Frankfurter Rundschau
22.9.2003

Roter Rosen-Regen
Das Stadttheater Gießen eröffnet die Saison im ganz großen Format mit Umberto Giordanos "Fedora"

Von Bernhard Uske

"Das tobt wie in der Menagerie, wenn das Futter vor dem Käfig erscheint" - am Ende, als sich der Vorhang geschlossen hat, fällt einem angesichts der Phonstärken im Auditorium des Gießener Stadttheaters der Satz ein, den Alwa Schön über den Auftritt Lulus in Alban Bergs Oper äußert. Gießens Lulu ist gegenwärtig Umberto Giordanos Fedora, ihres Zeichens Fürstin aus St. Petersburg und in den Mörder ihres Verlobten verliebt, was nach glücklicher Zeit im alpinen Liebesnest ein Ende mit Vorwürfen, Selbstmord und Verzeihen in letzter Minute erbringt.

Vor allem diese schaurig-schönen Partien zwischen Fürstin Fedora Romazoff und Graf Loris Ipanoff sind es, die mit sich steigernder belcantistischer Raserei das Gießener Premierenpublikum, sonst eher lakonische Applaudierer und flinke Heimwärtsstreber, aus dem Häuschen bringen.

Es war aber eben auch geschickt gemacht, wie Regisseur Helmut Polixa mit seinem Bühnen- und Kostümbildner Stefan Rieckhoff die Stimmungsdramaturgie auf der Drehbühne des Großen Hauses permanent steigerte. Der erste Akt in großer Dunkelheit mit bloß seitlicher, die Personengruppen im russischen Salon in Dostojewsky-Illumination belassender Beleuchtung, derweil im zweiten, Pariser Salon-Akt stärkere Belebung und Aufhellung erfolgte, bevor im letzten Akt mit dem emotionalen Countdown alle gedrosselte Salonatmosphäre weggewischt war.

Hier gab es Szenenapplaus für einen großmächtigen Alpenprospekt und ein farbstrotzendes Rosenbett. Dem gesellten sich aus dem Schnürboden weitere gemalte Bouquets bei, die eine Georgia O'Keefe vor Neid hätten erblassen lassen, derweil die italienisch-veristische Variante eines Für Dich soll's rote Rosen regnen-Duetts erscholl. Hier, zwischen einem Buben in Sepplhosen und einem Sennerinnen-Chor, der in seiner leiblichen Präsenz keinen Zweifel daran ließ, dass die Milchwirtschaft auf der Alm nicht nur glückliche Kühe kennt, konnten die Stars des Abends, Sabine Paßow und German Vilar alle Reserve fahren lassen und mit ihren stimmlichen Kräften bis an die Grenze gehen. Die machte sich an keiner Stelle bemerkbar.

German Vilar hatte bereits mit der kurzen, aber als Verismo-Knaller berühmten Amor ti vieta-Arie im zweiten Akt die ersten Entzückensschreie ausgelöst, während Sabine Paßow, die von Anfang an mit gleichmäßig rundem Volumen aufwartete, erst später vom Komponisten genügend Aufrauschendes geboten bekam. Giordano, der 1898 die Oper nach dem Erfolgsdrama Victorien Sardous vollendet hatte, wollte sich wohl ganz auf der Erfolgsschiene Mascagni-Leoncavallo-Puccini bewegen, und da sind es nun einmal die Sopran-Tenor-Parallelaktionen zwischen Tod und Liebe, die dem Zuhörer den Rest geben.

Gute stimmliche Eindrücke hinterließen die beiden anderen größeren Partien des Werks, der Bariton Bastiaan Everinks als französischer Diplomat und der Sopran Carola Glasers als Olga Sukarew.

