Frankfurter Rundschau
17. Januar 2005

Bestes Barock
Monteverdis "Krönung" in Frankfurt wiederaufgenommen

VON TIM GORBAUCH

Aus der Ferne von mehr 350 Jahren wirkt Monteverdis Musik seltsam unaufgeregt, fast rein. Dem Venedig des frühen 17. Jahrhunderts musste sie dagegen unerhört farbig und schillernd erscheinen, mutig und voller Emotionen, schließlich trug sie die Hoffnungen einer ganz neuen Gattung: der Oper. Mit Monteverdis Orfeo wurde sie geboren, mit seinem Spätwerk, mit der Krönung der Poppea, 1642 oder 1643 uraufgeführt, erfuhr sie einen zweiten Höhepunkt. Plötzlich waren Menschen auf der Bühne, nicht gerade wie du und ich, aber immerhin: Akteure mit Gefühlen, Leidenschaften.

Die Barockoper erlebt seit einiger Zeit eine genauso wichtige wie verdiente Renaissance, in Frankfurt widmet man ihr jetzt gar einen kleinen Schwerpunkt: Händels Ariodante steht bald wieder auf dem Spielplan, Monteverdis L'Orfeo hat im März im Bockenheimer Depot Premiere und nun wird auch die vier Jahre alte Inszenierung der Krönung der Poppea wiederaufgenommen, zum ersten Mal im übrigen. "Best of Barock" nennt man das in Frankfurt. Wer für alle drei Opern Karten bestellt, bekommt 50 Prozent Rabatt.

Das lohnt sich allein schon der Poppea wegen. Rosamund Gilmore, eine erfahrene Barock-Regisseurin, hat sie eher dezent auf die von Carl Friedrich Oberle erbaute Einheitsbühne gebracht und weniger Realismus gesucht als eine Choreographie von Bewegung, Aktion und Geste. Weder überfordert sie die Musik noch dichtet sie ihr eine Psychologie an, die sie nicht hat. Wie Monteverdi beharrt auch Gilmore auf Reduktion, und es dauert eine Weile, bis sich die Augen darauf eingelassen haben, dass nicht immer viel passiert. Zugleich entwickeln Gilmores Bilder im zweiten Teil des mehr als dreieinhalbstündigen Abends eine schärfere Kontur, die Choreografie wird dichter, der Subtext des Dramas sichtbar. Leichen pflastern den ehrgeizigen Weg der Poppea zur Macht, und schließlich, als Monteverdis Musik galant zum Finale aufspielt, wird auch sie sterben - weggeworfen von Nero, dem sie sich andiente.

Juanita Lascarro gibt in der Titelpartie ihr Rollendebüt. Man könnte über ihren historischen Zugriff mithin streiten, aber sie singt die Poppea so wunderbar, so verwirrend verführerisch, dass man es lieber lässt. Ohnehin ist das musikalische Niveau atemberaubend. Felice Vananzoni, Studienleiter der Oper Frankfurt, führt das kleine Ensemble bei seinem Hausdebüt als Dirigent fast zu vorsichtig, so sehr bemüht er sich um die im Detail verborgenen Feinheiten der Partitur. Francesca Provvisionato gibt der Ottavia, der Gattin Neros, noch im Verrat eine seltene Würde und auch die Nebenrollen sind bestens besetzt: Diane Pilcher als Nutrice und Hans-Jürgen Lazar als Amme Poppeas stehen da nur stellvertretend für alle. Der gewaltige Applaus jedenfalls war vollkommen verdient.

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Dokument erstellt am 16.01.2005 um 17:32:11 Uhr
Erscheinungsdatum 17.01.2005

 

Frankfurter Neue Presse
20.01.2005

Das Blut fließt, die Musik verzaubert
Monteverdis "Krönung der Poppea" in der Regie von Rosamund Gilmore wurde an der Frankfurter Oper wieder aufgenommen.

