Offenbach Post
5.11.2003

Gefoppter Fettwanst
Verdis "Falstaff" lockt wieder in die Frankfurter Oper

Von AXEL ZIBULSKI

In Zeiten knapper Kassen muss wohl auch Falstaffs Bauch ein wenig an Fülle einbüßen. Bei der Frankfurter Wiederaufnahme von Giuseppe Verdis buffoneskem Opern-Schlusswort trägt Bariton Stephen Kechulius die (sichtlich nicht echte) Wohlstandsplauze zwar stolz vor sich her. Doch bei der Premiere vor drei Jahren schaute sein Kollege Roberto Frontali noch ein wenig üppiger aus.

Ansonsten wirkte Katrin Hilbes "Falstaff"-Inszenierung auch bei der Neuauflage am vergangenen Wochenende alles andere als abgespeckt: Erneut konnte man beobachten, wie in der maroden Lobby auf der Einheits-Bühne von Hans Dieter Schaal im Laufe des Abends die Decke wegbricht. Oder wie die Regisseurin eine stets reich bewegte Szenerie mit Slapstick-Einlagen würzt: Mal hüpft eine eingecremte Dame aus dem Schönheitssalon auf der linken Bühnenseite. Oder ein japanisches Trio wuselt, fotografierend natürlich, durchs Bild.

Die Streiche sind bekannt, die Windsors lustige Damen (von Weibern möchte man schon angesichts der topmodernen Kostüme Angelika Riecks nicht sprechen) dem armen Falstaff spielen: Ob man ihn in den Kanal plumpsen oder mitten in der Nacht samt Hirschgeweih im Park antreten lässt: Das Frankfurter Publikum zeigte sich überwiegend amüsiert vom turbulenten Geschehen auf der Bühne.

Das bezog seinen vokalen Reiz weniger aus Spitzenleistungen einzelner als durch ein ausgewogen aufeinander abgestimmtes Ensemble: An vorderster Stelle eben Stephen Kechulius, dessen Falstaff zunächst, vor allem im Monolog über die Ehre, nicht eben alle buffonesken Facetten bot, der sich im Laufe des Abends aber gerade in der Höhe freisang. Vom Publikum besonders gefeiert wurde die Mrs. Quickly von Marie-Nicole Lemieux - wohl nicht zuletzt für ihre herrlich überdrehte Gestik. Eine hoch feine, im Pianissimo starke Nannetta war Britta Stallmeister, an ihrer Seite verblassend der junge Tenor Shawn Mathey (Fenton). Johannes Martin Kränzle sang einen stabilen, zuverlässigen Ford, als seine Gattin Alice agierte Michela Remor doch deutlich angestrengter als die Mrs. Meg Page von Nidia Palacios.

Zunehmend besser koordiniert wurden sie alle im Laufe der Vorstellung von einem Opern-Routinier am Pult des Museumsorchesters. Hans Drewanz, einst gute drei Jahrzehnte Generalmusikdirektor in Darmstadt, verzichtete zwar auf einen bisweilen stärker vorstellbaren Esprit, leuchtete dafür aber Verdis altersweise instrumentierte Partitur bis in den letzten Winkel aus. Zur finalen Fuge gesellte sich auch der bestens präparierte Frankfurter Opernchor. Nein, ein zweiter Aufguss ist diese Wiederaufnahme wirklich nicht.

 

Frankfurter Rundschau
4.11.2003

Der König der Wänste liebt und singt wieder

1½ Akte lang sitzt er nur da, auf einem Ledersofa inmitten einer großen, gammeligen Hotellobby, die in die Jahre gekommen ist wie auch er selbst: Falstaff, der König der Wänste, wie Verdis Librettist Arrigo Boito ihn nennt, die Kugel der Verderbtheit, das Dreifachkinn. Erst die Aussicht auf ein baldiges Rendezvous mit Alice Ford lässt ihn erste Schritte riskieren. Und kaum wähnt er sich am Ziel, wird aus dem in seiner Lebenslust ruhenden Mann ein schwitzender Heißblüter. Schnell greift er zu, doch Erfolg hat er nicht. Er sitzt einer Intrige auf, die ihn nur kurz erschrecken kann. Denn was die Welt von ihm hält, ist Falstaff ziemlich egal.

Vor drei Jahren hatte Katrin Hilbes quirlige, amüsante, manchmal etwas sehr mit Nebensächlichem kokettierende Inszenierung von Verdis letztem Bühnenwerk Premiere. Nun stand ihre Wiederaufnahme an, mit Hans Drewanz am Dirigentenpult, der das Rabiate, Drastische, Schroff-Hineinfahrende der singulären Partitur fokussiert, dabei aber zusehends die Wärme aus dem Blick verliert, die darin genauso verborgen ist.

