Frankfurter Rundschau
19. April 2004

Die Reichen mit den Schweinsnasen
Trotz kapitalismuskritischer sowie orgiastischer Vorgänge bleibt Birgitta Trommlers "Satyricon" in Darmstadt eine Stehparty

VON JENS HOLST

Wenigstens verbal auf die mächtigen Männer Amerikas eindreschen zu dürfen, ist in letzter Zeit zu einem beliebten Hobby geworden. Hier und dort vernimmt der geneigte Zuhörer selbstgenügsame Tiraden gegen Bush, Rumsfeld und Co. und die Kulturlosigkeit ihrer Nation, oft befeuert von den Schmähungen eines Michael Moore. Zwar mag der Spott verdient sein - aber er hinterlässt doch oft einen schalen Nachgeschmack: Sich durch die Dummheit anderer seiner selbst zu vergewissern, ist längst nicht intelligent.

Stolz heftet sich auch die jüngste Inszenierung von Tanztheater-Chefin Birgitta Trommler am Staatstheater Darmstadt den Rumsfeld-Button mit der Aufschrift "Old Europe" ans Revers. Gar trefflich lässt sich derart geschmückt der amerikanische Imperialismus brandmarken: Freizügig berichtet ein US-General (Daniel Zippi) auf der Bühne über seine Verstrickung in dunkle Geschäfte; lächerlich auch der Zeremonienmeister des Abends (Peter Grönlund), eine schmierige Mischung aus J.R. und George W. Bush.

Doch zugegeben: Nicht nur die Vereinigten Staaten sind schlecht, auch all die Reichen und Mächtigen sind es, die die Welt beherrschen und zu Beginn von Satyricon über die Showtreppe des Zuschauerraums auf die Bühne defilieren. Schöne Töchter fieser Ausbeuter und vom Kapital verrohte Banker kommen dort herunter, um an diesem Abend gemeinsam ihrem dekadenten Naturell freien Lauf zu lassen. Die Geilheit dringt dieser illustren Gesellschaft aus jeder Pore, ihr Appetit freilich ist längst schon gestillt.

Sushi auf Frauenkörper

Über diese teils antiquierten Feindbilder ließe sich hinwegsehen, würden es diese Reichen und Mächtigen verstehen, eine anständige Orgie zu feiern. Doch was Birgitta Trommler ihrem Ensemble da aufgibt, gleicht eher einem Kindergeburtstag, als dem Gipfel der Dekadenz: Mit Schweinsnasen bewehrt windet sich die Upper Class am Boden, nachdem sie ihr Sushi von einem halbnackten Frauenkörper genossen hat. Gefurzt und gefummelt wird hier außerdem - kein Zweifel, die Erosion der Moral ist weit voran geschritten.

Mühelose gelingt Trommler so, was man eigentlich für unmöglich hält: Die Persiflage der Persiflage abzuliefern, unfreiwillig, versteht sich. Bruno Madernas Oper Satyricon, die auf dem gleichnamigen satirischen Roman des Petronius fußt, einem ironischen Sittenbild der antiken Gesellschaft, ist zweifellos die Leidtragende dieser blassen Inszenierung. Gleichwohl Trommler der musikalischen Arbeit des italienischen Komponisten, der 1973 kurz nach der Uraufführung von Satyricon starb, eine dominante Stellung einräumt.

Gelingt es Peter Grönlund noch, in den Opern-Passagen als schleimiger Oberkapitalist an Profil zu gewinnen, so sind die Tänzer und Sänger in den choreografierten Strecken des Darmstädter Abends zur Bewegungslosigkeit verdammt: Bei dieser Party zu den eklektizistischen Klängen Bruno Madernas (musikalische Leitung: Niels Muus), der sich eingängige Pop-Zitate anverwandelt, um sie sodann zu verfremden, handelt es sich eindeutig um eine Steh-Veranstaltung. Was ästhetisch vertretbar wäre, käme dieser tänzerische Minimalismus nicht einer szenischen Kapitulationserklärung gleich.

