Frankfurter Rundschau
19.7.2003

Der Blick aufs Ganze
Die Kammeroper Frankfurt bringt heute Mozarts "Don Giovanni" als Freilichtaufführung in den Palmengarten

Von Tim Gorbauch

Vergessen wir den ganzen philosophischen Kram. Vergessen wir all das, was Kierkegaard ersonnen hat oder auch Goethe oder E. T. A. Hoffmann oder Brecht. Vergessen wir das Gerede vom absoluten Verhältnis zwischen Idee und Form, Stoff und Medium. Blicken wir auf das Wesentliche.

Das Plakat der Kammeroper Frankfurt zeigt eine Fotografie von Martin Pudenz. Eine Frau mit Sonnenbrille und spitz zulaufenden Stilettos sitzt auf einem schmalen Hocker, die Beine gespreizt. Zwischen ihren Schenkeln verdeckt ein silbrig verspiegelter Toaster den Blick aufs Ganze. Aus dem Toaster wachsen Blumen, die sich vor die Brüste schieben. Darum geht es in Mozarts Don Giovanni. Um Begierde, Verlangen, Verführung und Abhängigkeit.

"Ich liebe diese Oper, und ich liebe ihn, Don Giovanni, die Figur", sagt Rainer Pudenz, Chef der Kammeroper Frankfurt, um gleich einmal klar zu machen, für wen sein Herz schlägt. Die Hedoné, die Don Giovanni von Frau zu Frau treibt, die nie zu stillende Lust auf mehr, die Frauen benutzt und wieder fallen lässt, der radikale Solipsismus, der nur sein eigenes Ich sieht, das alles kann Pudenz nicht abstoßend finden.

Schon gar nicht interessiert ihn das Pathologische einer gebrochenen Figur, die sich nach Liebe sehnt und nach Erlösung - und beides nicht findet. Alles Quatsch! Don Giovanni liebt die Frauen, bis er sie hat. Und die Frauen lieben ihn. Weil er das Andere verkörpert, das Unterdrückte, das Leben. Weil er auf ihre Moral pfeift und auf ihre Ideen von Anstand und Sittlichkeit.

Das kann natürlich nicht lange gut gehen. Auch bei Pudenz wird der Held sterben, Mozart und Da Ponte haben es so gewollt. Was übrig bleibt, ist die gepflegte Langeweile des lieto fine, des Happy Ends, das happy nur der finden kann, der vom Leben nicht mehr viel will.

Wenn Donna Anna, Donna Elvira und all die anderen Betrogenen sich nach der Höllenfahrt auf der Bühne zusammenfinden, ist ein Kaffeeklatsch aufregend dagegen. Das Bühnenbild, das allemal einen Blick wert ist, wird zugezogen. Die Welt ist wieder in Ordnung. Nichts wie weg!

Mit Mozarts Don Giovanni führt die Kammeroper die Tradition der Open-Air-Oper fort, die zu dem Schönsten gehört, was Frankfurt im Sommer zu bieten hat. Heute Abend ist Premiere im Musik-Pavillon im Palmengarten, gespielt wird bei jedem Wetter. Denn wer ein wirklicher Jäger ist, den kann auch der Regen nicht schrecken.

• Weitere Aufführungen am 22., 25., 26., 27., 30. Juli sowie am 1., 2., 3., 8., 9., 10., 13., 15., 16. und 17. August. Beginn jeweils 19.30 Uhr. Karten unter Tel. 069 / 13 40 400 und an der Abendkasse.

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Dokument erstellt am 18.07.2003 um 17:08:34 Uhr
Erscheinungsdatum 19.07.2003