Phänomenal war das Dirigat Gabriele Bellinis, das den assoziativ wechselhaften, auf Filmmusik regelrecht zusteuernden Klangfluss Giordanos so delikat und kammermusikalisch erfasste, dass man nicht nur im düsteren ersten Akt sondern besonders auch in der großen gesangslosen Selbstbesinnungsszene Fedoras meinte, die abgründigsten und fragilsten Evokationen des ausgehenden 19. Jahrhunderts komprimiert geboten zu bekommen. Kein Wunder, dass bei solch tiefgründig-luzider Klanglichkeit das kleinste Wackeln in Zusammenspiel und Intonation im hochambitioniert spielenden Philharmonischen Orchester Gießen zu bemerken war. Aber nur mit solch skrupulöser Haltung lassen sich für diese Musik die Ohren öffnen. Obwohl von Mahler an der Wiener Staatsoper dirigiert und von Strauss hochgerühmt - das Werk hat es in Deutschland über ein paar Aufführungen nie hinausgeschafft.

Der Hessische Rundfunk ist sich der Bedeutung der Gießener Realisierung bewusst und wird die Aufführung für die Ausstrahlung produzieren.

• Gießen: auch 28.9. & 22.10. um 19.30 Uhr, 5.10., 15 Uhr. Karten-Tel. 0 641/79 57-60.

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Dokument erstellt am 21.09.2003 um 17:12:27 Uhr
Erscheinungsdatum 22.09.2003
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WIESBADENER KURIER
22.09.2003

Umberto Giordano Verismus-Oper "Fedora" in Gießen
Wenn schon Kitsch, dann richtig

Von Axel Zibulski


Rosen vor Fahrrad und Berg-Panorama: Ausstatter Stefan Rieckhoff legt sich für den 3.
"Fedora"-Akt mächtig ins Zeug.
Bild: Stadttheater Gießen

Als vor drei Jahren Heinrich Marschners romantische Oper "Der Templer und die Jüdin" am Stadttheater Gießen aufgeführt wurde, hatte die kleinste der fünf hessischen Opernbühnen eine echte Ausgrabung gewagt: Mehr als siebzig Jahre war das Werk an keinem deutschen Theater zu sehen gewesen. Und in der vergangenen Spielzeit - es war die erste unter der neuen Intendantin Cathérine Miville - spielte man erstmals in Deutschland André Previns Oper "Endstation Sehnsucht". Auch die neue Saison des jüngst renovierten Theaters begann mit einem kräftigen Akzent im Spielplan: Umberto Giordanos heute nahezu vergessene Verismo-

Oper "Fedora" hatte Premiere.

Dabei war Giordanos Dreiakter nach der Mailänder Uraufführung 1898, in der sogar Enrico Caruso mitwirkte, zunächst sehr populär. Bereits ein Jahr später fand in Mainz die deutsche Erstaufführung statt. Typisch Verismo: Die Handlung nach einem Drama von Victorien Sardou ist blutig, den ersten Toten gibt es nach wenigen Minuten. Am Tag vor seiner Hochzeit mit der russischen Fürstin Fedora wird Graf Vladimir erschossen. Fedora schwört Rache dem Mörder, übrigens auch ein Graf, genannt Loris Ipanoff. Doch prompt verlieben sich die beiden ineinander, zudem erfährt Fedora, dass ihr Verlobter sie ohnehin betrogen hatte. Glückliches Ende? Nein, denn in ihren Racheplänen hatte Fedora auch Ipanoffs Bruder denunziert. Und als die beiden von dessen Tod erfahren, reagiert der geliebte Mörder höchst ungnädig: Fedora wählt den Freitod durch Gift.