Dramaturgisches Potenzial sucht man in der kalten Ödnis des Raumes (Ausstattung: Gudrun Schretzmeier), der verdächtig der abweisenden Fassade eines Bankhochhauses ähnelt, leider vergeblich. Selbst das Ende dieser Oberschichts-Orgie verstolpert die Regie derart ungeschickt, dass beim Aufleuchten des Applauslichts irritierte Stille herrscht. Einige Momente der Ratlosigkeit, dann fängt das Publikum doch noch an zu klatschen, wenngleich etwas lustlos und verlegen.

 

Frankfurter Neue Presse
29.05.2004

Die Dekadenz lädt zum musikalischen Bankett
Birgitta Trommler machte aus Bruno Madernas Oper "Satyricon" am Staatstheater Darmstadt ein Stück Tanztheater.

In Darmstadt lehrte, lebte, starb er: der Venezianer Bruno Maderna (1920-1973). Zu Lebzeiten war sein kompositorisches Werk verschattet von seinem Namen als Dirigent. Unter Zwölftönern und Seriellen, in der elektronischen und aleatorischen Musik stach er, ein Schüler Malipieros und Scherchens, durch seinen wachen Sinn für die Tradition hervor – ein Zug, der im "Satyricon" mit Zitaten von "Carmen" über Walzer bis zu geräuschhaften Tapes auflebt.

Operierte Verdi gern mit der Anmutung von Revuemusik, so geben die offene, hier um Personen und Sprechdialoge ergänzte Collagenform nebst ständigem Sprachenwechsel dem "Satyricon" etwas von Musical-Naturalismus. Soweit Trommlers zurückhaltend-statische Tanzregie das plastische Detail, aus dem sie lebt, überschreitet, paust sie den Weg der Militärmacht Rom in die Dekadenz Neros ab auf die USA und ein nachgeordnetes Alt-Europa. Unterstützt wird sie von Niels Muus" verkleinertem Orchester auf der Bühne und dem präzisen Solistengesang; stumme Leibwächter geleiten anfangs alle sicher an uns, der gaffenden Plebs, vorbei.

Der üppigen Eleganz des Gastmahls von Trimalchio, dem Superreichen, gibt Trommler mit Gudrun Schretzmeiers Ausstattung (samt Schweineschnauzen) eine Grund-Coolness zwischen Kolonialzeit und Postmoderne. Eingebettet sind kleine Bewegungsrituale, worin die "gute" verkommene Klientel-Gesellschaft Würde bei der Annahme von Geschenken heuchelt, sich Zoten vorsingt und unter Röcke schaut. Projektionen öffnen das Nouvelle-cuisine-Bankett an aseptischer Tafel für die ärmlicheren Reste einer Welt im Kriege.

Maderna musikalisierte Petronius" lebensprallen Roman im Bewusstsein des nahen Krebstodes. Klar, dass sein Stachel auch im Libretto sticht, das Trimalchios Verfügungen fürs Grabmal in ironischer Gänze zitiert. Da mutiert Peter Grönlund mit schlankem Tenor zum Ölbaron unterm Stetson; Barbara Baranowska (Mezzosopran) transportiert als Gattin Fortunata die aufgeblasene Ex-Sklavin bruchlos ins Heute. Zeitlos auch Christoph Kögel (ein starker Bass) als Philosoph, der zum schnurrbärtigen Briten wird, daneben Daniel Zippi als General mit Rumsfeld-Flair. Für ein Utopie-Minimum im goldenen Käfig steht Eleonore Marguerre, die Scintilla/Crisides gekauften Liebesekstasen in lichten Vokalisen die ganze Lockung ihres Koloratursoprans schenkt.

 

WIESBADENER KURIER
19. April 2004

Jahrmarkt der Eitelkeiten
Birgitta Trommler inszeniert Bruno Madernas "Satyricon" in Darmstadt


Harmloses aus dem Alten Europa.
Saskia Assohot, Daniel Zippi und Eleonore Marguerre (von links).
Eggert

