Frankfurter Rundschau
28.1.2004


Inszeniert in Frankfurt Janáceks "Gewitter": Anselm Weber.

Ein Albtraum von Welt
Regisseur Anselm Weber über die Frankfurter "Katja Kabanova"

Frankfurter Rundschau: "Katja Kabanova" erzählt die Geschichte einer Frau, Katja, die unter der Ablehnung, der Kälte und der Tyrannei ihrer Schwiegermutter, der Kabanicha, leidet, von ihrem Ehemann, Tichon, keine Unterstützung erhält, Ehebruch begeht, ihn gesteht und sich schließlich umbringt. Liest man über Leos Janáceks Oper, so stößt man immer wieder auf das Wort Ausweglosigkeit. Ist das auch für Sie ein Zentralbegriff?

Anselm Weber: Ausweglosigkeit ist schon ein gutes Wort, aber mich interessiert genauso die Frage nach der Flucht, nach dem Glück. Allein deshalb, weil ich das Scheitern besser über die Hoffnung erzählen kann, als wenn ich Scheitern schon voraussetze.

FR: Ab wann ist in Ihrer Inszenierung klar, dass es keinen Ausweg gibt? Ab wann steuert alles unweigerlich auf die Katastrophe zu?

AW: Die Grundform des Stückes ist wie die einer short story. Es ist unglaublich komprimiert und folgt keiner Dramaturgie im herkömmlichen Sinn, was ja auch die Modernität der Oper ausmacht. Mit linearen Argumenten, nach denen Sie jetzt fragen, kommen Sie da, fürchte ich, nicht weit. Es zählen da ganz kleine, kürzeste Momente. Janacek braucht etwa nur wenige Bühnenaugenblicke, um das Terrorsystem der Kabanicha zu etablieren. Das steht ganz am Anfang. Und von dem Moment geht es darum, wie man dem entkommt.

FR: Was ist das für eine Gesellschaft, an der Katja scheitert?

AW: Eine von Orthodoxie und Terror bestimmte Welt des Kleinbürgerlichen, die im Nirgendwo des Taigalands nach ihren eigenen Regeln lebt. Dass sie keinen genauen, sondern eher einen abstrakten Ort hat, zeigt mir, dass es vor allem um die Beschreibung von Gewalt, Lieblosigkeit, Dumpfheit, Alkoholismus, Terror geht. Um einen Albtraum von Welt.

FR: Sie brauchen also auch auf der Bühne keinen konkreten Zeitbezug?

AW: Nein. Es ist ungefähr wie Ödipus. Wie eine formale Grundfrage, die gestellt wird. Es geht um etwas Grundmenschliches.

FR: "Katja Kabanova" funktioniert als Oper anders als etwa Puccini-Opern. Aus Ihrer Perspektive als doch hauptsächlich Schauspielregisseur: Wie nahe ist "Katja Kabanova" dem Schauspiel?

AW: Sehr. Die Komplexität der Form und die Komplexität der Figuren sind so enorm, wie ich das auch nur in ganz wenigen modernen Theaterstücken finde. Die Verdichtung, die Tatsache, dass einzelne Sätze ganze Katastrophen auslösen können, erinnert fast an Beckett. Umgekehrt würde es im Schauspiel aber nicht funktionieren. Ihm würde in dieser Verknappung der Weg ins Herz fehlen: die Musik. Es ist fast, als würden in Katja Kabanova die Medien zusammentreffen. Die moderne, schauspielartige Anlage und mit der Musik die alte Dame Oper.

FR: Aber auch diese alte Dame ist enorm, na ja, wie soll man es sagen: frisch.

AW: Ja. Auch Janacek hat sich auf das Wesentliche konzentriert und alles Opern-Tamtam beiseite gelassen. Es ist eine unglaublich energievolle Musik.

FR: Janacek hat ein enorm feines Gespür für die Lüge oder sagen wir besser: die Möglichkeit der Lüge, die der Gattung Oper innewohnt, und hat eine Musik komponiert, die um Wahrheit ringt.

AW: Unbedingt.

FR: Ist also dramatische Wahrheit etwas, was die Oper von einem Regisseur quasi automatisch fordert?

AW: Was die Personenregie angeht: ja. Mit Einfällen kommen Sie da nicht weit, dafür ist das Stück zu schnell. Es würde Ihnen davon laufen.

FR: "Katja Kabanova" ist nach "Rigoletto", "Lohengrin" und den "Meistersingern" Ihre vierte Oper. Nach all dem, was Sie über Janaceks Oper sagten, müsste sie Ihnen als Schauspielregisseur entgegen kommen.

AW: Natürlich. Vor allem aber habe ich enormes Glück mit der Besetzung, die Opern-Intendant Bernd Loebe zusammengestellt hat. Von der Körperlichkeit der Figuren ist es sensationell, was da auf der Bühne steht. Und mit Lothar Zagrosek habe ich einen Dirigenten, der offen ist für Regie und der Oper als Musiktheater begreift. Zagrosek war auf drei Viertel aller Proben. Das ist, so weit ich weiß, keineswegs die Regel.

FR: Was ist der größte Unterschied zwischen einer Schauspiel- und einer Opernregie?

AW: Der wesentliche Unterschied liegt natürlich in der Vorgabe der Struktur, die die Oper durch die Musik mit sich bringt. Diese Struktur ist bei weitem nicht so dehnbar wie die eines Schauspiels. Man muss sich in der Oper als Regisseur gewissermaßen einfügen in vorgegebene Ordnung.

FR: Empfinden Sie das als Behinderung?

AW: Nein. Mich fördert das total. Ich arbeite im Schauspiel auch eher immanent und bin an Dekonstruktion nicht interessiert - außer sie ist auf allerhöchstem Niveau. Deswegen habe ich damit überhaupt kein Problem. Im Gegenteil.

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Dokument erstellt am 27.01.2004 um 16:40:01 Uhr
Erscheinungsdatum 28.01.2004