Frankfurter Rundschau
Samstag, 3. April 2004

Im Feuerstrahl
Die Oper Frankfurt bietet Giacomo Puccinis "Turandot" konzertant, aber in glanzvollem Bombast

VON BERNHARD USKE

"Zarten Sadismo" hatte Adorno 1927 beim Anhören von Giacomo Puccinis finalem Werk Turandot diagnostiziert: an genau jener Stelle, wo heuer das Werk wieder erklang - in Frankfurts Alter Oper. Zart war der Sadismo jetzt allerdings nicht mehr, sondern von geballter Kraft. Opernchef Paolo Carignani und seine großartig aufspielenden und -singenden, versammelten Heerscharen waren ins Konzerthaus umgezogen und boten Puccinis Peking-Oper in einer Bombastik sondergleichen.

Besonders im 1. Akt der Zeremonialoper von 1924 liebäugeln Puccinis Massenchöre mit Mussorgsky'scher Volks-Urkraft. Saß man sodann obendrein noch im Feuerstrahl der vokalen Düsentriebwerke von Audrey Stottlers Prinzessin Turandot und Carl Tanners Prinz Kalaf, konnte einem schon Hören und Sehen vergehen. Die beiden vokalen und korporalen Schwergewichte bildeten sozusagen den personifizierten Auftritt für die Spätambitionen des süßlich-schmerzlichen Klangzauberers aus Lucca, die auf Ernst und Schwere zielten.

Audrey Stottlers durchschlagender, wie von leichtem Raureif konturierter Sopran war eine perfekte Entsprechung der gefrosteten Heroine, die einer jahrtausendealten Vergangenheitsbewältigung nachhängt. Die Männer müssen's ihr leiden, wenngleich Carl Tanner sich in jedem Moment mit so beachtlichen tenoralen Atü-Zahlen ungerührt erwies, dass man viel Fantasie aufbringen musste, um irgendeine Art von An- und Bezüglichkeit zwischen den Königskindern ausfindig machen zu können.

Ein bisschen Mimik immerhin brachten die drei Schranzen von der chinesischen Regierungsbank, die Herren Ping, Pong und Pang in Gestalt der treffsicheren Opern-Ensemblemitglieder Johannes Martin Kränzle, Hans-Jürgen Lazar und Peter Marsh auf das Podium. Auch Michael McCown als Kaiser von China, Magnus Baldvinsson als Kalafs Vater Timur und der Mandarin Soon-Won Kangs überzeugten mit prägnanten Stimmen. Blendend war die ätherische Juanita Lascarro als junge Sklavin Liú, die nicht mehr brauchte, als ihren traumhaft sicher auf den Leidenshöhenwegen wandelnden Sopran verströmen zu lassen. Diese "kandierte Kundry" (Adorno) war auf dem Frankfurter Parkett das lieblichste vokale Gefrierschutzmittel der "Bühnenweihfestoperette" und machte das als Frauenoper verkleidete Männerstück erst richtig schön: die eine wird schwach, die andere opfert sich hingebungsvoll... Damit Paolo Carignani nicht wie weiland Arturo Toscanini am 25. April 1926 in der Mailänder Scala nach Liús Selbstmord den Taktstock niederlegen musste, um zu sagen: "hier endet die Oper, denn an dieser Stelle starb der Maestro", spielte man in Frankfurt den unvollendeten 3. Akt ganz zu Ende. Aber nicht nach der gebräuchlichen Fassung Franco Alfanos, sondern nach einem erst im vorletzten Jahr in Amsterdam uraufgeführten Finale aus der Feder von Luciano Berio.

Kurz vor seinem eigenen Tod im April 2003 hatte Berio seine schon seit langem praktizierten musikalischen Vergangenheitsbearbeitungen auch auf den 67 Jahre älteren Kollegen ausgedehnt. Viel Ping, Pong und Pang chinesischen Schlagwerk-Kolorits kam da zum Einsatz und auch ein etwas ausgefranstes Lianengeflecht aus Melodiebruchstücken des vorgängigen, originalen Klangverlaufs. Das Ganze endete dann in leisen, liebestodähnlichen Tönen, was das Publikum nicht davon abhielt, seinerseits die genossene vokale Kollektiv- und Individualkraft von Solisten, Chor und Orchester mit Jubelstürmen zu beantworten.

