Frankfurter Rundschau
29.9.2003

Freiräume
Der "Figaro" in Wiesbaden

Von Tim Gorbauch

In der Farbenlehre des Lebens steht Rosa für Leichtigkeit. Barbarinas Kleid blüht darin üppig, im Gewand der Hosenrolle Cherubinos schimmert es durch. Figaro dagegen trägt gedecktes Rot, während Susanna in Orange über die zugleich luxuriös wie schlicht entworfene Bühne (Csaba Antal) schwebt. Marcellina wiederum präsentiert sich in etwas aufdringlichem Violett, Bartolo in Blau. Die Gräfin dagegen kann auch in ihrer weißen, maskenhaften Eleganz nicht verbergen, dass ihr Leben welk und einsam ist. Und der Graf wirkt in seinem wallenden Schwarz immer auch wie ein Untoter, ein anachronistisches Phantom, das durch ein Leben spukt, das nicht mehr seins ist.

Für die Neuinszenierung von Mozarts Hochzeit des Figaro am Staatstheater Wiesbaden hat Marina Luxardo diese Kostüme entworfen, optisch ist das schon der spektakulärste Moment des Abends. Denn Cesare Lievi, der in Wiesbaden einen ganzen Zyklus von Mozart-Opern inszenieren soll und dabei in der letzten Spielzeit an der Zauberflöte scheiterte, bietet alles andere als furioses Regietheater. Akkurat und unaufgeregt, fast demütig buchstabiert er die Vorlage nach, als agiles, aber doch selten spannendes Ensemblespiel. Als bloßes Abbild fehlt dem sauberen Handwerk die eigene Erzählung, der geheime, verborgene Subtext, der über die Oberfläche hinausweist und an der Tiefe kratzt, die Mozart darin versteckt.

Immerhin eröffnet Lievis kultivierte Zurückhaltung der Musik enorme Freiräume. Und Toshiyuki Kamiloka macht schon mit der Ouvertüre klar, wie er sie zu nutzen gedenkt und entwirft den Figaro als lebendiges, flinkes, leichthändiges, lächelndes Drama aus dem Geist der Musik. Eine opera buffa, in der sich Rezitativ, Arie und Ensembles ballettuös verzahnen: Musik als Bewegung.

Vor allem steht ihm ein staunenswertes Gesangsensemble zur Verfügung: Thomas des Vries als sonorer Graf Almaviva, Tom Mehnert als zwar in der Höhe etwas enger, aber doch präsenter Figaro, Sandra Firrincieli als luftiger, in den besten Momenten schwereloser Cherubino, Gabriela Künzler als ungewohnt noble Marcellina. Oxana Botscharova gibt dem Sopran der Gräfin eine schöne herbstliche Färbung, während Thora Einarsdottir als Susanna die Bühne mit seltener Selbstverständlichkeit an sich reißt, eine wunderbare, leichte, klare Erscheinung. Und Susanna ist es auch, die Lievi besonders am Herzen liegt. Ihr ungebrochenes Vertrauen in sich selbst macht sie zum Ideal eines Bürgertums, deren Revolution bald kommen wird. Dass sie blutig enden wird, wollte die Utopie von Mozarts Musik nicht wissen.

  • Wiesbaden. Termine: 4., 9., 15., 21., 24. und 30. 10., 19.30 Uhr. Tel. 0611 / 13 23 25.

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Dokument erstellt am 28.09.2003 um 18:08:38 Uhr
Erscheinungsdatum 29.09.2003

 

Frankfurter Neue Presse
01.10.2003

Mozarts "Die Hochzeit des Figaro" hatte am Wiesbadener Staatstheater Premiere.
Im Lustschloss wird's gefährlich

Von Matthias Gerhart

Die Handlung rund um die Geschehnisse im Lustschloss des Grafen Almaviva ist einfach zu kompliziert, als dass ein erfahrener Regisseur wie Cesare Lievi mit einer versponnenen Inszenierung noch zusätzlich Verwirrung stiften würde. So besticht dessen Wiesbadener "Figaro" durch Geradlinigkeit und Konturenschärfe.

Der Palast erstrahlt in hellen und leuchtenden Farben. Die Darsteller – allen voran der am Ende so hinters Licht geführte Graf – fügen sich prächtig ein. Fast könnte man meinen, dass die adlige Welt hier noch in Ordnung ist. Aber im Hintergrund dräuen bereits Intrige und Gefahr.

