Frankfurter Allgemeine Zeitung
11.09.2000

Das Ensemble Modern Orchestra mit Luigi Nonos "Prometeo" beim "Auftakt" in der Alten Oper
Subjekt im unheilvollen Sog der Geschichte

Von Achim Heidenreich

[...] Der fragmentarische Charakter der verwendeten [...] Bearbeitungen von schwergewichtigen Texten zwischen Antike, Hölderlin, Nietzsche und Walter Benjamin in drei Sprachen unterstreicht Nonos Rückbesinnung auf das nackte, aber nicht ganz chancenlose Subjekt im unheilvollen Sog der Geschichte. Elektronisch austarierte Überschneidungen, atmende Auslassungen, ruhig Erzähltes, kontemplativ Gesungenes und einfühlsam instrumental Gespieltes fügten sich wahrend der Aufführung im Großen Saal der Alten Oper zu einem künstlerisch-ästhetisch verbindlichen Gesamtkunstwerk zusammen [...]

Großartig verhalten ließ das rundum verteilte Ensemble Modern Orchestra von den Balkonen, Emporen und Podien die Musik in zumeist ruhiger Bewegung durch den Raum ziehen. Nach kathartischen Bläser-Eruptionen und einer ständigen Verflechtung der Instrumental- mit den Vokalstimmen wird kurz vor Schluß des "Prometeo" die Musik bis an die Grenze der Hörbarkeit zurückgenommen, damit Nonos Vision vom "Atmenden Klarsein" mit verhaltenen Tontupfern und unmerklich frei fließender Polyphonie um so eindringlicher verklingt. [...] Das Frankfurter Konzert war die dritte Station einer Tournee mit weiteren Aufführungen in Paris, Wien und Mailand.

 

Offenbach Post
09.09.2000

Starker Saisonauftakt mit Nonos "Prometeo" in Alter Oper
Klang in großer Krise

Von Stefan Michalzik

Luigi Nonos "Prometeo" ist eine Klang- und Raumkomposition von einer innerhalb der Musik des 20. Jahrhunderts beispiellosen Monumentalität. Schon was die räumlichen Anforderungen anbelangt, sprengt sie die klassisch-romantische Konzertsituation mit dem Orchester auf der Bühne und dem Publikum gegenüber. [...]

Die Frankfurter Alte Oper, wo das Ensemble Modern Orchestra den "Prometeo" beim "Auftakt 2000"-Festival aufgeführt hat, bietet da mit ihren Seiten-Emporen und dem Balkon gute Bedingungen. Ursprünglich als musiktheatralisches Werk angedacht, zeichnete sich schon bei der Uraufführung von Fragmenten 1981 in Venedig ab, was aus dem "Prometeo" werden sollte: eine Tragödie des Hörens. Der venezianische Philosoph Massimo Cacciari hat das Libretto aus Texten von der Antike bis zur Gegenwart zusammengestellt. Worte von Aischylos, Hölderlin oder Nietzsche werden in Klang umgesetzt. "Tragödie des Hörens", das bedeutet, dass sich die Tragödie im Hören, im Klang abspielt. Nono (1924-1990) begibt sich mit diesem Spätwerk auf ein völlig neues Gebiet. [...]

Nono selbst betonte, er habe sich keineswegs verändert: "Ich will die große, aufrührerische Aussage mit kleinsten Mitteln". In diesem Kontext ist der "Prometeo" zu sehen. Unter Einsatz der technischen Möglichkeiten der Live-Elektronik werden Klänge im Raum umher geschickt. Man hört den Ton einer Sängerin oder eines Instruments, und er wandert in einen anderen Winkel des Saales. Stille ist ein Wesensmerkmal, das kaum weniger wichtig erscheint als der Klang. Dem Unhörbaren nähert sich die Musik nicht selten. Kontrastiert durch vereinzelt gestreute instrumentelle Blitze, vor allem von den Bläsern.

Das auf Orchesterstärke vergrößerte Ensemble Modern verbindet mit dem "Prometeo" eine langjährige Aufführungs-Praxis ("Frankfurt Feste" 1987, Salzburg 1993). Nun hat Dirigent Emilio Pomarico mit Yoichi Sugiyama als zweitem Dirigenten, dem Klangregisseur Andre Richard und dem von ihm geleiteten Solistenchor Freiburg für eine erstrangige Umsetzung gesorgt. Bis in kleinste Nuancen hin ist ein waches musikalisches Bewusstsein zu spüren. Blendender kann eine Saison kaum beginnen.

 

Die Welt
02.09.2000

Prometeo Kraftakt mit etlichen Bildungsspritzen

Von Kai Luehrs-Kaiser

Ein Avantgardewerk, eingeklemmt zwischen Festwochen und Sommerloch. Mit wenig Werbung abgespeist und dennoch von so großem Publikumsandrang gesegnet, dass mit 20 Minuten Verspätung begonnen werden musste. [...]