(CLA) Die künstlerische Gesellschaftskritik im Italien späten Sechziger und frühen Siebziger hatte zwei besonders prominente Vertreter: Frederico Fellini und Pier Paolo Pasolini nahmen sich der schwierigen - im Falle Pasolinis möglicherweise gar tödlichen - Aufgabe an, ihren Zeitgenossen den Spiegel vorzuhalten. Beide wählten hierzu einen fragmentarisch überlieferten Roman als Folie: "Satyricon" des römischen Dichters Gajus Petronius Arbiter (gestorben 66 nach Christus), einen prallen, obszönen, obskuren und vielfach grotesken Rundgang durch das Rom der Nerozeit. Was Fellini zu einem seiner bildkräftigsten, aber auch rätselhaftesten Filmen geriet ("Satyricon"), wurde Pasolini in Anlehnung an den Namen Petronius zur finalen Lebensbeichte, die wegen seines gewaltsamen Todes unvollendet blieb: Die Veröffentlichung der Materialsammlung zu diesem "Petrolio" sorgte in ihrem Veröffentlichungsjahr 1992 noch immer für gehörigen Aufruhr. Ein weiterer Italiener hat sich des "Satyricon" angenommen: 1973 schrieb der Venezianer Bruno Maderna seine Oper über diesen Stoff. Jetzt nahm sich das Staatstheater Darmstadt diesem Werk eines wichtigen Vertreters der Darmstädter Schule an - und zwar als Tanztheater. Die zur kommenden Intendanz von John Dew ausscheidende Tanzchefin Birgitte Trommler hat in den vergangenen Jahren bewiesen, dass sie mit schockierenden Vorlagen durchaus kraftvoll umgehen kann - in "Satyricon" bleibt die Umsetzung verhalten.

Die Geschichte: Der reiche Trimalchio gibt ein rauschendes Gastmahl für die feine Gesellschaft. Damit ist die Bahn frei für einen berauschenden Jahrmarkt der Eitelkeiten, den Maderna in fünf Sprachen vertont und mit immer wieder frei zu kombinierenden Tonbandeinspielungen versehen hat. In Darmstadt kommen jetzt noch einige Figuren und Facetten hinzu: Vor dem Hintergrund der letzten Spannungen zwischen US-Amerika und dem "Alten Europa" spitzt sich die Handlung auf einen Trimalchio zu, der mit Cowboyhut und Großmannsmanieren als fieser J.R. Ewing daher kommt. Seine blondierte Gattin Fortunata schwelgt im Einkaufstaschen-Wunderland, ein Gast demütigt öffentlich seine thailändische Freundin, all das findet unter Aufsicht von Security-Personal statt, auf der Rückwand der Festtafel (Ausstattung: Gudrun Schretzmeier) filmmern Kriegs- und Terrorbilder. Dabei gibt Birgitta Trommler den Tänzern wie den Sängern einiges mit: Staunenswert wie immer bei ihr die Einbeziehung von nicht tänzerisch ausgebildeten Darstellern in den Gesamtfluss des choreografischen Theaters. Doch vielleicht ist es eben die auf diese Art ästhetische Aufladung der Figuren, die dem Stück manche Spitze nimmt: Ein Schockmoment will sich nicht einstellen, der Schluss verrauscht - trotz eines starken "Kreuzigungs"-Bildes - recht eindrucksarm. Und auch die szenisch schwer durchschaubare Aufteilung der Sänger auf mehrere Rollen macht ein Verstehen unnötig schwer - insgesamt kein zwingendes Plädoyer für eine Umsetzung in - wie es in Darmstadt heißt - "Musik/Tanz/Theater".

Da teilt sich Madernas Musik wesentlich deutlicher mit, macht geradezu durchgängig Spaß: In keinem Moment dogmatisch, gibt er in "Satyricon" seiner Lust am beziehungsvollen Zitat zwischen Wagner, Puccini und Zirkusmarsch hemmungslos nach, was auch den Sängern und dem kleinen Orchester unter Leitung von Niels Muus hörbar gut lag. Wie "Satyricon" noch umgesetzt werden kann, ist bald in relativer Nähe zu erleben: Von kommender Woche an setzt sich auch das Heidelberger Theater mit Madernas letzter Oper auseinander.

