Oper&Konzert
Februar 2001

Radikales Musiktheater

Wolfgang Rihms "Eroberung von Mexico" ist ein radikales Stück Musiktheater. Auch die Frankfurter Premiere bestätigt den Ausnahmecharakter dieses Bühnenwerkes. Musikalisch ist die Aufführung von hohem Rang. Die Inszenierung kann dem komplizierten Stück nicht gerecht werden.

Die Begegnung des aztekischen Kaisers Montezuma mit dem spanischen Eroberer Cortéz hat viele Künstler inspiriert. Montezuma trat dem Fremden fast wohlwollend gegenüber. Das kostete ihn seine Macht und sein Leben. 1521, ein Jahr nach seinem Tod, war das riesige, reiche Aztekenreich in spanischen Händen. In Wolfgang Rihms "Die Eroberung von Mexico" sind die historischen Vorgänge mehrfach gefiltert. Der 1952 geborene Komponist hat aus theatertheoretischen Texten von Antonin Artaud, einem Gedicht von Octavio Paz und alter mexikanischer Lyrik ein ungewöhnliches "Opernlibretto" zusammengestellt. Kaum 15 großzügig bedruckte Seiten reichen ihm für gut zwei Stunden konzentriertes Musiktheater.

Montezuma und Cortez sind also nur Symbole. Rihms Aussage geht über die historischen Fakten weit hinaus. Es geht um die Begegnung zweier Kulturen, zweier Religionen, zweier Weltanschauungen. Es geht um Unverständnis und auch um die Unmöglichkeit der Liebe. Es geht nicht zuletzt um den Konflikt des Weiblichen mit dem Männlichen. Montezuma ist eine Partie für Mezzosopran, Cortez ein Bariton – ganz "typische" Stimmlagen also.

Wolfgang Rihm ist einer der bekanntesten Komponisten unserer Zeit. In den 70-er Jahren machte seine Musik noch Skandal. Heute wird sein Rang nicht mehr bestritten. Seine Werke werden in den musikalischen Zentren der Welt aufgeführt. "Die Eroberung von Mexico" wurde seit der Hamburger Uraufführung 1992 in Ulm, Innsbruck, Nürnberg und Freiburg inszeniert. Rihms Musik ist sehr vielschichtig und umfassend. Die Musiker quellen geradezu aus dem Orchestergraben. Im Zuschauerraum sind weitere Musiker verteilt. Das geschieht nicht aus Platznot. Es ist Bestandteil der Komposition. Der Raum ist voller "Klanginseln", auch aus Lautsprechern tönt Rihms Musik. Montezuma und Cortez sind nicht nur Einzelstimmen. Sie werden jeweils von zwei weiteren Stimmen umgeben und zur Klangskulptur (Rihm) verstärkt. Die so entstehende Klanglandschaft ist faszinierend. Es ist wahrlich keine leichte musikalische Kost, aber die Musik birgt auch viele Schönheiten.

Der Dirigent Markus Stenz kann mit Neuer Musik umgehen. Er kontrolliert präzise den umfangreichen Apparat und die komplizierten Klänge. Stenz lässt sich nie aus der Ruhe bringen. Seine Zeichen sind präzise, und er gibt der Musik und den Sängern den notwendigen Raum. Dem eigenen Ensemble traut die Frankfurter Oper dieses Stück offenbar nicht zu. Alle Gesangspartien werden von Gästen gesungen, vom Band hört man den Chor der Hamburger Oper. (Vielleicht hatten die eigenen Leute mit der kommenden Verdi-Premiere genug zu tun?) Annette Elster hat den Montezuma schon 1994 in Nürnberg gesungen. Sie beherrscht die komplizierte Partie souverän und klangschön. Ein guter Sänger ist auch David Pittman-Jennings (Cortez). Er beginnt mit viel Kraft, die allerdings nicht ganz bis zum Ende reicht. Die extremen Begleitpartien für Montezuma werden von Caroline Stein (Sopran) und Elizabeth Laurence (Alt) makellos gesungen.

Beträchtlicher Bühnenaufwand und allerlei Beleuchtungs-Zinnober können die Ratlosigkeit oder Unlust von Regie und Ausstattung nur notdürftig verdecken. Die Inszenierung von Nicolas Brieger wirkt wie ein Sammelsurium von Regie-Versatzstücken der letzten zwanzig Jahre. Einige beeindruckende Szenen reichen nicht, um dem Spannungsbogen der Musik etwas Gleichrangiges gegenüberzustellen. Besonders die folkloristisch inspirierten Kostüme von Jorge Jara verfehlen den zeitlos-umfassenden Anspruch des Werkes. Die Bebilderung von Rihms Musik bleibt oberflächlich.

"Die Eroberung von Mexico" ist eine Premiere im Rahmen der Reihe "Klangfiguren". Die Oper Frankfurt wird bis 2004 wichtige Musiktheater-Werke unserer Zeit aufführen. Leider sind die Aufführungsserien sehr kurz. Nach einigen Vorstellungen verschwinden die mühevoll einstudierten Opern vom Spielplan.

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