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Dokument erstellt am 02.04.2004 um 17:04:39 Uhr
Erscheinungsdatum 03.04.2004

 

Frankfurter Rundschau
3. April 2004

Carignani Düsentrieb
"Turandot" konzertant

VON BERNHARD USKE

"Zarten Sadismo" hatte Adorno 1927 beim Anhören von Giacomo Puccinis finalem Werk Turandot diagnostiziert: an genau jener Stelle, wo heuer das Werk wieder erklang - in Frankfurts Alter Oper. Zart war der Sadismo jetzt allerdings nicht mehr, sondern von geballter Kraft. Opernchef Paolo Carignani und seine großartig aufspielenden und -singenden, versammelten operalen Heerscharen waren von ihrer Musiktheaterstätte am Willy-Brandt-Platz ins Konzerthaus am Opernplatz umgezogen und boten Puccinis Peking-Oper in einer Bombastik sondergleichen.

Besonders im 1. Akt der Zeremonialoper von 1924 liebäugeln Puccinis Massenchöre mit Mussorgsky'scher Volks-Urkraft. Saß man sodann obendrein noch im Feuerstrahl der vokalen Düsentriebwerke von Audrey Stottlers Prinzessin Turandot und Carl Tanners Prinz Kalaf, konnte einem schon Hören und Sehen vergehen. Die beiden vokalen und korporalen Schwergewichte bildeten sozusagen den personifizierten Auftritt für die Spätambitionen des süßlich-schmerzlichen Klangzauberers aus Lucca, die auf Ernst und Schwere zielten.

Audrey Stottlers durchschlagender, wie von leichtem Raureif konturierter Sopran war eine perfekte Entsprechung der gefrosteten Heroine, die einer jahrtausendealten Vergangenheitsbewältigung nachhängt. Die Männer müssen's ihr leiden, wenngleich Carl Tanner sich in jedem Moment mit so beachtlichen tenoralen Atü-Zahlen ungerührt erwies, dass man schon viel Fantasie aufbringen musste, um irgendeine Art von An- und Bezüglichkeit zwischen den Königskindern ausfindig machen zu können. Ein bisschen Mimik immerhin brachten die drei Schranzen von der chinesischen Regierungsbank, die Herren Ping, Pong und Pang in Gestalt der treffsicheren Opern-Ensemblemitglieder Johannes Martin Kränzle, Hans-Jürgen Lazar und Peter Marsh auf das Podium. Auch Michael McCown als Kaiser von China, Magnus Baldvinsson als Kalafs Vater Timur und der Mandarin Soon-Won Kangs überzeugten mit prägnanten Stimmen.

Vokales Gefrierschutzmittel

Blendend war die ätherische Juanita Lascarro als junge Sklavin Liú, die nicht mehr brauchte, als ihren traumhaft sicher auf den Leidenshöhenwegen wandelnden Sopran verströmen zu lassen. Diese "kandierte Kundry" (Adorno) war auf dem Frankfurter Parkett das lieblichste vokale Gefrierschutzmittel der "Bühnenweihfestoperette" und machte das als Frauenoper verkleidete Männerstück erst richtig schön: die eine wird schwach, die andere opfert sich hingebungsvoll...

Damit Paolo Carignani nicht wie weiland Arturo Toscanini am 25. April 1926 in der Mailänder Scala nach Liús Selbstmord den Taktstock niederlegen musste, um zu sagen: "hier endet die Oper, denn an dieser Stelle starb der Maestro", spielte man in Frankfurt den unvollendeten 3. Akt ganz zu Ende. Aber nicht nach der gebräuchlichen Fassung Franco Alfanos, sondern nach einem erst im vorletzten Jahr in Amsterdam uraufgeführten Finale aus der Feder von Luciano Berio.

Kurz vor seinem eigenen Tod im April 2003 hatte Berio seine schon seit langem praktizierten musikalischen Vergangenheitsbearbeitungen auch auf den 67 Jahre älteren Kollegen ausgedehnt. Viel Ping, Pong und Pang chinesischen Schlagwerk-Kolorits kam da zum Einsatz und auch ein etwas ausgefranstes Lianengeflecht aus Melodiebruchstücken des vorgängigen, originalen Klangverlaufs. Das Ganze endete dann in leisen, liebestodähnlichen Tönen, was das Publikum nicht davon abhielt, seinerseits die genossene vokale Kollektiv- und Individualkraft von Solisten, Chor und Orchester mit Jubelstürmen zu beantworten.

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Dokument erstellt am 02.04.2004 um 17:04:50 Uhr
Erscheinungsdatum 03.04.2004

 

OFFENBACH POST
3. April 2004

Puccini-Oper mit Berio-Schlussbild
Hinreißende "Turandot" konzertant in Frankfurt

"Zu viel Alfano, zu wenig Puccini", soll der Dirigent Arturo Toscanini kommentiert haben. Er hatte gerade Puccinis Oper "Turandot" kennen gelernt, wie sie der Komponist Franco Alfano vollendete. Dazu war Puccini selbst nicht mehr gekommen; er starb während der Arbeit an seiner letzten Oper. Man hat sich an das von Alfano vollendete Jubel-Finale des Schlussaktes wohl gewöhnt, auch weil es seit der Uraufführung 1926 ohne ernsthafte Konkurrenz geblieben ist. Doch das hat sich vor zwei Jahren geändert.

