MANNHEIMER MORGEN, 24. Januar 2002

OPER: Michael Haensel inszenierte Glucks "Armide" im Ludwigshafener Pfalzbautheater
Wenn's im Herzen beginnt zu spuken

Von Stefan Koch

Dass der Mensch im Stadium brisanter Verliebtheit durcheinander geraten kann, weil die Schmetterlinge im Bauch verrückt spielen, hat sich mittlerweile herumgesprochen, ist ja auch Gegenstand von Mythen aus alter Zeit. Wer uns da nicht im Zustande wirren Liebesschrecks alles begegnet! Etwa Armide, jene muselmanische Fürstin, die, der Zauberkräfte mächtig, erst unfreiwillig, dann umso euphorischer dem Kreuzritter Renaud verfällt. Was verständlicherweise in den gegnerischen Lagern nicht gerne gesehen wird und dazu führt, dass Renauds Kriegskumpane ihn ziemlich rüde den Armen der schönen Dame entreißen: Ruhm und Ehre seien wichtiger als liebestoller Müßiggang. Was wiederum bei Armide zu überzogenen Reaktionen führt. Nachdem sie mit allerhand Spukerei Himmel und Hölle beschworen hat, um das eigene Herz, freilich vergeblich, in Zaum zu halten, sorgt ihr letzter Zauber dafür, dass der ganze schöne Palast im Schutt versinkt und sie selbst, entleibt, in die Seligkeit entflieht.

Torquato Tasso hat über all das in seinem Kreuzritter-Epos "Gierusalemma liberata" räsoniert, später wurde die Geschichte auch dramatisiert, Lully hat eine Oper geschrieben, Gluck 1776/77 auch. Dessen "Armide" zählt zu den Revolutionen der französischen "Drames-héroique", in denen die Musik sich aus den überkommenen Form-Schemen löst, die Handlung affektiv und mit einem gehörigen Schuss Sturm und Drang vorantreibt und mit ganz ungewohnten klanglichen Kühnheiten durchtränkt. Hier zu Lande hört man Gluck selten, gut drum, dass das Ludwigshafener Pfalzbautheater in einer Kooperation mit den Bühnen in Ulm und Sofia jetzt auf das Werk aufmerksam macht und so das regionale Opernleben bereichert - was auch in Zukunft eine der Aufgaben des Hauses wäre, wenn's denn überhaupt noch angesichts der prekären Ludwigshafener Finanz-Situation eine Zukunft gibt.

Nun, jetzt tat man, was man noch konnte. Holte etwa für die ausladende Sopranpartie der Titelfigur Heidrun Kordes, die mit vehementem dramatischem Impuls und fein gesponnenen vokalen Linien für sich einnahm. Nicht leicht für den Tenor James McLean als Renaud, mit etwas angestrengter Höhe und teilweise unausgeglichener Stimmführung dagegen zu bestehen. Als "Hass", den Frau Armide aus der Hölle spuken lässt, um den wachsenden Neigungen ihrer Seele Einhalt zu gebieten, stand mit Beatrice Niehoff gar eine renommierte Mezzo-Heroine auf der Bühne, auch Mkrtich Babayanyan machte als Hohepriester Hidraot vokal eine gute Figur, und das restliche Ensemble kann sich in den kleineren Partien durchaus hören lassen.

Pluspunkte auch beim Bühnenbild von Michael Goden: sieben raumhohe, schmale Portale verschieben sich gegeneinander, das gestattet reizvolle Durchblicke zu Antiken-Ruinen und arkadischen Naturimpressionen auf den Hintergrundprospekten. Einfach ist das, doch wirkungsvoll, und wenn sich die schmalen Seitenpfeiler zum Schluss langsam gegeneinander senken, um die niedergestreckte Armide fast zu begraben, macht sich fast so etwas wie Poesie breit. Die opulenten Kostümierungen, ebenfalls von Michael Goden, zitieren zart Antikes, sehen jedoch manchmal auch etwas komisch aus.