Und der Herr Graf, dessen jugendlichen Elan Thomas de Vries optimal verkörpert, hat es allen bereits vorgemacht, wie leicht er es mit falschen Versprechungen nimmt. Dabei ist die elegante Hofdame Marcellina nicht zu verachten, zumindest wenn sie von einer Dame wie Gabriela Künzler dargestellt wird. Ein wirkungsvoller Kontrast zur kleinen, quirligen Susanna (Thora Einarsdottir) und zu dem temperamentvollen Figaro (Tom Mehnert). Oxana Botscharova als Gräfin und die herzige Sandra Firrincieli als Cherubino beglückten ebenfalls das Publikum. Gerade die Rolle des Narziss Cherubino ist ja besonders anspruchsvoll und verlangt vom Darsteller ausgeprägte schauspielerische Fähigkeiten.

Sowohl die Gesangssolisten als auch das Orchester lieferten in der Premiere eine einwandfreie musikalische Leistung. Während Generalmusikdirektor Toshiyuki Kamiokas Einsätze wie elektrisierende Blitze auf das Orchester des Staatstheaters wirkten, bewährten sich die Sänger vor allem in den vielen Tutti-Szenen. Unter den Duetten ragte besonders die Verabredungsszene zwischen dem Grafen und Susanna heraus, die Thomas de Vries und Thora Einarsdottir in homogener Gesangskultur gestalteten. Zu den Darstellern, die auch während der knapp vierstündigen Aufführung kaum Langeweile aufkommen lassen, gehören ferner Axel Mendrok als intriganter Musikus Basilio, der vertrottelt-pointiert wirkende Thilo Busch als Richter Don Curzis und Axel Wagner als Bartolo. Sie stehen etwas in Kontrast zur feinen Schlossgesellschaft.

Mozarts "Figaro" gibt aber auch jedem Opernchor reichlich Gelegenheit, Können und Niveau zu präsentieren. Thomas Lang hatte den Wiesbadener Chor sehr gut motiviert, so dass sich der Gesang mit den vielen festlichen Melodien, die mitreißend aus dem Orchestergraben kamen, glänzend vereinte. Dort trug auch ein anderes Instrument zur Authentizität der Aufführung bei. Der Hammerflügel, dessen kerniger Klang auch die ausgedehnten Rezitative im "Figaro" zu einem Hörerlebnis machten.

 

Wiesbadener Kurier
29.09.2003

Das Pulver ist bald verschossen
Premiere im Staatstheater: Cesare Lievis Inszenierung von Mozarts "Le nozze di Figaro"


Gepflegtes Ambiente, unheilige Halle: Szene aus der
Mozart-Neuinszenierung im Staatstheater Wiesbaden.
Bild: Kaufhold

Von Volker Milch

In Polanskis "Tanz der Vampire" gibt es eine köstliche Ballszene, in der lüsterne Vampire im Takt des Ancien régime das Tanzbein schwingen. Der Herr Graf, der in Cesare Lievis Wiesbadener Inszenierung von Mozarts "Le nozze di Figaro" sein Unwesen treibt, könnte diesem Gruselkabinett entsprungen sein: Ein tiefschwarz gekleidetes Phantom der Nacht mit kreidebleichem Teint, eine Existenz, die sich überlebt hat und den revolutionären Kontext der aufmüpfigen Opera buffa markiert.

Das Verschwinden Almavivas von der Bildfläche wird in Figaros berühmter Kavatine "Se vuol ballare" vorweggenommen: Dem gähnend leeren Goldrahmen aus der Ahnengalerie ist das Porträt abhanden gekommen. Der Rahmen ist nun der Stellvertreter Almavivas, den Figaro zum "Tänzchen" herausfordert, auf dem spiegelnden Boden dreht und schließlich zerbricht: In effigie entledigt er sich des blaublütigen Lustmolchs, der seiner Susanna nachstellt. Mit solcher Symbolik ist das revolutionäre Pulver der Inszenierung allerdings weitgehend verschossen. Ansonsten überwiegen hübsch arrangierte Bilder im edlem Interieur des bombastischen Palasts, den Bühnenbildner Csaba Antal im Staatstheater gebaut hat. Bei den Umbauten ist Geduld gefordert, und kräftige Hammerschläge künden davon, dass auch die Freuden der Oper nicht ohne den Schweiß der Werktätigen denkbar sind.