Überall, wo der grausige Kaiser Nero seine Finger im Spiel hat, rollen Köpfe und fließt Blut. Und damit das schreckliche Treiben auch jederzeit gegenwärtig bleibt, rollen die jeweiligen Toten in Rosamund Gilmores "Poppea"-Inszenierung auf die Bühne und bleiben einfach liegen. So verstand es sich von selbst, dass die Darsteller von Seneca Ottone oder Drusilla am Ende besonderen Schlussapplaus bekamen. Denn über eine Stunde völlig unbeweglich auf dem harten Bühnenboden liegen zu müssen, ist doch eine reife schauspielerische Leistung. Auch stimmlich boten die Akteure dieser Wiederaufnahme ansprechende Leistungen. Johannes Chum gab einen ausgesprochen jugendlichen Nero, dazu passte die rassige Juanita Lascarro, die ihr Rollendebüt als Poppea überzeugend gab und eine kräftige, flexible Stimme zeigte. Wenngleich diese zarte Person schauspielerisch vielleicht nicht gerade die machtlüsterne Titelheldin verkörpert, so verriet doch ihre Stimme: Diese Frau weiß, was sie will. Auch wenn sie in der ungewöhnlichen Deutung der Regisseurin am Ende ihr Leben lassen muss.

Hauptanteil daran, dass die knapp vierstündige Oper niemals langweilig wurden, hatte das auf Barockgröße geschrumpfte Museumsorchester, das unter Leitung des Alte-Musik-Spezialisten Felice Venanzoni in feinster Form musizierte. Besonders in den Vor- und Zwischenspielen ging von dem Instrumentalensemble eine zauberhafte klangliche Wirkung aus, die in bemerkenswertem Gegensatz zum grausigen Treiben auf der Bühne stand. (Ge)

 

OFFENBACH POST
10. Februar 2005

Morbides Spiel um römischen Diktator
Monteverdi-Oper in Frankfurt wiederaufgenommen

Der römische Kaiser Nero war ein Tyrann, der selbst seinen Lehrer, den Philosophen Seneca, zum Selbstmord zwang. Schwer vorstellbar also, eine Oper, in der der Diktator eine zentrale Rolle spielt, triumphal enden zu lassen. Ein derartiger Schluss ist auch ganz und gar nicht zu sehen in Rosamund Gilmores Frankfurter Inszenierung von Claudio Monteverdis "Krönung der Poppea" ("L’incoronazione di Poppea"). Vielmehr denkt die Regisseurin das Szenario weiter: Nero, der soeben seine Gattin Ottavia aus Rom verbannt hat, legt auch die neue Kaiserin Poppea auf einem Leichenberg ab.

Knapp vier Stunden frühbarocker Oper sind bis dahin in Frankfurt vergangen. Die Regie von Rosamund Gilmore, die selbst die Einstudierung der Wiederaufnahme übernommen hat, verkürzt uns die Zeit mit ihrer choreografisch genauen Personenführung. Wie bei der Premiere vor gut vier Jahren sind es auch jetzt wieder die Götter, die alles in Bewegung bringen, den zunächst in pauschales Weiß gekleideten Darstellern die von ihnen verkörperten Personen zuweisen, indem sie ihnen die Namen ihrer Rollen auf die nackten Beine schreiben, um dann aus dem Bühnenhimmel das Geschehen zu verfolgen.

Das 1642 uraufgeführte Stück aus der Frühzeit der Oper trägt im Keim manches in sich, das Monteverdis Ideen in der Oper weit überdauern sollte, etwa der Typus des buffonesken Sympathieträgers, wie man ihn von Mozarts Papageno oder Verdis Falstaff kennt: Hier ist es die von einem Mann, nämlich dem Tenor Hans-Jürgen Lazar grandios gegebene Rolle der Arnalta, Poppeas Amme, die das Publikum bestens für sich einnimmt.

Lazar war bereits bei der Premiere zu erleben, während einige der zahlreichen anderen Partien für die Wiederaufnahme neu besetzt worden sind. Zum Beispiel die Titelpartie der Poppea, in Frankfurt von Juanita Lascarro verführerisch gegeben. Ebenfalls neu: Der koreanische Bass Soon-Won Kang als vokal allzu spröde bleibender Seneca. Lobenswert, dass nun einige der kleineren Partien mit Studierenden der Frankfurter Hochschule für Musik und Gestaltung besetzt sind.

