mannheimer morgen
10 April 2001

MUSIKTHEATER: "Don Giovanni", inszeniert von Matthias Schönfeldt, dirigiert von Adam Fischer, in Mannheim
Auf der Feinripp-Fete oder:
Mozart, auf die Matte gelegt

Von Stefan Koch

Wer in die Küche geht, muss Hitze aushalten können, so der Volksmund. Mannheims Oper ging an den Herd, war aber erschrocken, wie scharf Regisseur Matthias Schönfeldt den "Don Giovanni" angebraten hatte. So gab es zuvor magenbesänftigende Appetithappen: Verheißungen über einen ganz "modernen" Mozart, und zur Generalprobe wurde gar die Mannheimer Polizei empfangen, zwecks Geschmackstest. Denn Schönfeldt konnte nicht umhin, eine Handvoll Schutzmänner auf der Bühne zu platzieren, die, deutlich angeheitert, dem erotomanischen Berseker nachstellen. Es soll jedoch keine ermittlungsrelevanten Anhaltspunkte wegen Vergehens gegen die polizeiliche Berufsehre gegeben haben.

Das alles verrät wenig Souveränität. Es ist ja nicht so, dass in Mannheim zum ersten Mal eine "moderne" Inszenierung zu sehen ist. Wobei die Kategorie "modern" eh fragwürdig ist. Lassen wir's lieber bei ge- oder misslungen. Und hier liegt Matthias Schönfeldt im unteren Mittelfeld. Den Durchfall, den ihm das Publikum signalisierte, hat er so dann doch nicht verdient; aber zufrieden ging auch der nicht heim, der sonst für unkonventionelle Sehweisen ein offenes Auge hat.

Matthias Schönfeldt wollte den "Don Giovanni" entrümpeln von der idealisierenden Rezeption des 19.Jahrhunderts, die in dem Wüstling einen Faust der Liebe sah. Er siedelt das Werk dafür in der Tradition des Schurkenstücks an. Dass waghalsiges Jonglieren mit Gefühlen jedoch immer, also auch heute, die Seelen knechtet, darin sieht Schönfeldt die Überzeitlichkeit von Mozarts Werk. Also zeigt er uns auch Menschen von heute.

Menschen, wie sie umeinander leiden in Birgit Angeles zunächst sparsam möbliertem Bühnenraum, der in halber Höhe von einem Umgang umrundet wird, welcher in einen nach vorne offenen, großen Holzkasten mündet. Er dient zunächst als Requistenlager. Aus ihm heraus purzeln durch eine Öffnung im Boden die szenischen Accessoires auf eine dicke blaue Matte, wie sie Stabhochspringer benutzen: ganze Bäume, Stehlampen, Plastikstühle, Blechkästen, zum Schluss ein Sarg, in den unser Don zum Höllensturz hineinklettert. Immer mehr ähnelt die Bühne einem Sperrmüll-Lager, denn alles sammelt sich auf ihr an: die Theke, an der Giovanni und Leporello einen trinken, während Donna Elvira - noch unerkannt - an einem der Tische den Stadtplan zu Rate zieht, zwecks Suche nach dem Domizil des Ungetreuen; die Duschkabine, in der Don Ottavio Körperpflege betreibt, während sich die verlobte Anna des anarchischen Lüstlings auf jener Matte halbherzig zu erwehren sucht - Leporello greift zum Ätherschwamm, um den braven Bräutigam auszuschalten. Ab da wird der edle Schwärmer nur noch im blauen Strickpulli mit braunen Hosen (Kostüme: ebenfalls Birgit Angele) herumlaufen - ein Glas Wasser, der Mann.

