigt Elsa seine Abreise an.

Am nächsten Morgen gibt er vor König und Volk seine Identität als Lohengrin, Sohn des Gralskönigs Parzival, preis. Er sei gesandt worden, um Gerechtigkeit für Elsa zu schaf- fen, müsse jedoch bei Aufhebung seines Inkognitos sofort zurückkehren, da sonst seine Macht versiege. Zum Abschied erlöst er noch Elsas von Ortrud in seinen eigenen - ironische Pointe - Schwan verwandelten Bruder.

Man sieht, die Handlung ist hoch romantisch - heute würde man sagen kitschig. Naiv oder politisch affirmativ wie im wilhelminischen Reich lässt sich diese Geschichte nicht mehr inszenieren. Gerade zur Kaiserzeit bot sich das Paar Elsa-Lohengrin als Inkarnation germanischer Größe und die Gegenspieler Ortrud-Telramund als Abbilder absoluter Bos- heit an, zu Hitlers Zeiten mit dem Zusatz nichtarischen Ursprungs. Um dieser Oper im Sinne eines Gesamtkunstwerks - und nicht nur als Musikdroge - eine Daseinsberechti- gung zu verschaffen, muss man die Handlung als Parabel auf Allgemeineres deuten.

Braodhurst hat dieses Allgemeine im Krieg als durchgängiges Wesensmerkmal der Mensch- heitsgeschichte gefunden. Um es nicht zu un- verbindlich werden zu lassen, hat er deutliche Zeichen auf existierende Konflikte gesetzt. Da die Konzeption vor dem 11. September 2001 entstand, bot sich der Kosovo-Konflikt als Ausgangspunkt an. Daher auch der Brunnen- schacht auf der Zwischenvorhang. Auffällig in diesem Zusammenhang ist auch der Bruch der Kostüme: hie die moderne Kleidung der von Problemen geplagten Gesellschaft, dort eine archaische, monolithische Macht, die sich anmaßt Recht zu sprechen und es auch durchzusetzen. Die Assoziation zur einzig verbliebenen Weltmacht mit ihrem "Alleinver- tretungsanspruch" drängt sich geradezu auf, besonders, da die Truppe sich selbst nicht an den Scharmützeln und Intrigen beteiligt son- dern nur als - bedrohliche - Macht auftritt.

Broadhurst steigert die Kriegsdeutung im weiteren Verlauf konsequent. Zu Beginn des zweiten Akts lässt er Telramund unter der Bewachung bewaffne- ter Soldaten oder Freischärler sein eigenes Grab schaufeln, damit einerseits die Zustände in den Kosovo-Regionen dieser Welt geißelnd und ande- rerseits Telramunds gesellschaftlichen Absturz markierend. Mag man dieses mehr als deutliche Bild noch akzeptieren, so wirken die Gehenkten am Rande der Bühne doch etwas plakativ, sozusagen als Hinweis für alle, die das Gleichnis immer noch nicht verstanden haben. Etwas weniger wäre hier mehr gewesen. Zum Schluss lässt er sogar SS-20- Raketen - wer kennt die heute noch? - an einem Laufband aufziehen und läuft wegen der etwas heimwerkerischen Machart der Geschosse die Gefahr ungewollter Lacher. Sie kamen gottlob nur sehr verhalten. Heinrich selbst steigt von einer Rampe, die von einem großen Landungsschiff stammen könnte, und auf der Galerie erscheint die Überwachungszentrale einer Raketenbasis auf rot- schwarzen Wandschirmen.

Doch das Bühnenbild bietet noch weitere mehr oder minder subtile Assoziationen. So ziehen die Solda- ten zur Hochzeit des jungen Paares über die gesamte Bühne Fahnen auf: ein Schwarzer Adler - eher Pleitegeier! - auf goldenem Kreuz und rotem Hintergrund. Die Kombination dieser drei Farben sagt genug, und darüber hinaus weckt die Fahnen- fülle Assoziationen an die Reichsparteitage und dienen gleichzeitig als Zitat der unglückseligen Wagner-Rezeption im Dritten Reich.