 

Darmstädter Echo
19.4.2004

Blähungen und Katerstimmung
Premiere: Birgitta Trommler inszeniert Bruno Madernas „Satyricon" im Kleinen Haus des Staatstheaters Darmstadt

By Heinz Zietsch

DARMSTADT. Von Berliner Musikstudenten wird kolportiert, ein Dirigent der Neuen Musik habe sich um 1970 erdreistet, an die Mitglieder eines Orchesters Notenblätter mit unterschiedlichen Stücken von Mozart, Wagner, Puccini, Lehár, Webern, Monteverdi, Bach, Gabrieli und Tschaikowsky zu verteilen und daraus spielen lassen. Dieser Dirigent war kein geringerer als Bruno Maderna. Der 1973 in Darmstadt gestorbene Komponist und Dirigent hat auf diese Weise wohl praktische Vorstudien zu seinem „Satyricon" nach dem gleichnamigen Text des römischen Schriftstellers und Nero-Zeitgenossen Petronius betrieben, in dessen Mittelpunkt das „Gastmahl des Trimalchio" steht. Madernas 1973 im Circustheater im holländischen Scheveningen uraufgeführte Oper ist ein Collage-Stück, ein Pop-Art-Stück, das nicht nur verschiedene Musikstücke und –stile zitiert, sondern auch mehrere Sprachen einbezieht: Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch und natürlich Vulgärlatein; denn Trimalchio ist ein Neureicher, der seine Karriere als Sklave begann.

Diese einaktige Maderna-Oper, die aus 21 Nummern besteht, darunter fünf Tonbandeinblendungen, deren Anzahl und Reihenfolge variabel sind, hat die Darmstädter Tanztheaterchefin Birgitta Trommler jetzt erneut zu einer Inszenierung angeregt – 1994 hat sie die Oper das erste Mal an den Städtischen Bühnen im westfälischen Münster auf die Bühne gebracht. Es ist die Improvisation, die sie an diesem Stück reizt, das keine fortlaufende Handlung erzählt und dessen Text fast Nebensache ist gegenüber der Kritik an der Gesellschaft, die heute genau so korrupt, verlogen, konsumorientiert und dekadent zu sein scheint wie damals in Rom im 60. Jahr nach Christus.

20 Nummern hat Trommler für ihre Darmstädter Version ausgewählt; von den acht Sängern treten vier, allesamt Gäste, zum Teil in Doppelrollen auf. Wie schon bereits bei Maderna vorgesehen, der sich auch auf die barocke Ballett-Oper bezieht, spielen tänzerische Bewegungsimpulse eine wichtige Rolle. Doch sie bleiben, und das ist wohl auch eine Masche bei Trommler, in Andeutungen und puren Gesten stecken. Nach genau 70 Minuten war die Premiere am Samstagabend im Kleinen Haus des Staatstheaters Darmstadt zu Ende. Der Schlussbeifall des Publikums zeugte zwar nicht von Begeisterung, zollte aber zumindest der Ensemble-Leistung Anerkennung.

Am Ende befiel die Zuschauer eine ähnliche Katerstimmung wie die Darsteller auf der Bühne. Man hatte genug vom Überfluss, vom üppigen Gelage. Doch fehlt dieser bildmächtigen Inszenierung der satirische Biss, alles wird nur angetippt: hier ein bisschen, dort ein bisschen, was dem Pasticcio-Charakter des Stückes entsprechen mag – trotz der raffinierten Ausstattung Gudrun Schretzmeiers, die mit ihrer Kostümkunst wuchert und den Tisch des Fressgelages in den Mittelpunkt rückt.

Man umtanzt die Tafel und nutzt sie auch als Spielfläche. In der Ecke sind bunte, aber noble Einkaufstüten der Wohlstandsgesellschaft von heute aufgereiht. Das kleine Kammerensemble mit Mitgliedern des Orchesters des Staatstheaters, umsichtig angeführt von dem auch szenisch mitagierenden Gastdirigenten Niels Muus, ist in das Bühnenbild integriert. Den Bühnenhintergrund bilden raffiniert ausgeleuchtete und mit Alu gespiegelte Lammellenwände, auf die Filme moderner Großstädte, Kampfeinsätze mit Tarnkappenbombern, Explosionen und Brände projiziert werden – es ist ja auch ein General (Daniel Zippi) zur Party geladen.

