19. Oktober 2002

W.A. Mozart: Die Zauberflöte
Alles sympathisch - Wärme und Kälte, Iglus und Druiden. Cesare Lievi inszeniert

„Die Zauberflöte" ist eine Oper der Gegensätze. Gut und Böse, Vernunft und Mysterium, Frauen und Männer, elitäres und einfaches Volk streiten miteinander, gewürzt durch freimaurerisches und aufklärerisches Gedankengut. Das lag 1791, zwei Jahre nach der französischen Revolution, auch in Wien in der Luft. Regisseure aller Zeiten fühlten sich bei dieser beliebtesten Oper des Repertoires herausgefordert, sich auf oder gegen eine der Seiten zu stellen. Cesare Lievi aber sortiert alles in zwei gleichermaßen sympathische Welten: eine rote und eine weiße. Rot ist Liebe und Wärme, aber auch – bis in die Kleidung dieser Partei hinein – die schrill irrationale Sphäre der sternflammenden Königin. Weiß dagegen signalisiert Schnee und Eis. In dieser kühlen Welt ist auch das gleißende Licht der Vernunft zu Hause. Aus Prüfungstempeln werden Iglus, aus Priestern graue Druiden, umgeben von monströsen Schneefiguren hier oder rauhreifstarren Bäumen dort.

Tamino ist wohl ein Kind, das neugierig lernen möchte, in welche Welt er da geraten ist. Also sitzt er in der Schule, einer schrägen Traumwelt (Bühne: Csaba Antal). Leibhaftig erscheint die Königin der Nacht im Fenster. Auch später sitzen die Vernunftprüflinge in der Schule, an vereisten Pulten, während Paminas und Taminos Mut- und Tugendprobe darin besteht, nicht von spitzen Zeichendreiecken aufgespießt zu werden. Zwingend, schlüssig oder spannend ist das alles nicht; weder steht die krude Ideologie des Stücks auf dem Prüfstand noch das Märchenhaft-Spielerische des Singspiels. Es wird viel gestanden, gesessen, geschritten. Der gesprochene Text korrespondiert kaum mit Gestik und Bewegung der Personen, Distanz und Beiläufigkeit sind die Folge. Unfertig wirkt auch das Kostümkonzept (Luigi Perego) – hier ein minutiös ausgestatteter Stammeskrieger Monostatos (Erik Biegel), dort der muntere Papageno (Thomas de Vries), dem man gerade ein paar Fransen auf die Jeans genäht hat.

Auch musikalisch kann der Abend nicht überzeugen. Wolfgang Ott wählt recht einförmige, uninteressante Tempi. Der Ouvertüre bereits fehlt Esprit, der Priesterwelt Würde und Pa-thos. Das Orchester spielt erstaunlich unsauber. Cornelia Götz ist die in den Spitzentönen sichere Königin der Nacht, Annette Luig eine stimmlich kühle Pamina. Guido Jentjens’ Jugendlichkeit wird nicht genutzt, um den Satrastro einmal aus seiner altväterlichen Betulichkeit zu losen. Pech für die Aufführung, daß Christoph Gentz den Tamino aus dem Or-chestergraben singen muß, weil auf der Bühne Andreas Scheidegger indispositionshalber nur markieren kann. Vorzüglich immerhin die drei Knaben des Mainzer Domchores. Das Publikum teilte die spürbaren Distanz aller Beteiligten zum Stück und reagierte verschnupft und zögerlich.

Andreas Bomba
http://www.andreasbomba.de

 

Wiesbadener Tagblatt
21. Oktober 2002

Auch musikalisch ist die Wiesbadener, von Wolfgang Ott geleitete „Zauberflöte" auf der sicheren Seite: Fulminant wie bei Händel klingen die Chöre; auch optisch prachtvoll herausgeputzt sind die „drei Damen", die vom Mainzer Domkapellmeister Mathias Breitschaft einstudierten Domsingknaben („Drei Knaben") leisten Beachtliches. Erfreulich auch die angenehm homogene Solistengruppe: Annette Luig ist eine „klassische", herzallerliebste Pamina mit wunderschön wallendem blondem Haar und schönem Sopran; Thomas de Vries ist als Papageno der glaubhafte, witzige Inbegriff des lebensfrohen Naturburschen. Guido Jentjens, ein überaus imposanter „Eisheiliger", singt den Sarastro mit profundem, volltönigem Bass; und Cornelia Götz, furiose, blutrot gewandete Königin der Nacht, ihre Höllenarie dynamisch sehr zurückgenommen, aber bravourös und mit präzisen Intervallen.

 

Frankfurter Rundschau
21. Oktober 2002

Verdienter Publikumsliebling war der Wiesbadener Neuzugang Thomas de Vries als pubertär-trotziger Papageno, dem Thora Einarsdottir als Papagena eine ebenbürtige Partnerin war.