Trotz der kompromisslosen (Um)Deutung und der gewagten Bühnenbilder wirkt die Inszenierung bis auf die erwähnten Kleinigkeiten nie aufgesetzt oder gewollt modern. Das liegt vor allem an der Charak- terisierung der Personen. Vor allem Ortrud und Telramund wirken bei Broadhurst nicht wie miese Schurken, sondern wie Geschäftsleute, die mit allen Mitteln ihren Erfolg suchen. Sie wirken zwar nicht sympathisch, aber menschlich und in ihren Motiven nachvollziehbar. Selbst in den großen Auseinandersetzungen zwischen Elsa den beiden Frauen erscheinen sie mehr wie gleichwertige Gegnerinnen denn wie Gut und Böse. Ähnliches gilt für Telramund, der als gescheiterter und verzwei- felter Unternehmer wesentlich glaubwürdiger wirkt denn als finsterer Schurke.

Auf der "Gegenseite" hat Broadhurst den Protago- nisten ihren Lichtcharakter genommen. Elsa wirkte eher rührend und in ihrer Schwäche hilflos, und Doris Brüggemann machte der herkömmlichen Vorstellung einer jenseitig edlen Frauengestalt einen Strich durch die Rechnung. Ihre Elsa schei- tert an ihrer Naivität und an ihren nagenden, klein- mütigen Zweifeln. Telramund zumal kommt als handfester Krisenmanager daher, der auch Zeit findet, dem König vertraulich an die Schulter zu boxen oder mit den hübschen Mädchen aus dem Volk zu flirten. Sein Abschied ist weniger von tiefer Trauer als von distanziertem Bedauern geprägt. Nach seinen letzten Worten eilt er behenden Schrittes zu dem Bombenkrater und zieht dort - wie aus einer Wundertüte und fast mit verschmitztem Lächeln - Elsas Bruder Gottfired hinter der Wand hervor.

Eine feine Ironie zieht sich durch die ganze Inszenierung, artet jedoch nie zum platten Witz aus. Anlass zum Lachen gibt es nur einmal, wenn Lohengrin nach der Telramunds Tod mit verbogenem Schwert herumläuft. Aber so etwas kann halt passieren und ist die Würze einer Premiere. König Heinrich erscheint in seiner statuarischen Aufmachung mit Goldkrone, wallendem Mantel und langem Bart wie einem Märchenbuch entstiegen, und wenn er seine Schlachtross-Attrappe besteigt, wirkt dies wie ein ironisches Zitat germanisch- bombastischer Wagner-Inszenierungen.

Die Sängerischen Leistungen rundeten die Inszenierung stimmig ab, allen voran Doris Brüggemann und Susan Owen. In allen Lagen sicher und präsent, hoch konzentriert und auch konditionsstark - bei Wagner gehört dieses Sportadjektiv zum Vokabular - leisteten sie ein unerhörtes Pensum. Die genaue szeni- sche Abstimmung zwischen den beiden Kon- trahentinnen in ihren gemeinsamen Szenen steigerte stetig die Dramatik.

Hervorzuheben ist auch die Leistung von Hubert Bischof als Telramund. Neben seiner jederzeit präsenten Stimme beeindruckte vor allem seine überzeugende Darstellung eines innerlich zerrissenen, am Leben verzweifeln- den und die Niederlage nicht verkraftenden Mannes, der sich gegen seine psychologisch geschickt agierende Frau nicht wehren kann und der am Ende in sein verderben läuft.

Ralf Willershäuser als Lohengrin und Friede- mann Kunder als Heinrich lieferten solide Partien ab, wobei Willershäuser als tragende Rolle deutlich stärker gefordert war. Ein besonderes Lob gebührt dem Chor, der von André Weiß wieder einmal hervorragend ein- gestellt war und neben außerordentlicher Be- weglichkeit und hohem szenischem Bewusst- sein auch eine gute Artikulation zeigte, die das Verständnis der Texte erleichterte. Anton Keremidtchiev hatte dieses Ml nur die etwas bescheidenere Rolle des Heerrufers, die er jedoch - wie immer - souverän ausfüllte.