Auch die Sauna, in der Don Giovanni und Leporello ihrem schweißtreibenden Schaffen den letzten Kick verpassen, bleibt uns erhalten, sie dient später als Treppe zu besagtem Umgang, der eben für mancherlei Umgänge nützlich ist – auch für die Platzierung der Bühnenmusiker im ersten Finale, der Tanzszene, einer der genialsten Episoden des abendländischen Musiktheaters überhaupt. Und hier, erst hier, wird die Inszenierung billig. Denn Schönfeldt führt vorher seine Figuren sehr genau, leuchtet auch subtil in ihre Seelen, deren Kompasse sich auf Don Giovanni richten, wobei er streckenweise hoch virtuos die Balance zwischen Komischem und Tragischem bewältigt. Doch wenn es zum Fest im Schloss gelbe Ballon-Sessel vom Schnürboden regnet, sich darauf besagte Chor-Polizisten räkeln und zwischen Feinripp-Unterwäsche und Räkelein unter Bettlaken sich eine Ästhetik breit macht, wie sie RTL-2 zu Mitternacht verbreitet, geht das Niveau steil nach unten. Ich weiß, ich weiß: Wir haben heute keine Ständegesellschaft mehr, die bei Menuett, Contre- und Teutschem Tanz die Schranken einreißt. Stattdessen lässt Schönfeldt die Spießer saufen und huren. Aber hinter dem Wirbel, mit dem Mozart die Welt des 18.Jahrhunderts revolutionär auf den Kopf stellte, bleibt diese bemühte Swingerclub-Akrobatik weit zurück.

Dass der Regisseur im langen zweiten Akt (gespielt wird ein Mix aus der Prager und Wiener Fassung, also mit beiden Ottavio-Arien plus dem Duett Zerlina-Leporello) sich auf das nicht ungeschickte Arrangement der Szenen beschränkt, beruhigt ein wenig, rettet die Inszenierung aber nicht wirklich. Zumal nicht mit diesem Schluss, wenn Herr Professor Komtur den Chefarzt-Kittel ablegt, um Giovanni als Leiche einzukleiden, bevor dieser in den Sarg klettert. So wenig Hölle war selten.

Die entfacht hier die Musik. Adam Fischer hat sich für seine erste Mannheimer Mozartproduktion viel vorgenommen:

Das Orchester wurde im Blech und bei den Pauken mit "historischem" Instrumentarium ausgestattet, man spielt im hoch gefahrenen Graben, manche Solisten musizieren gar auf der Bühne, und das alles nach den aufführungspraktischen Vorgaben, wie Fischer sie verficht. Also: ein auf kontrastreiche Farbigkeit, plastische Artikulation und Transparenz gestelltes Klangbild mit spinnwebfeinen Streichern, erlesen ziselierenden Holzbläsern und scharf dreinfahrendem Blech.

Man kann nur Hochachtung davor haben, mit welch konzentriertem Einsatz das Nationaltheater-Orchester Fischers Vorstellungen folgt, auch wenn vielleicht die Klangbalance hier und da noch zu verbessern wäre. Etwa beim Blech, wenn es das Höllen-Forte zu ernst nimmt. Aber Fischers Dramaturgie der Tempi, die kostbar formulierten Übergänge, die Differenzierungen zwischen lyrischer Emphase, perlendem Buffo-Ton und tragischer Erhabenheit, verfangen. Fischer musste sich zum Schluss einigen kräftigen Buhs stellen - zu Unrecht. Mozart wird heute so musiziert. Nun auch hier, und das ist gut so.

Sängerisch befindet sich Mannheims neuer "Don Giovanni" auf ebensolch hohem Niveau. Der Lorbeer gebührt hier Christoph Strehl für seinen Don Ottavio, den er mit hoch kultivierter Stilistik und makellosem lyrischem Schmelz singt. Gast als Donna Anna ist Fiorella Burato, ein Sopran von einnehmender Farbigkeit und Ausstrahlung, allerdings auch mit ein paar technischen Unzulänglichkeiten im "Crudele!" des zweiten Aktes. Die Elvira ist mit einem Mezzo besetzt, was dem Trio der gedemütigten und herzensverwirrten Damen zusätzliche Farbe verleiht. Christiane Iven gibt die unglückliche Ex des Don als selbstbewusste Heldin im Hosenanzug, stimmlich bis auf ein paar Höhenschärfen gradwegs berauschend. Und Marina Ivanova ergänzt als Zerlina den Frauenklang des "Don Giovanni" mit narkotisierender vokaler Schmeichelei, der Masetto (gewohnt markant: Pawel Czekala) denn auch, wer wollte es ihm verdenken, hingebungsvoll erliegt.