Da erlebte in Amsterdam nämlich jener Alternativ-Schluss seine szenische Uraufführung, der jetzt auch bei der konzertanten "Turandot" in der Alten Oper Frankfurt zu hören war. Die Fassung stammt von dem vergangenes Jahr gestorbenen italienischen Komponisten Luciano Berio. Von den Stärken dieser Version ließ man sich in Frankfurt gern überzeugen: Berio leitet mit einem Orchesterzwischenspiel zum Schlussbild mit dem jubelnden Volk über; man erlebt ein ätherisches, aufgelichtetes Happy End, das nicht wie bei Alfano robust ausfällt, sondern leise verklingt.

Schließlich hatte es an lauten Tönen zuvor auch nicht gefehlt: Frankfurts Generalmusikdirektor Paolo Carignani forderte das Museumsorchester zu dynamischen Höchstleistungen heraus: Das klang zuweilen eher kompakt als klanglich differenziert und verdiente nicht gerade das Prädikat "sängerfreundlich": So musste Carl Tanner (Kalaf) der über eine durchaus angenehme, aber eben nicht sehr große Stimme verfügt, sich häufig forcierend zu Wort melden.

Ganz anders die Sopranistin Audrey Stottler in der Titelpartie: Für ihre Turandot kann wahrscheinlich kein Raum zu groß sein, auch wenn ihre enorme Vokalkraft in Frankfurt nicht frei von scharfen, herben Tönen blieb.

Tadellos hingegen die von Juanita Lascarro lyrisch und reflektierend interpretierte Partie der Lìu. Und ein gerade im Buffonesken sehr homogenes Minister-Terzett erlebte man mit Johannes Martin Kränzle (Ping), Hans-Jürgen Lazar (Pang) und Peter Marsh (Pong).

Ein Sonderlob für den stark geforderten Chor und den Kinderchor der Oper Frankfurt, einstudiert von Alessandro Zuppardo und Pablo Assante: Durchweg exakt die Artikulation selbst in den großen Volksszenen, klangschön aber auch in den verhaltenen Piano-Passagen. Das Publikum zeigte sich von der Aufführung dieser einmal anders ausklingenden "Turandot" hingerissen.

AXEL ZIBULSKI

 

Frankfurter Neue Presse
3. April 2004

Die Liebe triumphiert
Die konzertante Aufführung von Puccinis "Turandot" löste in der Alten Oper Frankfurt Begeisterungsstürme aus.

Von Michael Dellith

Das Schicksal wollte es nicht anders: Als Giacomo Puccini im November 1924 starb, war die Partitur seiner Oper "Turandot" unvollendet. Die beiden letzten Szenen, das entscheidende Duett zwischen Turandot und Kalaf, das die "eisige" Prinzessin mit dem liebenden Prinzen vereinen soll, und das Finale, lagen nur als Skizzen vor. Der Dirigent der Uraufführung, Arturo Toscanini, übertrug die Vollendung der Oper deshalb dem aufstrebenden Komponisten Franco Alfano, doch dessen Schluss-Version ist bis heute unbefriedigend. Es war kein geringerer als der italienische Avantgarde-Meister Luciano Berio, der kurz vor seinem Tod im vergangenen Jahr der "Turandot" einen neues Ende verpasste, das jetzt auch in Frankfurt zu hören war.

Entstanden ist trotz eines zusätzlichen Zwischenspiels, währenddessen Turandot und Kalaf ihre Liebe mit einem Kuss besiegeln, ein viel kürzerer Schluss, weniger "groß" als die Alfano-Variante. An die Stelle der pompösen Schlusshymne tritt ein fast tristanisch verklärtes Verklingen. Das Berio-Finale ist moderner, kammermusikalisch-filigraner. Geschickt transformiert er Puccini in die Gegenwart, in dem er, ohne seine eigene Handschrift zu verleugnen, dessen avantgardistische Ansätze wie etwa das Experimentieren mit der Zwölftontechnik fortspinnt.