Das Orchester unter Stefan Blunier war ein weiterer Glanzounkt dieses Abends. Nicht nur weiß Blunier hervorragend mit den leisen Tönen umzugehen und damit die Stimmung zu steigern. Mit seiner verhaltenen Orchester- führung vermeidet er die bei Wagner immer gegebene Gefahr, die Sänger zuzudecken, und gesteht ihnen ausreichend Raum zur Entfaltung ein. Besonders faszinierend zeigte sich seine Pausentechnik, die er in dramati- schen Momenten effektvoll einzusetzen weiß. So lässt er nach dem zweiten Ruf nach einem freiwilligen Kämpfer Orchester und Ensemble nahezu eine halbe Minute pausieren. Die Sänger starren ins Publikum, als wollten sie fragen: "Hat denn hier keiner die Zivilcopurage zu helfen?". Auch in den expressiven Passa- gen wahrt Blunier immer die Transparenz des Klangkörpers, und nie wabern wahnsinnige Wogen aus dem Graben....

Das Publikum dankte den Darstellern und dem orchester mit begeistertem, lang anhal- tendem Applaus und vielen Bravo-Rufen. Die Regie musste sich jedoch - wahrscheinlich aus der Ecke konservativer Wagner-Liebhaber - eine ganze Batterie von Buh-Rufen gefallen lassen. Offensichtlich gefielen so Manchem das kompromisslose Bühnenbild und seine Implikationen nicht. Auf den Rängen entstand fast ein kleiner "Sängerkrieg" zwischen den beiden Lagern, der zum Schluss noch einmal für Aufregung und ausreichend Gesprächsstoff während der ausgiebigen Premierenfeier sorgte.

 

mannheimer morgen
22 Februar 2002

OPER: Broadhurst inszeniert "Lohengrin" in Darmstadt
Intrige in der Geflügelfarm

Von unserem Mitarbeiter
Ralf-Carl Langhals

An den Ufern der Schelde müssen die Schwäne ordentlich Federn lassen, denn während Stefan Blunier die fein ziselierten Silberfäden des Lohengrin-Vorspiels entspinnt, lüftet sich der Vorhang mit silbriger Mondlandschaft und gibt den Blick auf den VEB "Schwäneschlachten" frei, in dem die einstmals prächtigen Zaubervögel vornüber und kopflos an Förderbändern hängen, um der Verarbeitung zu versandfertigen Grill-Hähnchen entgegen zu ziehen. Jon Morell hat sich für Einheitsbühne und Kostümgestaltung etwas einfallen lassen, zuviel allerdings.

Der Zwischenvorhang entpuppt sich bei Lektüre des Programmheftes nicht als Silbermond mit Fußstapfen eines Überirdischen, sondern als Brunnen-Einblick mit Kriegstoten aus dem Kosovo und die Fabrikhalle ist zur Brandmauer hin eine kriegsbedingte Schutthalde. Brabant ist trotz Ruinen bis an die Zähne hochgerüstet, eine Kriegsmaschinerie in der kein Platz ist für Erlösungshelden. Elsas Retter aus friedlichen Gefilden kann nach Sicht des Regisseurs Nicholas Broadhurst nur Projektion sein, und der heilbringende Schwan wird ihr daher auch flatternd auf den Leib projiziert, während sich Lohengrin unbemerkt auf den Plan stiehlt, ein schönes Bild, aber leider auch das einzige des Abends.

Denn soviel Ungereimtes war selten um Wagners romantische Erlösungsoper, auch wenn die Idee eines schwarzen Lohengrin keineswegs neu ist, und bei gelungener Dramaturgie durchaus ihre Reize hat. Doch hier wird ein innerer Zusammenhang billigen Effekten geopfert, denn wer zu stark auf Schockbilder setzt, die Edlen von Brabant als eine dröge Masse der Werktätigen in Blaumännern und Kittelschürzen wie festgemauert rampenparallel zementiert, der tötet den ohnehin sehr statischen ersten Akt szenisch völlig. Viele brauchbare Ansätze wurden in der konfusen Vielfalt spleeniger Ideen konsequent verspielt. So beichtet Elsa den lauen Lüften ihre Bedenken in Jeans und Sportbluse, um wenig später in goldbestickter Theaterherrlichkeit in das Münster zu ziehen.

