Frankfurter Allgemeine Zeitung
Montag, 15. März 2004

Der Polterabend gerät zum Albtraum
Franz Schrekers "Schatzgräber" wieder im Repertoire der Oper Frankfurt

Nicht immer glücken Ausgrabungen vergessener Kunstwerke so wie hier. Mancher rasche Tageserfolg wird vom Sand der Geschichte verweht. Die Einstudierung von Franz Schrekers "Schatzgräber" is freilich mehr als eine nostalgische Erinnerung an die Frankfurter Uraufführung der oper von 84 Jahren. Als hätte es einer Bestätigung bedurft, wurde die Arbeit des Regisseurs David Alden im vorigen Jahr mit dem Prädikat "Ausgrabung des Jahres" ausgezeichnet; gewiß ein Baustein für den Titel "Openhaus des Jahres", den Frankfurt 2003 einheisem durfte.

Die Wiederaufnahme der Einstudierung vom Dezember 2002, die nach wi vor von Jonas Alber geleitet wird, macht deutlich, welch charakteristische Farbe Schreker für das Musiktheater des frühen 20. Jahrunderts bedeutet: eine reiche, vor allem von klanglichen Effekten überbordende Partitur, die drastische Wirkungen nicht scheucht, aber auch zahlreiche subtile Nuancen bietet. Gleiches läßt sie nicht nur für die Regie, sondern auch für die Leitung Albers konstatieren, der bei aller Knalligkeit der Tutti den Sängern viel Raum läßt – selbst Jeffrey Dowd in der Titelrolle, sessen Äußeres dem Erscheinungsbild des Komponisten nachgebildet ist. Stabilitätsfaktoren bilden auch Johannes Martin Kränzle als kraftvoll profilierter Vogt und Gregory Frank als leutselig-trotteliger König, doch sind auch fünf Partien neu besetzt. Von ihnen konnte Taina Piira als Els durch Bühnenpräsenz wie durch intensive gesangliche Gestaltung für sich einnehmen: eine Zerrissene, Opfer einer entmenschlichten Umgebung. So kann der Vater (präzis: Franz Mayer) seine schweinische Natur nicht verbegen, und der Polterabend (mit Peter Marsh als hell timbrierten Schreiber) gerät zum Albtraum. Mit klar fokussiertem Tenor nutzt Niklas Björling Rygert die Rolle des Narren zu einer fein schattierten Charakterstudie. Wirkungsvoll setzt sich der Chor in Szene. So bleibt zu hoffen, daß der "Schatzgräber" auch künftig die Resonanz findet, die er verdient.

GERHARD SCHROTH

 

OFFENBACH POST
9. März 2004

Mordsmäßiges Opernmärchen
Franz Schrekers letzter großen Bühnenerfolg als Wiederaufnahme in Frankfurt

Als die nun wieder aufgenommene Oper "Der Schatzgräber" von Franz Schreker im Dezember 2002 an der Frankfurter Oper als dritte Premiere der neuen Intendanz von Bernd Loebe herauskam, ließ sich das durchaus auch als Ziehen einer Klammer über mehrere Jahrzehnte der Frankfurter Operngeschichte hinweg lesen. Hans Neuenfels' Inszenierung der "Gezeichneten" im Jahre 1979 mit Michael Gielen am Pult war ein herausragender Punkt der Renaissance des von den Nazis verfemten Komponisten, der für die kommenden eineinhalb Jahrzehnte einen Platz wenigstens am äußeren Rand des Repertoires im deutschsprachigen Raum für sich beanspruchen konnte. In Frankfurt herrschte seither in Sachen Schreker Funkstille - bis eben nun zum "Schatzgräber". Schrekers letzter großer Opernerfolg zu Lebzeiten, uraufgeführt im Jahre 1920 in Frankfurt, lohnt die erneute Auseinandersetzung, obwohl das Stück in der zeitgenössischen Kritik umstritten war. Festzuhalten bleibt sicher, dass seine Musik nie zuvor derart zugängig war, der expressionistische Gestus, im Vergleich etwa zu den "Gezeichneten", abgemildert wirkt. Schreker, ganz entschieden ein Moderner, hat hier streng tonal komponiert.

