Kein Happy-End in Sicht: Aber noch wirbt Don Giovanni (Johannes M. Kösters) um Donna Elvira (Annette Postef).
Foto Marcus Kaufhold

Frankfurter Allgemeine Zeitung
21. Juli 2003

Mord in der Konzertmuschel
Rainer Pudenz inszeniert Mozarts Oper „Don Giovanni" im Palmengarten

Die Höllenfahrt der Titelfigur am Fnde von Mozarts Oper.„Don Giovanni" gilt gemeinhin als Beleg für die Unfähigkeit der Gesellschaft um Giovanni, sich der notorischen Tabubrechers aus eigener Kraft zu entledigen. In seiner Neuinszenierung mit der Kammeroper Frankfurt läßt Rainer Pudenz den Frauenhelden (Johannes M. Kösters) von den anderen Personen abschlachten. Selbst der Diener Leporello (Jürgen Orelly) darf einmal zustechen. Der frisch Gemeuchelte schreitet daraufhin schleppenden Schrittes von der Konzertmuschel im Frankfurter Palmengarten auf einem Lichtstrahl hügelaufwärts davon. Hedonismus ist heutzutage eben kein hinreichender Grund mehr für ewige Verdammnis und das Einschreiten einer höheren Instanz, zumal sich das Umfeld keineswegs als moralische Alternative profiliert.

Giovanni lebt lediglich often vor, was die anderen nicht vermögen, aus Opportunität unterlaßen oder eben im stillen betreiben. Pudenz hält sich - von eingestreuten Persiflagen gängiger Operntopoi abgesehen - weitgehend an die Vorgaben des Originals, zieht jedoch die sexuellen Motive sämtlicher Personen an die Oberfläche. Ihnen wird Giovanni zum Spiegelbild, dessen erschreckender Anblick zu seiner Zerstörung herausfordert. Wären Don Ottavio (Peer-Martin Sturm) und Leporello nicht durch gesellschaftliche Mechanismen gehemmt, würden sie dem Lüstling nacheifern, und die drei Damen Donna Anna (Annette Müller), Donna Elvira (Annette Postel) and Zerlina (Christine Graham) gäben seinem Werben sicher nach, wenn es die Umstände zuließen. Diese Sicht der Dinge ist triftig, von Mozart and seinem Librettisten Da Ponte auch mit angelegt. Freilich bezieht die Oper ihren Reiz auch aus der Fähigkeit der Akteure, ihre jeweilige Affinität zu Don Giovanni zu kaschieren, den Schein zu wahren. Die rustikale Offenheit im Palmengarten hebt diese Spannung zwischen Motiv and Oberfläche weitgehend auf.

Das Orchester unter Markus Neumeyer musiziert frisch und plakativ, setzt die Vorgaben der Inszenierung angemessen um. Nicht zuletz infolge der Verwendung einer deutschen Übersetzung bleibt auch in musikalischer Hinsicht für Subtiles wenig Raum. Der sexuellen Inbesitznahme Zerlinas geht eine sich musikalisch vollendet dargeslellte Werbung voraus, von der man im konkreten Fall wenig mitbekommt. Die Flucht Giovannis von seinem Fest gelingt nicht zuletzt dank des Verwirrspiels von drei simultan erklingenden tanzen, durch die Giovanni die verschiedenen Klassen angehörenden Personen auseinander- unit somit von einer konzertierten Aktion abhält.

Anstelle einer virtuos eingefädelten Entweichens tritt bei Pudenz der gewaltsam mit zwei Pistolen erzwungene Abgang. Ob man einer so komplexen Figur letztlich gerecht werden kann, wenn man sie auf ihren ungehobelten Wesenskern reduziert, sei dahingestellt. Das dank des traumhaften Wetters in Scharen herbeigeströmte Premierenpublikum zeigte sich jedenfalls von diesem seines kulturellen Firnisses entblößten „Giovanni" begeistert.

