Frankfurter Allgemeine Zeitung
17.Dezember 2002, Nr. 293 / Seite 35

David Aldens fabelhafte Inszenierung von Schrekers "Schatzgräber"-Oper in Frankfurt
Tue Gutes und sprich darüber

Von JULIA SPINOLA

Simon Bailey (Junker) und Susan Bullock (Els)
(Foto Bettina Müller)

Die Uraufführung des "Schatzgräbers" 1920 in Frankfurt war ein Sensationserfolg. Als gattungsbestimmende "Zukunftsverheißung" feierte der Musikkritiker Paul Bekker das Werk in seiner Rezension, und tatsächlich schien es ein paar Jahre lang, als würde sich diese Prophezeihung erfüllen: 385 Vorstellungen an fünfzig verschiedenen Häusern innerhalb von nur zwölf Jahren - das ist schon eine exorbitante Aufführungsstatistik. Allerdings glich der Erfolg einem Strohfeuer. 44 der 50 Inszenierungen gingen bis 1925 über die Bühnen. Danach wurde es still.

Wie Alexander Zemlinsky gehört auch Franz Schreker zu jenen Komponisten des Jahrhundertbeginns, deren Musik gleich doppelt verdrängt wurde: Der Verfemung durch die Nationalsozialisten folgte nach dem Krieg die Geringschätzung durch die tonangebende Darmstädter Avantgarde, mit deren asketischen Konstruktionsidealen die klangsinnlich narkotisierenden Opernergüsse Schrekers in der Tat nicht überein zu bringen sind. Die legendäre Aufführung der "Gezeichneten" von Michael Gielen und Hans Neuenfels verhieß 1979, wiederum in Frankfurt, eine kleine Schreker-Reerst naissance einzuleiten, die dann jedoch zehn Jahre später zögerlich in Gang kommen sollte. Iin jüngster Zeit beginnt sie so richtig zu florieren.

Dreimal Schreker innerhalb von sechs Monaten - die "Flammen" in Kiel, das Durchbruchswerk "Der Ferne Klang" in Berlin und "Die Gezeichneten" in Stuttgart - boten die letzte und das Ende der vorletzten Saison. Jetzt ist "Der Schatzgräber" in vollem Glanz an den Ort der Uraufführung zurückgekehrt. Wie fast alle Libretti Schrekers - und, völlig anders akzentuiert, übrigens auch die Werke Zemlinskys - stellt die Geschichte um Els und Elis die Frage nach dem Verhältnis von Traum und Realität, von Kunst und Leben: Die zwei ungleichen "Kindern von Traumkönigs Gnaden" (Schreker) sind dadurch vereint, daß sie beide wie besessen einem Schatz nachjagen. Die Kunst ist das Element von Elis, einem fahrenden Sänger, der, bewaffnet mit einer Art Wünschellaute, die Schmuck aufstöbern kann, durch die Lande zieht, um dem Wahren, Guten und Schönen zu dienen. Schnöde Besitzgier und eine handfeste psychische Meise bestimmen dagegen das Leben der Wirtstochter Els, die ihre Freier zunächst für sich den Schmuck der Königin stehlen läßt, um sie danach von ihrem Knecht Albi dahinmetzeln zu lassen.

Beide Sphären erweisen sich schließlich als unvereinbar. Ihr Widerspruch wird von Schreker jedoch nicht nur thematisiert, sondern prägt zuinnerst auch die Gestalt der zwischen Märchen und psychoanalytischer Milieustudie, sowie zwischen privater und öffentlicher Handlung unentschieden hin- und herschlingernden Oper. Während der "Ferne Klang" - Peter Mussbach und Michael Gielen haben das vor einem Jahr in Berlin schlagend gezeigt - mit der Fassade der symbolistischen Künstlerparabel nur spielt, geht durch den hermetischeren "Schatzgräber" ein Riß, der kaum zu kitten ist.

Schreker selbst brauchte das nicht zu kümmern. Er beschrieb den Stellenwert seines Librettos als bloßen Anlaß für Musikalisches: "Geheimnisvoll-Seelisches ringt nach musikalischem Ausdruck. Um dieses rankt sich eine äußere Handlung". Regisseuren, die den Vertracktheiten seines kryptischen Psychomärchens lieber aus dem Weg gehen möchten, lieferte der Komponist damit ein perfektes Alibi.

Der ambitionierte David Alden hat freilich der Versuchung widerstanden, einfach einen versöhnlichen Kübel Kitsch über dem Ganzen auszuschütten. Seine Inszenierung akzentuiert fruchtbar den Widerspruch zwischen den nicht zu vereinbarenden Sphären des Stücks und decouvriert am Ende überdeutlich jenes verlogene Gutmenschentum des Sängers Elis, das Schreker selbst verborgen geblieben war.

Demontiert hat Alden das Werk dennoch nicht. Denn zusammen mit Paul Steinbergs suggestiven Bühnenvisionen und Constance Hoffmans fantasievollen Kostümen gelingt ihm eine Mischung aus berauschendem Glamour und schriller Comic-Ästhetik, aus Las Vegas und Bilderbuch, Poesie und Vulgarität, schockierenden und verzaubernden Momenten, die den aus dem Graben strömenden, von Jonas Alber am Pult des Museumsorchesters differenziert zum Schillern gebrachten Klangwogen der Schrekerschen Partitur genau zu entsprechen scheint. Denn auch hier scheppert hier und da zwischen glitzernden Edelsteinen ein wenig Talmi, scheinen ästhetisch erfüllte und kitschig veranstaltete Wirkungen eigentümlich miteinander verschmolzen. Der "Ferne Klang" und die "Gezeichneten" bleiben auch in dieser Hinsicht die überzeugenderen Opern Schrekers.

Auf beide Protagonisten wirft Alden einen gelungen entidealisierenden Blick. So erscheint die Els der sopranistisch phänomenal strahlenden, höhen- wie intonationssicheren Susan Bullock keineswegs als jenes geheimnisumrankte Zwitterwesen aus femme fatale und femme fragile, das der edle Elis, den Jeffrey Dowds mit zartem Tenortimbre als hoffnungslos verblasenen Luftikus charakterisiert, in ihr sieht. Els wächst mutterlos auf in einer Männerwelt aus wahren Tieren. Ihr Vater, Wirt und auf Aldens Bühne im konkreten Wortsinn ein Schwein, vergnügt sich nicht nur selber in jeder freien Minute mit der Tochter, sondern bietet ihren Leib auch großherzig seinen Gästen feil. Der Junker, mit dem er sie verkuppelt will, erscheint als ein werwolfähnliches Vieh, zu dem sich am Polterabend noch etliche andere Albtraumgestalten gesellen.

Anders als die Grete des "Fernen Klangs", die eine ähnliche Herkunft hat, flieht Els nicht, sondern setzt die kriminelle Logik ihres Vaters offensiv fort: Sie raucht und säuft und stiehlt und mordet. Mit dem geraubten Schatz erscheint sie als veritable Venus - ohne ihn ist sie ein elender Junkie. Der soziale Hintergund ihrer Schmucksucht interessiert Elis freilich nicht im mindesten. Er sieht in seiner Geliebten die Fabelgestalt Ilse, an Els dagegen sieht er schlicht vorbei. So blickt er auch in der letzten Szene, wenn Els an ihrer Sucht krepiert, ganz leer und edel ins Publikum, badet sich in salbungsvollem Gefasel von gläsernen Märchenpalästen und Zimbeln und Harfen, womit er - so Schreker - als "Freund, Erlöser, und gütiger, verstehender Mensch" der "Zerbrochenen den Tod erleichtert", frei nach der Maxime: Tue Gutes und sprich darüber. Els aber tut an diesem Abend den Teufel, eingelullt sanft zu entschlummern: Sie erhängt sich vielmehr und straft damit das, im Epilog des Narren dann auch noch religiös verkitschte Ende der Oper gottlose Lügen.

Darstellerisch, sängerisch und orchestral gelang der Oper Frankfurt mit dieser Produktion nach einem vielversprechendem Saisonbeginn mit Schubert "Fierrabras" und Brittens "The Turn of the Screw" endlich einmal wieder ein künstlerischer Höhepunkt. Neben den glänzend besetzten tragenden Partien agierte ein ausgewogenes Ensemble - darunter Peter Bronder als Narr, Arild Helleland als Albi, Johannes Martin Kränzle als Vogt - auf durchweg erfreulichem Niveau. Und das Museumsorchester hat man schon lange nicht mehr so transparent und so sprechend musizieren gehört wie unter Jonas Albers Leitung.

 

Frankfurter Rundschau
17.12.2002

Nach langer Pause wieder Schreker in der Oper Frankfurt: "Der Schatzgräber"
Welttheater im Narrenkaro

Von Hans-Klaus Jungheinrich

Fast 24 Jahre sind vergangen seit der Premiere der Hans-Neuenfels-Inszenierung der Gezeichneten in Frankfurt (Januar 1979), einem wichtigen Datum der Schreker-Renaissance. Dass diese (sie stürmte nicht gerade repertoireumwerfend daher, brachte aber für alle Schreker-Opern zumindest eine Neupräsentation, in mehreren Fällen sogar Uraufführungen) an Frankfurt danach vorbeiging, hatte wohl nicht nur mit der Achtlosigkeit zwischenzeitlicher Intendanten zu tun, sondern auch mit dem unwiederholbar scheinenden Impakt jener Neuenfelsiade. In Michael Gielens Team war man überzeugt, dass die Gezeichneten das beste Stück Schrekers seien und schon deshalb kein anderes mehr unumgänglich.

An textlich-musikalischer Gleichrangigkeit sind die Gezeichneten in der Tat ein Optimum. In den Nachbarwerken Der ferne Klang und Der Schatzgräber scheinen die Gewichte ein wenig verschoben: Hier zu Gunsten der komplexen, welttheatralisch ausfahrenden Handlung, dort durch eine noch ganz frisch anmutende tonsprachliche Magie. Mit dem Schatzgräber (anders als vor einigen Jahren Wiederaufführungen in St. Gallen und Hamburg ungekürzt) schloss die Oper Frankfurt in der neuen Ära Bernd Loebes nun an die alte Schreker-Tradition dieses Hauses an; es hatte zu Lebzeiten des Komponisten die allermeisten seiner Bühnenwerke aus der Taufe gehoben.

Der Schatzgräber, 1920 gestartet, war Schrekers letzter einhelliger und (kurzfristig) bühnenerobernder Opernerfolg. Schon zeichnet sich hier in der musikalischen Palette eine Konsolidierung ab, die auch als Ermattung gedeutet werden könnte. Die klangfarbliche Alchimie der perfekt durchmischten, wie in einer spätromantischen Orgel entindividualisierten Orchesterstimmen wirkt raffinierter und gekonnter denn je. Demgegenüber offenbaren die Motivcharaktere eine zunehmende Grätenlosigkeit. Weich und schmiegsam breitet sich der üppige Sound in allen Winkeln und Ritzen aus, überwölbt das Ganze in rauschhafter Üppigkeit und macht das Einzelne zum erlesenen Farbpartikel in einer dicht gewebten teppichbunten Textur.

Auch zeigen sich der begrenzte Ambitus, die sich erschöpfende Reichweite der blühend-luxurierenden Klangimagination und ihrer Ausdrucksmöglichkeiten. Faszination bricht sich fast schon an drohender Übersättigung. Die unaufhörlichen Schwelge- und Steigerungsstrecken kreisen gewissermaßen in sich selbst, im Käfig eines obsessiven Schönheitswahns gefangen. Das Déjà-vu als bestimmende Komponente der Schrekerschen Musikalität bekommt zunehmend etwas Selbstreflexives, als ständiger Verweis auf die Idiomatik früherer Werke, deren Topoi wiederholsam berufen werden. So hebt sich die irisierende Klangsphäre des Schatzgräbers nur wenig von der der Gezeichneten ab. Deren zupackende Themenprofilierung wird indes nicht stets mehr erreicht.