Regisseur Helmut Polixa hat für "Fedora" eine eher historisierende, dabei aber bewegungsreiche Inszenierung erarbeitet. Die raschen Szenenwechsel werden durch den regen Einsatz der Drehbühne und ein munteres Auf und Ab von Zwischenwänden vorgenommen. Dass in einer Kammer unter der Drehbühne immer mal wieder die blutverschmierte Leiche Vladimirs zu sehen ist und an den Ausgangspunkt des Geschehens erinnert, ist allerdings ein eher entbehrlicher Einfall. Ansprechender die kleinen Brechungen: Die Leuchter im Pariser Salon des zweiten Aktes sind aus purer Pappe. Und für den dritten Akt, in dem es die beiden Liebenden just ins Berner Oberland verschlägt, hat Ausstatter Stefan Rieckhoff vor üppigem Berg-Panorama ein übergroßes Beet mit roten Rosen errichtet. Wenn schon Kitsch, dann richtig. Passenderweise klingt da auch Giordanos Musik einen Moment ganz alpenländisch.

Manche Einfälle Giordanos wirken heute ein wenig kurios. Im Paris-Akt spielt ein Pianist ein paar Takte Chopin, andernorts wird eine Fahrrad-Klingel zum Teil der Begleitung. Doch es gibt auch starke musikalische Momente, etwa das Schluss-Duett des zweiten Aktes. Es beeindruckt in Gießen (man singt italienisch mit deutschen Übertiteln) die respektable Besetzung der Hauptpartien: Sabine Paßow ist eine leidenschaftliche, reife Fedora von großem vokalen Volumen und herbem Timbre. Der junge Tenor German Villar (Loris Ipanoff) gewinnt zunehmend an sicherer Strahlkraft; die beiden anderen größeren Partien sind mit dem kernigen Bariton Bastiaan Everink (De Serix) und der jugendlich-hellen Sopranistin Carola Glaser (Gräfin Sukarew) angemessen besetzt. Sehr beachtlich, wie das kleine Gießener Orchester unter dem italienischen Dirigenten Gabriele Bellini zu großer Ausdrucksstärke findet.

 
Giessener Anzeiger
22. September 2003

Wehmütig-schöner Tod zwischen roten Rosen
Ergiebige Goldader: Riesenjubel im Stadttheater zum Saisonbeginn für Umberto Giordanos Verismo-Oper „Fedora"

GIESSEN. Umberto Giordanos komplett unbekanntes Verismo-Musikdrama „Fedora" am Samstagabend im Stadttheater zur Saisoneröffnung erweist sich als glutvolle, ganz große Gefühls- Oper. Die riesige, farbige Schwelgerei in Tönen, von den Solisten und vom Orchester mit angemessen leidenschaftlicher Glut umgesetzt, gelingt auch szenisch mit viel technischem Raffinement und ebenso viel Sinn für plakative Wirkung und sentimentalen Effekt. Szenen- und Schlussbeifall des restlos begeisterten Publikums zeigten an, dass die Theaterleute eine ergiebige Goldader angebohrt haben.

„Melodrama", der Untertitel des Werkes, das klanglich und inhaltlich deutlich an der Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert angesiedelt ist, bedeutet im strengen Wortsinn eine gesprochene Rezitation mit Musikuntermalung – und als die Hauptheldin am Ende kläglich in den Armen des Geliebten den sich selbst angetanen Gift-Tod stirbt, bedient sich der Komponist auch dieses auf die Tränendrüsen drückenden Mittels. Im übertragenen Sinn heißt melodramatisch all das, was starke Emotionen nicht still in der Brust verbirgt, sondern mit großer Geste, schmachtendem Geigenklang und behäbiger Posaunenuntermalung lautstark der ganzen Welt verkündet. Der Naturalismus und seine italienische, Verismo genannte Opern-Spielart hatten nicht die geringste Schwierigkeit damit, geheimste Gefühle extrem extrovertiert auszubreiten, das zuckende Herz ohne jede Scheu auf der Zunge zu tragen und durch die Kehle zu schicken. Umberto Giordano gehört zusammen mit dem weitaus berühmteren Puccini und den weiteren Brüdern im Geiste Leoncavallo und Mascagni zu jenen Tonsetzern, die die Wahrhaftigkeit des Gefühlslebens mit sicherem Instinkt für Dramatik und bemerkenswerten kompositionstechnischen und vokalen wie instrumentalen Mitteln ganz wortwörtlich in klingende Münze umzusetzen verstanden (nach dem Erfolg des Werkes konnte sich Giordano prompt seine „Villa Fedora" bauen).