Eine aufgeblähte Partygesellschaft. Kein Wunder, dass auch der Emporkömmling Trimalchio unter heftigen Blähungen leidet, wozu die Hörner veritable instrumentale Fürze abliefern. Peter Grönlund hat als Trimalchio mit seiner Reitgerte alle unter der Fuchtel. Sein Tenor ist biegsam und wendig, selbstsicher weiß er sich zu bewegen. Er erinnert an einen texanischen Ölmillionär, der sich eine dralle Blondine angelacht hat, die nun von seinem Reichtum profitiert. Barbara Baranowska spielt und singt diese Blondine mit stimmlichem Aplomb – direkt und schnörkellos. Christoph Kögel gefällt mit wohldosiertem Bass-Bariton.

Doch alle gestandenen Sänger dieser Aufführung werden von der jungen Eleonore Marguerre förmlich an die Wand gesungen. Sie spielt sich selbst, feenhaft in der Erscheinung und in der Eleganz ihrer variablen Stimme. Kaum jemand hat die Koloraturen der Königin der Nacht aus der „Zauberflöte" wohl derart brillant vernommen. Ihr Galan, ein Banker, den Rolf Kast sehr treffend verkörpert, preist sie als Persönlichkeit an, die sich mehr aufs Singen als aufs Sprechen versteht. Guido Markowitz als Michel demonstriert, dass Geld sinnlich macht und steckt sich Geldscheine in den Hosenschlitz, die sich seine Thai-Schöne (Chia-Yin Ling) mündlings herauslutscht.

Wie jede Gesellschaft, hat auch die „Satyricon"-Gesellschaft Außenseiter zu verkraften, aus denen die Regisseurin jedoch nicht sonderlich Kapital schlägt: einmal die Figur K., die Christina Czetto überdreht anlegt und die am Ende nicht mehr mitspielt mit dem Kommentar: „Die Zeit ist begrenzt". Zum anderen die der Studentin: Amelia Poveda betritt mit dem Dirigenten die Bühne, verfolgt zunächst mit herablassend–missbilligenden Blicken das Geschehen, um sich hernach dennoch anzupassen, weil sie entdeckt, dass sie Macht und Ansehen gewinnen kann.

Wir amüsieren uns zu Tode, lautet das Motto in Trommlers „Satyricon"-Version. Da ist die Verwandlung der Menschen in Schweine nur noch neckisches Spiel, wenn sich die Schweinenasen aneinanderreiben getreu der Devise: Hier bin ich Schwein, hier darf ich’s sein. Doch die Luft ist bald raus – wie bei Trimalchios Blähungen, vor denen sich die Darsteller mit Tüchern vor den Nasen zu schützen suchen.

 

Wiesbadener Tagblatt
19.04.2004

Die noblen Gäste im Schweinestall
Bruno Madernas Oper "Satyricon" in Darmstadt als letzte Inszenierung von Birgitta Trommler


Die Tafel als Laufsteg der Eitelkeiten: Szene aus der Darmstädter Inszenierung von Madernas "Satyricon".

Von Siegfried Kienzle

Pathos verkündigt das Schlussbild: die Tafel, an der die Gäste geschlemmt haben, erhebt sich zur Schräge, und der Gastgeber Trimalchio erstarrt in der Haltung des gekreuzigten Christus, vor dem die Gäste anbetend das Knie beugen. Auf der Filmleinwand schweben Awaks-Flugzeuge bedrohlich vorbei und detonieren Bomben, während vom Tonband eingespielt der Redeschwall wichtiger Zeitgenossen übergeht ins Gegrunz der Schweine.

Diese disparaten Bildeindrücke fassen nochmals die Widersprüche des Abends zusammen: Anklage, Spott und die rührende Hilflosigkeit, die Schrecken der Realität aufs Theater zu bringen. Bruno Maderna ist eng mit Darmstadt verbunden: 1951 hat sich der Komponist aus Venedig hier niedergelassen. Mit Boulez und Nono war er das Zentrum der alljährlichen Ferientage für neue Musik und ist hier 1973 dem Krebstod erlegen. Wenige Wochen vor seinem Tod wurde sein letztes Bühnenwerk "Satyricon" in Scheveningen uraufgeführt. Über 30 Jahre hat es gebraucht, bis sich Darmstadt an dieses Werk erinnert hat, das dem Wiesbadener Staatstheater bereits 1987 eine Aufführung wert war.

