Frankfurter Rundschau
09.10.2000

Menschen im Hotel
Giuseppe Verdis "Falstaff", neu an der Oper Frankfurt

Von Hans-Klaus Jungheinrich

Bunt und passager wie das Leben ist das Leben im Hotel, das darum bestens zur Lebens-Metapher taugt; mit dem Roman Menschen im Hotel (einer idealtypischen Filmvorlage) schuf Vicky Baum denn auch so etwas wie die Allegorie mondäner Unbehaustheit, ein Abenteuerbuch ambulanter Existenzen und zufälliger Begegnungen.

Falstaff, die letzte Oper Verdis, scheint obenhin nicht mehr als das närrische Porträt eines gefoppten Dickwanstes und Saufaus. Doch die vermeintliche Harmlosigkeit transzendiert bereits bei Shakespeare zu naturtheatralischer Überhöhungsmaskerade und bei Verdi (sowie seinem ingeniösen Librettisten Arrigo Boito) gar zur alt- und großmeisterlichen Fugenkrönung unter dem Motto "Alles ist Spaß auf Erden". Das meint freilich nicht läppisch "Spaßgesellschaft", eher Vanitas. Tutti gabbati! Das Lachen der (betrügend) Betrogenen. Falstaff: Welttheater; Lebenstheater.

Zur Frankfurter Neuinszenierung der singulären Buffa (als ihr einziges Nachfolgestück von Rang könnte Puccinis Gianni Schicchi gelten) baute Hans Dieter Schaal ein ebenso fabelhaftes wie funktionales Bühnenbild: das Interieur eines Hotels, großzügig und detailreich, mit diversen Nischen, Alkoven, Balkonen, Ecken, Türen für die allfälligen Intrigen. In der rechten Hälfte, der Lobby, residiert vornehmlich der Titelheld, zumeist gemütlich auf bequemem Möbel lümmelnd. Links betreibt Alice Ford einen Schönheitssalon, in dem sie offenbar auch einen Teil ihres bei aller Biederkeit aufgekratzten Privatlebens abwickelt. So bieten sich auf einheitlichem Schauplatz geschwinde und gleitende Übergänge. Das Prinzip der durchmischten Sphären ist von den Opernautoren im vorletzten Bild sogar selbst vorgegeben: Falstaffs finale Animation wird von den Drahtziehern, zu denen dann neben den "lustigen Weibern" auch der Ehemann Ford gehört, aus der Distanz überwacht.

Kehraus mit Totentanz-Touch

Das Problem in dieser unifizierenden Darstellung ist das Schlusstableau, die Feerie im Park von Windsor mit ihrem zwischen Fadheit und Phantasmagorie changierenden Mummenschanz. Dass der Elfenspuk Schnapsgeruch atmet, merkt alsbald auch der ernüchterte Liebesträumer Falstaff. Die Regisseurin Katrin Hilbe (Falstaff ist ihre erste große Opernarbeit) findet eine elegante Lösung. Schaals Hotelkulisse kehrt nach kurzer Lichtpause wieder, lediglich um einige Outdoor-Elemente (Grasbüschel) bereichert, die den zuvor schon angedeuteten Trend zur Verwahrlosung des Hauses (in der Hotelhalle ist ein Spalt entstanden, durch den am zweiten Aktschluss der Wäscheständer samt Falstaff ins Wasser gekippt wird) fortsetzt. Falstaffs Spukstunde gerät dabei gleichsam zum Kehraus einer ortlos, weltlos vagierenden Gesellschaft, die ihre Herausgeschmissenheit feiert, eine fulminante Derniere mit leisem Totentanz-Touch. Und das Spießrutenlaufen und die drastischen Torturen, die Falstaff über sich ergehen lassen muss (behandelt auch von glatzköpfigen Folterern), bereiten mehr als nur ein gelindes Gruseln.