Generalmusikdirektor Stefan Blunier setzt glücklicherweise nicht auf Bleigrau sondern immer noch auf silbriges Blau und entwickelt am Pult mit sicherer Hand eine harmonische Feinabstimmung zwischen zarten Streichern und präzisen Bläsereinsätzen. Auf diese Weise erlebt man in Darmstadt, was mancherorts üblich ist: szenisches Chaos in einem musikalisch einwandfreien Abend mit außergewöhnlich punktgenauen und gut verständlichen Choreinsätzen (André Weiss) sowie ambitionierten Solisten: Doris Brüggemanns großartige Elsa, mit klarer Diktion und kraftvoller Stimme, Susan Owens durch eindringliche Schärfe und darstellerische Präsenz überzeugende Ortrud und Ralf Willershäusers wenn auch leicht angestrengter, so dennoch mit solidem Stimmaterial ausgestatter Lohengrin überzeugen mit ihren Kollegen das Publikum, das für die Regie nur lein Buhgewitter übrig hatte.

 


Samstag, 16. Februar 2002

Der geschlachtete Schwan
Nicolas Broadhurst inszenierte Wagners »Lohengrin«
am Staatstheater Darmstadt

Von Christiane Franke

Das Kind ist in den Brunnen gefallen. Die weißen Schwäne werden zur Schlachtbank geführt. Und zu jeder Zeit herrscht Krieg. Unmissverständlich ist die Deutung der Fotodokumentation auf dem Bühnenvorhang und der kurzzeitige »Durchblick« während der Ouvertüre. Kind und Schwan sind eins. Dies zeigt das Schlussbild. Doch zunächst steht Elsa im Büßergewand mit nackten Füßen im Schlachthaus und soll sich verteidigen. Brudermord lautet die Anklage. Gott soll richten. Da erscheint kraft ihrer Vision »ihr Ritter« und schlägt Telramund, den Ankläger im Kampf. Doch der Ritter schenkt dem Feind das Leben und die Intrige nimmt ihren Lauf.

Viereinhalb Stunden zieht sich Richard Wagners »Lohengrin« am Staatstheater Darmstadt hin. Weit aus treffender wäre wohl »Elsa« als Titel gewesen. Darauf fokussierte Regisseur Nicolas Broadhurst gemeinsam mit Jon Morrell (Bühnenbild und Kostüme) den Blick. Und DorisBrüggemann bot »große Oper«. Mühelos, warm-leuchtend und eindringlich gestaltete sie ihre Partien und zeichnete eine Elsa, die naiv, gottgläubig und engelsgleich sich ihrem Schicksal ergibt. Eine Entwicklung, wie sie Broadhurst in seiner »Anima-These« anpeilte, findet allerdings nicht statt. Elsa durchleidet und durchlebt größte Not und höchstes Glück und sinkt am Ende ermattet auf den Kopf ihres zurückgekehrten Bruders.

Elsa als willfähriges Opfer

Lohengrin entschwindet über den Berg aus Schutt und Asche hinaus ins Licht. »Durch die Linse ihres Animus« schaute sie in Lohengrins Seele. So wollte Broadhurst die Erscheinung Lohengrins zeigen und ließ ihn aus Elsas Schatten hervortreten, während auf ihrem Gewand ein weißer Schwan mit weit ausschwingendem Flügelschlag erschien. So weit, so gut.

Animus und Anima gründen auf C. G. Jungs Erkenntnis vom Seelenbild des jeweils anderen Geschlechts im Unbewussten. Soll der Prozess der Selbstverwirklichung gelingen, so kommt es darauf an, Animus/Anima im Unbewussten von Frau/Mann zu integrieren. Kraft ihres Unterbewusstseins gelang Elsa scheinbar eine Projektion Lohengrins. Dies verträgt der erste Akt. Eine vollkommene Integration lässt indes alleine das Sujet nicht zu. Elsa ist auch in Darmstadt willfähriges Opfer steter Intrige. Tief bohrt sich der Giftstachel Ortruds in ihr Herz. Und der Chor (mit sattem, jedoch nicht immer homogenem Klang und wenig präziser Artikulation) schaut zu. Auch König Heinrich (Friedemann Kunder, bezüglich der Aussprache irritierende, in der Stimme dennoch markige Erscheinung), längst von seinem stählernen Ross herabgestiegen, verharrt inmitten der Menge in starrer Betrachtung.