Leiche im KellerDie Liebe und der Tod, dazu ein unheimlicher Anhauch von politischer Gewalttat, eingebettet in ein hochelegantes, von Millionären und Müßiggängern bevölkertes Salon-Milieu – aus diesen Grundzutaten besteht die „Fedora"-Handlung. Regisseur Helmut Polixa verpflanzt zusammen mit dem Ausstatter Stefan Rieckhoff die drei unterschiedlichen Handlungsorte der drei Akte auf die schräg gestellte Drehbühne. Ob verwinkeltes russisches Patrizierhaus, elegante Pariser Suite oder Schweizer Berg-Szenerie à la Heidi – die Leiche im Keller ist stets dabei und wird immer wieder an bedeutungsvollen Schlüsselstellen der Handlung sichtbar: ein im Schnee verblutender, dahingemeuchelter Mann. Die Drehbühne gerät häufig hektisch in Bewegung, befördert rasante Handlungssprünge und jäh aufwallende Gefühlsattacken; viele weitere, an Fäden hängende Requisiten (Bilder, Kronleuchter) führen ein zusätzliches, sehr mobiles Eigenleben; Hunderte von roten Rosen illustrieren im Schlussakt echten Herzensüberschwang, wenn der liebende Tenor seine Allerliebste ansingt mit den Worten: „Du Blüte aller Blüten der Jugend und der Liebe." Hier stirbt’s sich dann auch in wehmütiger Schönheit.

Polixa findet viele solche einleuchtende und sinnstiftende Bilder für diese Geschichte rund um Rachsucht und Verrat, konventionelle Tändelei und ungestümes Aufblühen der Triebe. Den erfahrenen szenischen Gestalter erkennt man an der klugen Dosierung der Mittel, neben vielen Drehbühne-Fahrten kennt er auch die Wirkung der stillen und statischen Bilder, baut er ansehnliche Ensembles, zaubert duftige Walzerstimmung und arrangiert den Frauenchor im Schweizer Akt gar als eine Jugendstilgruppe wie von Hodler gepinselt. Verlebendigung und Verdeutlichung, wohin man schaut – eine zweckdienliche, der Fantasie großzügig Nahrung spendende Regie, die mit allen Ideen so virtuos jongliert wie ein Chefkoch mit seinen Gewürzen.

Die Sänger fühlen sich in den Wogen von Giordanos geschmeidiger, illustrativer Musik, der lediglich einige Melodien von wirklicher Durchschlagskraft fehlen, spürbar wohl, und sie werden durch Polixas Führung sicht- und hörbar unterstützt und motiviert. Gabriele Bellini schafft im Orchestergraben einen fülligen Wohlklang, der die Stimmen wie ein Matratzenlager auffängt und hochschnellen lässt – ein Dirigent, der gerne Gas gibt, aber meist auch auf Behutsamkeit, Präzision und Zurücknahme achtet. Sabine Paßow gestaltet die Titelfigur mit vollem, glaubwürdigem Stimm- und Persönlichkeitseinsatz, keine abgehoben-huldvolle Primadonna, sondern eine mit dem Ensemble verbundene Künstlerin, die die an Liebesbedürfnis und Liebesfähigkeit überströmende Fedora-Figur mit entsprechend liebender Zuwendung und vollinhaltlich mit Leben erfüllt. Großartig und vom Publikum mit Recht bejubelt meistert German Villar die Caruso-Paraderolle des Grafen Loris Ipanoff – in Sachen Stimmkraft, Tenorschmelz und emotioneller Aneignung bisher seine beste Gießener Leistung.

