Frankfurter Rundschau
25 November 2000

"Barockmusik ist durch und durch strukturalisiert"
Rinaldo Alessandrini, führender Barockmusiker Italiens, erarbeitet an der Oper Frankfurt "L'Incoronazione di Poppea"

Das Projekt ist mutig und innovativ: Die Oper Frankfurt spielt "Die Krönung der Poppea", ein Werk, das fast nie gespielt wird und die Letzte der drei überlieferten Opern von Claudio Monteverdi, der als Geburtshelfer der Gattung Oper gilt. Dirigieren wird Rinaldo Alessandrini, ein Spezialist für Alte Musik, der mit seinem Originalinstrumente-Ensemble "Concerto Italiano" dem Barock seines Landes wieder seine Italianitá zurückgegeben hat: Mit dem Dirigenten und Cembalisten sprach FR-Mitarbeiter Stefan Schickhaus.

FR: 20 Jahre ist es her, dass Nikolaus Harnoncourt alle drei Monteverdi-Opern in Zürich herausbrachte, eine Pioniertat damals. Im Opernorchester dort musste er deswegen noch nach Freiwilligen suchen, die dieses verrückte Vorhaben mitmachten. Wie stehen heute Opernmusiker dazu?

Rinaldo Alessandrini: "Poppea" ist eine Oper, die eher im szenischen und sängerischen Bereich herausfordert, nicht im instrumentalen. Auch arbeiten wir hier ja nicht mit einem großen Orchester, von den Streichern sind es nur fünf Musiker, einer pro Stimme.

Das Opernorchester ist in seiner Struktur ein Orchester des 19. Jahrhunderts, zwangsläufig müssen da viele Instrumente fehlen, die in der Monteverdi-Zeit gebräuchlich waren, etwa die Zinken. Wie haben Sie diese besetzt?

In der Poppea ist keine genaue Instrumentierung angegeben, Monteverdi hat dazu nichts notiert. Immerhin weiß man, dass in der Krönungs-Szene zwei Trompeten eingesetzt wurden. Aber weder Zinken noch Flöten - im Grunde ist das Orchester ein einziger großer Continuo-Apparat. Was Harnoncourt damals in Zürich machte ist etwas, mit dem ich so nicht einverstanden wäre: Er hat stilistisch zurückgegriffen und ein komplettes Renaissance-Instrumentarium verwendet. Damit lag er zeitlich etwa 50 Jahre daneben, die venezianische Musik dieser Zeit braucht alleine eine Continuo-Gruppe.
Poppea allerdings wird dadurch, dass so wenige Instrumente beteiligt sind, schwer zu dirigieren - vor allem für Dirigenten, die klassische Orchesterarbeit gewohnt sind. Die Probleme stecken hier eben ganz woanders, es sind rhythmische Probleme und solche im Aushalten der Töne.

Wo ist der generelle Unterschied, wenn man als Dirigent mal mit einem traditionellen, mal einem spezialisierten Barockorchester zusammenarbeitet?

Mit letzterem geht es wesentlich einfacher. Diese Originalinstrumente-Orchester nehmen einem einen wesentlichen Teil der musikalischen Arbeit ab: Sie wissen einfach, wie solche Musik zu spielen ist.

Wie zu improvisieren ist, zu figurieren?

Improvisation? Das gibt es nicht bei dieser Musik. Welche Figur ein Continuo-Spieler spielt folgt ganz festen Regeln, da ist Disziplin wichtiger als Invention. Barockmusik ist eine durch und durch strukturalisierte Musik.

Mindestens so wichtig wie die Originalinstrumente sind doch die Stimmen: Sängerinnen und Sänger, die die Gesangstechniken der Zeit Monteverdis beherrschen. Haben Sie hier an der Oper einen Sänger auf der Bühne, der vorher bereits etwa den typischen "trillo caprino", den sogenannten "Bocksgesang, im Repertoire hatte?

Diesen hier? (Macht ihn vor) Nein. Den habe ich ihnen beigebracht.

In dieser kurzen Zeit?

Ja, mehr oder weniger. Natürlich wird dieser Triller dann nicht perfekt, auch im 17. Jahrhundert hat man dafür Jahre studiert und geübt. Kein Sänger kann stilistisch gleich sicher heute eine große romantische Oper und morgen Barockoper singen. Wenn man wie ich als Gast mit einem Opernhaus-Ensemble eine Barockoper einstudiert, kann man nur auf den musikalischen Effekt abzielen.

Sie gelten als der Dirigent und Ensembleleiter, der das Italienische der Barockmusik ihrer Heimat am stärksten betont. Seltsam nur, dass man gerade aus Italien, der Wiege dieser Musik, erst seit höchstens zehn Jahren überhaupt von einer Alte-Musik-Szene hört.

Seit hundert Jahren! Schon in den dreißiger Jahren, als kein Mensch Vivaldi spielte, wurde er in Italien wieder aufgeführt. Ich selbst befasse mich mit Alter Musik seit 1975, seit 1984 besteht mein Ensemble "Concerto Italiano", und auch davor wurde schon in diesem Stil musiziert. Warum diese Entwicklung im Rest Europas nicht früher wahrgenommen wurde, ist alleine eine Frage der Streuung. In Italien gibt es kein wichtiges Schallplatten-Label, und nur über dieses Medium lässt sich eine internationale Verbreitung erreichen. Ohne CDs keine Nachfrage - ich zum Beispiel habe mein erstes Konzert im Ausland erst 1992 gegeben. So musste es zu den etwas diffusen Vorstellungen über die Alte Musik in Italien kommen.

Claudio Monteverdis "Die Krönung der Poppea" hat heute, Samstag, 25.November Premiere, Beginn ist bereits um 19 Uhr.

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