Schreker, wie Wagner gesamtkünstlerischer Eigenerfinder seiner musikalischen Dramen (in der sprachlichen Fasson seiner Libretti, die fast lückenlosen Frankfurter Übertitel machten es zusätzlich sinnfällig, ein wenig klischiert hochtönend), stellte seine erotizistisch-psychologisierenden Sujets bei den Gezeichneten in den Rahmen eines unschwer politisch interpretierbaren Renaissancestückes, im Schatzgräber unter das Dach einer archaisierend-zeitlosen Märchenhandlung mit König und Königin, Narr und Spielmann als elementar-emblematischen tragenden Figuren. Els, der fahrende Sänger, symbolisiert den individualistischen Künstler als welterfahrenden, tagträumerisch-schuldlos durch Schicksalsverwirrungen irrenden modernen Menschen. Unabsichtlich gewinnt er Gold, Ehre und Liebesglück, was alles ihm aber auch wieder aus den Händen gleitet. Elis, die weibliche Hauptgestalt, grellscharf gezeichnet als mehrfache Mörderin, gerät in seinen Bann, verfällt ihm, wird endlich von ihrer Vergangenheit eingeholt und stirbt einen kläglichen Tod. Zuvor hat der Narr sie als seine persönliche Beute vor dem Scheiterhaufen gerettet. Auch die zu Ende erzählte Geschichte des Narren mündet, wie des Spielmanns Weg, in Vanitas.

Tristanesk ausschweifend

Dramaturgisch verfährt Schreker im Schatzgräber ausladender als in den kompakt dreiaktigen früheren Werken. Vier Akte werden durch einen Pro- und Epilog eingerahmt. Jener eine knappe Exposition am Königshof, dieser im Wesentlichen ein breites, schmerzsüß resignatives (Lebens-)Abschiedsduett von Els und Elis (die Namensähnlichkeit markiert den hohen Verschmelzungsgrad von Unschuld und Schuld, hemmungsloser Lebensgier und sich verausgabender Künstlerunbesorgtheit), komplementär (als trauriger Nachhall) zum tristanesk ausschweifenden großen Liebesduett im dritten Akt.

Die für Schreker-Opern typische "Orgie" wird bereits im ersten Akt zelebriert als drastisch-makabrer Polterabend vor dem Hintergrund eines Mordplans. Als vermeintlicher Täter wird Els im zweiten Akt unter düsteren Mönchsgesängen zur Hinrichtung geführt und im letzten Moment im Auftrag des Königs (der ihm einen wichtigen Dienst abverlangt) befreit. Akt eins und vier (dieser spielt nochmals im Schloss) sind bizarr und farcenhaft eingefärbt; man könnte sich zu ihnen gut eine knochentrockene, pointierte Musik wie die Hindemiths, Weills oder Kreneks der 20er Jahre vorstellen. Der Grand-Opéra-Touch des zweiten, mehr noch die strömende oder verhaltene Pathetik des dritten Aufzugs und des Epilogs erheischten zweifellos eine spätromantisch-hochexpressive Kolorierung. Die latente Zwittrigkeit der Werkphysiognomie kündigt ihrerseits die hernach auch von Schreker (halb) vollzogene Abkehr vom vollmundigen Klangsensualismus an.

Schrekers dramatische Konstrukte berühren sich sowohl mit haarsträubend banaler Kolportage wie mit Shakespeares welttheatralischem Zugriff (der seinerseits auch Gröblichstes nicht scheute). Inspiriert auch vom noch frischen Zeitgeist des Freudianismus, reduzierte Schreker seine Opernfiguren zu personifizierten Triebkräften - ihr wechselvolles Geschick mithin zum Taumel in gestanzten, wie Fertigteile aneinander gereihten Lebenssituationen. Hier setzte die Frankfurter Szenographie an, als deren leitendes Prinzip so etwas wie artifiziell geklitterte Opulenz namhaft zu machen wäre - ein probater Nenner aktueller Schreker-Interpretation sicherlich. Darüber hinaus verschaffte der Regisseur David Alden (nach dem Tode Herbert Wernickes auch Fortführer des Münchner Ring) einen fulminanten Mehrwert sowohl im sich überschlagend Komödiantischen wie in den umfassend ausgeleuchteten Gefühlsexaltationen.

Paul Steinbergs Bühnenbilder realisierten immer wieder neue überraschende Räume: einen gleißenden Art-déco-Saal, eine kafkaeske Büroraumflucht mit Türen und Schreibtischen, eine mythisch leere Absteige vor Alpenkulisse, endlich einen vertingelten Königshof mit riesigen bunten Kugeln, Spielfahrzeugen und Schwellköpfen (unbegrenzte Kostüm- und Maskenfantasie: Constance Hoffmann). Optisch genau ausbalanciert das Schrille und das Leise.

Die Vehemenz der Hauptfiguren eher ruhig grundiert. Jeffrey Dowd, mit sehr schlankem, leicht ansprechendem Tenor trotz Indisposition bis zuletzt recht gut präsent, ein Spielmann als Trenchcoat-Jedermann. Susan Bullock in der hochdramatischen Elis-Rolle: mit durchweg resolutem Witwe-Begbick-Timbre aufwartend, im sublimen Lullaby "Schlaf ein, mein Elschen" (dritter Akt) aber auch zum Zarteren sich disziplinierend. Im Narrenkaro (das auf einem gelbschwarzen Zwischenvorhang wiederkehrte) der eloquente Charaktertenor Peter Bronder als anrührende Shakespeare-Figur und ein zu ernüchterter Einsicht gelangender Bruder des Künstlers. Viele sängerdarstellerisch zu schönster Plastizität gebrachte Nebenfiguren, eine gelungene Chorleistung, ein merklich gelichteter, ins Feingliedrige hinein verästelter, mit den Stimmen gut koordinierter Orchesterklang unter der Leitung des Gastdirigenten Jonas Alber. Mit dieser dritten Premiere befestigt sich der wiedererworbene gute Ruf der Frankfurter Oper. Von allen Musikbühnen bietet sie in dieser Saison den aufregendsten Spielplan. Und seine Realisierung lässt sich mehr als gut an.

[ document info ]
Copyright © Frankfurter Rundschau 2002
Dokument erstellt am 16.12.2002 um 18:56:28 Uhr
Erscheinungsdatum 17.12.2002

 

Süddeutsche Zeitung
17.12.2002

Der verlorene Sohn: David Alden inszeniert Franz Schrekers „Schatzgräber" in Frankfurt
Luftwurzeln schlagen

Von WOLFGANG SCHREIBER

Die Frankfurter Oper ist nach bleiernen Jahren nicht nur wieder im Kommen, sie ist längst schon da unter dem neuen Intendanten Bernd Loebe und seinem Team. Loebe, am Premierenabend fünfzig Jahre alt geworden, ehemaliger Radiojournalist, dann Opernmanager in Brüssel, scheint mit einem vielschichtigen Spielplan und guter Aufführungsqualität schon in seiner ersten Saison die entscheidende Frage beantworten zu wollen, „warum Opernkunst essentiell ist und subventioniertes Theater dann keiner Begründung bedarf". Schuberts selten gespielter „Fierrabras" und Brittens „The Turn of the Screw" waren seine Trümpfe bisher, Franz Schrekers vergessener „Schatzgräber" reiht sich ein ins Frankfurter Operncomeback, das sich schon leise ankündigte. Bestätigung und vielleicht nicht ganz marginal – dass bei der Premiere Peter Jonas, Intendant der Bayerischen Staatsoper, sowie beispielsweise der deutsche Bankenchef Rolf Reuter anwesend waren.

Denn die Schreker-Oper „Der Schatzgräber" auf den Spielplan zu hieven, die in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts märchenhaft erfolgreich war, das ist – neben der historischen Wiedergutmachung im „Fall Schreker" – ein doppelt kluger Schachzug des neuen Opernchefs. Er bezieht sich damit auf eine noch nicht lange zurückliegende Erfolgsgeschichte des Hauses, wo die grandiose Inszenierung der „Gezeichneten" durch Hans Neuenfels vor gut zwanzig Jahren die Frankfurter Gielen-Ära quasi aus dem Nichts begründete. Und er knüpft die Fäden noch weiter nach rückwärts zu einer einst blühenden Frankfurter Opernkultur: Vier Werke des seinerzeit gefeierten Komponisten Franz Schreker wurden zwischen 1912 und 1920 in Frankfurt aus der Taufe gehoben, mit spektakulärem Erfolg – und mit Folgen für die deutsche Opernlandschaft der frühen Weimarer Republik: „Der ferne Klang" und damit jener Titel, der für Schrekers schillernde Opernkunst zum Synonym, zum Fanal wurde, die Märchenoper „Das Spielwerk und die Prinzessin", „Die Gezeichneten" und schließlich eben „Der Schatzgräber".

Erst in den späten Zwanzigern, wo Neoklassizismus und Neue Sachlichkeit nach vorn drängten, wurde es ruhiger um Schrekers erotisierenden Expressionismus, Anfang der Dreißiger dann düster, 1933 finster um den Komponisten, Lehrer und damaligen Präsidenten der Berliner Musikhochschule. Die Nazis drängten ihn brutal aus allen Ämtern, 1934 starb der völlig gebrochene Künstler. Die „Wiedergutmachung" nach dem Krieg ließ lange auf sich warten, stand spätestens durch die Postmoderne an. Aber immer noch sind Schreker-Aufführungen eher selten, nicht einfach zu bewerkstelligen.

Wie man ein mittelalterlich nachempfundenes, verquer naives, zugleich artifizielles Opernmärchen von 1920 im 21.Jahrhundert attraktiv auf die Bühne bringt, der Amerikaner David Alden und sein Bühnenbildner Paul Steinberg zeigen es auf einleuchtende, überraschende Weise. Alden, weltweit viel beschäftigt, in München mit Monteverdi, Händel und Wagner und jetzt mit dem problematischen „Ring"-Erbe befasst, hält Schrekers Opern zu Recht für „sehr komplizierte Gebäude", ist sich jedoch sicher, dass jedes der Stücke „einen ganz einfachen Kern" besitzt.

Zwischen Gier und Erlösung

Der Frankfurter Aufführung gelingt es nicht ganz umstandslos, diesen Kern auch „einfach" herauszuschälen, allzu vertrackt greifen in dem vom Komponisten selbst geschriebenen Libretto – und auch in seiner triebhaft strömenden Musik – die Ebenen von romantischer Erlösungssehnsucht, Tristan- Erotomanie, heikel behauptetem Volkston und Alltagstrivialität ineinander. Und die Figuren um König, Königin und Narr, um das zwischen Geschmeide, Schönheit, Liebe und gewissenloser Gier schwankende Mädchen Els sowie den Sänger Elis und den von ihm mit Hilfe seiner Laute gefundenen unseligen „Schatz", sie sind prosaisch, in ihre Handlungselementen aufgelöst, nur schwer nachvollziehbar. Eine Inhaltsangabe muss unbefriedigend bleiben, so wie der Text, der über der Bühne zusätzlich eingeblendet wird, ohne Musik holpernd gedrechselt oder symbolistisch verstiegen erscheint: „Den großen Schatz, den grüb’ ich gern; des Lebens Hort, alles Sehnens Ziel..." Ein Künstlerdrama, eine Liebestragödie, eine Parodie feudaler Herrschaft. Vor allem aber ein genialer Reigen von Anspielungen, Zitaten, Ab- und Überlagerungen aus der Opern- und Musikgeschichte.