Hoch auf GesamtensembleDie deutlichen Sympathien des Publikums gehörten auch der Sopranistin Carola Glaser und dem Bariton Bastiaan Everink in zwei weiteren tragenden, wenn auch kleineren Partien sowie den zahlreichen anderen, zum Teil sogar in mehreren Rollen eingesetzten Choristen und Solisten – bis hin zum pianistisch vorzüglichen Konstantin Arro in der Rolle des Chopin-Doppelgängers Lazinski, mit dessen Auftritt und Einbau in die Partitur dem Komponisten ein zusätzliches, geniales Kabinettstückchen gelingt.

Zu Recht bittet Regisseur Polixa zur Schlussverbeugung neben Manfred Wende (Licht) auch Bühnenmeister Raimund Stoll und Schnürmeister Andreas Urff mit auf die Bühne. Es gilt, eine Ensemble-Gesamtleistung zu bejubeln.

Die nächsten Aufführungen: 28. September, 5. und 22. Oktober.

 

Gießener Allgemeine Zeitung
22. September 2003

Aus der Mottenkiste zu neuem Bühnenglanz
Mit Giordanos »Fedora« legte das Theater zu Spielzeitbeginn viel Ehre ein - Jubel für Sabine Paßow und German Villar

Von Olga Lappo-Danilewski

Befürchtungen wegen des Verstaubtheitsgrads der Giordano-Oper »Fedora« waren schon im Vorfeld von der Neugier auf diese erste und damit auch Spielzeit-prägende Premiere überlagert. Der nur noch selten in den Repertoires auftauchende Dreiakter hatte am Samstagabend erwartungsfrohe Musiktheaterfreunde selbst von jenseits deutscher Grenzen angelockt. Zum Spielzeit-Auftakt begrüßte Intendantin Cathérine Miville in knappen, herzlichen Worten die Gäste, darunter auch städtische Honoratioren. Der Saisoneinstand am heimischen Musentempel überzeugte in jeder Hinsicht. Umberto Giordanos Oper »Fedora« war ein kühner Griff in die Mottenkiste - doch die Gießener Aufführung hat die Vorstellungen gewiss übertroffen, wie der berechtigte Jubel des Publikums am Schluss bezeugte.

In dem Dreiakter nach einer literarischen Vorlage von Victorien Sardou (Libretto: Arturo Colautti) kommt alles vor, was im ausgehenden 19. Jahrhundert Rezept für Publikumswirksamkeit war: Der Blick ins »wahre Leben« (was in der Opernliteratur unter der Bezeichnung Verismo läuft). Politischer Hintergrund (Flucht oder Emigration, die Nihilisten als Bedrohung, das Attentat auf Zar Alexander II., Spionage und Morde) ist Folie für eine verquickte persönliche Schuld- und Rache-Erzählung um ein Liebespaar, dessen Geschichte in eindreiviertel Stunden reiner Spielzeit zwischen Extremen abläuft. In »Fedora« gibt es sogar - altbewährt - das tragische Paar und ein fast buffoneskes: allerdings stammen beide Paare aus der Adelsschicht. Und es gibt Reisen in die weite Welt, denn die Akte spielen in St. Petersburg, in Paris und in der Schweiz. Eine Fahrradtour bringt sogar ganz alltäglich Modisches auf die Bühne.