Den Stoff für seine Oper findet Maderna in der Antike beim römischen Autor Petronius, der als Zeitgenosse Neros Laster und Zügellosigkeit am römischen Kaiserhof in eine Satire verpackt und "Das Gastmahl des Trimalchio" als Romanfragment hinterlässt: Der reiche Emporkömmling Trimalchio gibt ein Bankett, und die noblen Gäste können zwischen Völlerei, Sex und Sadismus so richtig die Sau rauslassen. Diese Satire hat Fellini zu einer Filmversion inspiriert.

Birgitta Trommler, die nach sieben Jahren Tanztheater Darmstadt verlassen wird, erarbeitet aus Madernas Oper eine eigene Fassung, konzentriert die sieben Gesangsrollen auf vier Darsteller, erfindet neue Personen hinzu (Ausstattung Gudrun Schretzmeier).

Aus den Toga-Trägern der römischen Überflussgesellschaft werden moderne Abziehbilder aus der Welt der Superreichen. Trimalchio (Peter Grönlund) ist ein Macho wie aus dem Dallas-Clan: Im Texas-Hut und mit Reitgerte traktiert er die Frauen, entleert sich in den von den Body-Guards gehaltenen Nachttopf. Seine Frau Fortunata zeigt Barbara Baranowska als üppige Sex-Diva, eine Dolly Buster in Rosarot. Eleonore Marguerre bewältigt mit Spitzentönen und Vokalisen die Persiflage auf die Königin der Nacht und die Barockoper. Unter den Gästen spreizen sich ein US-General, ein Banker, eine Thai-Schönheit, die gequält und getötet wird. Ein Mädchen aus Südamerika (Cristina Czetto) schreit ihre Angstvisionen heraus.

Der Dirigent Niels Muus ist mit dem Orchester in die Szene integriert und greift immer wieder ins Spiel ein. Maderna verramscht die musikalischen Bildungsgüter in einem Stil-Puzzle: er verunziert Wagners Götterdämmerungs-Motiv mit einer frechen Flöte, springt von einem Weill-Song zu Glucks Orpheus-Klage, zitiert die "Lustige Witwe", parodiert Puccini. Leicht und durchwegs amüsant inszeniert Trommler ihren Abschied von Darmstadt.

 

egotrip.de
April 2004

Dekadenz als weltgeschichtliche Konstante
Bruno Madernas Oper "Satyricon" in einer Inszenierung des Darmstädter Tanz/Theaters

Der Darmstädter Komponist Bruno Maderna (1920 - 1973) hat in seinem letzten Werk in seinem Todesjahr das satirische Werk "Satyricon" des römischen Autors Petronius als moderne Oper auf die Bühne gebracht. Petronius, selbst ein äußerst stilvoller Genießer und gehobener Müßiggänger mit Talent zum Leistungsträger, geißelt in diesem in seiner scheinbaren Naivität an den späteren "Simplicissimus" erinnernden Buch die Ausschweifungen der Neu- und Superreichen in Neros Rom. Mittelpunkt des "Satyricon" ist die Beschreibung des Gastmahl des Trimalchios, eines zu unermesslichem Reichtum gelangten früheren Sklaven, das an Protzerei, Prasserei und Perversität kaum noch zu übertreffen ist. Maderna hat diesen zentralen Teil musikalisch geformt und - wegen der deutlichen Parallelen zum späten zwanzigsten Jahrhundert - in eine zeitgenössische Form umgewandelt.