Dass das auf der Bühne über Strecken spannend, unterhaltsam wirken kann, dafür sorgt neben der darstellerischen und musikalischen Präsenz des Frankfurter Ensembles die grelle Fata-Morgana-Bildästhetik von Alden und Steinberg, sorgen die frechen, zwischen Rätseldämonie und Pop-Alltag angesiedelten Bühnenfindungen dieser Aufführung. Über ihr liegen ein Talmiglitzerhauch von Las Vegas und die gnadenlose Helligkeit surrealen und absurden Theaters. Gottlob nicht bürgerlicher Realismus. Nicht ganz gelingt es Alden allerdings, die vom Komponisten ernst, nicht augenzwinkernd gemeinte Naivität des Mädchens Els, in der die femme fatale der Jahrhundertwende mit Salome-, Mimi- und Lulu-Eigenschaften gleichermaßen steckt, bruchlos erscheinen zu lassen. Da wirkt Susan Bullock vor allem im musikalischen Lyrismus kraftvoll, ihr Wiegenlied im dritten Akt tief puccinesk empfunden, darstellerisch kann sie die zwitterhafte Rolle kaum glaubwürdig machen. Jeffrey Dowd als Elis findet in sich beträchtliche Tannhäuser-Qualität, die wuchtige Tristan-Liebesmusik wird von ihm erhitzt. Virtuos Peter Bronder in der Rolle des erotomanen Narren, wuchtig Arild Helleland als gedungener Mörder Albi.

Es handele sich bei Schreker um eine „Musik, die Luftwurzeln treibt", rieb sich Theodor W.Adorno an einer Tonkunst, die ihre Wurzeln nicht in der musikalischen Logik hat, wie bei Schönberg und seiner Schule, sondern im irisierenden, gebrochenen Element des Klangrausche(n)s. Schrekers vielfarbige Musik ist stark und – trotz des Strauss, Mahler oder Puccini, Korngold oder sogar Lehar ausströmenden „Geruchs" – eigenständig genug, heute Zuhörer zu fesseln. Ihre Farben, Linien, Reize wurden vom Frankfurter Opernorchester unter dem jungen Jonas Alber distinkt entfaltet, die Klangfiguren blieben sozusagen greifbar.

Schrekers Kunstsinn versuchte zwischen spätem Wagnerismus, moderner Tonalitätskrise und Debussys Koloristik eine hochachtbare, noch heute schillernde, brisante Synthese. Seine musikhistorische Tragik liegt in der „Unzeitgemäßheit" seiner Sprachen begründet: Der „Schatzgräber" war ein im Stil fast schon verblichenes Meisterwerk, als er auf den Bühnen Furore machte. Wenn Opernregie so ein Stück heute in seinem Potential aufschlüsselt als ein Drama tragischer Konflikte und schönheitssüchtiger Emotionen, in Bühnenmechanismen von filmisch gedachten Sequenzen oder hyperrealen Bildern des Pop, dann ist es um die schon verloren geglaubte Zukunft Franz Schrekers auf der Opernbühne nicht ganz schlecht bestellt. Die Frankfurter Aufführung wurde zu Recht bejubelt.

 

Frankfurter Neue Presse
17.12.2002

Franz Schrekers "Die Schatzgräber" hatte an der Oper Frankfurt Premiere.
Ein grotesker Polterabend

Von Rudolf Jöckle

Schreker-Stadt Frankfurt am Main: Hier begannen in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts die triumphalen Opernerfolge des Wieners, um zu den meist gespielten Werken ihrer Zeit aufzusteigen. Und hier gab die Gielen-Neuenfels-Produktion der "Gezeichneten" 1979 der Beschäftigung mit Schrekers fast vergessenem Werk wichtige Impulse. Nun also "Die Schatzgräber", die letzte Oper in der großen Trias, 1920 in der heutigen Alten Oper erstmals bejubelt, um etwa ab 1925 allmählich zu verschwinden.

Freilich ließen nicht nur die Hasstiraden der Rechten die Erfolge seinerzeit abbrechen – in der NS-Zeit war Schreker vollends verboten –, sondern die allgemeine Entwicklung hin zur "Neuen Sachlichkeit" in der Musik. Da waren plötzlich das Wuchernde, Mystifizierende, das latent Erotische Schrekers, auch das hohe Pathos mancher Libretto-Passagen unmodern. Der junge Jonas Alber am Pult des bestechend intensiv, mit reichen, ja edlen Farben spielenden Opernorchesters hat das Fließende dieser Musik, ihre "Entgrenzung", spannungsvoll, doch nie aufgeregt, eher elastisch bewegt, hat zudem ihre dichte Farbigkeit sanft ausgebreitet, schließlich "Einlagen" schlüssig in den Strom der Musik eingebunden, eine eindrucksvolle Vorstellung. Was das Werk (nach einem mittelalterlichen Märchen) für das heutige Publikum gleichsam zeitnah machen dürfte, ist die geballte Erotik samt Mord und Totschlag. Auslösendes Objekt der Begierden ist der verschwundene Schmuck der Königin, die ohne ihn nicht mehr lieben und gebären kann. Die von allen Männern begehrte Els, eine Art Femme fatale, hat ihn sich zusammengeraubt, wobei der Knecht Albi für sie mordete. Der Sänger Elis allein kann mit Hilfe seiner Wunderlaute den Schmuck finden – der Hofnarr verrät es dem König und darf sich bei Erfolg eine Frau wählen. Elis und Els verlieben sich. Die Frau gibt den Schmuck zurück, doch Elis kann die Wahrheit nicht vertragen, verstößt sie, die nur vom Galgen gerettet wird, weil der Narr sie heiratet. Erst in ihrer Todesstunde besucht sie Elis noch einmal. Zu spät.

David Alden inszeniert das als ein (in den von Constance Hoffman geschickt "zeitlos" gehaltenen, oft grotesk oder ironisch eingesetzten Kostümen) irreales Albtraumspiel. Die "privaten" Szenen (Elis–Els) hält er in ruhigem, manchmal statischem Rhythmus. Doch die "öde" Welt bricht immer wieder mit ihren Dreistigkeiten ein, für die Bühnenbildner Paul Steinberg auch durch die Spiegelungen von Boden und Wände die Räume weitet: als Panoptikum grotesker Figuren im "Polterabend" (1. Aufzug) in einer schrill ausgeleuchteten Bar, hinter deren großem Fenster "Wald" blutrot aufsteigt; als Satire in der Feier des wiedergefundenen Schmucks (4. Aufzug) mit dem schwell- und tierköpfigen Chor und den kindischen Schranzen; als Tollhaus im Bürotrakt des Gerichts mit automatisierten Beamten und wilden Putzfrauen unter dem Galgen. Eine bemerkenswerte Bilderfülle, mit der Alden die Szene immer wieder ironisch unterläuft.

Gegenbilder dazu sind die ekstatische Liebesnacht, aus dem Dunkel herausgeschält und trostlos in seiner Leere vor allem das erschütternde "Nachspiel": Während Elis auf Distanz die große Liebe und deren Glanz beschwört, hängt sich Els an der Perlenschnur auf, die ihr geblieben ist. Der Narr – der einzige Menschliche unter den Gestraften, großartig geformt und gesungen von Peter Bronder – nimmt die Tote in seine Arme, während Elis verschwindet. Eine der Schlüsselszenen des ganzen Werks, von Alden präzis erfasst, demonstriert sie doch sinnfällig Schrekers Position, dass es unmöglich sei, Kunst und Leben in Glück zu verbinden. Aus dem großen Sängerensemble ragt Susan Bullock als Els hervor, die sich mit klarem, in der Höhe nie scharfem Sopran zur Charakterdarstellerin steigert. Jeffrey Dowd (Tenor) als Elis musste sich wegen Indisposition entschuldigen lassen, hielt unter den Umständen bravourös durch. Auffällig im Ensemble auch Johannes Martin Kränzle als markanter Vogt, Gregory Frank als trinkender König oder Arild Helleland als von Sehnsüchten und Begierden geschüttelter Knecht Arid. Sicher und schlagkräftig der Chor. Am Ende starker Beifall und für die Regie die obligaten Buhs.

 

OFFENBACH POST
Dienstag, 17. Dezember 200

Schreker-Märchen in Disneyland

Von KLAUS ACKERMANN

Für den Komponisten Franz Schreker (1878-1934) war Frankfurt schon immer ein gutes Pflaster. Hier erlebten seine wichtigsten Opern ihre Uraufführung. In den 70er Jahren der Gielen-Ära hatte Hans Neuenfels "Die Gezeichneten" wiederbelebt - mit untrüglichem Gespür für seelische Abgründe. Jetzt darf man die überbordende Fantasie des US-Regie-Stars David Alden bestaunen - oder sich darüber wundern -, der dem "Schatzgräber" seinen Stempel aufdrückt und mit poppigen Collagen nicht geizt.

Eine wahre Flut von Bildern mit historischen Versatzstücken, zeitgenössischen Anmutungen und lustvoll ironischen Überspitzungen kennzeichnet seine psychologisch unterfütterte Märchenschau. Aldens Zeuge ist Schreker selbst und dessen breit dahinfließende Musik mit ihren motivischen Verästelungen, irisierenden Farben und deftigen Einschlägen, die Jonas Alber, Braunschweiger Generalmusikdirektor, zu gewichten verstand. Dabei schärfte er den Schreker-Klang, raute ihn angelegentlich sogar auf, ohne seine Nähe zu Wagners Chroma zu unterschlagen. Die klangliche Leuchtkraft des Frankfurter Museumsorchesters mit seinen zuverlässigen Bläsern erreichte zur Premiere am Sonntagabend Signalwirkung. Und auch die Protagonisten dieser unheimlichen Märchenoper hielten sich nur partiell bei Schöngesang auf - zugunsten druckvoller Stimmcharaktere. Am Ende wie geplättet, gab's wieder einmal Bravos und Buhs in der Oper Frankfurt. Dabei passt Aldens Inszenierungsansatz. Nur ist zu viel Disneyland-Trubel im Spiel.

Auf Paul Steinbergs Bühne zwischen Spelunke mit Kantinencharme und einem Guckkasten-Fenster vor eisiger Alpenlandschaft, wandelbar in ein Großraum-Büro mit seitlichem Galgen, darf auch vor dem Vorhang streiflichtartig agiert werden. Der Narr zieht hier die Fäden - und ist am Ende der Verlierer, eine Schicksalskurve, die der aalglatte und schließlich dennoch menschlich anrührende Tenor Peter Bronder auch stimmlich energisch rüberbringt. Das Muster seines Narrenhemds ist als Wandtapete groß aufgezogen: Die Narretei hat Methode. Eine surrealistisch verlängerte Couch benutzt die Königin als Laufsteg. Stumm, krank, aber selbst im Leiden noch ein Vamp: Margit Mayer. Man hat ihr den Schmuck gestohlen, hier Synonym für immerwährende Jugend und Schönheit. Den König, stets mit dem Schnapsglas in der Hand, was am Ende Wirkung zeigt (auch stimmlich verbindlich: Gregory Frank) lässt sie links liegen.