Hier ging die Regie von Helmut Polixa (der mit Bellinis »Norma« und Previns »Endstation Sehnsucht« im Hause schon Lorbeeren sammeln konnte) wieder bewährte Wege, das Erzählende mit dem schauspielerischen Ausdruck und der musikalischen Aussage zu verklammern und den Weg zwischen Heiterkeit, Tragik und liebevoll-ironischer Distanz zu balancieren. Und wenn dann noch Bühne und (historisierende) Kostüme so sinnenfreudig, halbabstrakt und mit zeitgemäßer Technik konzipiert sind wie von Stefan Rieckhoff, dann ist die Freude des Publikums geweckt. Die Drehbühne war häufig in sanfter Bewegung, ebenso wie gleich Zeitmessern bedächtig vom Schnürboden herabfahrende Prospekte. Inhaltsangaben zwischen den Szenen wurden projiziert, und die wesentlichen Texte der italienisch gesungenen Oper erschienen als Übertitelung. Zeichenhaft und bühnenwirksam die beiden ersten Akte, getoppt dann vom opulenten Rosengärtli vor der Kulisse von Schreckhorn und Finsteraarhorn im Schweizer Exil - dies schon fast von schmerzhaftem Kontrast gegenüber der schicksalhaften Wendung, die nun stattfindet, wenn sich Fedora in ihrer Schuldverstrickung vergiftet und den Bühnentod stirbt, während der Savoyardenjunge seine stimmungsvoll-bedeutsamen Liedzeilen singt (das erinnert an »Tosca«, die ebenfalls auf Sardous Vorlage fußt). Ein wenig zu dick aufgetragen ist der ständig wiederkehrende »erschossene« Statist im Bühnensockel, wo doch jeder weiß, was des Unheils Beginn war. Die Bühne selbst ist in schrägen Stufen konstruiert, so dass die dramatischen Monologe der Fedora im Vordergrund auf dem höchsten Punkt des Aufbaus verstärkt werden. Geschickt auch im Paris-Akt die Kombination zweier Szenen: Während im Hintergrund sich die Gesellschaft gleich einem erstarrten Bild um den Pianisten schart, läuft im Vordergrund ein fataler Dialog zu dessen Klaviermusik ab.

Giordanos Musik ist gefühlsbetont und schildernd, sie erinnert an die bedeutenden Opernvorbilder von Mascagni, Leoncavallo und Puccini, zitiert aber auch Wagner in einem bedrohliche Arabesken-Motiv, das bei Siegfrieds Tod (Wagner) den Trauermarsch einleitet - und damit Tragik suggeriert. Einige melodiebetonte Teile stechen aus der farbigen Partitur heraus, und Giordano bringt auch folkloristische Elemente passend zu den Spielorten hinein.

Sternstunde für die Sänger-Besetzung. Mit Sabine Paßow als Fürstin Fedora war die spielbegabte, bewährte Dramatische (Blanche in »Endstation«) erwartungsgemäß in ihrem Element. Der »hauseigene« Tenor German Villar allerdings stellte seine früheren Leistungen sowohl in darstellerischer als auch in sängerischer Hinsicht in den Schatten, und als er das berühmte »Amor ti vieta« klarlinig und mit bestechendem Wohlklang darbot, dachte jeder an Caruso, der mit dieser Arie berühmt wurde. Da gab es heftigen Szenenjubel für den jungen Spanier, der auch optisch als Loris attraktive Figur macht. In ihm steckt sicher noch viel Zukunft.

Gefallen konnte auch Bastiaan Everink als Diplomat De Sirieux mit kraftvollem Bass, und Carola Glaser als kapriziöse Gräfin Olga sprach mit flexiblem Sopran an. Unter den zahlreichen Nebenrollen sei der singende Knabe genannt: Simon Adam in alpinem Outfit bot eine wackere Leistung (alternierend mit Pedro Hafermann). Am Pult der Philharmoniker stand Gabriele Bellini (der in »Norma« hier Ehre einlegte) und führte dynamisch durch die farbenreiche Notenwelt, dabei stets die Verknüpfung zum Bühnengeschehen wahrend. Die Musiker - am Anfang bei den Streichern ein wenig ungenau - spielten sich in die eingängige Tonsprache Giordanos schnell ein. Jan Hoffmanns Aufgabe als Chorleiter bewegte sich wie immer ansprechend, diesmal in bescheidenen äußeren Vorgaben. Das gut gelaunte Publikum konnte sich - wer wollte - nach musikalischem Schmaus und Jubelbeifall an einem respektablen kalt-warmen Büffet nebst Getränken im Oberen Foyer erfreuen - das Theater gab anlässlich der neuen Gastronomie (Elisabeth Faber) »einen aus«. Eventkultur eben.