BENEDIKT STEGEMANN

  • Weitere Aufführungen am 22., 25., 26., 27. und 30. Juli, jeweils 19.30 Uhr in der Konzertmuschel im Frankfurter Palmengarten.
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    Frankfurter Rundschau
    21.7.2003

    Frauen, die nicht denken
    So kann wohl nur die Kammeroper Frankfurt ihn sehen: Premiere von Mozarts "Don Giovanni" im Palmengarten

    Von Stefan Schickhaus

    Die Lage ist ernst. Wenn selbst die Kammeroper Frankfurt nicht mehr lacht wie ein Kind, dann sind wir jenseits von Eden. Jedes Jahr im Sommer spielt Frankfurts privat finanzierte Operntruppe Sommeroper im Palmengarten, immer leichte Buffa-Opern in hellen Farben. Diesmal aber ziehen Wolken auf, ein "Dramma" steht auf dem Spielplan: Wolfgang Amadeus Mozarts Don Giovanni, sein großes "Dramma giocoso". Und natürlich betont Rainer Pudenz als Chef und Regisseur der Kammeroper hier eindeutig das "giocoso". Für ihn ist alles Komödie, erst das Ende ist ein wenig ernst.

    Kein Grund also, die Kühlbox mit dem Perlwein zuhause zu lassen, wenn man diesen Freiluft-Don Giovanni besucht. Mozarts mächtige Oper leicht zu machen, hatte man kürzlich zuletzt am Staatstheater Darmstadt versucht, da wurde sie nur seicht. Hier aber wird sie wirklich zur Komödie, und erstaunlicherweise funktioniert das anstandslos. Natürlich will man sie von nun an nicht immer mehr nur als Groteske sehen, natürlich ist die überspitzte Kammeroper-Sicht nicht die ultima ratio. Aber zum Perlwein passt sie bestens.

    Die Frauen kommen hier nicht gut weg. Mögen andere Inszenierungsansätze sie als Opfer beklagen, bei Pudenz sind sie einfach nur dumm. Donna Anna ist somnambul, Zerlina ist naiv und verschlagen, Donna Elvira hysterisch. Wenn sie eine Banane schält, gerät sie aus der Fassung, ihr wird ganz heiß dabei.

    Und, da hat Pudenz recht genau gelesen: Die relative Häufigkeit, mit der diese Donna Elvira dem Charmeur Don Giovanni verzeiht und ihm eine neue Chance gibt, spricht eigentlich wirklich nicht für Denkkraft und taugt im Grunde nur für eine Komödie. In den gut drei Mozart-Stunden dreht sich Donna Elviras Sympathiefähnchen wie in einem Wirbelwind - dramatisch ernst nehmen kann das ja wirklich niemand mehr!

    Es sind wieder einmal die Typen, die diese Kammeroper-Produktion stark machen. Hier stehen keine angewurzelten Schönsänger auf der Bühne, sondern echte Darsteller. Peer-Martin Sturm ist ein lächerlicher Don Ottavio, Jürgen Orelly als Leporello ist eine Beckett-Figur, ein dunkler Clown. Und Don Giovanni selbst, Johannes M. Kösters, hat jenes Naturell, dem man die Magnetwirkung abnimmt. Seine Baritonstimme mag zwar etwas unausgewogen, ja sogar schlampig wirken, doch seine Präsenz gleicht so etwas sofort wieder aus. Das übrige sängerische Niveau ist höher und dabei konstanter als bei der Mozart-Produktion des vergangenen Jahres, der Entführung aus dem Serail. Gerade bei den Frauen hat Rainer Pudenz mit Annette Müller (Donna Anna), Annette Postel (Donna Elvira) und Miriam Müller Stimmen gefunden, die bestens zueinander abgestuft sind und ihre Charakterisierung gut treffen.

    Wucht und Höllenfeuer mag diese Don Giovanni-Musik nicht unbedingt entfachen, musikalisch bleibt gerade die Abendmahl-Szene etwas dünn. Das tadellose Orchester der Kammeroper (unter Markus Neumeyer) ist klein besetzt und lässt die Sänger immer problemlos hörbar und verstehbar bleiben.

    Gesungen wird übrigens in der deutschen Übersetzung von Walter Felsenstein, und im Premierenpublikum konnte man deren Vorzug erkennen: Manche Pointe kam merkbar jetzt erst bei den Zuhörern an.