Für ihr blendendes Geschmeide ist eine wahrlich starke Frau über Leichen gegangen: Ihr Bräutigam, der Junker, ein behaartes Tier unter vielen in dieser Inszenierung (Simon Bailey), hat ihn besorgt - und wird rechtzeitig ermordet von Albi, einem weiteren Leib-Eigenen der Dame (Arild Helleland als dämonischer Duckmäuser). Sopranistin Susan Bullock stattet diese sympathische Hexe mit gellenden Spitzentönen und anrührendem Ausdruck im Wiegenlied und dem Duett mit dem geliebten Elis aus, wenn das Blut in fiebrigen Adern tobt. Der, titelgebender Schatzgräber, ein Sänger mit Wunderlaute, die jeden Schmuck aufspürt, hat die blutige Spur durchbrochen, soll das königliche Geschmeide finden und wird vom wie ein US-Ranger gemusterten Vogt (auch stimmlich zielstrebig: Johannes Martin Kränzle), zum Mörder gestempelt, entgeht dem Strang nur durch den Herold (Nathaniel Webster), der wie ein Reiterdenkmal aus Bühnenunterwelten erscheint, um die rebellierenden Mönche - hier Büromenschen in synchroner Choreografie mit Staubsauger schwingenden Pin-up-Putzis - in Schach zu halten: Kostümbildnerin Constance Hoffman mangelt es kaum an fantastischen Einfällen. Zumal der wiederum gut disponierte Chor (Andrés Maspero) auch noch in unförmigen Schwellköpfen ein makabres Tänzchen vollzieht. Dieser Ellis scheint samt Nickelbrille ein Abziehbild von Franz Schreker, klanglich wundersamer Außenseiter in nachwagnerianischer Zeit: Leider war Jeffrey Dowd erkältet, hielt aber dennoch seinen lyrischen Tenor nicht unter Verschluss. Fehlt noch das tragische Ende. Els gibt dem Geliebten den Schmuck zurück, die Königin posiert auf bunten Kugeln, ihre mörderische Rivalin schwächelt: Els entgeht zwar durch den Narr dem Henker, richtet sich aber schließlich selbst.

David Alden haut gern auf den Putz. Die Nähe zur Kolportage, zum Trivialen, um psychologische Vorgänge zu erhellen, hat er mit Schreker gemein. Deshalb stimmt auch beim "Schatzgräber" die Richtung. Selbst wenn sie einem nicht passt.

 

WIESBADENER KURIER
17.12.2002


Kunterbunt im Disney-Mittelalter: Szene aus Schrekers „Der Schatzgräber" in Frankfurt.
Photo: Bettina Müller

Franz Schrekers „Der Schatzgräber" ist an Frankfurts Oper zurückgekehrt
Showtime im schwülen Mittelalter

Von Volker Milch

Das Mittelalter als Projektionsfläche deutscher Sehnsüchte und Kunst-Utopien hatte ja schon eine ausführliche Tradition, als der Komponist Franz Schreker mit seiner 1920 in Frankfurt uraufgeführten Oper „Der Schatzgräber" noch einmal das Personal aus Ritter, Jungfer, Narr und Vogt reanimierte. Seine üppig klingende, orchestral prächtig ausstaffierte Märchenstunde handelt freilich mehr von erotisch-psychologischen Diagnosen des Fin de siècle als von frommen Legenden. So oder so: Spät kam Schreker, erlebte einen kurzen Boom als viel gespielter Zeitgenosse, wurde als Jude in Deutschland bald verfemt, vergessen und erfreut sich seit seiner posthumen „Wiederentdeckung" in den letzten Jahrzehnten steigender Beliebtheit auf den Spielplänen.

Das Mittelalter als solches hat sich nun auch in David Aldens Inszenierung der Oper „Der Schatzgräber" auf Kostüm-Zitate zurückgezogen, und überhaupt verweigert der Amerikaner dem hochgestimmten, vom Dirigenten Jonas Alber und dem Museumsorchester fabelhaft zum Leuchten gebrachten Schreker-Ton im Szenischen weitgehend die Gefolgschaft, sein Heil eher im „Trash" und den Bildwelten amerikanischer Kitsch-Kultur suchend. Das trifft beim Publikum zwar nicht auf ungeteilte Begeisterung, ist aber, wenn auch nicht durchweg gelungen, von einiger ästhetischer Konsequenz: Warum nicht die Surrogate aus Schrekers Kunstwelt durch solche aus Disneyland oder Hollywood ersetzen? Es ist in der Partitur ja auch nicht alles Gold, was klingt. Gerade „Hits" wie das Wiegenlied der Els vertragen es durchaus, mit einem Spot ins rechte Licht gerückt zu werden: Süffigstes Melos, souverän präsentiert von Susan Bullock (Els), Gregory Frank als König, einem stimmlich wie darstellerisch umwerfenden Peter Bronder als Narr und einem leider indisponierten und daher etwas reduzierten Jeffrey Dowd als Elis, der Schatzgräber mit der Laute. Er ist der Künstler-Erlöser, der seiner Königin schließlich die geraubten Juwelen zurückbringt, den Schatz, der nach Schrekers Worten dem Menschen „nur in der Sehnsucht" erreichbar ist, „nur als ein Traum von Glück und von Erlösung". Der Chor trägt Schwellköpfe diverser Disney-Helden, der Vogt ist ein derb zulangender Sheriff, und die schöne, verhängnisvolle Els erinnert irgendwie eher an Marianne Sägebrecht in „Out of Rosenheim" als an ein rätselhaftes Geschöpf zwischen Femme fatale und Femme fragile. Halt findet sie am Kühlschrank des väterlichen Wirtshauses, in dem sie von tierischen Wüstlingen bedrängt wird. Dem Papa wachsen Schweinsöhrchen, der grobe Junker, dem sie versprochen ist, erinnert irgendwie an King Kong. Constance Hoffmann (Kostüme) und Paul Steinberg (Bühnenbild) staffieren Schrekers Seelen-Klang-Räume phantastisch aus, dem „Zuviel" des Schönklanges entspricht dabei zuweilen der kunterbunte, visuelle Overkill.

 

DER TAGESSPIEGEL
18.12.2002

Wiederentdeckung an der Frankfurter Oper: David Alden aktualisiert Franz Schrekers „Schatzgräber"
Frei, aber einsam

Von Jörg Königsdorf

Die Frau ist gefährlich: knallrote Haare, lasziver Gang, die üppige Oberweite in ein kleines Schwarzes gezwängt. Sie bedient in der Kneipe ihres Vaters, wickelt die Typen nur so um den Finger und zieht sie ins Verderben: Zwei Freier hat sie schon auf dem Gewissen, dem dritten wird ihr Komplize bald Geld und Leben abjagen. Die Szene klingt wie aus einem frühen Russ-Meyer-Film und ist doch hehre Opernkunst: In Franz Schrekers Märchenoper „Der Schatzgräber" geht es kaum anders zu als in einem amerikanischen Film Noir – lässt man einmal den Mittelalter-Häkelrand fort, mit dem der erfolgreichste deutsche Opernkomponist der 20er Jahre 1920 seine Geschichte von der Femme fatale Els und dem fahrenden Sänger Elis verbrämte.

Und nichts anderes tut David Alden bei seiner Inszenierung des „Schatzgräbers" an der Frankfurter Oper: Kaum einer ist so treffsicher wie der New Yorker Starregisseur, wenn es darum geht, neue Bilder für alte Mythen zu finden. Mit einer Unbekümmertheit, die an Jeff Koons erinnert, bürstete Alden in München Barockopern von Händel und Monteverdi auf, mit dem gleichen Bilderreservoir aus Hollywood und Disneyland rückt er jetzt auch Schrekers psychologisch überfeinerter und sentimental erotisierter Märchenwelt zuleibe. Und das zur rechten Zeit: Nachdem in der letzten Saison die Stuttgarter „Gezeichneten" und der „Ferne Klang" an der Berliner Staatsoper eine Schreker-Renaissance eingeläutet hatten, war eine maßstäbliche Inszenierung von Schrekers erfolgreichster Oper überfällig. Denn nach dem Aufführungsverbot durch die Nazis fielen Schrekers Werke, wie die Zemlinskys und das Spätwerk von Richard Strauss, unter das Kitschverdikt der musikalischen Moderne.

Vorwürfe, die Alden von Beginn an entkräftet – indem er dem Kitschverdacht durch ironische Übertreibung die Spitze abbricht. Singt Els, die Männer in Vaters Gasthaus seien doch alle Tiere, lässt Alden sie als Comicwesen auftreten: den Freier als Werwolf im Hell’s Angel-Kostüm, den Landvogt als breitbeinige Sherriff-Karikatur aus einer billigen Vorabendserie. Lauter skurrile Gestalten bevölkern diese plastikbunte Welt, in der sich Aldens Team, Paul Steinberg (Bühne) und Constance Hoffman (Kostüme), austoben durfte: Am Königshof sieht’s aus wie in der Zentrale eines Spielzeugkonzerns, durch die Tannen linst schon mal ein riesiger Plüschhirsch. Dennoch lenkt diese Fantasy-Staffage keineswegs ab, sie bekommt der Geschichte erstaunlich gut.

Denn unter dem saftigen Märchenfleisch geht es in dieser Oper um Allerernstestes: Der Schatz, der der Königin gestohlen wurde und den der Sänger und Schatzgräber Elis mit seiner Wunderlaute wieder beschaffen soll, ist, so Schreker selbst, nichts anderes als „der Traum von Glück und Erlösung". Diesem Traum zuliebe bringt die Wirtstochter Els ihren Komplizen Albi dazu, ihr mit dem Geld der gemordeten Freier die Schmuckstücke von einem Hehler zu verschaffen. Diesem Traum zuliebe wählt auch der Hofnarr Els zur Frau und rettet sie vor dem Scheiterhaufen. Der Einzige, der auf diesen Schatz verzichten kann, ist der Schatzgräber selbst: Der Künstler Elis schafft sich seine Träume selbst, stößt damit zwar auf Unverständnis, bleibt aber unabhängig und zieht am Ende der Oper weiter, so wie er gekommen war.

In Aldens Inszenierung sieht dieses schon von Schreker nicht ohne Ironie gezeichnete Alter Ego fast so aus wie der Komponist selbst auf dem berühmten Foto, das ihn mit seinen Freunden Zemlinsky und Schönberg zeigt: ein unscheinbarer Mann im weiten grauen Straßenmantel, der, anders als alle anderen, kein Kostüm und keinen Schmuck braucht, um sich seinen Traum vom Anderssein zu erfüllen. Einer, der auf den ersten Blick wie die Bürokraten wirkt, die ihn loswerden und irgendwann sogar erhängen wollen – und der ihnen doch fremd ist.

Einer, dessen innerer Reichtum kaum nach außen dringt und weniger gesungen als vom Orchester verraten wird: Das rauschhafte Zwischenspiel etwa, das nach der Vereinigung von Elis und Els aufklingt, gilt vor allem diesem Glücksaugenblick des Künstlers, ist eine jener Schrekerschen Passagen, in denen es keine äußere Handlung, sondern nur feinsensorische Gefühlsschilderung gibt. Alden hört auch hier genau hin und akzeptiert diesen wogenden Ruhezustand ebenso, wie er in den Massenszenen die choreografischen Impulse der Musik aufgreift.

Aldens Zugriff bekommt freilich auch der Musik blendend: Der schwelgerische Gestus der Liebesszenen, die knallige Märchenbildpracht, all das sieht man nicht nur – man hört es auch aus dem Orchestergraben funkeln, als läge hier der eigentliche Schatz verborgen. Dass in diesem Hort noch ein Gutteil Nibelungengold ist, hört und sieht man gleichfalls: Die zwergenhaften Fabelwesen auf der Bühne und die Namen der Beteiligten (Els, Albi) verraten es auf der Bühne, drunten proklamieren die zahllosen Wagner-Wendungen bis hin zum direkten Zitat die Stellung Schrekers zwischen Gesamtkunstwerk und Dolby-Surround-System.

