Frankfurter Rundschau
13.03.2001

Leuchtend im Lichtkreuz
Klaus Weises erste Opernregie: Mozarts "Die Entführung aus dem Serail" in Mainz

Von Heinz-Harald Löhlein

Das Mainzer Theater unter Georges Delnon befindet sich im steilen Aufstieg, woran alle drei Sparten intensiv beteiligt sind. Die Oper präsentierte nun bereits wieder, nach Anouk Nicklischs brisant pointierter Salome, mit Mozarts Singspiel Die Entführung aus dem Serail einen weiteren sicheren Publikumsrenner.

Erstaunlich, wie lange Oberhausens Schauspielchef Klaus Weise (früher Darmstadt) sich Zeit ließ, erstmals Opernregie zu führen. Daher wohl die unverkennbare Edelreife dieser Inszenierung, aber auch ihr Übermut. Daher auch Weises unverkrampfter Zugang und frischer Blick auf Mozarts widersprüchliche Charakter-Palette. Mit reicher Fantasie, Spielwitz mit gutem timing, Originalität in Haupt- wie Nebendingen, kurz: mit allen zulässigen Mitteln gelang dem Opern-Novizen Weise eine stimmige, vielfach überraschende Inszenierung.

Den Beginn, pantomimische Begleitung zur Ouvertüre, markiert das tableau vivant einer maskierten Hochzeitsgesellschaft, als Vorwegnahme des aussöhnenden Schlussbildes. Bald kommt Bewegung auf, wirbeln Personen umeinander und probieren wechselnde Konstellationen. Keine Orientalen und Alt-Europäer aus dem Bilderbuch, nein: Gestalten von heute. Liebesprinz Belmonte erscheint schwarz ausstaffiert mit T-Shirt unterm Anzug und breitkrempigem Hut (Kostüme Fred Fenner), Pedrillo in Weiß mit Tropenhelm, Konstanze in dezent dunklen Rottönen gewandet, schulterfrei, kniefrei, und dennoch sittsam wie eine Nonne . Die Orientalen Selim und Osmin indes sind Macho-Potentaten, frank und frei aus dem Comic, dennnoch ohne Denunziation. Ein liberaler Blick fällt hier auf diejenigen, die den Gegenpol von Liberalität bezeichnen.

Freilich schlägt bei Klaus Weise ein Strahl feministischer Optik durch. Das Stück verträgt, ja verlangt sie. Erstaunlich jedoch: Chefin im Serail ist nicht die mit Kerrie Shepard zu schwer besetzte Konstanze, sondern die zweite Dame, Blonde. Mit ihrem agilen, leuchtend klaren, diskret durchsetzungsfähigen Koloratursopran leistet die junge Amerikanerin Janice Creswell Enormes, nicht zuletzt im Quartett beider Liebespaare. Zu Recht rücken Weise und Susanne Reinhardt (Lichtregie) diese zentrale Szene des Verstehens und Missverstehens ins Blickfeld: mit einem variationsreich bespielten Lichtkreuz, das abstrakt an Gärten und Labyrinthe erinnert.

Im blendend hellen Kastenraum einer fast laborhaften Einheitsbühne, bei der Bühnenbildner Martin Kukulies mit geringsten Modifikationen auskommt, um Innen und Außen, die wechselnden Zonen von Gefahr und Despotie, von Frivolität oder Intimität anzudeuten, inszeniert Weise eine aktuelle Politfarce mit hintersinnigem Humor. Stützpfeiler seines luftigen Gebäudes ist Schauspieler Gustl Meyer-Fürst. Dessen Bassa Selim bleibt knochenhart bis zum letzten Atemzug, und selbst dass er mit geborgten Shakespeare-Versen ein wenig schöngeistert, lässt ihn keineswegs sympathischer erscheinen. Wie es sich für einen aufgeklärten Despoten gehört, steht diesem Bassa ein passender Adlatus zur Seite: Haremswächter Osmin, von Hans-Otto Weiß mit solider Statur versehen.

Mit Fred Hoffmann als Pedrillo stand zuverlässig derjenige bereit, der auch schon in der Vorgänger-Inszenierung von Guy Reinesch 1990 die Partie sang. Indes, dank Marcus Ullmann als gleichsam zivilprinzlichem Belmonte fand diese Entführung ihre wohl pointierteste Belebung. Seine Stimme klingt kultiviert, flexibel, bedeutungsnuanciert, alles wirkt angenehm ironisch verschattet.

Wie man Erotik anrichtet, darüber gibt es divergierende Ansichten. Doch dass sie in Mainz ausgeblendet sei, wäre Verleumdung. Man könnte etwa an die hinzuerfundene Haremsdame erinnern oder an die Solariums-Statistinnen, dieses Puzzle aus sonnenbebrillten Köpfen rechts der Bühnenmitte und sorgfältig pedikürten Körperenden auf der Gegenseite. Auf teils humoristische, teils dezente, hintergründige Art bedient der Regisseur auch Trivialwünsche seiner Kundschaft - Mozart hätte ihm dafür keinen Orden aberkannt.