Dass sich die Frankfurter für das Berio-Finale stark gemacht haben, ehrt sie. Doch wie sie "Turandot" musikalisch aufbereitet haben, war schlichtweg fulminant. Paolo Carignani am Pult hielt den Riesenapparat an straffen Zügeln in steter Bewegung, lotete die dynamischen Grenzen aus, ohne den Klang ausufern zu lassen. Edelkitsch ist seine Sache nicht. Vielmehr setzte er auf drastische Klangfarben, die das Museumsorchester lustvoll mischte. Nicht nur stimmgewaltig, sondern auch wunderbar kantabel setzten sich der von Alessandro Zuppardo bestens vorbereitete Opernchor und der hervorragend deklamierende Kinderchor in Szene. Dazu gesellte sich eine Solisten-Riege, die wieder einmal das enorme Potenzial des Frankfurter Ensembles offenbarte: Soon-Won Kang als Mandarin, Michael McCown in der Partie des Kaisers von China, Magnus Baldvinsson mit Autorität einflößendem Bass als Timur, dann Johannes Martin Kränzle, Hans-Jürgen Lazar und Peter Marsh als brillante Ping-Pang-Pong-Minister-Trias und Juanita Lascarro als anrührende Sklavin Liù. Die vokalen Glanzlichter setzten als Gäste die grandiose Audrey Stottler, die Turandot schlechthin, und ihr amerikanischer Tenor-Kollege Carl Tanner als emphatischer Prinz Kalaf auf, der sein "Nessun dorma" noch einmal als Zugabe singen musste. Der Saal tobte. Ein Triumph für Carignani und sein Ensemble – ein Triumph für die Oper Frankfurt.

 

WIESBADENER KURIER
03.04.2004

Überwältigendes Sängerfest
Oper Frankfurt gibt "Turandot" konzertant

Von Claus Ambrosius

Seit zwei Jahren steht Puccinis Oper "Turandot", ohnehin ein Liebling aller Melomanen, noch mehr als sonst im Mittelpunkt des Interesses. Der Grund: Luciano Berios neues Finale der Oper, das nach fast 80 Jahren die Märchenoper neu komplettiert.

Puccini hatte das Werk bei seinem Tod 1924 unvollendet hinterlassen, das von seinem Verleger Ricordi in Abstimmung mit den Erben verfasste Ende von Franco Alfano fand vor dem Dirigenten der Uraufführung 1926 keine Gnade: Arturo Toscanini legte nach den letzten Taken aus Puccinis Feder den Taktstock nieder, erst eine Woche später wurde die Alfano-Fassung - unter einem anderen Dirigenten und entstellend verkürzt - erstaufgeführt.

Diese verstümmelte Fassung setzte sich durch, obwohl die Langfassung Alfanos eigentlich sehr effektvoll ist: Er verwendete für seinen Schluss Musikskizzen Puccinis für den letzten Akt, wendete das Finale ins Bombastische und ließ "Turandot" im Chorhymnus ausklingen. Luciano Berio verwendete die gleichen Skizzen, kam aber zu einem ganz anderen Schluss: Der Kuss des Prinzen Kalaf wandelt die eisumgürtete Prinzessin über einem ätherischen Zwischenspiel zu inniger Liebe, das großformatige Werk endet nach erneuten Chor- und Solistenaufschwüngen ganz leise.

Zugegeben: Überbewerten sollte man den Unterschied nicht, handelt es sich doch um kaum 15 Minuten "neuer" Musik. Bei der konzertanten Aufführung der Oper Frankfurt in der Alten Oper konnte Generalmusikdirektor Paolo Carignani mit dem hervorragend präparierten Orchester trotzdem ein Plädoyer für diese Fassung abliefern: Er ließ es im Berio-Finale ganz besonders exotisch schimmern, sorgte mit nuancierter Durchdringung vieler Farbvaleurs für eine echte Erweiterung der musikalischen Aussage der "Turandot". Dass ihm dazu ein brillanter Chor (Leitung: Alessandro Zuppardo) und Weltklasse-Solisten zur Verfügung standen, machte den Abend zum Sängerfest erster Qualität: Audrey Stottler ist eine in jeder Beziehung mächtige Turandot. Seit dem Gastspiel von Gwyneth Jones vor einigen Jahren die voluminöseste Stimme in der Alten Oper. Ein beinahe archaisches Stimmerlebnis ohne ausuferndes Vibrato, aber mit genau jener Portion Metall, die die Sopranistin auch größte Chor- und Orchestermassen übertreffen ließ.

Eine echte Entdeckung ist der hierzulande noch wenig bekannte Tenor Carl Tanner als Kalaf, der sein "Nessun dorma", den großen "Turandot"-Hit, nach dem frenetischen Schlussapplaus noch einmal als Zugabe sang. Ihm scheint eine große Zukunft sicher. Eine berührende Juanita Lascarro aus dem Hausensemble als Liu, dazu das ebenfalls hauseigene Ministertrio - kurz gesagt ein großer Abend der Frankfurter Oper. Kaum zu glauben, dass es für die zweite und letzte Vorstellung dieser Serie am heutigen Samstag Abend noch Karten gibt - danach ist diese Besetzung nur noch bei zwei Gastspielen der Oper Frankfurt im Mai in Peking zu erleben.