Mit dieser dritten Saisonpremiere meldet das Frankfurter Opernhaus endgültig auch musikalisch seinen Anspruch an, wieder in der Spitzengruppe der Republik mitzuspielen. Mit beeindruckender Klangkultur trumpft das Museumsorchester auf, doch der erst 33-jährige Braunschweiger Generalmusikdirektor Jonas Alber versteht es, Schrekers orchestrale Opulenz transparent und elastisch klingen zu lassen, ohne die Delikatesse ihrer Farben zu opfern: Nie wuchert der vielstimmige Satz die Sänger zu. Ein Triumph für das Haus, das diese Oper vor 82 Jahren zur Uraufführung brachte – und für das Ensemble. Neben den drei Hauptdarstellern, der durchschlagskräftigen, charismatischen Susan Bullock als Els, dem verhalten heldischen Elis von Jeffrey Dowd und dem metallisch expressiven Hoffnarren von Peter Bronder zeigt diese Premiere mit ihren knapp zwei Dutzend Rollen, dass es Frankfurt gelungen ist, ein außerordentliches Ensemble spielfähiger Sänger mit prächtigen Stimmen aufzubauen. Es wird nicht der letzte Schatz sein, der hier gehoben wurde.

 

Stuttgarter Nachrichten
18.12.2002

Zwischen den Stilen: David Alden inszeniert Franz Schrekers Oper "Der Schatzgräber" in Frankfurt
Hüpfball, Bobbycar und viele schöne bunte Bilder

Sie waren einmal. Doch sie sind gestorben. Franz Schrekers Oper "Der Schatzgräber", die 1920 im Frankfurter Opernhaus uraufgeführt wurde und jetzt dorthin zurückkehrte, ist ein Märchen - und ein Stück gegen Wagner ebenso wie ein Stück mit ihm.

VON SUSANNE BENDA

Langes, schwüles Liebessehnen kommt in diesem Werk vor, außerdem ein Frageverbot, das Selbstopfer des liebenden Weibes und eine Erlöserfigur. Und es gibt einen Schatz, der gleich Wagners "Rheingold" mit einer Fülle von Bedeutungen belegt ist. An ihm entzündet sich eine Diskussion über Wert und Sinn der Kunst sowie über den Gegensatz von Kunst und Leben. Das ist das Thema der Oper.

Neu ist die Sache nicht, doch von Schreker wird sie neuartig verpackt - wobei sich diese Neuartigkeit hier vor allem in nicht motivischer Arbeit sowie in einer Erweiterung der harmonischen und klangfarblichen Mittel niederschlägt, die auf eine offene Form hindrängt. Die Schwächen des Stücks liegen in Schrekers Libretto: Denn das ist allzu verworren, kopflastig und symbolschwer. Hier vor allem spürt man, wie sehr sich der Komponist mit seinen Werken zwischen die Stile, Moden, Zeiten und ästhetischen Wegmarken begab.

In Frankfurt bemüht sich Braunschweigs GMD Jonas Alber am Pult des Museumsorchesters darum, Analyse und Emphase gut auszubalancieren. Gelingt ihm das nicht, dann liegt die Schuld meist bei der sher sinnlichen Musik selbst, die sich des Spät- und Nachromantischen nicht immer erwehren kann. Den Momenten, in denen man vor lauter instrumentaler Aktion den Text nicht mehr verstehen kann, hilft immerhin die Übertitelungsanlage ab: Denn die versieht hier tatsächlich erstmals ein deutschsprachiges Stück mit deutschsprachigen Übertiteln.

Das ist auch insofern sinnvoll, als der sängerische Anspruch der Oper immer wieder weit ins Hochdramatische hineinreicht. Jeffrey Dowd (Elis) verlangt das alles ab, und auch die ansonsten stabile Susan Bullock (Els) treibt es an Grenzen ihrer beachtlichen Fähigkeiten. Peter Bronder allein profiliert sich mit schneidender tenoraler Schärfe ohne Abstriche in der Partie des Narren. David Alden, der zurzeit allerorten gefragte Regisseur mit Hang zu genussvoller Leichenfledderei am herkömmlichen Opernrepertoire, bricht, wie man es von ihm gewohnt ist, Natürliches in Künstlichem und umgekehrt und lässt die Brüche als bunte Bilder im Raum stehen. Was bei anderen Stücken als Marotte erscheinen kann, wirkt hier, wo die Collage als Prinzip auch weite Teile der Musik bestimmt, durchaus angemessen. Und die Konzentration auf das Dekor, die man Alden in vielen seiner Regiearbeiten vorwerfen kann, ist zumindest dort angebracht, wo auch Schrekers Musik im Dekorativen verharrt. Dazu passen Aldens spielerische Assoziationen gut: Während der einzige Nonkonformist in einer faschistisch-gleichgeschalteten Gesellschaft gehängt werden soll, wird um ihn herum eingekauft, Staub gesaugt und Karten gespielt.

Zumal im dritten Aufzug fügen sich die mit bunten Bällen reichlich bestückte Bühne von Paul Steinberg, die Kostüme von Constance Hoffman mit ihren grotesken Fantasiemasken und die Minister, die der Regisseur auf Dreirad, Hüpfball und Bobbycar über die Bühne schickt, zu einer schlüssigen absurden Szenerie. Die ist sogar dazu angetan, all die Wirren einer Handlung, die man zuvor nicht verstanden hat, nachgerade zum ästhetischen Konzept zu adeln. Märchen mit ihrer eigenen (Un-)Logik, so scheint es, entsprechen nicht nur unserer kaum mehr linear und logisch greifbaren Zeit, sondern liegen auch David Alden im Blut. Vom Erkenntnisgewinn sind seine bunten Bilder allerdings Welten entfernt.

 

Darmstädter Echo
18.12.2002

Kein richtiges Leben im falschen
Premiere: Faszinierend und klangsinnlich: David Alden inszeniert an der Oper Frankfurt Franz Schrekers „Schatzgräber"

Von Heinz Zietsch

FRANKFURT. Wie im „Spielwerk", der derzeit im Staatstheater Darmstadt laufenden Schreker-Oper, handelt auch dessen spätere, 1920 in Frankfurt uraufgeführte Oper „Der Schatzgräber" von einem Zauberinstrument: einer Laute, mit welcher der fahrende Sänger Elis selbst die verborgensten Schätze ausfindig macht. In einem Brief an den Kritiker und seinen Apologeten Paul Bekker weist Franz Schreker darauf hin, dass die Laute des „Schatzgräbers" ebenso ein „Ausfluss innerer menschlicher Triebkräfte" sei wie das „Spielwerk".

In den frühen zwanziger Jahren war „Der Schatzgräber" die erfolgreichste Oper Schrekers, der damit neben Richard Strauss zu den populärsten Opernkomponisten in Deutschland zählte. Heute kann man sich kaum mehr vorstellen, dass diese symbolisch überfrachtete und mit Erotik angereicherte Märchenoper so erfolgreich gewesen sein konnte. Offenbar brauchten die Menschen nach dem Ersten Weltkrieg solche Märchenstoffe, die mit ihren Sehnsüchten die trostlose Gegenwart in Traumwelten entrückten.

Vielleicht sind wir heute wieder soweit, dass wir fasziniert sind von Schrekers märchenhaften, klangsinnlichen Opernwelten, die lange Zeit der Vergessenheit anheimfielen, nicht zuletzt durch den massiven Einschnitt der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland, deren fatale Rassegesetze den Komponisten verfemten. Der Stadt Frankfurt, deren Opernhaus Schreker bereits vor dem Ersten Weltkrieg entdeckte, hat der Komponist seine „Schatzgräber" gewidmet. Diese diese Stadt hat nach dem Zweiten Weltkrieg Schreker im Grunde nachhaltig wiederentdeckt: 1979 mit der Aufführung der „Gezeichneten" in der sensationellen Regie von Hans Neuenfels und dem fulminanten Dirigat des damaligen Operndirektors Michael Gielen.

So ist es fast folgerichtig, dass Bernd Loebe, der jetzige neue Frankfurter Opernintendant heute in seiner ersten Spielzeit mit dem „Schatzgräber" nachziehen möchte. Tatsächlich klingen die „Gezeichneten" im „Schatzgräber" noch heftig nach. Doch der bombastische Orchestersatz ist in dem Folgewerk aufgelöst, transparenter gemacht. Jonas Alber, Generalmusikdirektor am Staatstheater Braunschweig, machte die Schattierungen der Partitur mit dem brillant aufspielenden Orchester deutlich. Nach der mit Pause dreieinviertel Stunden dauernden Aufführung wurde die Premiere am Sonntag mit viel Beifall aufgenommen, den vor allem die Sänger erhielten. Allen voran Susan Bullock als Els, die in den Höhen allerdings etwas schrill wirkte, und Jeffrey Dowd als Elis, der trotz Indisposition mit gut sitzender Stimme aufwartete. Im Vergleich zu seiner Darmstädter Zeit (früher gehörte er dem Staatstheater an), als sein Gesang noch etwas eng klang, wirkt sein Tenor heute offener und vor allem voluminöser. Herausragend noch Peter Bronder in der ebenfalls zentralen Figur des Narren, der als Narr die Welt noch meistern kann, jedoch nicht mehr im bürgerlichen Alltag.

Wie Neuenfels 1979 bei den „Gezeichneten", arbeitet jetzt im „Schatzgräber" der amerikanische Regisseur David Alden mit viel Licht (Adrian Silverman) und Farbe im Bühnenbild (Paul Steinberg) sowie in den Kostümen (Constance Hoffman). Doch von der Stringenz eines Neuenfels ist Alden weit entfernt. Der komplexen Handlung um der nach Schmuck und Erfolg gierenden Els, die selbst vor Mord und Raub nicht zurückschreckt, um ihre Ziele zu erreichen, wird der Regisseur kaum gerecht. Erst durch ihre Liebe zu dem Sänger Elis mit seiner Wunderlaute scheint Els geläutert zu werden. Doch weder sie noch Elis können ein richtiges Leben im falschen Leben führen. Von Elis verlassen und am Leben verzweifelnd, erhängt sie sich. Elis singt ihr nur noch das Todeslied. Zum Leben hat seine Kunst nicht getaugt.

Dieser kniffligen, symbolgetränkten Handlung setzt der Regisseur noch eins drauf und übersteigert das Ganze ins Surreale und Traumatische, reichert alles noch mit vielerlei Zitaten an: vom alten Ritterspiel zu Shakespeares Narren und Pirandellos Mittelalter-Narretei „Enrico" über Orwells „Animal Farm" (Els betrachtet die die sie umgebenden Männer als Tiere) zum Jahrmarktskitsch bis hin zu den Popfiguren unserer Tage, wobei auch Mickey-Mouse nicht fehlen darf. Alden verlegt die im Mittelalter spielende Handlung in eine zeitlose Gegenwart. Seine Inszenierung spielt mit Collagen und Zitaten, ganz so, wie es die Popwelt von heute vorführt, schließlich hat der Regisseur auch die Bühnenshow für die Welttournee der Pet Shop Boys gestaltet. Vieles wird von der Regie nur angerissen. Nach einer klaren Linie sucht der Zuschauer vergeblich. Trotz aller effektvollen optischen Augenwischerei ist Alden dem faszinierenden Stück nur wenig beigekommen.