Man muss Gluck auf den Punkt genau musizieren, damit diese quirlige, aber auch in manchem Höllenkrachen und lieblichen Waldweben hoch illustrative Musik ihren Charme entfaltet. Die Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz kam unter Samuel Bächli diesem Ideal allenfalls manchmal nahe - unsaubere, bisweilen, vor allem im ersten Teil, auch falsche Bläsereinsätze, ein nicht immer konturenscharfer Streicherklang und zu geringe Schattierungen im so wichtigen Piano-Bereich irritierten. Michael Haensel wollte in seiner Regie wohl strikt vermeiden, Glucks geniale Theatermusik in aktionistische Betriebsamkeit umzusetzen, aber die pure Konvention der Gesten und Gänge, manch unbeholfenes Schwerterschwingen, damönisches Gekrieche und Waldvogel-Armwedeln im Fluggeschirr setzen nur ansatzweise plausible Kontrapunkte. So blieb letztlich der Eindruck wohl gemeinter Bemühung um eine achtenswerte Rarität, aber das ist ja auch was. Der Beifall war kurz, aber herzlich.

© Mannheimer Morgen

 

MANNHEIMER MORGEN, 5. Januar 2002

Michael Haensel inszeniert Gluck-Oper "Armide"
Uraufführung im Pfalzbau-Theater am 22. Januar
Werk danach in vier europäischen Städten

Mit dem seltenen Ereignis einer Ludwigshafener Premiere kann das Pfalzbau-Theater am 22. Januar aufwarten. Intendant Michael Haensel führt Regie bei der Gluck-Oper "Armide". Anders als seine letzten Inszenierungen, die bei den auswärtigen Koproduktionspartnern Premiere hatten, wird dieses Werk erstmals in der Chemiestadt uraufgeführt. Seit Anfang Dezember laufen die Proben für die Oper, die später in Sofia, Ulm, Bern und Lübeck gezeigt wird.

"Vor eineinhalb Jahren haben wir das Vorhaben vereinbart", sagte gestern Haensel. Mit Samuel Bächli als musikalischem Leiter habe er einen idealen Partner gefunden. Mit diesem verbinde er seit den früheren Koproduktionen "Julius Caesar" und "Xerxes" eine große musikalische Übereinstimmung. Bächli, derzeit Chefdirigent aus Gelsenkirchen, bezeichnete "Armide" als seine heimliche Lieblingsoper.

Bei diesem späten Gluck-Werk geht es um eine Hassliebe der Königin und fremdartigen Zauberin Armide, die bei der Belagerung Jerusalem durch die Kreuzritter auf christliche Ritter stieß. "Ich habe das barocke Stück mit modernen technischen Mitteln des Theaters inszeniert, aber viele Elemente der barocken Personenführung übernommen", berichtete Haensel. Imaginäres wie etwa das Gewissen der Armide hebt er deshalb als reale Figuren heraus. Die Hassliebe wird durch die dramatische Sopranistin Beatrice Niehoff dargestellt. Verzichtet gegenüber der Originalvorlage wurde aber auf rein unterhaltsame Tanzeinlagen, die damals modern waren, so Haensel. Dafür werde der 40-köpfige Ludwigshafener Theaterchor nicht nur musikalisch, sondern auch pantomimisch wirken . "Er dient als szenisches Element auf der Bühne."

"Es wird in dieser Oper viel geflogen, geschoben und gerobbt", kündigte der Regisseur an. Entsprechend aufwändig sei der technische Aufbau. Die Grund-Dekoration sei zu einem günstigen Preis von dem bulgarischen Kooperationspartner, der Nationaloper Sofia, erstellt worden. Durch eine sparsame Personalausstattung habe er aber insgesamt die Kosten so gering halten können, dass erstmals seit vielen Jahren wieder eine Eigeninszenierung in Ludwigshafen Premiere haben könne. Haensel zeigte sich erfreut darüber, dass er etwa mit Heidrun Kordes und James McLean eine gute Besetzung für das gut zweieinhalbstündige Werk gefunden habe. ott Eine kostenlose Einführungsveranstaltung zur Inszenierung findet am 13. Januar, 15 Uhr, im Pfalzbau-Theater statt.