Auffällig, aber nicht aufdringlich eingedunkelt dann auch die Schlussfuge, mehr sarkastisch als dithyrambisch-versöhnlich. Tutti gabbati: Das wendet sich auch gegen den im Hintergrund auftauchenden neuen Investor und Hausherrn, der die heruntergekommene Immobilie mit Sanierungsplänen aufzumöbeln sich anschickt. Auch unter seiner Ägide wird das Hotel-Leben nicht dem Kreislauf der Vergänglichkeit entgehen.

Katrin Hilbes Interpretation respektiert mithin den Tiefsinn und die insgeheime Trauer des Alterswerkes. Dabei wird das Komödiantische durchaus nicht vernachlässigt. Die Frauen gehen in der erotischen Anmache scharf heran. Elena Zilios stimmlich voluminöse Mrs. Quickly agiert keineswegs bloß als schlichte Botin; sie sorgt bei der Anwärmung Falstaffs auch gehörig für eigene Echauffage. Und die gertenschlanke Alice von Dunja Simic geht im lächerlich-lästerlichen Rencontre mit dem übergewichtigen Verehrer gerade eben so weit, wie eine anständige Dame gehen kann, die auch im Verfänglichsten noch anständig zu singen vermag. Ohne solche verwickelten Involviertheiten dürfen Barbare Zechmeister (Nanetta) und Claude Pia (Fenton, hier sinnfällig als für elterliche Heiratsabsichten wenig attraktiver Hotelkellner gezeichnet) ihre lyrischen Gesänge absolvieren. Weitere ensemblestarke Figuren: Nidia Palacios als Mrs. Meg Page und Hans-Jürgen Lazar als glückloser Bräutigam Dr. Cajus. Die prallen Dienergestalten und Lungerer Bardolfo und Pistola: Peter Marsh und Carlos Krause.

Zeljko Lucics Mr. Ford hat im 3.Bild einen die Komödiengrenzen sprengenden, in seelische Verstörung hineinreichenden Monolog (der wagnerinfizierte Verdi schrieb hier alles andere als eine "Arie", nämlich ein Puzzle kleingliedrig-additiver, disparater vokaler Regungen), der sich sozusagen mit äußerster Mühe am Rand von Ausbruch und Katastrophe verhält. Lucic blieb an diesem Punkt vielleicht eine Spur zu gebremst, verschenkte damit die Größe auflodernder Eifersuchts-Dämonie, sozusagen unterm Hemmnis des bürgerlich-neuzeitlichen Outfits, das die Kostüme von Angelika Rieck allenthalben so hotelgerecht-passformatig herstellten. Auch Falstaff war da natürlich kein barocker Ritter, und auch zum Stelldichein brauchte er sich nicht pfingstöchsig umzukleiden, ein paar Spritzer aus dem Duftfläschchen mussten genügen. In seinem Rollendebut war Roberto Frontali, auffällig hell timbriert und schlank intonierend, kein sonderlich aufgezwirbelter und bizarrer, eher ein zurückgenommener und liebevoll dem Phlegma seiner (mäßigen) Leibesfülle gehorchender Sir John, ein beinahe noch jugendlich anmutender Lebemann mit flottem weißen Anzug und Rothemd.

Der klischeefrei interessanten, vielfältig ausgeleuchteten Szenographie korrespondierte die sorgfältig präparierte musikalische Wiedergabe unter der Direktion von Paolo Carignani. Sie war um Lockerheit und Genauigkeit gleichermaßen bemüht. Insgesamt schien sie aufs subtil Pointierte, im Behutsamen Abgetönte hingelenkt. Recht minuziös waren die rhythmischen Intrikatheiten zumal der Ensembles herausgearbeitet (etwa die Triolen der Frauen gegen die Quartolen der Männer im 2. Bild). Ein geringeres Faible ließ Carignani erkennen für die plötzlichen, dreinfahrenden Momente der Musik. Schon die Tutti-Schläge des Anfangs gerieten eher schlenkernd als rabiat, und auch manches in der sängerischen Diktion (Falstaff "philosophiert" über Welt und Ehre ähnlich zynisch wie Jago) hätte noch angespitzt werden können. Chor und (Museums-)Orchester beteiligten sich sicher. Ein durchweg runder Saison-Auftakt.