 

Allgemeine Zeitung
18.12.2002

Schwierige Wiederentdeckung: Franz Schrekers 83 Jahre alte Oper „Der Schatzgräber" in Frankfurt
Greller Glanz, Neonlicht und Coca-Cola

Vom Markus Häfner

Richard Strauß hat gerade „Die Frau ohne Schatten" vollendet, und Alban Berg plant seinen „Wozzeck". Da erlebt im Opernhaus Frankfurt Franz Schrekers „Schatzgräber" seine triumphale Uraufführung und wird bereits kurze Zeit später an nicht weniger als fünfzig deutschen Bühnen nachgespielt. Doch der kulturästhetische Wandel in den späten 20er Jahren, die Zeit des Nationalsozialismus, aber auch die konservative Kunstszene der Nachkriegszeit hatten aus ganz verschiedenen Gründen wenig Interesse an dem Sujet. So legte sich in all den Jahren dicker Staub auf Schrekers Partitur.

Nach knapp 83 Jahren versuchen jetzt der Regisseur David Alden und Gastdirigent Jonas Alber, die Oper davon zu befreien. Eine Oper kehrt zurück – und abermals in Frankfurt. Nicht jeder allerdings vermag hier das verlorene Kind wiederzuerkennen, nachdem er in der Schreker-Austellung im Opernfoyer Fotos von den Bühnenbildern der Uraufführung gesehen hat.

David Aldan und sein Bühnenbildner Paul Steinberg haben Impressionen aus ihrer US-amerikanischen Heimat in die Inszenierung gestreut: Grelles Neonlicht, Coca Cola, Glanz und Glitter als Ausdruck von Schönheit und Gesellschaftsstatus. Doch man sieht sich schnell satt am Ausstattungspomp und der steifen Personenführung vor allem in den mittleren beiden Akten. Mit viel Mühe vermag man in den altmodischen Staubsaugern und vollen Einkaufswagen Anspielungen auf die deutsche Wirtschaftswunderzeit zu erkennen – jener Zeit also, die es verpasste, Schreker nach dem Krieg wiederzubeleben. Aber wirklich schlüssig ist das alles nicht.

Nichts weniger als eine erotische Ausstrahlung – wie sie das Libretto vorsieht – umgibt die Figur der Els (Susan Bulllok), die mit ihrem tristen Kleid und lustlosen Gesichtsausdruck in dieser Inszenierung nur deshalb als umschwärmte Femme fatale halbwegs verständlich wird, weil ihre Freier und Mitmenschen größtenteils noch hässlicher sind als sie selbst. Jonas Alber hingegen gibt sich hörbar Mühe, Schreker wenigstens aus dem Orchestergraben gerecht zu werden. Das Frankfurter Museumsorchester glüht und glitzert in feiner expressionistischer Formvielfalt oder rauscht in mächtig sich steigernden spätromantischen Klangwogen aus dem Graben auf.

Jeffrey Dowd singt einen anmutigen, leider aber wegen Erkältung hörbar zurückhaltenden Elis. Mit bewundernswerter Ausdrucksvielfalt meistert Susan Bullocks die schwierige Partie der Els, doch klingt ihre Stimme in den dramatischen Passagen angestrengt und kantig. Neben dem erstklassigen Bassbariton Johannes Martin Kränzles (in der Rolle des Vogts) sowie Gregory Frank als profunder König ist Peter Bronder als Narr eine Traumbesetzung. Neben seinem faszinierenden stimmlichen und darstellerischen Potential ist er auch die einzige Figur, die von einer wirklich überzeugenden Personenregie gestützt wird.

 

opernwelt
Februar 2003

Der Klang erzählt eine Geschichte

Frankfurts Oper erinnert an die eigene große Zeit: mit Franz Schrekers "Der Schatzgraber"

Von Gerhard Rohde

Frankfurt und Franz Schreker: Ein Kapitel Musik- und Operngeschichte aus der frühen Zeit der Moderne vor und unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg. Mit vier Uraufführungen nacheinander brachte Frankfurts Oper sich und den Komponisten ins Gespräch: "Der ferne Klang" (1912), "Das Spielwerk und die Prinzessin" (1913, zusammen mit Wien), "Die Gezeichneten" (1918) und "Der Schatzgräber" (1920) katapultierten Schreker an die Spitze der Aufführungsstatistiken. Allein der "Schatzgraber" wurde von fünfzig Bühnen innerhalb von zwölf Jahren in 385 Vorstellungen nachgespielt. Das wurde heute nur noch ein Erfolgs-Musical schaffen. Allerdings verblasste Schrekers Ruhm nach 1925 allmählich. Die Zeit des Nationalsozialismus und die Zeit der Gedankenlosigkeit nach dem Zweiten Weltkrieg besorgten weiteres Vergessen.

Das hat sich inzwischen verändert. Die Opernpraxis rückte Schrekers Bühnenschaffen wieder in das ihm zustehende Licht der Aufmerksamkeit: Nicht mit en-suite-Serien, aber mit engagierten Neuinszenierungen seiner wichtigsten Werke, unter denen es "Die Gezeichneten" in der Frankfurter Aufführung durch Michael Gielen und Hans Neuenfels 1979 his zum Kultstatus brachten.

Jetzt präsentierte das einstige Schreker-Stammhaus am Main den damaligen Sensationserfolg mit dem "Schatzgräber" nach zweiundachtzig Jahren zum zweiten Mal. St. Gallen, Hamburg und Karlsruhe hatten sich zuvor schon mit dem Werk neu auseinandergesetzt. In Schrekers Werken geht es um den Widerspruch von Kunst und Leben, liest man oft. Das ist sicher richtig, aber ebenso sicher zu eindimensional gesehen. Als Nachfahre spätromantischer Kunsterfahrungen sah sich Schreker wohl als ein letztes Glied in der langen historischen Reihe gleichsam autonomer Künstler, deren radikaler ästhetischer Individualismus sich gegen eine oft verständnislose und feindliche gesellschaftliche Umwelt zu behaupten und durchzusetzen hatte. Der Widerspruch, als scheinbar objektiv festgestellt, verlagert sich ins Subjektive, in die eigene Psyche. Der Künstler stellt sich selbst in Frage, er scheidet sozusagen aus dem "Widerspruch" aus, und damit auch aus dem "Leben", zumindest dem "gesellschaftlichen Leben". Was soll Kunst? Die Frage könnten wir uns heute jeden Tag stellen und nicht beantworten. Kunstbetrieb ware keine Antwort.

Die aktuelle Aufgabe einer Schreker Renaissance wäre also nicht die Wiederherstellung des romantischen Künstlerdramas, sondern die Aufdeckung gesellschaftlicher Psycho-Strukturen mit den Ausdrucksmitteln der Kunst, der Musik, des Theaters. Neuenfels' "Gezeichneten" setzten in dieser Hinsicht einen Markstein gleichsam in eine freie Landschaft, zu der die Wege erst noch angelegt werden müssen. Für den Hamburger "Schatzgräber" fand der Regisseur Günter Krämer immerhin einen gangbaren. In Frankfurt spielt der amerikanische Regisseur David Alden seine exakt kalkulierte Unbekümmertheit bei scheinbar historischen Vorlagen aus (ähnlich wie oft auch Peter Sellars). Das wichtigste Ausdrucksmittel heißt: Ironie.

Was ist das nur für eine Märchengeschichte: Eine lebenspralle Frau namens Els, Tochter eines Kneipenwirts, lässt reihenweise ihre Freier umbringen und ausrauben, damit sie sich mit dem Geld ihre egoistischen Traume von einem Leben in Schönheit verwirklichen kann. Dazu zählt auch der Schmuck der Königin, Sinnbild für ein solches Leben. Ein Freier soll ihr den Schatz beschaffen, auch er wird ermordet. Elis, der fahrende Sänger mit seiner "Wunderlaute", findet den Schmuck, dessen Herkunft ihm unbekannt ist, und bringt ihn Els, die sich daraufhin in ihn verliebt. Als Els erfährt, dass Elis vom König den Auftrag erhielt, mit Hilfe seiner Laute (heute wäre es sicher ein elektronischer Sensor) den gestohlenen Schatz aufzuspüren, lässt sie das Instrument stehlen. Alles fliegt irgendwann auf: Erst soll Elis, dann Els gehenkt werden. Beide retten glückliche Zufälle, doch für Els ist alles zu viel: Sie stirbt in den Armen des Singers, der wie ein früher Westerner weiterzieht.

David Alden erkannte sicher, dass man aus dieser "Story" auch effektvolles Kino machen kann. So geschieht es auch, aber mit Witz und Intelligenz. Denn auch aus einem Comic-Strip lassen sich Ernst, Träume, große Gefühle und bedrohliche Bösartigkeit filtern, vorausgesetzt, die neu erfundenen Bilder halten dem Druck, den in einer Oper Musik und Gesang erzeugen, optisch ebenbürtig stand. Alden und seinen Mitgestaltern – Paul Steinberg als Bühnenbildner, Constance Hoffman als Kostümbildnerin – gelingt das fulminant. Schrekers "Schatzgräber" ist bei ihnen in der Gegenwart angekommen, deren Träumen, Sehnsüchten, Liebesverlangen, dem Hang zu Glanz, zu tierischer Gier (die Tier-Masken der Menschen im Gasthaus) und jenem einsamen Rückzug ins eigene Ich, den Elis am Ende antritt: Aus dem Künstlerschicksal ist ein existenzielles Phänomen unserer Zeit geworden.

Aldens Konzept korrespondiert, und zwar keinesfalls überraschend, mit Schrekers "Schatzgräber"-Musik. Die glänzende Darstellung der Partitur durch Jonas Alber (Musikchef in Braunschweig) und das Frankfurter Opernorchester demonstrierte besonders plastisch und beredt, wie autonom diese Klang-Musik die Geschichte quasi parallel erzählt. So gespielt, verliert die Musik alles Nur-Aufrauschende, Schwülstige, Pastose, sie verbindet vielmehr sinnlichen Reiz und expressive Dichte mit struktureller Festigkeit, in die auch die vokalen Lineaments eingewoben sind: Jeffrey Dowd mit lyrisch timbiertem, schlank geführtem Tenor als Elis im Trenchcoat, Susan Bullock als in Spiel und Gesang furios auftrumpfende Els, der neben hochdramatischem Ausdruck auch lyrische Verhaltenheit zu Gebote steht, Peter Bronder als markant charakterisierender Narr. Am beeindruckendsten sind jedoch Qualität und Geschlössenheit des gesamten Ensembles bis in den kleinsten Auftritt. Frankfurts neuem Intendanten Bernd Loebe ist es auf Anhieb gelungen, seine aus seinen Brüsseler Jahren bekannten Erfahrungen als Stimmen-Entdecker und Ensemble-Bildner nach Frankfurt zu transferieren.

 

Die Zeit
06/2003

Theater

Wenn die Sündenorgel rauscht
Franz Schrekers schwül-erotisches Musiktheater hat wieder Konjunktur. Frankfurt am Main zeigt den „Schatzgräber" und Kiel versucht „Das Spielwerk und die Prinzessin" wiederzubeleben

Von Claus Spahn

Von einem Musikinstrument erzählt das Märchen, dem mysteriösen Spielwerk. Sein ganzes Leben lang hat der alte Meister Florian in einer mittelalterlichen Stadt daran herumgewerkelt. Eigentlich ist es ein gigantisches Glockenspiel und doch auch ein immaterielles Phantominstrument. Als universale Beglückungsmaschine soll es den vollendeten Wohllaut verströmen, mit sagenhaftem Klingklang alle Schönheiten der Natur und die Reinheit der menschlichen Liebe ertönen lassen und die ganze Welt in Frühlingsstimmung versetzen. Aber das All-Instrument hat einen Defekt: Satanische Gegenklänge und Misstöne der Wollust haben sich eingeschlichen. Aus der Himmelsharfe wird eine böse Sündenorgel, die zu dionysischer Enthemmung anstachelt. Eine Prinzessin und ihr Geliebter, der Sohn des Meisters Florian, berauschen sich an dem Spielwerk und taumeln ins Verderben. Die Prinzessin halluziniert eine letzte orgiastische Überfeier, in der sie sich nackt dem ganzen Volk hingeben und das Spielwerk verbrennen lassen will. Hoch züngeln die Flammen der Leidenschaft. Schließlich verglühen Lust, Welt, Kunst und Liebe gleichermaßen in einem apokalyptischen Untergangsrausch.