Im Mittelpunkt der märchenhaften Handlung stehen drei Figuren. Die junge Wirtstochter Els hält sich drei vom Vater bestimmte, ob ihrer Ungeschlachtheit unliebsame Heiratsanwärter per Mordauftrag an einen ihr verfallenen Knecht vom Leib. Sie verliebt sich in den fahrenden Sänger Elis, der unter Mordverdacht gerät, jedoch rechtzeitig von einen reitenden Boten des Königs vor dem Galgen gerettet wird. Elis soll mit seiner Wunderlaute den gestohlenen Schmuck der seit dem Verlust siechen Königin aufspüren - der in Els’ Hände gelangt ist. Els, Verführerin und Unschuld in einem, wird zu schlechter Letzt als Mörderin entlarvt und vergeht schließlich in einer erzwungenen Ehe mit den Hofnarren. Die Frankfurter Inszenierung von David Alden setzt die psychologische Unmittelbarkeit sehr plastisch um. Die ungezügelt animalisch-triebhaften Charaktere der Polternacht in der Wirtsspelunke etwa tragen Tiermasken und -schwänze. Paul Steinbergs Bilder führen immer wieder in neue Fantasieräume.

Die Wiederaufnahme präsentiert sich trotz etlicher Neubesetzungen im besten Zustand. Mit einem klaren, frei strömenden Sopran umschifft Taina Piira als neue Els gescheit die Klischees von der Femme fatale auf der einen und der mädchenhaften Lolita auf der anderen Seite. Premierendarsteller Jeffrey Dowd ein lyrischer Tenor, ist als Elis ein in diese Welt geworfener Träumer, der die Handlung erduldet. Der neu besetzte Niklas Björling Rygert mit seinem facettenreichen Tenor gibt den Narren antibuffonesk. Das Orchester führt Premierendirigent Jonas Alber zu einem kräftigen Farbenreichtum, der von Alessandro Zuppardo präzis einstudierte Chor trägt ein Übriges bei zu einer glorreichen Aufführung.

STEFAN MICHALZIK

 

Frankfurter Neue Presse
9.3.2004

Ein Schatzgräber zupft die Laute
An der Frankfurter Oper wurde Franz Schrekers "Schatzgräber" wieder aufgenommen.

Die Frankfurter Oper betätigte sich in Sachen Schreker ja selbst als "Schatzgräber", in dem sie die 1920 im eigenen Haus uraufgeführte Oper nach vielen Jahren wieder auf den Spielplan setzte. Schrekers Musik besticht ja tatsächlich durch ihren großen Farbenreichtum, ihre starken Kontraste und ihre ausgeprägte rhythmische und melodiöse Note. Dazu kommt bei dem Frankfurter "Schatzgräber" noch die interessante und jederzeit bunte und abwechslungsreiche Inszenierung David Aldens, die nun – gut 15 Monate nach der Premiere – wieder ins Programm genommen wurde.

Man erlebte fünf Umbesetzungen, darunter die Finnin Taina Piira in der Hauptrolle der teuflischen Els, die Liebhaber für Liebhaber ermorden lässt und schließlich selber dran glauben muss. Die Sängerin zeigte eine gute, zuverlässige Stimme und befand sich dabei in guter Gesellschaft mit Jeffrey Dowd, dem wie schon in der Premiere die Rolle des Laute zupfenden Schatzgräbers Elis zukam. Zweiter Gast im Ensemble war bei dieser Wiederaufnahme Niklas Björling Rygert aus Schweden in der wichtigen Rolle des Narren, der nicht nur singen, sondern auch tanzen und hüpfen können muss. Auch das Museumsorchester unter Leitung von Jonas Alber zeigte sich in diesem Sinne beweglich und mitreißend. Viel Beifall von nur schwach besetzten Rängen. (Ge)

 

egotrip.de
märz 2004

Schrei nach Erlösung
Wiederaufnahme von Franz Schrekers Oper "Der Schatzgräber" in der Frankfurter Oper

Franz Schreker gehört zu den eher unglücklichen Figuren im Musikbetrieb des letzten Jahrhunderts. Geboren Ende des 19. Jahrhundert, wuchs er als Sohn jüdischer Eltern in eine von Krieg und Umsturz geprägte und zunehmend antisemitisch sich gebärende Zeit hinein. So wurde er denn auch Opfer der nationalsozialistischen Machtergreifung und erlag bereits 1934 einem nicht zuletzt durch die Verfolgungen bedingten Herzleiden. An dieser Stelle haben wir bereits die Darmstädter Inszenierung seine Oper "Das Spielwerk" besprochen.