Bewusst konstruierte Langsamkeit

Solche großartigen statuarischen Ensemble-Szenen bot Broadhurst in seiner Inszenierung häufig. Aus dieser bewusst konstruierten Langsamkeit kann Intensität erwachsen, jedoch auch Langatmigkeit. Immer wieder für Aufregung und kurzweilige Heiterkeit sorgte indes der Rahmen. Den Schauplatz der gesamten Oper bildete das Innere eines Schlachthauses mit seinen blutverschmierten Wänden und seinen zur Schlachtung vorbereiteten Schwänen. Langsam zogen sie an den Laufbändern vorüber. Später hängen hier die herzoglichen Fahnen und schließlich die kleinen Bomben mit ihren rot leuchtenden Nasen. Ein großer Metallsteg quer durch den Raum und ein Balkon bildeten das Plateau für wirkungsvolle Massen-Auftritte. Nach hinten türmte sich ein großer Schuttberg auf und mündete in einemgroßen Loch. In dieser Atmosphäre brutaler physischer wie psychischer Gewalt herrschte tausendjähriger Krieg. Darauf deutete die Versammlung aus Rittern der Zeit Heinrich des Voglers, neuzeitlichen Freischärlern, Soldaten, Rebellen und Trümmerfrauen.

Das Schlussszenario weckte Assoziationen an ein NATO-Hauptquartier. In diesem düsteren Umfeld schien der Anblick von drei aufgeknüpften Leichen am Rande der Bühne zu Beginn des zweiten Aktes für einige Besucher nicht erträglich. Statt nächtlicher Ehegatten-Zweisamkeit schaufelte Telramund ein Grab aus, scharf bewacht von Soldaten, während Ortrud sein Tun abschätzig verfolgte. Hier an dieser Stelle wird Telramund im dritten Akt sterben. Doch nicht in derGrube, sondern auf dem Hochzeitsbett von Elsa und Lohengrin. Kartons und Kerzeninseln wie in der Kirche grenzten das angebliche Brautgemach zum übrigen Raum ab. Am Kopfende prangten Schwert und Kreuz zugleich. Dass hier kein Liebesgeflüster stattfinden würde, stand von Anfang an außer Frage. Zäh plätscherte der Zank der Frischvermählten dahin. Unangepasste Action bescherte der Mordversuch Telramunds mit seinem goldenen Schlachtbeil an Lohengrin. Mit übermächtiger Vehemenz rammte Lohengrin das Schwert in die Holzkonstruktion, und das Publikum lachte.

Mangelnde Intonation

Solche Durchschlagskraft hätte man sich von Ralf Willershäuser (Lohengrin) inseinen großen Partien gewünscht. Doch der laxe Lohengrin, so irdisch, dass auch Elsa dies hätte erkennen müssen, trübte durch mangelnde Intonation und Klangkontinuität auch stimmlichen Hörgenuss. Und Ortrud, diese Giftmischerin und furienhafte Intrigantin? Ihre Auftritte erregten nur mäßig das Gemüt. Das schrille Pink und grelle Grün ihres Kostüms hob sie aus der sonst gedeckten Masse hervor. In sparsamen Gesten agierte, intrigierte und verfluchte sie (Susan Owen) alles, was ihre Pläne gefährden könnte. Mit zum Teil überbordender Vehemenz in der Stimme attackierte sie Telramund, den Ehemann (ein akzeptabler, jedoch nicht immer ausgeglichener Hubert Bischof) und verlor schließlich im dritten Akt in ihrem Bemühen um maßlose Schärfe und Verachtung die Kontrolle über ihre Stimme. Weitaus aufregender gelang da die Interpretation aus dem Orchestergraben.

Generalmusikdirektor Stefan Blunier schien um äußerste Intensität bemüht. Auf extremen Pianissimo-Zauber angelegt beschwor er Traum und Magie und riskierte auch so mache inkonsistente Klangschwebung. Die Spannung blieb. Und bestimmte handfeste Klangschönheit die Interpretation, so gelang dies mit Brillanz und Schwung.