Eine offene Bühne mit einem zum Gastmahl vorbereiteten Tisch präsentiert sich zu Beginn den Zuschauern. Am Kopfende sitzt der Gastgeber wie eine Statue in hellem Anzug und Stetson - deutlich als Amerikaner, sprich Texaner zu erkennen. Im Hintergrund ist das verkleinerte Orchester des Staatstheaters optisch in die Handlung integriert, in den Ecken der Bühne beobachten "Body Guards" mit Sprechfunk und Sonnenbrillen und unbeweglichen Mienen das Geschehen. Die Gäste ziehen durch den Zuschauerraum ein und stellen sich auf dem Weg zur Bühne dem Publikum vor. Bereits diese Szene ist satirisch kaum noch zu übertreffen. Da skizziert der aalglatte Banker sich als "Herr aller Jobs" und die ihn begleitende Verona zynisch als Dummchen mit großer Stimme. Der Fernsehmoderator Michel kommt mit einer Thai-Schönen, deren Vorzüge er an Hand seiner Vorliebe für thailändische Küche erklärt, und preist sich selbst als gnadenlosen Henker aller Talkshow-Gäste. Der Vier-Sterne-General der US Army hat seine Stellung nach eigener, unverblümter Aussage durch Intrigen und geschickte Budget-Manipulationen erreicht. Statt mit Kampfhandlungen verbringt er seine Zeit lieber als Kontaktmann zur amerikanischen Schwerindustrie, vor allem der, die derzeit den Wiederaufbau des Iraks unter sich ausmacht. Eine einzelne Frau, K. genannt und mit Seherfähigkeiten ausgestattet, gesellt sich dem Gastmahl als Kassandra hinzu und und verfolgt das Treiben mit kaltem Zynismus. Sogar der Dirigent des Orchesters, Niels Muus, ist in die Handlung integriert, kommt er doch im weißen Anzug mit Blume und einer jungen Studenten am Arm, nur um diese am Tisch stehen zu lassen und sich seiner musikalischen Aufgabe zu widmen. Selbst die Kunst ist nicht immun gegen die Verlockungen des Geldes, warum sollte man auch Künstler wirklichkeitsfremd zu Lichtgestalten idealisieren? Maderna übt sich in dieser Figur in augenzwinkernder Selbstironie.

Die Handlung selbst besteht mehr oder minder in der Beschreibung des Gastmahls, das bei Petronius neben der detailgenauen Schilderung der Speisen vor allem aus Klatsch und Tratsch des alten Roms besteht und die Unterwürfigkeit der Gäste gegenüber dem Gastgeber und Vertreter des Geldes, Trimalchios, entlarvt. Selbst die öffentliche Entleerung seines Darms und seine dauernden Flatulenzen ertragen die Gäste, wenn auch zeitweise mit zugehaltenen Nasen, und wenn Trimalchios` Diener einen großen Kuchen mit Schweinenasen hereintragen, drängeln sich alle danach, die Schweinenasen aufsetzen zu dürfen. Sobald sie die wie Clownsnasen aussehenden Masken aufgesetzt haben, werden sie buchstäblich zu Schweinen und kriechen grunzend und schnüffelnd über die Bühne, ihre letzte menschliche Würde verlierend. Der Höhepunkt des Gastmahls besteht darin, dass die Thai-Schöne, die vorher einen so machohaften wie gelangweilt wirkenden Michel nach allen Regeln der Kunst zufrieden gestellt hat, wie ein Spanferkel drapiert aufgetragen wird. Rundherum garniert mit erlesenen Speisen, wird sie zur kalten Platte, von der sich die Gäste die Spezereien herauspicken.

Diese Exzesse haben jedoch bei Maderna keinen dramatischen Stellenwert, etwa als Handlungselement oder Konfliktpotential. Wie bei Petronius dienen diese Szenen nur als Illustration der Dekadenz. Zusammen ergeben sie ein Bild des sinnlosen Schlemmens und der entleerten Kommunikation. Denn Unterhaltungen finden unter den Gästen kaum statt. Nach einem ausgedehnten anfänglichen "Bussi-Bussi" findet man sich zu anzüglichen, frivolen oder aggressiven Spielchen wieder, die auch mal ein ein paar Ohrfeigen enden können. Trimalchios und seine Frau Fortunata unterbinden jeden eventuellen Versuch einer eigenständigen Kommunikation zwischen den Gästen. Nur sie stehen im Mittelpunkt, und die Gäste werden mit immer neuen Speisen oder Spielchen ruhig gestellt. Wenn Trimalchios aus Langeweile seine Jacke nimmt und mit ihr in der Luft Figuren beschreibt, so bilden die Körper der Gäste - immer noch mit Schweinsnasen im Gesicht - diese Figuren unverzüglich nach und bilden zuckende, sich windende Bündel auf dem Boden. Und als die junge Studentin dem verdutzten Trimalchios die Jacke entreißt und sein Werk fortsetzt, folgen die Gäste auch ihr, da Trimalchios diese Eigenmächtigkeit offensichtlich gut heißt. Kurz, das gesamte Gastmahl ist eine einzige Hommage der gesamten Gesellschaft an das Geld, und "money" ist auch immer wieder das Thema der eingestreuten Sprech- und Gesangstexte.