Mit dieser orchestral eher mittelprächtigen, in den Tempi meist moderaten, im Gesamtklang indes manchmal fast fluxushaft aufgeregten Veranstaltung verabschiedet sich Stefan Sanderling von Mainz. Seine Nachfolgerin Catherine Rückwardt kommt von der Frankfurter Oper und findet nun am Rhein ein Terrain vor, wie es vor Jahren noch nur Fantasten hätten erträumen können.

Weitere Vorstellungen: 14., 19. und 26. März.

[ document info ]
Copyright © Frankfurter Rundschau 2001
Dokument erstellt am 12.03.2001 um 21:30:39 Uhr
Erscheinungsdatum 13.03.2001

 

Darmstädter Echo
15 Marz 2001

Staatstheater Mainz: "Entführung aus dem Serail" von Wolfgang Amadeus Mozart
Bassa Selim und seine Haremsdamen
Klaus Weise inszeniert Mozarts Singsspiel

Von Albrecht Schmidt

Mozarts "Entführung aus dem Serail", deutsches Singspiel, Türkenoper mit freimaurerisch-humanistischem Kern, barockes Gemisch von Buffonerie und tödlichem Ernst, gibt jedem Regisseur Nüsse zu knacken. Klaus Weise, seit zehn Jahren Intendant am Theater Oberhausen, zuvor Schauspieldirektor in Darmstadt, baut im Kleinen Haus des Staatstheaters Mainz auf eine moderate Aktualisierung und zeigt Menschen zwischen Zweifel und Zuversicht, zwischen Getrenntsein und Zueinanderfinden.

Viele Bilder und verfremdende Beigaben wirken zwar dekorativ, sind aber letztlich kaum beflügelnd. Martin Kukulies hat eine streng symmetrische Bühne gebaut und dabei auf pittoreske Folklore verzichtet. Steil aufragende, klinisch weiße Wände mit hohen Türen formen sich zu einer lichten Halle.

Zwei riesige Elefantenköpfe mit herabhängenden Rüsseln und ein Herrscherbild im Goldrahmen suggerieren Reichtum und Macht des Bassa Selim. Der ist umgeben von ein paar Soldaten, die in ihren Tschakos und weißen Shorts eher harmlos wirken, und von seinen Haremsdamen, die mit ihren hübschen Körpern - am rechten Bühnenrand mit Oberkörperansicht, links mit schlanken Beinen - das Geschehen flankieren.

Die Janitscharenchöre werden gesungen von einem Dutzend Brautpaare - Entführte, die auf Befreiung hoffen?

Aus ihrer Mitte wurden Konstanze und Blondchen, mit Cocktailkleid und schickem Kostüm modisch elegant gestylt (Kostüme: Fred Fenner), in einer Art Brautentführung (während der ausinszenierten Ouvertüre) von ihren Geliebten getrennt.

Die tauchen nun pünktlich zur Rettung auf: Belmonte ganz in Schwarz, Pedrillo in Weiß - Menschen wie du und ich. Die Masken, die sie zu Beginn trugen, sind gefallen; aus dem blinden, tastenden Suchen ist ein sehendes Bewusstsein gegenseitiger Liebe geworden. Diese wird zunächst auf die Probe gestellt: Osmin, der trinkgewaltige Aufseher mit gutmütigem Kern trotz rauher Schale (mit schlankem, beweglichem Bass bei fehlender polternder Tiefenschwärze: Hans-Otto Weiß), und Bassa Selim (plausibel im Wechsel von Strenge und Milde: Gustl Meyer-Fürst) sind ernst zu nehmende Widersacher. Am Ende lässt Bassa die beiden Paare ziehen, und diese werden in den Kreis der Brautpaare aufgenommen.

Trotzdem gibt es szenisch einige Durchhänger, und auch im Spiel wirken die Darsteller nicht gerade begeistert und motiviert. Vieles wirkt merkwürdig unbeteiligt, so dass die Resonanz bei der Premiere am Samstag im Publikum kühl blieb: Es gab wenig Szenenapplaus und am Ende vereinzelte Buhs für die Regie.

Ungeteilter Beifall wurde jedoch den musikalischen Leistungen zuteil. Stefan Sanderling musizierte mit dem Philharmonischen Orchester des Mainzer Staatstheaters einen dynamisch differenzierten und frischen Mozart, wobei allenfalls Tempoauffassungen irritierten.

Im Sängerensemble bewährten sich junge Nachwuchskräfte: der aus Dresden stammende Marcus Ullmann mit einem textverständlichen, hell timbrierten Tenor als Belmonte und ein ebenso angenehmer, in der Höhe jedoch gelegentlich verflachender Pedrillo von Fred Hoffmann. Kerrie Sheppard (Konstanze) begann mit starkem Vibrato und schrillen Spitzentönen, zeigte sich dann aber, auch in der gefürchteten Marter-Arie, wandlungsfähiger. Federleicht im Gesang und resolut im Spiel war Janice Creswell ein ideales Blondchen.