Giggi Saccomandis Licht-Design illuminiert die kalte Architektur der Macht mit Bonbonfarben, und auch Marina Luxardos Kostüme setzen starke Farb-Akzente. Die Ästhetik der Inszenierung, der das Premieren-Publikum herzlichen Schlussapplaus und Bravorufe spendet, erinnert stark an Cesare Lievis Wiesbadener "Zauberflöte", die vor einem Jahr Premiere hatte: Biss, Witz und Tempo vermisst man im "Figaro" noch schmerzlicher, und die Aussicht auf einen kompletten Mozart-Zyklus von Lievi ist keineswegs erfreulicher geworden. Überhaupt muss sich das Wiesbadener Musiktheater vorsehen: Trotz der knackigen, gefeierten Inszenierungen von Dew und Hilsdorf könnte es neben der Vitalität und Aktualität des Schauspiels unter dem neuen Intendanten Manfred Beilharz verblassen. Der Opern-Spielplan der neuen Saison zeugt nicht gerade von Originalität, slawischer Zyklus und Mozart-Zyklus bergen die Gefahr einer ästhetischen Festlegung, wo neue Erfahrungen zu machen wären. Die Zeiten sind freilich gerade bei der Oper, der teuersten aller Sparten, dem Wagnis nicht hold, und so erklärt sich wohl auch, dass eine gründlich abgespielte und eingemottete "La Traviata"-Inszenierung in dieser Saison wieder aus der Versenkung geholt wird.

Zurück zu Mozart: Auch musikalisch war diese Premiere kein guter Einstieg in die neue Spielzeit, obwohl der temperamentvoll anfeuernde Generalmusikdirektor Toshiyuki Kamioka in der Ouvertüre alles dafür tat, dass man nur ungern an seinen Abschied am Ende der Saison denkt: Die scharf akzentuierte Frische, mit der das Staatsorchester hier aufspielte, war ein Versprechen, das im weiteren Verlauf nicht gehalten wurde. Zu oft hakelte es zwischen Graben und Bühne, zu oft gab es Meinungsverschiedenheiten in Tempofragen. Das Ensemble war das vokale Äquivalent zur Inszenierung: Es wurde gepflegt gesungen, ohne in der Besetzung dem Werk immer gerecht zu werden. Eine lieblich warm timbrierte, an Durchsetzungskraft bis zum 4. Akt hinzugewinnende Susanna war Thora Einarsdottir. Ihrem schön gestaltenden Figaro Tom Mehnert hätte man gerne ein wenig mehr aufmüpfiges Gewaltpotenzial angehört. Davon war bei der Gräfin Oxana Botscharovas fast mehr zu spüren: Eine kräftige Stimme, der in "Dove sono" zarte Zwischentöne fehlten. Glaubwürdig verkörperte Thomas de Vries ihren am Schluss eindringlich um Verzeihung bittenden Gemahl, und als rot behoster Cherubino flatterte Sandra Firrincieli über die Bühne.

Von der Vitalität, die im Finale so festlich anklingt, war an diesem Abend zu wenig zu spüren. Im Gegenteil: Produktionen dieser Art nähren die Befürchtung, dass die Gattung Oper sich wie unser Herr Graf überleben und als Phantom enden könnte.

 

Allgemeine Zeitung
29.09.2003

Die quälenden Wirren der Eifersucht
Premieren-Auftakt am Staatstheater Wiesbaden mit "Figaros Hochzeit" / Regie: Cesare Lievi

Von Johannes Bolwin

Als nach fast vier mühevollen Stunden Susanna und Figaro ihr "Schluss mit der Komödie!" durch den von klobigen Kunstgrün-Quadern verstellten Pinienhain rufen, da ist es eine tragikomische Spiegelung der realen Gemütslage im Großen Haus des Wiesbadener Staatstheaters. Weshalb man auch den verdächtig lauten Schluss-Chor "So sind wir alle zufrieden" nicht unwidersprochen im Raume stehen lassen mag.

Mozarts Kult-Oper "Figaros Hochzeit" nach Beaumarchais' subversiv-pikanter Beziehungskomödie ist ein diffiziles Unterfangen. Es ist eine verschachtelte, heillos antiquierte Geschichte um das frauenverachtende "Herrenrecht" und die Eifersuchtsintrige einer aufmüpfigen Dienerschaft wider den selbstherrlichen Grafen-Lüstling. Derlei verlangt nach einem klaren, die Textflut ordnenden Rahmen. Doch Cesare Lievis Einrichtung - bei Mozarts "Zauberflöte" 2002 bot er noch erkennbare Ideen, magische Bilder und Reibungsflächen -ist hier eine reichlich phantasielose Nicht-Regie mit ausgeprägter Tendenz zum Statuarischen. Die komödiantischen Zuspitzungen plätschern brav dahin, die Verkleidungspossen versprühen den Charme einer muffigen Umkleidekabine, manche Requisite ist für die Akteure eher sperriger Stolperstein denn Wegweiser. Die Gräfin mal dunkel-, mal weißhaarig, und warum Figaro (stimmlich viel gefordert und recht passabel: Tom Mehnert) zu seiner ersten Arie brachial einen Holzrahmen zerdeppern muss, mit dessen Bruchstücken dann Susanna und Marcellina aufeinander losgehen, weiß der Himmel. Schön ist's nicht.