Hingabe an die Lust ist ja auch Giovannis Plaisir, dass dies in seinen letzten zwei Arbeitsnächten nicht so recht klappt, ein Thema des Stücks. Mikel Dean gibt den Gefühlsbanditen mal als tänzelnden Dandy, mal in Hausjacke beim Tee, dann als Trapper, wenn er mit Leporello die Kleider tauscht. Ein Chamäleon der Charaktere -Mikel Dean kann das wie kein anderer, und sein prachtvoll-kräftiger, auch geschmeidig-viriler Bariton verleiht diesem Derwisch der Lüste jene verruchte Eleganz, der alle erliegen. Auch Leporello, den Peteris Eglitis als Kumpanen zeichnet, dessen vierschrötige Zotteligkeit allerdings in diametralem Gegensatz zu seiner Stimme steht, vor allem, wenn er die Registerarie Elvira ins Ohr flüstert: sein Bariton, an sich wohl disponiert, ist zu klein für das Haus. Im Gegensatz zum Bass von Mihail Mihaylov, der als Komtur ein wahres Höllengrollen ertönen lässt.

Zum Schluss, wie zu erwarten, ein Gewitter aus Zustimmung für die Mitwirkenden (auch für den von Wolfgang Balzer einstudierten Chor) und Buhs für das Szeniker-Duo Schönfeldt/Angele - alles kurz, aber heftig. Im Widerstreit der Meinungen wird dieser "Don Giovanni" irgendwo seinen Platz finden, als Aufbruchssignal für den neuen Mozart-Zyklus ist er szenisch eher zwiespältig.

Die nächsten Aufführungen am 11., 18. und 27. April; Karten unter 0621/1680-150.

© Mannheimer Morgen 2001

 

Darmstädter Echo
12 April 2001

Mozarts "Don Giovanni" in Mannheim
Ein Gossen-Casanova

Von Sigrid Feeser

Gute dreieinhalb Stunden dauert die Neuinszenierung von Mozarts "Don Giovanni" am Mannheimer Nationaltheater –danach verlässt man das Haus auf schwerem Fuß, und mit einem von spaßigen Einfällen zugemüllten Kopf. Inszeniert hat Matthias Schönfeldt, Klamotten und Sperrmüll-Ausstattung hat Birgit Angele bereitgestellt.

Die Requisiten - Sitzmöbel, Tische, Topfpflanzen, Sarg und Kisten - sind in einer Art Hängeboden rechts oben gestapelt und werden bei Bedarf von sportbehosten Statisten krachend durch ein Loch nach unten geworfen, einschließlich der Donna Elvira, die eine Turnmatte vor dem Genickbruch schützt. Don Ottavio betreibt Körperpflege in der Duschkabine, kann also nicht sehen, wie der Schwiegervater in spe liquidiert wird, zumal Leporello ihm noch einen chloroformgetränkten Lappen aufs Gesicht drückt. Unterdessen läuft Don Giovanni im gestreiften Altmänner-Schlafanzug auf der Bühne herum; da hilft wirklich nur der Lichtschalter, der Mann ist zum Abgewöhnen unerotisch.

Der vollständige Titel nennt ihn einen "dissoluto", also einen Liederlichen, Schamlosen, im weiteren Sinne auch einen dem Zerfall Entgegengehenden. Das ist Schönfeldts Gossen-Casanova nun gerade nicht. Leider bleibt vom modischen Spaßterror der Regie nach einer Weile nur noch der Terror übrig und nach der Pause nicht einmal mehr der, denn da ist die Luft aus der Luftblase entwichen. Die finale Höllenfahrt? Banal einfallslos: Der Schlimme bekommt das Leichenhemd des Komturs übergezogen und muss in die Kiste. Auf der Bühne eine Inszenierung wie von Endemol, im hochgefahrenen Orchestergraben das hörbare Ringen um "authentischen" Klang.

Das von Adam Fischer erzielte Ergebnis bleibt mäßig, nach der Pause wurde der Generalmusikdirektor bei der Premiere von einem eindrucksvollen Buhsturm empfangen. Schnaufender Hornton, bretthart geschlagene Pauken und eine ein bisschen andere Spielweise ergeben zwar eine säuerlich-bemühte Retrospektion, aber keinen dramatischen Atem. Immerhin, Christoph Strehl singt einen Don Ottavio, der auf sehr gutem Weg ist, und Mihail Mihaylov orgelt den Komtur mit der gewohnten bassgewaltigen Zuverlässigkeit.

Weitere Vorstellungen am 18. und 27. April.

© Darmstädter Echo 2001