Auf Hans Dieter Schaals verwinkelter Einheitsbühne bewegen sich nicht unbedingt die großen Partien am markantesten: Stephen Kechulius als Falstaff bleibt solide-unspektakulär, Michele Remor als Alice beginnt stark, verliert aber zum Ende hin ein Stück ihrer Kraft und Präsenz. Eher spielen sich die Nebenrollen in den Vordergrund, etwa Britta Stallmeisters zu leuchtenden Lyrismen fähiger Nannetta-Sopran oder Johannes Martin Kränzle, der in seinem Rollendebüt den Ford als verklemmten, staksigen, gleichsam körperlosen Bürokraten gibt. Über allen aber thront Marie-Nicole Lemieux als Mrs. Quickly, eine furiose, ungemein bewegliche Matrone, der Falstaffs Liebe eigentlich gelten müsste. (gor)

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Dokument erstellt am 02.11.2003 um 19:24:08 Uhr
Erscheinungsdatum 03.11.2003

 
Frankfurter Neue Presse
04.11.2003

Falstaff in der Hotelhalle
Verdis "Falstaff" wurde an der Frankfurter Oper wiederaufgenommen.

Diese Wiederaufnahme stand im Zeichen von Umbesetzungen und Debüts. In der Titelrolle war der amerikanische Bariton Stephen Kechulius zum ersten Mal in Frankfurt zu hören. Die Opernfreunde bereiteten ihm einen herzlichen Empfang. Kechulius zeigte sich nicht nur dem anspruchsvollen Gesangspart mehr als gewachsen. Er legte auch gediegene schauspielerische Fähigkeiten an den Tag – und welcher Rolle kommt dies besser zu Gute als der des sympathisch-versoffenen Schwerenöters Falstaff. Johannes Martin Kränzle ist in Frankfurt als Ensemblemitglied eine feste Größe. Gleichwohl feierte auch er ein Debüt. Zum ersten Mal sang er die Rolle des Mister Ford, der in Katrin Hilbes viel gelobter Inszenierung als hektischer Tausendsassa dargestellt wird – der am Ende neben Falstaff als der eigentlich Gehörnte dasteht. Auch Michaela Remor (Mrs. Ford) und Marie-Nicole Lemieux (Mrs. Quickly) bestätigten die große Sorgfalt, mit der in der Frankfurter Oper Gäste engagiert werden. Sie passten ebenso wie Nidia Palacios (Mrs. Meg Page) glänzend in die quirlige Atmosphäre der Hotelvorhalle, in der das Geschehen spielt. Die übrigen Darsteller – darunter Britta Stallmeister und Carlos Krause – waren alte Bekannte, die man ob ihrer stimmlichen Fähigkeiten nicht missen möchte. Das Museumsorchester unter Hans Drewanz spielte ausgezeichnet. (Ge)

 
ConcertoNet.com
November 2003

Falstaff à la Fellini

"Can honor fill your belly?" demands Falstaff in the first scene of Act I, sinking back into a kitschy 1950's couch, adjusting his belt to allow for his enormous, but believable, beer belly.

Meet Sir John Falstaff, master hedonist, a highly sensual glutton whose every comfort is rooted in material life. In Katrin Hilbe's three-year-old production of Verdi's final work, the opera's Windsor-based action is transposed from the time of Prince Hal to a run-down Italian hotel in the late 1950's. There we find the vain and naïve Falstaff, replete with an Italian appetite for women and wine, as he attempts to seduce wealthy wives Alice Ford and Meg Page. Hired Mafiosi replace wood sprites for the intimidation tactics of Act III, and an in-house beauty parlor provides a realistic backdrop for the female scheming that takes place in Act I.

Verdi and his librettist, Arrigo Boito, would probably be pleased with this Falstaff-à-la-Fellini update as well as with the cast that brings it to life. In his first run as Falstaff, Stephen Kechulius has some big shoes to fill: recently European audiences have been privy to performances by prominent voices, Bryn Terfel and Ambrogio Maestri among them, who inhabit the role impressively. But Kechulius rises to the challenge. His buttery baritone vocals are paired with authentic acting ability and impeccable comic timing, and his previous experience with the emotional complexity in Verdi's operas shows itself. Kechulius is careful to add tenderness to his interpretation; his subdued Act III delivery is infused with remorse, and the pathos of Falstaff's vulnerability is present throughout. The opera may be a commedia lirica, but it is at moments a sad one, especially as we imagine what laughing stocks we too would be should our rationalizations and self-indulgences be subject to a sudden thaw.

As go-between Mrs. Quickly, Canadian mezzo-soprano Marie-Nicole Lemieux outshines her female counterparts. Uninhibited on stage, Quickly is an attention-grabber, though her flirtatious antics border on a distraction in her Act II encounter with Falstaff. As Nannetta, Britta Stallmeister is promising but occasionally sounds thin rather than wistful.

Johannes Martin Kränzle (Ford) and Shawn Mathey (Fenton) lead a strong male cast. Singers are supported by a competent orchestra, directed by Hans Drewanz, which settled into a tight performance after a jumpy start. Overall, the lighting (Olaf Winter), costumes (Angelika Rieck) and set design (Hans Dieter Schaal) provide a sound foundation for the work, filled with interesting subtleties that do not detract from the primacy of the music or the characters singing it. A tastefully timed entrance of a Korean tour group, for example, adds to the hectic confusion as Falstaff scrambles to save his skin by hiding in the hotel laundry bin.

Given the richness of the themes present in "The Merry Wives of Windsor " and "Henry IV, " the two Shakespearean texts at the heart of Boito's libretto, we can imagine why Verdi was drawn out of retirement -- and back to his favorite poet, Shakespeare -- to embark on this opera at the age of 75. Frankfurt's production is a successful rendering of Verdi's career finale, one that amuses the audience as much as it engages it in laughter and self-reflection.

Alexandra Day