Typisch Schreker. Kein Opernstoff ohne Ausschweifung, Gewalt und seelische Verwüstung. Immer hat eine selbstzerstörerisch lüsterne Femme fatale ihren großen Auftritt. Immer geht die Reise hinab in die dunklen Untergeschosse der menschlichen Triebe, wo die Obsessionen und Perversionen lauern. Das Traumdenken Sigmund Freuds treibt die Handlung in den vom Komponisten selbst verfassten Libretti voran, und über allem lastet die narkotisierende Wirkung einer verschwenderisch aufrauschenden Musik. Der Österreicher Franz Schreker, geboren 1878 in Monaco, war, wenn man so will, auf ganz eigene Weise ein früher Verfechter von Sex and Drugs and Rock ’n’ Roll. Und das Exzentrischste an ihm ist, dass er sich beim Komponieren gern über die eigene Schulter geschaut hat. Was er, hinter sich stehend, beobachtete, fasste er, vor dem Notenpapier sitzend, zugleich in Töne und Bilder: wie der Künstler mit dem Künstlersein ringt und scheitert. Die Musik taucht in seinen Stücken immer wieder als Metapher ihrer selbst auf, im utopischen Fernen Klang, dem der Komponist Fritz in der gleichnamigen Oper hinterherjagt, oder im ominösen Spielwerk, das nicht nur märchenhaftes Zauberinstrument ist, sondern zugleich als visionäres Abbild von Schrekers eigenem Musikschaffen erscheint - ein Klangmysterium, das die höchsten Glockentöne der Versöhnung von Kunst und Leben anstrebt und am Ende doch nur die Wonnen der Vergeblichkeit orchestriert. Schreker liebt solche symbolistischen Spiegeleffekte.

Wobei seine unmittelbar nach dem Fernen Klang geschriebene Oper Das Spielwerk und die Prinzessin besonders verrätselt schillert. Die Handlung erschließt sich nur aus raunenden Andeutungen, Schreckensvisionen und Erinnerungsgemunkel der Protagonisten. Schimärenhaft fließen die Ereignisse ineinander. Ungreifbar ist vor allem das Spielwerk selbst, das nur in der Schilderung derer, die es vernommen haben, etwas von seiner dämonischen Wirkungsmacht erahnen lässt. Erklingt es, vom erhabenen Flötenspiel eines fahrenden Handwerksburschen zum Schwingen gebracht, hört man allerdings nur eher mickrig leierndes, naiv spieldosenhaftes Glocken- und Harfengeklingel - ein matter Vorschein der wahren Klangmagie hinter den realen Klängen. Auch das ist typisch Schreker: Der ganz große Zauber leuchtet erst jenseits der Töne.

Vom Vergessen begraben

Ein ätzender Polemiker wie der Komponistenkollege Hans Pfitzner fand solche Vagheit der Fantasie freilich nur impotent, er sah in ihr die „Unfähigkeit, wahrhaft zu zeugen und zu gebären". Mit Schmähungen verschiedenster Couleur musste Schreker leben. Für die Protagonisten der Neuen Sachlichkeit und die Avantgardisten der Zweiten Wiener Schule war seine Kunst bereits in den zwanziger Jahren von gestern. Die nationalsozialistische Kunstpolitik bereitete seinem Leben und seinem Werk schließlich ein jähes Ende. Der Komponist Schreker ward „vom Vergessen wie von einem schweren Stein begraben", schrieb Adorno.

An der Kieler Oper hat nun die Regisseurin und Intendantin Kirsten Harms Das Spielwerk und die Prinzessin auf die Bühne gebracht (nachdem es in Darmstadt bereits zu Beginn der Spielzeit Premiere hatte). Kaum ein Opernhaus hat sich nach der Doppeluraufführung 1913 in Frankfurt und Wien je wieder an das Stück gewagt. Eine Ausgrabung mit Seltenheitswert, zumal in Kiel die eigens wiederhergestellte Erstfassung gegeben wurde mit ihrem pessimistischen, unversöhnlichen Schluss, den der Komponist gleich nach den ersten Aufführungen umgearbeitet hat. Die Schreker-Renaissance an den Opernbühnen, die in den achtziger Jahren mit wenigen, aber spektakulären Neuproduktionen begann und zwischenzeitlich schon wieder beendet schien, kommt nun offenbar erst richtig in Schwung. In Berlin, Stuttgart und Frankfurt tauchen seine zentralen Werke Der ferne Klang, Die Schatzgräber und Die Gezeichneten wieder auf den Spielplänen auf. In Kiel hat man sich sogar auf die nahezu unbekannten Randwerke konzentriert und mit Flammen, Christophorus und dem Spielwerk gleich eine Werktrilogie erarbeitet.

So wird das mächtige Brausen der schrekerschen Opernorgel wieder vernehmlicher, und der Sog ist nach wie vor enorm, der von der unbestimmt vagierenden Harmonik ausgeht oder dem wie mit geschlossenen Augen imaginierten Bewegungsfluss der motivischen Linien. Der Schreker-Kenner und Komponist Gösta Neuwirth hat einmal eine Szene aus den Gezeichneten als minutiös ausgearbeitete Kamerafahrt über Genua beschrieben - moderne Kinodramaturgie ist bei Schreker nicht weit.

In anderen Szenerien jedoch glaubt man dann wieder nur ein altes Fin-de-Siècle-Ölgemälde vor sich zu haben - ein expressiv sich kräuselnder Mundwinkel hier und ein schwül-durchsichtiger Faltenwurf dort. Ist Schreker nicht ein sehr musealer Erotomane? Sind die opulenten Entgrenzungsräusche seiner Musiksprache nicht doch unrettbar von gestern? Oder macht ihn gerade diese hingebungsvoll altmodische Lüsternheit heute wieder interessant, weil sie den Abstand markiert zu unserer erotisch entzauberten Gegenwart?

Als sich das moderne Regietheater Anfang der achtziger Jahre der Schreker-Opern anzunehmen begann, stürzte es sich auf den heißen Kern der Stücke - die unterschwelligen Triebkräfte. Hans Neuenfels agierte die erotischen Obsessionen in seiner legendären Frankfurter Inszenierung der Gezeichneten lustvoll aus und zeigte die Sadomasogewalt in grellen, schönen Bildern. Zwanzig Jahre später jedoch ist auf den Theaterbühnen auch die bizarrste Schmerzlust ausgekostet und das üppigste Blutbad zu Ende geschlürft. Mit wüsten Orgien kann man Schreker nicht mehr wiederbeleben, das Feuer für solche Interpretationen ist erloschen. Man konnte es sehen, als Martin Ku?ej vor einem Jahr Die Gezeichneten in Stuttgart inszenierte. Noch einmal versuchte er die Maßlosigkeit des Sujets in einer großen Kopulationsszene zu bannen, ließ das Genueser Volk sich nackt im Blut wälzen und offenbarte doch nur dekorative Ödnis.

Diese Welt brennt nicht mehr

Was also bleibt? Der englische Regisseur David Alden hat in seiner Frankfurter Inszenierung des Schatzgräbers, der im Dezember Premiere hatte, das Geklitterte der Schreker-Welt herausgearbeitet, entzündet seine Fantasie am Kolportagecharakter der Szenen, nimmt den Kitsch und die ironische Brechung in seine Bilderfantasie auf. Er fährt ein verschnörkeltes Karussellpferd als Hoffnungschiffre auf, imaginiert einen kafkaesken Henkersplatz, auf dem Sachbearbeiter an Bürotischen Todesurteile stempeln, ohne auf das Papier zu gucken, und lässt die Farben im finalen Maskenball am Königshof mit einer surrealen Schwellkopfparade und Disneyluftballons geradezu explodieren. Bei ihm ist der Fin-de-Siècle-Rausch nur noch als dekonstruiertes, ironisch gebrochenes Zitatpuzzle denkbar.

Kirsten Harms wiederum zeigt in ihrer Kieler Inszenierung des Spielwerks, dass die große Schreker-Party längst zu Ende ist. Einen Scheiterhaufen aus Versatzstücken alter Bühnenbilder hat sie auf der leeren Spielfläche schichten lassen - ein umgestürztes Bett, Kulissenwände, einen antiken Gipskopf. Es ist das Wunderglockenspiel, das sich nur noch traurig im Kreis dreht. Ein Menetekel der gewesenen Lust. In ein eisiges Blau ist die Bühne getaucht. Lemurengleich schleppen sich die Protagonisten über die Szene. Ihr Untergang ist nah. Man kann es an den tiefschwarzen Todesschatten unter ihren Augen erkennen. Die Prinzessin ist bei Kirsten Harms keine Femme fatale, die sich selbst verzehrt, sondern wirkt in ihrer bleichen todeskühlen Gestalt eher wie eine Schwester der Turandot. Unnahbar schwebt sie im Thron vom Bühnenhimmel herab und entschwindet dorthin am Ende wieder. In Kiel bleibt von Schrekers glühendem Weltenbrand nur noch ein kühler Untergang.

Ein letztes Mal tanzen Kinder in weißen Rokoko-Puderperücken um das Spielwerkgerümpel. Rotes Scheinwerferlicht zeigt das Ende an. Der Rest ist Asche. Schrekers Asche?

© DIE ZEIT 06/2003

 

FINANCIAL TIMES
19 December 2002

THE ARTS
OPERA FRANKFURT
Schreker's twisted, perfumed fairy tale

By Shirley Apthorp


Magnificent achievement: "Der Schatzgräber" is a delightful pastiche of everything from "Star Wars" to Tim Burton

Taste is a curious thing. The recent revival of interest in Franz Schreker's operas draws us back to another time, when prevailing opinion about what was great music bore little relationship to what was to come. Which hugely acclaimed works of the early 21st century will be gathering dust in 50 years' time? Of course, many things happened in 1930s Germany to change popular ideas of taste in music, and few of them had much to do with art. But Schreker's music had begun to go out of fashion even before the National Socialists rose to power. His particular cocktail of perfumed late romanticism, sensual excess and haunting ambiguity was very much a product of its time, and he lived to see himself left behind.
Not that the Nazis helped. Der Schatzgräber was one of the Weimar Republic's most-performed operas, receiving 385 performances in 50 different productions in the dozen years following its 1920 Frankfurt premiere, more than twice as many as Wozzeck. The critic Paul Bekker hailed Schreker as the new Wagner - an unfortunate invitation for subsequent ridicule, since Bekker, like Schreker, had Jewish antecedents. In 1933, the National Socialists forced Schreker to resign from his position at the Prussian Academy of Art; his music was banned as "degenerate", and neglected until the 1970s.

Would Schreker's music have remained in the repertoire had it not been for the Third Reich? It's hard to guess, since the war so drastically changed the course of modern music anyway. But an increasing spate of German productions are offering listeners the chance to ask themselves what Schreker's operas have to say to us now.