Im "Schatzgräber" nimmt Schreker ähnlich märchenhafte Motive auf wie im "Spielwerk". Im Prolog beklagt sich der König eines fiktiven Reiches darüber, dass sich seine Frau über den Verlust ihres geliebten Schmucks grämt. Der Hofnarr verspricht ihm, den fahrenden Sänger Elis zu finden, der mit seiner Laute angeblich Schätze aufspüren kann.

Zur gleichen Zeit verzehrt sich auch die junge Els nach diesem Schatz, dessen Dieb sie kennt und von dem sie den Schatz als Hochzeitsgeschenk erbittet. Doch schickt sie dem Ungeliebten einen Mörder hinterher, der ihr den Schmuck ohne Mann bringen soll. Als kurz danach der fahrende Sänger Elis auftaucht und einen im Wald gefundenen Schatz spontan der schönen Els schenkt, ahnt sie Schreckliches. Und prompt wird die mittlerweile gefundene Leiche ihres Bräutigams dem Sänger zugeschrieben und dieser vom Vogt, Els´ abgewiesenem Verehrer, zum Tode verurteilt. Der zufällig eingeweihte Hofnarr kann jedoch in letzter Minute die Hinrichtung durch einen Herold des Königs verhindern, der den Sänger zum Hof zitiert, um den Schmuck zu suchen. Els weiß jedoch um die Wahrheit und vor allem, dass entweder sie oder Elis scheitern wird. In einer Liebesnacht schenkt sie Elis den Schatz, ohne ihm die Herkunft zu verraten, und erkrankt durch den Verlust des Schatzes. Als der Mörder des Bräutigams gefasst wird und alles gesteht, soll Els sterben. Der Narr jedoch besteht auf seinem Recht, sich als Lohn für die Wiederbeschaffung des Schmucks eine Frau aussuchen zu können, und wählt Els. In letzter Selbstverleugnung ruft er sogar Elis an das Sterbebett der todkranken Els, um ihr zu seiner Laute ein letztes Lied zu singen.

Sie Symbolik der Handlung ist unübersehbar. Der Sehnsucht nach dem Schatz spiegelt den Wunsch nach Erlösung wider. Ohne sie gehen die Menschen - hier die Frauen - zugrunde. Der Erlöser naht in Gestalt eines Künstlers und bringt die Erlösung - den Schatz - mit Hilfe der Musik. Doch die Brechung gesellschaftlicher Tabus - hier durch Mord - verhindert die Erlösung, Els wird mit dem Schmuck nur für einen kurzen Augenblick glücklich, dann ereilen sie die Folgen ihrer eigenen Selbstsucht. Auch Elis verliert angesichts des Eros seine Ziele aus den Augen, was sich an dem durch Els veranlassten Diebstahl der Laute zeigt. Der Frau verfallen, droht ihm die Schmach, da er den Schmuck nicht finden kann. Doch Els schenkt ihm gerade diesen als höchstes eigenes Liebesopfer und geht daran schließlich zugrunde. Sie opfert die eigene Erlösung dem Geliebten. Im Narr schließlich verdichten sich Pragmatismus und Uneigennützigkeit. Obwohl selbst nach Glück sich sehnend, opfert er alles, nur um seine Umwelt - König, Königin und sogar die sterbende Els - glücklich zu sehen, und steht am Ende mit leeren Händen da.

Schreker hat diese Handlung mit geradezu "amotivischer" Musik unterlegt. vergeblich wird man durchgängige Themenbögen oder wiedererkennbare Motive wie in der klassischen Oper suchen. Die Musik gilt nur dem Augenblick und dem Ausdruck der jeweiligen Emotion und vergisst sich selbst sofort wieder. Dadurch entsteht ein scheinbar unstrukturiertes Klanggebäude, das aber in Wirklichkeit hoch komplex aufgebaut ist und den einzelnen Figuren und Handlungssträngen minutiös nachgeht. Dabei bewegt sich die Musik in für die Zeit - Anfang der zwanziger Jahre - erstaunlich konventionellen Bahnen. Viele Klangkombinationen könnten von Wagner, Strauss oder Mahler kommen, nur bisweilen gehen sie in die Atonalität über, die man aus der Zeit des Expressionismus eigentlich kennt und auch hier erwartet. Vor allem in den expressiven Momenten geht die Harmonik an die Grenzen der herkömmlichen Tonalität und darüber hinaus, während sie in den lyrischen Momenten eher wie aus dem 19. Jahrhundert herüber zu schallen scheint.