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Dokument erstellt am 08.10.2000 um 21:15:24 Uhr
Erscheinungsdatum 09.10.2000

 

Aus: DDB 1/2001

Verdi feiern. Gelegentlich.


von DETLEF BRANDENBURG

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Tutto nel mondo è burla

Wir haben uns in den Anfangsmonaten dieser Saison ein wenig umgeschaut und tragen hier Eindrücke zum Stand der Verdi-Interpretation zu Beginn des Gedenkjahres zusammen. Dies natürlich nicht im getragenen Ton ehrenden Angedenkens, denn noch mit seinem letzten Bühnenwerk hat uns der Meister ja ans Herz gelegt: "Tutto nel mondo è burla"! Und wenn dieser Satz am Frankfurter Opernhaus erklingt, wo der Generalintendant und der Generalmusikdirektor im vergangenen Herbst in edler Erbitterung über die Details der dienstlichen Kleiderordnung stritten, zeugt das zumindest von einer gesunden Selbsteinschätzung. Sonst allerdings zeugt die Frankfurter "Falstaff"-Inszenierung der jungen, schon international erfahrenen Regisseurin Katrin Hilbe von nicht allzu viel.

Wir finden uns in einer Hotelhalle von heller Marmorkühle wieder. Unten sieht man Restspuren von Vornehmheit, schon auf der Empore beginnt der edle Gammel, und in der Decke klafft ein Loch, das von Akt zu Akt größer wird. Manches Hotel in Osteuropa bröckelte vor Jahren so dem Ruin entgegen, und in den Foyers mochte man damals tatsächlich solchen Desperados begegnen wie Falstaff und seiner Dienerschaft, oder solchen Gestalten von verblichener Vornehmheit, wie sie Katrin Hilbe dann und wann durch dieses merkwürdige Foyer wandeln lässt: Seilschaften derer vielleicht, die einstmals herrschten und plötzlich nichts mehr zu sagen haben. Das würde zu Falstaffs sozialer Stellung passen. Doch die Assoziation bleibt im Ungenauen, das Thema der "Wende" wird nicht durchgeführt, es marthalert nur so ganz im Allgemeinen ein wenig in diesem schönen Raum von Hans Dieter Schaal und in den Kostümen von Angelika Rieck. Hübsch ist, wie Katrin Hilbe mit immer neuen Nebenfiguren immer neue kleine Geschichten von Ankommenden und Abgehenden erzählt. Die große Geschichte von Falstaff aber bleibt blass. Wer ist dieser abgehalfterte Casanova im blutroten Hemd und weißen Anzug, wofür steht Ford, der wuchtige Herr im blauen Dreiteiler? Man weiß es nicht.

Am ehesten noch zündet die Musik, die der GMD Paolo Carignani mit Sinn für die richtigen Verdi-Tempi und die differenzierten Stimmungslagen in diesem vielschichtigen Spätwerk einstudiert hat. In der von uns besuchten Vorstellung gab der junge Johannes Debus, Solorepetitor am Opernhaus, den vielgestaltigen Facetten geschliffene Kontur und brachte so Verdis kleinteilige "Falstaff"-Musik zum Funkeln. Die Titelpartie sang Roberto Frontali mit heldenbaritonaler Schlankheit, allerdings klang manches recht hart und eng. In den anderen Partien nicht mehr als Durchschnitt - guter Durchschnitt im Falle von Zeljko Luci´c als Ford: ein vollklingender, dunkler, schmiegsamer Bass von erheblicher Ausdruckskraft. Alles in allem: Verdi-Alltag in Frankfurt - und im Alltäglichen können auch kleinere Bühnen ernsthaft konkurrieren.