    Im Zentrum des Bühnenbildes steht diesmal ein Gemälde, etliche Quadratmeter groß. Es stammt von Mateo Vilagrasa, einem angesehenen spanischen Maler, das Programmheft spricht darüber von "Mehrdimensionalität", von einer "intensiver Verdeutlichung und Verdichtung" der Weltsicht Don Giovannis, die man aus diesem Bild ablesen kann. Und von Schonungslosigkeit. Das Gemälde zeigt ein hoch vergrößertes, nacktes, zweifelsfrei weibliches Hinterteil.

    Als Don Giovanni aufgrund dieser seiner Weltsicht sterben und mit gemessenen Schritten als Untoter das Spielfeld quer durch die Zuschauerreihen hindurch verlassen muss, kehrt Leere ein auf der Bühne. Ohne ihn, den Geliebten, Bewunderten, Gehassten, der Zentralfigur erstirbt jede Bewegung. Die übrig Gebliebenen sitzen gelangweilt Seite an Seite, das Spiel ist aus. Jetzt ist die Lage wirklich ernst.

    • Frankfurt, Palmengarten, bis 15. August, mittwochs und freitags bis Sonntags, jeweils 19.30 Uhr; Karten über Tel. : 69/1340-400

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    Copyright © Frankfurter Rundschau 2003
    Dokument erstellt am 20.07.2003 um 17:56:25 Uhr
    Erscheinungsdatum 21.07.2003

     

    Frankfurter Neue Presse
    21.7.2003

    Die Braut versetzt ihren Bräutigam bei der Hochzeitsfeier
    Die Frankfurter Kammeroper wagte sich mit Erfolg an Mozarts "Don Giovanni".

    Der Frankfurter Palmengarten hat sich auch in diesem Jahr wieder das Prädikat "Klein-Verona" verdient. Opernfreunde rasten unter schattigen Bäumen. Aus dem Konzertpavillon tönt Mozart.

    Die Kammeroper hat sich nun an "Don Giovanni" herangewagt. Der Titelheld passt so recht in das heiter-sommerliche Bild: Was kostet die Welt, wenn denn ein hübsches Mädchen verfügbar ist?

    Zur Sicherheit wird bei jedem Rendezvous der Kinderwagen gleich mitgenommen. Don Giovanni ist eben ein Praktiker der alten Schule. Donna Anna, Donna Elvira, schließlich die liebliche Zerlina – sie alle tragen den unverwechselbaren schrillen Charme der Kammeroper. Regisseur Rainer Pudenz ist sich auch diesmal wieder treu geblieben und hat allerhand Farbe in das aufgeregte Geschehen gebracht. Mit Johannes Kösters ist ihm für die Titelrolle der ganz große Wurf gelungen. Kösters strahlt nicht nur stimmliche Souveränität aus, er ist auch ein schauspielerisch angemessener Darsteller. Man hat ihm lange Zotteln verpasst, die das Dandy-Image etwas angestaubt erscheinen lassen. Doch für naive Landpomeranzen reicht es zuweilen noch immer. Doch unglücklicherweise wird er immer wieder von der eigenen Vergangenheit eingeholt. Bei einem Schäferstündchen mit Donna Anna hatte deren Vater sein Leben lassen müssen.

    Auch die Figur des bemitleidenswerten Dieners Leporello ist so recht etwas nach dem Geschmack der Kammeroper. Jürgen Orelly, der sich schon während der vom Orchester mit viel Elan und Temperament vorgetragenen Ouvertüre auf der Bühne räkelte, trägt eine schwarze Kutte bei weiß geschminktem Gesicht und ist auch sonst ein kontrastreicher Typ; hin- und hergerissen zwischen Loyalität zu seinem verlotterten Herrn und dem Bewusstsein, damit fortwährend Unrecht zu tun. Jürgen Orelly machte aus seiner wahrlich nicht beneidenswerten Situation stimmlich und schauspielerisch das Beste. In den Frauenrollen gefielen Annette Postel als Donna Elvira, Annette Müller als reife Donna Anna, vor allem aber die zierliche Christine Graham in der Rolle der Zerlina. Kaum zu glauben, dass dieses naive Geschöpf die Stirn besitzt, den frisch angetrauten Gemahl noch während der Hochzeitsfeier zu versetzen. Aber nicht nur in der Kammeroper gilt der Grundsatz: Es gibt nichts, was es nicht gibt! (Ge)