 

Wetzlarer Neue Zeitung
23.09.2003

Beifallsstürme für Oper "Fedora"

Von Klaus-J. Frahm

Als der Vorhang fiel brach im Gießener Stadttheater ein regelrechter Beifallssturm los. Zwei Stunden lang hatte das Publikum im ausverkauften Haus einen regelrechten Krimi mit einem ordentlichen Schuss Tragik und Romantik erlebt. "Fedora", ein Werk von Umberto Giordano, das längst aus den Opernführern verschwunden ist, beeindruckte mit einem gelungenen Bühnenbild, schöner Musik und vor allem großartigen Leistungen der Sängerinnen und Sänger.

Gießen. Die Geschichte von der reichen Fürstin, deren Verlobter ermordet wird und die sich während der Durchführung ihrer Rache am Mörder in diesen verliebt, bedarf zahlreicher Erklärungen. Diese wurden auf eine Leinwand im oberen Bühnenteil projiziert, so dass man den Verwicklungen, denen die Protagonisten ausgesetzt sind, ganz gut folgen kann.

Auch der Text, der in italienischer Sprache erklang, wurde in Obertiteln übersetzt.

Im Palast des Grafen Vladimir im winterlichen St. Petersburg beginnen die Verwicklungen. Fürstin Fedora Romazow, von Sabine Passow brillant verkörpert, wird vom Tod des Grafen, ihres Verlobten, überrascht und schwört, Rache an dem Mörder zu nehmen.

Eher wie ein Prolog wirkt dieser erste Akt, bei dem Roland Furch einen finster überzeugenden Polizisten Grech spielt, der in seinem Verhör der wunderbar spielenden Dienerschaft den Fall untersucht.

Im zweiten Akt, in Paris, werden dann die tragischen Verstrickungen angelegt. German Villar war ein so beeindruckender Loris Ipanow, dass er für seine tollen Gesang spontanen Applaus bekam.

Carola Glaser sang und spielte die lebenslustige Freundin Fedoras, die Gräfin Olga Sukarew brillant, wurde aber leider vom Orchester häufig übertönt. Umwerfend war vor allem ihr neckischer Streit mit dem Diplomaten De Siriex, den Bastian Everink ebenso stark und mit mehr Stimmgewalt spielte.

In den Schweizer Bergen kommt es zum tragischen Ende der Geschichte, die von Regisseur Helmut Polixa und Bühnenbildner Stefan Rieckhoff raffiniert in einen Rausch von Romantik gesteigert wird. Die Drehbühne ist mit raffinierten, schlichten Aufbauten versehen und fast ständig in Bewegung. So verwandelt sich das Bühnenbild spielerisch immer wieder, und große Bildtafeln, die nach Bedarf aus dem Schnürboden herabschweben, vervollständigen die Illusion.

Im dritten Akt dann wachsen auf der Bühne Hunderte von roten Rosen, die Frauen des Chors sind in Rottönen gewandet und bilden eine sorglose Urlaubsgesellschaft. Die Protagonisten, ganz in Weiß, spielen zunächst ihre sorglose Verliebtheit aus, bis in Form der Botschaft vom Tod des Bruders und der Mutter von Loris die Tragik in die Idylle einbricht.

Passow und Villar steigern hier ihre spielerische und gesangliche Leistung bis hin zum anrührenden Operntod der Gräfin noch einmal.

Am Ende wurden die Akteure mit nicht enden wollendem frenetischem Applaus gefeiert.

Man kann dem Stadttheater zum gelungenen Saisonauftakt nur gratulieren.