[...]

http://www.die-deutsche-buehne.de/akt/verdi.htm

 

Strandgut
0011

Katrin Hilbe inzeniert FALSTAFF
Reverenza: Die Falstaff-Comedy

Eine verkommene Hotelhalle. Der feiste Falstaff (Roberto Frontali) flätzt weintrinkend auf einem Sofa. In einem Nebenraum betreibt die hübsche Alice Ford (Dunja Simic) mit ihrem Mann (all time sexy: Zeljko Lucic) einen Kosmetiksalon. In der Wärme von Dampfstrahlern und Kompressen gedeihen Intrigen wie exotische Pflanzen. Falstaff liefert mit gleichlautenden Liebesbriefen an Alice und ihre Freundin Meg (Nidia Palacios) einen Keimling..

Die Damen sind sich einig: Der Mann muß auf das ihm zustehende Format zurechtgestutzt werden.

"Falstaff" war Verdis letzte Oper. Der Komponist hatte sich damit endgültig von der Nummernoper gelöst und ein vollständig durchkomponiertes Werk geschaffen, das mit einer bemerkenswerten Doppelfuge endet. Ganz leicht hatte es die Oper nie. Sie bietet keinen Sympathieträger. Alle Personen zeigen sich mit ihren guten und schlechten Eigenschaften. Falstaff verabscheuen? Ja, schon, aber wenn er naß aus dem Graben klettert, kann er einem schon leid tun. Die Frauen bewundern? Ja, eigentlich schon, aber warum müssen sie dem am Boden liegenden Falstaff noch einen derben Nachtritt verpassen? Mr. Ford bedauern? Eigentlich schon, aber er ist lächerlich in seiner zitternden Eifersucht und dem väterlichen Pathos.

Die junge Regisseurin Katrin Hilbe hat einen vitalen Falstaff inszinert. In einem baufälligen Hotel - Bühnenbild: Hans Dieter Schaal - findet das Verwirrspiel statt, gespikt mit verrückten Details. Im Kosmetiksalon tanzen die Frauen im Funk-Style zu ihren Arien. Eine Gruppe Koreaner, vom Fremdenführer mit wedelndem Landesfähnchen begleitet, filmt die Suche nach Falstaff. Mrs. Quigly verschwindet mit dem wiederauferstandenen Falstaff und Alice Ford setzt ihr nach. Die Sänger haben deutliche Freude am Klamauk, auch wenn bei Mrs. Quigly die Freude ein wenig ins Kraut schießt. Katrin Hilbe ist es gelungen, die Sänger von der Rampe wegzuholen und in eine Geschichte zu stellen.

Aber was macht Paolo Carignani, der musikalische Direktor? Im ersten Akt erschlägt er die Sänger mit dem Orchester. Im zweiten und dritten Akt hat er seine Musiker besser unter Kontrolle, leider verwischen ihm einige Einsätze, so daß Gesang und Orchester leicht zeitversetzt aneinander vorbeirauschen. Vielleicht haben die Auseinandersetzungen mit dem Intendanten sein Selbstbewußtsein als Künstler aufgerauht? Er sollte sich von "Falstaff", einer Oper über eine Intrige mit kleineren Nebenintrigen, inspirieren lassen.

Wozu hat er denn einen Taktstock! Wen könnte er alles damit pieksen! Sie standen doch alle im Schlußchor und sangen laut mit bei den Worten: "Doch wer zuletzt noch lachte, hat am besten gelacht".

Dr. Hans-Bernhard Nordhoff mit der Duschhaube auf dem Kopf, um nicht ungeschützt im Regen zu stehen; Dr. Martin Steinhoff mit dem ausgestopften Wanst und dem angeklebten Seeräuberbart, um bedrohlicher zu wirken und Petra Roth, die ihren Einsatz verpaßte und sich Fliegengaze über das Kostüm zog, um nicht erkannt zu werden.

Ulrike Krickau

FALSTAFF
Oper von Giuseppe Verdi
Oper Frankfurt