Apropos Gesang: Maderna lässt in seiner Musik die gesamte Palette der Musikgeschichte in einem Schnelldurchlauf Revue passieren, jedoch nicht als plumpen Potpourri, sondern geschickt integriert in die moderne, meist atonale Musik. Da hört man plötzlich ein Thema aus Carmen im Untergrund des Orchesters, oder die "Stars und Stripes" flattern durch die Partitur. An einer anderen Stelle verfällt die besagte Sängerin aus einer undefinierbaren Tonfolge in die Arie der "Königin der Nacht" oder Trimalchios gibt ein kleines Stück aus einer Verdi-Arie zum Besten. Zwischendurch hört man von von den Bläsern einen Gassenhauer oder der Moderator Michel geht herum und lässt eine barocke Arie in lateinischer Sprache hören.

Überhaupt bestehen die Texte großenteils aus Übersetzungen des Petroniusschen "Satyrocons", mal in Englisch, mal in Deutsch, mal in Französisch. Man muss das nicht unbedingt alles verstehen, denn die Aussage kommt sehr gut in dem Ausdruckstanz der Truppe von Birgitta Trommler zur Geltung. Das eigentlich Neue an dieser Inszenierung liegt in der Übertragung der musikalisch gedeuteten Worte in Bewegung. Dabei nimmt sich die Truppe jedoch insofern zurück, als tänzerische oder gar akrobatische Elemente nur sehr sparsam zum Einsatz kommen. Körperhaltung und die kurze Bewegung stehen im Vordergrund, die Auseinandersetzungen zwischen Personen und die Befindlichkeit der einzelnen Figuren schlagen sich in Gestik und knappen Bewegungen nieder. Dadurch erlangt diese Inszenierung den Charakter einen wahrhaft multimedialen Darbietung, die als Kulmination durch raumgroße Video-Einblendungen von explodierenden Bussen, Schiffen und Flugzeugen ergänzt wird. Das Licht dieser wahrhaft elementaren Eruptionen flackert über die prassende, halb über der Festtafel liegende Gesellschaft und verwandelt das Geschehen in ein Fanal des Untergangs.

Zum Schluss lässt sich Trimalchios, frei nach dem Original, als Statue seiner selbst - und des Geldes - auf dem Tisch aufrichten, wobei diese Statue fatal in die Nähe des gekreuzigten Christus rückt. Wenn das beabsichtigt war, lassen sich durchaus einige gesonderte Betrachtungen daran knüpfen. Historisch jedenfalls lagen diese Ereignisse nicht weit auseinander, und mit dem Aufstieg des Christentums verfiel Rom. Doch dieser Gedankenkette zu folgen, würde hier zu weit führen. In erster Linie steht zum Schluss Trimalchios als sein eigenes Denkmal da, und wenn er nicht gestorben ist, lebt er noch heute......

Hervorzuheben bei dieser Inszenierung sind die hervorragenden sängerischen und darstellerischen Leistungen, so von Peter Grönlund als Trimalchios und Barbara Baranowska als Fortunata. Saskia Assohoto als Verona glänzte mit einer kräftigen und modulationsfähigen Stimme. Die Mitglieder der Tanz-Truppe mussten dieses Mal ihre schauspielerischen Fähigkeiten zeigen und das zeigten sie durchweg überzeugend, so Christina Czetto als K., Guido Markowitz als Michel oder Rolf Kast als Banker. Daniel Zippe gab einen so markigen wie servilen General.

Das kleine (Kammer-)Orchester meisterte die wahrlich nicht einfache Partitur unter der Leitung von Niels Muss, der den Verlockungen der Prasserei erstaunlicherweise erfolgreich widerstand, mit hoher Präzision und Konzentration. Das Zusammenspiel mit den Solisten klappte fehlerfrei, was angesichts der wenig motivischen Ausrichtung der Musik sicherlich nicht einfach war.

Abschließend ist noch hervorzuheben, dass man sich angesichts der eingeschränkten Thematik auf eine zeitliche Ausdehnung bewusst verzichtet und die Dauer auf 75 Minuten begrenzt hat. Das verlieh dem Stück Tempo und Dichte und vermied jegliche Längen.