Ein Glücksfall nicht nur durch die Mitwirkung zahlreicher Uraufführungskünstler, sondern zugleich durch die experimentellen Möglichkeiten in der Philharmonie. Neun Podien, über den großen Saal verteilt, bildeten ein Spinnennetz aus Sichtachsen, Satellitenbühnen und musikalischen Aktionen, die von zwei Dirigenten (Emilio Pomárico, Yoichi Sugiyama) und einem überdimensionalen Mischpult (Raumklangkonzeption André Richard) koordiniert wurden. Auf diesen Bühneninseln wird Prometheus als eine Figur imaginiert, die sucht, herumirrt - und durchaus nicht einfach das Feuer bringt. Er selbst ist eine Insel, die musikalische Lagune aber, in der es zieht und pfeift verglich Nono mit seiner eigenen Heimatstadt Venedig.

Das Ensemble Modern Orchestra und zahlreiche Solisten gaben auf prometheischen Inseln das raunende Abendland, das wie der Stille abgetrotzt erschien. Ein kreißendes und stotterndes Zitieren, musikalisches Schlingern und Segeln auf Texten von Hesiod bis Hölderlin.
Vom Publikum mit heiligem Ernst verfolgt, der klarmachte, dass wir es hier mit einer kultischen Rarität, mit einem Bernsteinzimmer der musikalischen Avantgarde zu tun haben.

 

Der Tagesspiegel
02.09.2000

Luigi Nonos Opus Magnum mit dem Ensemble Modern Orchestra in der Berliner Philharmonie
Utopie statt Gewissheit

Von Volker Straebel

[...] Das Künstlerprogramm des DAAD ermöglichte die aufwendige Aufführung, und das zahlreich erschienene Publikum dankte es ihm: Es bewies, dass zeitgenössische Musik weniger eine Sache der Experten als der Liebhaber ist, und folgte zweieinhalb Stunden lang hoch konzentriert dem komplexen Klanggewebe. [...]

 

Schwarzwälder Note
28.08.2000

Taumel der Töne: Alles ist Klang

Von Martin Schrahn

BOCHUM. Alles ist Klang. Es zählt nicht die (unendliche) Melodie, sondern die konsequent ausgeformte Linearität. Rhythmische Mikro-Strukturen werden überlagert von Flächigkeit. Trotz innerer Bewegung lässt diese Musik Statik assoziieren. [...]

Wenn nun Beeindruckendes gelingt, ist das auch den Sängern, dem Solistenchor Freiburg und dem Ensemble Modern Orchester zu danken. Unter Leitung der Dirigenten Emilio Pomárico und Yoichi Sugiyama wird hochkonzentriert Maßarbeit geleistet und so eine suggestive Kraft entfaltet, der man sich kaum entziehen kann.

 

Westfalenpost
28.08.2000

Aufregender Kampf gegen die Hörigkeit

Von Stefan Keim

Bochum. Siebeneinhalb Kilo schwer ist die Partitur von Luigi Nonos "Prometeo". Komplizierte Musik, das merkt man schon am Gewicht. Aber auch ein großartiges Erlebnis. [...]

Vielleicht haben wir eine halbe Stunde Musik gehört, bis das "Interludio primo", das erste Zwischenspiel beginnt. Es könnte aber auch eine ganze Stunde gewesen sein. Die zeitliche Orientierung ist längst weg. [...]

Hochkonzentriert geht das Ensemble Modern Orchestra mit seinen beiden Dirigenten Emilio Pomárico und Yoichi Sugiyama den Abend an. Schließlich hat Luigi Nono als Gattungsbezeichnung "Tragödie des Hörens" gewählt. Die Musik führt das Hören zu seinen Ursprüngen zurück, zu einfachen Melodien und Klangfetzen, zu naiv anmutender Tonalität und ebenso ursprünglichen Dissonanzen, die von schneidender Aggressivität bis subtiler Vieldeutigkeit die komplette Palette menschlicher Gefühle ausdrücken. Der Klangregisseur Andre Richard betreut seit der Uraufführung jede Produktion des "Prometeo". Nicht nur das Zeitgefühl verfliegt, auch die örtliche Bestimmung eines Tons ist durch seine Manipulation oft unmöglich. [...]

Es ist der Geist der Individualität, des Mutes, sich der Unübersichtlichkeit zu stellen. Aktueller kann Musik nicht sein, und die keine Sekunde nachlassende Spannung des Ensemble Modern Orchestra machte den Bochumer "Prometeo" zu einem kaum fassbaren Erlebnis.