The Frankfurt Opera's new staging of Der Schatzgräber is a timely opportunity, 80 years on, to reassess his most popular opera. The results are engrossing. David Alden has recognised Schreker's twisted tale for what it is, and tells it as a modern-day fairy story. In a delightful pastiche of everything from Star Wars to Tim Burton, Alden brings familiar echoes of stories from our own childhoods to Schreker's world of archetypes and metaphors.

Els, the innkeeper's daughter, has stolen the queen's jewels. Albi, her personal contract killer, has dispatched all her previous suitors, but then she falls for Elis, a wandering minstrel whose magic lute enables him to find treasure. Unfortunately, Elis is working for the king. Several bungled executions later, Els ends up married to the court jester. Elis reappears to sing to her again, but she is dying, and even he cannot save her.

Like most of Schreker's operas, this is an unhappy love story and a parable of artistic failure, clothed in a harmonic language that owes as much to Debussy as it does to Wagner and Schoenberg, teetering between ravishing beauty and kitsch.

Alden reads Els as a damaged femme fatale trapped in a grostesque fairground world. Elis is a neutral protagonist, dressed to look just like Schreker himself. The inn is an orgy of garish sci-fi trash, the court all velvet and glitter and macabre puppet masks. Deducing thematic similarities with Strauss' reactionary Die Frau Ohne Schatten, Alden adds choruses of men in drab office clothes and women skipping with shopping trolleys, extolling the virtues of domestic normality as the cure for all forms of perversion. The result is a perfect balance of irony and truth. Alden's mix of cliché and insight is sure-footed, cleverly mirroring the music, speaking with grace and clarity. It's a magnificent achievement.

Schreker dedicated Der Schatzgräber to Frankfurt, and Frankfurt has returned the compliment. The cast is more than adequate for the task, from Susan Bullock's Els, sharp-edged with a hint of vulnerability, to Jeffrey Dowd's witty yet tender court jester. Jonas Alber conducts with a little too much rigidity, some of the score's magic falling victim to his search for clarity, but its voluptuous curves are audible anyway. With tunes back in fashion, in a world facing political, moral and artistic dilemmas alarmingly close to those of the 1920s, Schreker's operas seem more up-to-date than some written yesterday. Perhaps this time round, they're here to stay.

 

The Independent
3 January 2003

Die Gezeichneten, Staatsoper, Stuttgart, Germany / Der Schatzgraeber, Opernhaus, Frankfurt, Germany
Weimar's finest continues to shock

By Roderic Dunnett

Had you asked any German in 1920 the name of the greatest living German opera composer after Strauss, he would have answered Franz Schreker. As war petered out, revolution collapsed and the Weimar republic lurched into rampant inflation, the Munich-born, Vienna-trained Schreker (1878-1934) added two new triumphs to his massive pre-war hit, Der Ferne Klang (one of Opera North's finest triumphs, with Brigitte Fassbaender directing). Die Gezeichneten (The Marked Ones), first staged in 1918, probed new seams of ugly oppression in a post-Wagner, pre-Munich Putsch era. Der Schatz- gräber (The Treasure-Seeker, 1920) hit the headlines across Germany till 1925, when Schreker's star began to wane. The Nazis completed his demise.

If one were wondering what precisely sent German spines a-shivering, Martin Kusej's production of Die Gezeichneten for the Staatsoper Stuttgart hits just about every nerve. Set in Renaissance Italy (hence akin to Pfitzner's Palestrina, Zemlinsky's Florentine Tragedy and von Schillings's Mona Lisa), and charged with Lampedusa-like overtones, the opera tells of a hunchbacked count who divests himself of his wealth only to be reviled and destroyed by the very colleagues he has helped empower. Echoes of Shakespeare's Timon of Athens, but this is much nastier. When we encounter Alviano (the superbly engaging Gabriel Sadé) he is already broken and deranged. Male nudity – we see Sadé full frontal at the outset, and wafting statues people the slightly less successfully managed Act 3) – underlines the vulnerabilities. Alviano is cynically undermined by the fearsome Prince Adorno (Wolfgang Probst on superb brooding form, like a malign Barrie Humphries), who lends seedy legitimacy to the acquisitive Tamare (Claudio Otello) and his lusting cronies.

Worse still, the hunchbacked Alviano is adopted, painted (brilliant staging here) and then dumped by the mayor's daughter Carlotta (Eva-Maria Westbroek), a talented artist but a proto-Lulu. The young aristocrats are engaged in degrees of systematic cruelty, rape and abuse comprehensible perhaps only to those who were to experience Bosnia or the then imminent Third Reich. Die Gezeichneten simply seethes with evil, and in Stuttgart, with Lothar Zagrosek's mastery of Schreker's breathtakingly sensual and ironic score, we were literally peering into the abyss.

Meanwhile, at Frankfurt, where all three of Schreker's biggest triumphs were first aired, David Alden has concocted a visually tinkly new production of Der Schatzgräber whose arbitrary gimmickry feels the very reverse of Stuttgart's grim cohesiveness, or indeed Achim Freyer's brilliantly contrived production of Sciarrino's Macbeth, also in rep at Frankfurt. Alden's staging was saved not by its skedaddling tricycles, spurious Mrs Mops or dangling strip lights, but -– thank goodness – by the singers.

Schreker's story – the composer again scripted it himself, with shades of his favourite Oscar Wilde – is a fable : a nursery rhyme king, desperate for an heir, must track down his wife's Klimtian stolen jewels, whose loss has shorn her of her self-respect. The villainess is another Lulu-like manipulator, the humble-born, bewitching Els (Susan Bullock, on superb Wagnerian form for the great Act 3 duet). The jester (the vivid and vivacious Peter Bronder) engages the services of Elis, a minstrel with a golden touch (tenor Jeffrey Dowd, underdirected but simply glorious vocally). The stories interlock when this musician/diviner (Schreker himself?) locates the goods but falls for the femme fatale, who gets her rightful come-uppances, committing gory suicide when their ardour cools.

It's not an overtaut plot, but if you're into the steamier end of Wagner or the seamy glitter of Salome, Schreker's your man. Alden's best idea comes where he tautens it: the barren queen (the non-singing Barbara Luft) is wafted into each link as a forlorn presence, somehow purifying as well as poisoning the action. Not much helped by trite costuming, Gregory Frank cuts a weak king. Paul Steinberg's set was only slightly better, though looked like a ham-strung Opera North. The playing for laughs of the court figures was inescapably feeble. But the young Jonas Alber drew thrilling playing from the orchestra, and the shattering Els-Elis love duet really rose to meet Tristan on its own ground.

 

Il Giornale della Musica
Teatro dell’Opera Francoforte, 16 dicembre 2002

Alla ricerca del tesoro perduto

Accompagnata da un accurata mostra, resa possibile dalla Franz Schreker Foundation di Los Angeles che mette a disposizione dei visitatori anche materiale sonoro, si è svolta a Francoforte sul Meno la tanto attesa prima de "Il cercatore di tesori" di Franz Schreker. Con questa proposta si conferma la felice scelta del duo Loebe (sovrintendente dell’opera) e di Paolo Carignani (direttore musicale generale) di portare un vento di rinnovamento sulle scene francofortesi. "Der Schatzgräber"fu ideata già nel 1915, ma realizzata completamente solo nel 1918, dopo anni di dubbi e tentennamenti superati grazie all’insistenza del critico musicale Paul Bekker. Schreker si rifà a un tema fiabesco, materia tanto cara al romanticismo tedesco. In un reame non del tutto fiabesco la regina si sta spegnendo lentamente perché le sono stati rubati i gioielli. Il buffo di corte suggerisce di mettersi alla ricerca un cantore girovago, la cui specialità consiste nel trovare con il suo liuto tesori scomparsi. In paese si festeggiano le nozze di Els, figlia dell’oste, che con l’aiuto del servo Albi elimina i pretendenti che le hanno fornito però in tempo man mano i gioielli della regina. Su questo sfondo appare Els il cantore girovago.

Con quale spirito il direttore di orchestra Jonas Alber e il regista David Alden si sono avvicinati a quest’opera? Alber è rimasto colpito dal modo di Schreker di trattare l’orchestra, come gli riesce di rendere la fragilità del mondo dei sentimenti, le frustrazioni, con quale tavolozza di variazioni timbriche. Il regista Alden era da tempo affascinato dalla molteplicità del mondo di Schreker, dal suo oscillare tra realtà e mondo onirico.

E dal loro entusiasmo è nato un allestimento coerentissimo. Musica e regia vanno di pari passo nel mettere in risalto tutti i dettagli della partitura. Con attenzione rara Alden traduce in azione scenica il dettato musicale. Anche con l’aiuto dello scenografo Paul Steinberg gli riesce l’equilibrio fra mondo fiabesco e dura realtà. Inteso da alcuni come epigono di Wagner anche per il riecheggiare continuo dell'accordo di Tristano nello stupendo terzo atto (ma come liberarsi da questo pesante archetipo erotico?) Schreker riesce in realtà a scrollarselo di dosso demistificando la presunzione della assoluta "Gesamtkunstwerk" attraverso un metodico processo di frammentazione. Ed è questa la lettura del direttore Alber. Con disinvoltura magistrale (e già ne abbiamo avuto la prova a Monaco con "Il ritorno di Ulisse in patria"!) la regia si appropria di elementi contemporanei dalla nostra "fabbrica dei sogni" (Hollywood, Walt Disney) rendendo tangibile allo spettatore moderno questo metodo. Nessuna soverchiante nevrosi interpretativa attraversa l’opera, bensì scelte ad hoc a testimoniare la flessibilità di questo intento registico. Il tesoro, motore della bramosia dei personaggi, viene rappresentato come un brillante corsetto: ed ecco subito chiaro il piano simbolico di questo strano oggetto dei desideri. Il concetto di nevrosi in quegli anni già patrimonio del mondo scientifico e intellettuale viene cosí materializzato. Il messaggero del re che porta la grazia per Elis esce come un deus ex machina a cavallo di una costruzione kitsch da avanspettacolo: anche attraverso questo inserto ludico si concretizza l’intento demistificatore di Schreker, che non risparmia nel libretto redatto da lui stesso stoccatine al potere.

Al di là di piccole incongruenze anche il libretto convince per il suo linguaggio accurato, a riprova che Schreker era interessato anche all’efficacia testuale.

La scelta degli interpreti canori per la prima si è rivelata felice. Susan Bullok nel ruolo di Els ha dispiegato tutte le capacità rivelando la sua maturità per i ruoli wagneriani. Peter Bronder interprete del buffone di corte ha saputo dosare sarcasmo e miseria, doti necessarie per cesellare questa personaggio. Jeffrey Dowd, scelto per Elis, purtroppo colpito da influenza, ha lasciato ciononostante intravvedere le sue capacità di tenore risparmiando per le parti più importanti le sue forze. Non possiamo tralasciare di nominare il baritono Johannes Martin Kränzle efficace come sceriffo /balivo. Anche per questa volta il coro di Andrés Máspero non ha deluso le aspettative del pubblico fedele presentandosi come un unico corpo sonoro.

Sia per contingenze storiche che per cambiamenti generazionali sulle scene liriche tedesche tra le due guerre le opere di Schreker scomparvero, nonostante i successi iniziali, dai tabelloni.

Negli anni settanta inziò la rinascita anche grazie ad uno spartano e discusso allestimento de "Die Gezeichneten" sotto la regia di Hans Neuenfels e la direzione di Michael Gielen proprio qui a Francoforte. Il successo dell’attuale allestimento a Stoccarda della stessa è una prova dell’attualità della produzione di questo compositore. L’allestimento francofortese de "Il cercatore di tesori" ne è un contributo con diritto di canone per allestimenti futuri.

Patrizia Frada