Im trocken gelegten Swimming Pool des Bühnenbildes (von Carl Friedrich Oberle) ist, wie bereits in der Premiere, der im Barockgesang ungemein stilsichere Tenor Johannes Chum als strahlkräftiger und zugleich vokal wie szenisch höchst agiler Nero zu erleben. Oder die ergreifend ihr Schicksal als abgelöste Kaiserin Ottavia beklagende Francesca Provvisionato. Das akkurat spielende, kleine Barock-Orchester wird nun von Dirigent Felice Venanzoni geschmeidiger, letztlich aber auch verbindlicher als in der Premiere geführt. Trotzdem spannend, dass man hier die ganz frühe Oper eines Monteverdi erleben kann, dessen ältestes erhaltenes Bühnenwerk "L’Orfeo" die Oper Frankfurt übrigens ab 13. März im Bockenheimer Depot präsentieren wird.

AXEL ZIBULSKI

 

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
16. Januar 2005

Längst hat es sich unter Sängern wie Instrumentalisten herumgesprochen, dass man Opern von Verdi und Monteverdi nicht über einen Stil-Kamm scheren kann. Zwei Möglichkeiten gibt es: das Feld der frühen Oper den immer noch an Bedeutung gewinnenden Spezialistenteams für alte Musik zu überlassen oder aber die nötigen Gesangs- und Spieltechniken selber zu erarbeiten.

In Frankfurt vertraut man auf den zweiten Weg. Mit der Wiederaufnahme von Monteverdis L'incoronazione di Poppea hat man zusammen mit dem Orfeo und Händels Ariodante nun eine Gruppe barocker Oper im Programm, die das Haus preisgünstig im "Dreierpack" anbietet – eine notwendige Werbung für einen oftmals vernachlässigten Bereich des Repertoires.

Nicht alle hielten den langen Abend in der hochgetürmten Arena der römischen Kaiserzeit durch, doch am Ende war die Begeisterung einhellig. Dies ist zuerst wohl ein Erfolg des überzeugenden Inszenierungskonzepts von Rosamund Gilmore und Carl Friedrich Oberle, das selbst mehr als vier Jahre nach der Premiere seine Suggestionskraft bewies, auch wenn einige Umbesetzungen notwendig wurden. So gab Felice Venanzoni, Studienleiter an der Oper, ein souveränes Hausdebüt als Dirigent. Mit scharfer Charakterisierungskunst und deutlichen Tempokontrasten hielt er die Spannung hoch, kräftig unterstützt durch das elfköpfige Instrumentalensemble, aus Haus- und Gastkräften gemischt.

Bei der Premiere waren noch die – historisch nicht gesicherten – Trompeten am Werk, jetzt sorgten Blockflöten und Dulzian für diskrete Färbung des Klangbilds, das durch die reich besetzte "Continuo"-Gruppe an Vielfalt gewann. Auch bei den Sängern mischte sich Alt und Neu auf glückliche Weise.

Juanita Lascarro setzte dem premierenerfahrenen Nerone Johannes Chum, der die Exzesse seiner Triebhaftigkeit mit reichem Tenor ausstattete, eine stimmlich wie optisch reizvolle Poppea entgegen, zielbewußt gesteuert durch den springlebendigen, dabei stimmlich reich schattierenden Amore Lisa Wedekinds. Ein deutliches Doppelprofil gab Anna Ryberg: zunächst als strenge Virtu, sodann als liebeglühende Drusilla, hingegen konnte sich Soon-Won Kang mit sonorem Bass ganz auf den prinzipientreuen Seneca konzentrieren.

Aus dem weiteren, recht geschlossen wirkenden Ensemble seien zumindest noch Francesca Provvisionato als ausdrucksstarke Kaiserin Ottavia sowie Hans-Jürgen Lazar mit komischen Gegenakzenten für Poppeas Amme Arnalta genannt. Insgesamt: ein (Wieder-)Gewinn für das Repertoire der Frankfurter Oper.

GERHARD SCHROTH