Das von GMD Toshiyuki Kamioka geleitete schlanke Orchester spielt zwar durchweg agil, druckvoll und präzise (von den lustlosen Hörnern mal abgesehen). Doch klappt die Feinabstimmung mit den italienisch singenden Solisten nur selten. Bühne und Graben führen metrische Eigenleben, was es oft grenzwertig knirschen lässt. In diesen "sonderbaren Wirren", die nicht nur den Grafen (konstant verlässlich: Thomas de Vries) ab Akt 3 zunehmend irritieren, funkelt es vereinzelt; etwa in der anrührenden Arie "Hör' mein Flehn", zu der sich die maskulinem Psychoterror ausgesetzte Gräfin (Oxana Botscharova mit edlem Alt-Timbre) im Ehebett räkelt, oder in Thora Einarsdottirs famoser "Rosenarie". Doch das hilft nur wenig. Fast scheint es, als liege bereits der belastende, den Spielwitz offenbar dämpfende Psycho-Druck der Spardebatte wie ein Mehltau über diesem freilich teuflisch schweren "Figaro".

Aufführungen: 4., 9., 15., 21.10.; Karten: Tel. (0611)132325

 

Frankfurter Allgemeine Zeitung
29. September 2003

Ungefährdete Schönheit
Mozarts "Hochzeit des Figaro" im Staatstheater Wiesbaden

Thomas Mann hat Mozarts Hochzeit des Figaro auf die treffende Formel von "bedrohlicher Anmut" gebracht. Die Grazie haben Cesare Lievi (Regie), Csaba Antal (Bühne) und Marina Luxardo (Kostüme) im Wiesbadener Staatstheater sublim verwirklicht. Die Figuren tänzeln und schweben schwerelos, als hätten sie keinen Boden unter den Füßen. Er scheint sich tatsächlich aufzulösen: Er spiegelt und verdoppelt so die liegende Susanna, als sänge sie ihre Rosenarie zu sich selbst. Eine helle Säulenhalle, durch Licht und Umbauten vielfach verwandelt, überwölbt das luftige, gestisch raffinierte Spiel der Verkleidungen und Verwechslungen. Die Rokoko-Eleganz der Kostüme erhöht den ästhetischen Reiz der Inszenierung. (...)

Einerseits stützte das Hessische Staatsorchester Wiesbaden unter seinem äußerst wendigen Chefdirigenten Toshiyuki Kamioka die optische Finesse: Die Geschmeidigkeit von melodischen Linien und Sängerbegleitung, der Reichtum von Farben und klanglichen Beleuchtungswechseln bezeugten das beträchtliche Niveau, das dem Wiesbadener Opernorchester inzwischen zugewachsen ist. Andererseits traten in der knapp-knackigen Rhythmik, in der "sprechenden" Klanggestik Pointen hervor, die das Grollen in der Musik wie in einem drohenden Erdbeben über die Inszenierung hinaus spüren ließen.

Mozarts Individualisierung seines „Figaro"-Personals wurde stimmlich wie darstellerisch eindrucksvoll umgesetzt, Thomas de Vries gestaltete seine Grafenrolle flexibel zwischen erotischer Schmeichelei, Jähzorn und Beschämung. Oxana Botscharova war eine kraftvoll und sensibel leidende und siegende Gräfin, Tom Mehnert ein Figaro mit Prachtstimme bis zum Baß hinab, Thora Einarsdottir eine beschwingte Susanna mit Kern im schlanken Sopran.

 

MAIN-ECHO
Dienstag, 30.09.2003

Glatt und kalt inszeniert

Beim Wiesbadener Premierenauftakt gab Cesare Lievi eine opulente, großformatige Inszenierung ab. (...) Tom Mehnert ist von Anfang an mit ausdrucksstarkem Bass dabei und kann schon zu Anfang in der Kavatine Se vuol ballare signor Contino einen musikalischen Markstein legen. Thora Einarsdottir spielt und singt die Susanna keck und in Anbetracht ihrer Situation vielleicht etwas zu fröhlich. Temperament legt sie aber ebenso an den Tag wie Oxana Botscharova als Gräfin Almaviva. Diese kann zudem mit warm gefärbtem Timbre herzzerreißend verzweifeln, wie sie uns im zweiten Akt mit Porgi amor vorsingt. (...) Viele gute Einzelleistungen in allen Bereichen. (...)