Regisseur David Alden hat aus dem Libretto eine kontrastreiche, zuweilen fast grelle und groteske Inszenierung gemacht. Die Gesellschaft um Els besteht aus grotesken Figuren, die teilweise Tiergestalt oder sonstige skurrilen Form annehmen. Diese Gesellschaft ist habgierig, eigennützig, unterwürfig, schmeichlerisch, hinterhältig und brutal. Man versteht, dass Els keinen dieser Männer ehelichen will und sich ganz der Sehnsucht nach dem Schatz verschreibt. Elis fällt geradezu verständnislos in diese Gesellschaft hinein und ist ihr hilflos ausgeliefert. Nur der "deus ex machina" in Gestalt des fernen Königs kann ihn retten. Daher wird auch der Herold des Königs in geradezu kitschiger Überhöhung auf einem weißen Pferd mit güldenen Kleidern und viel Strahlenglanz ins Spiel gebracht. Mit versteckter Ironie wird hier die Distanz der höheren Macht zum niederen Volk demonstriert und gleichzeitig durch die Übertreibung ad absurdum geführt. "Schaut her, so erträumt Ihr Euch Weisheit und Macht des Königs", meint man den Autor süffisant kommentieren zu hören. Doch auch diesem Herrscher geht es nur um das eigene Wohl, und dazu veranstaltet er das Brimborium der Macht.

Dennoch, die Ironie will nicht recht in Fahrt kommen, denn Schrekers Stück ist dazu zu symbolbeladen und die dunkel expressiv raunende Sprache sträubt sich gegen jede Ironisierung. So bleibt die Inszenierung in einem seltsamen Schwebezustand zwischen poetischem Ernst und dessen ironischer Hinterfragung. Das schlägt sich auch im Bühnenbild, den Kostümen und der Szenenregie nieder. Das Bühnenbild kommt mal in grellen Farben, fast clownesk daher, dann wieder karg, auf die Bühnenbretter begrenzt. Der Clown trägt Melancholie zu großen Karos, der König erscheint im Straßenanzug des 20. Jahrhunderts und die Königin als depressive Autistin mit Pappkrone. Els schaukelt mal auf einer Lampe wie Pippi Langstrumpf über die Bühne, mal gibt sie die große Geste der Entsagungsvollen. Doch zugegeben, es ist sehr schwierig, diese symbolhaltigen Märchen des Expressionismus heute schlüssig zu inszenieren, und eine "werkimmanente" Inszenierung, die den Handlungsstrang ohne Einschränkung ernst nimmt, ist wohl kaum denkbar.

Das Orchester unter der Leitung von Jonas Alber wird den Ansprüchen dieser Musik jedoch in vollem Umfang gerecht. Sowohl in den lyrischen als auch in den expressiven Passagen bewahrt das Ensemble Transparenz und Struktur, nie zerfloeßt die Musik zur Unbestimmtheit oder Beliebigkeit. Die dramatischen Konflikte kommen besonders in den Bläsern machtvoll zum Ausdruck, wenn auch die Musik in solchen Momenten nicht unbedingt jedermanns Sache sein mag.

Die Darsteller überzeugen durchweg sowohl darstellerisch als auch stimmlich. Da sind vor allem die Protagonisten Taina Piira als Els und Jeffrey Dowd als Elis zu nennen. Auch Niklas Björling Rygert als Narr und Johannes Martin Kränzle als Vogt zeigen deutliches Profil. Die anderen Rollen fallen dagegen jedoch nicht ab, so dass sich das Bild eines homogenen und gut aufeinander abgestimmten Ensembles ergibt.

Wer sich für die Musik des 20. Jarhhunderts interessiert und auch "Nachromantischen" Klängen nicht abgeneigt ist, sollte sich diese Inszenierung ansehen.