18. Februar 2002

Faszinierende Bizarrerien
"La Damnation du Faust" von Berlioz im Museumskonzert

Von Hans-Klaus Jungheinrich

La Damnation du Faust von Hector Berlioz gehört zu den frühesten und berühmtesten Vertonungen des Goethestoffes. Die "dramatische Legende in vier Teilen" wurde in ihrer nicht unschwierigen Rezeptionsgeschichte sowohl auf den Konzertpodien wie den Opernbühnen heimisch. Im jüngsten Museumskonzert galt es wiederum der "konzertanten" Wiedergabe und ihrer aus den musikalischen Qualitäten des Werkes sich herstellenden Plausibilität.

Gerade mit ihren romantischen "essentials" wirkte diese Faustiade im 19, Jahrhundert krass unangepasst. Noch Humperdinck registrierte bei aller Bewunderung ihre "Bizarrerien". Diese (darunter die fast surreale Einbeziehung von Ungarn-Kolorit samt Rácóczy-Marsch) wurden in späteren Zeiten als besonders faszinierend empfunden, ebenso wie das Fragmentarische, gleichsam Geklitterte des dramaturgischen Aufrisses, dem es nicht um einen abgerundeten Handlungsbogen geht, sondern um hart aneinandergeschnittene Einzelepisoden eines imaginären "großen" Dramas. Im aussparenden Verweis auf seine "Lücken" ist dieses Stück formal ein avanciertes Gegenmodell zu den zur Monumentalität vervollständigten Troyens, dem späteren Bühnen-Hauptwerk von Berlioz.

Das Riesenunternehmen dieser Aufführung stand zwar unter einem Unstern - erst musste der Dirigent Michel Plasson absagen, dann erkrankte auch noch der Mephisto-Sänger -, doch dann kam alles doch noch in gute Gleise. Mit Philippe Auguin stand ein erfahrener, stilsicherer Berlioz-Kapellmeister am Pult, der mit Vorsicht agierte, jedoch auch den brillanten und temperamentvollen Aspekten des Stückes gerecht wurde. Gewiss, einiges hätte schärfer angepackt werden können, etwa der "Amen"-Chor, dessen parodistische Konnotation im allzu bedächtigen Vortrag fast verloren ging. Insgesamt wurde aber lebendig und schwungvoll musiziert, wurden zumal die empfindsamen Passagen (aus dem Marguerite-Umkreis) klangschön herausgearbeitet. Das Orchester war exzellent einstudiert und erwies sich in allen Klanggruppen (schweres Blech!) und Soli als sehr leistungsfähig. Hervorragend die Chöre - in imponierender Formation wirkten mit der Figuralchor, die Singakademie sowie Verstärkungen der Darmstädter Opern- und Konzertchöre.

Pure Chor- und Orchestertableaus haben hier einen gewichtigeren Anteil als in einer normalen Oper. Gleichwohl kommen auch die Gesangspartien nicht zu kurz. Interessant vor allem die Faustrolle, ein hoher Tenor. Die gefährlich exponierten Stimmlagen erfordern "voix mixte", ein fast ans Falsettieren heranreichendes Kolorit, das nicht mit "italienischer" Attacke angegangen werden darf. Donald Kaasch war mit charakteristischer Stimme und Ausstrahlung genau der Richtige für diese Aufgabe; mühelos drang er durch beträchtliche Orchestermassen. Mit großer lyrischer Intensität sang Fredrike Brillembourg die mezzosopraneske Marguerite; Philippe Rouillon, der Mephisto-Einspringer, erwies sich als überraschend souverän, und Michail Schelomjanskis Bass vervollständigte (als Brander) das Ensemble aufs Ansprechendste.

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Dokument erstellt am 17.02.2002 um 21:48:23 Uhr
Erscheinungsdatum 18.02.2002

 

18. Februar 2002

Entsetzliche Schauer über Rücken gejagt
Frankfurter Museumsorchester mit »La damnation de Faust« in der Alten Oper

von Werner Ziegler

Als eine größere Unternehmung erwies sich das sechste Konzert des Frankfurter Museumsorchesters in der Alten Oper: Für »La damnation de Faust« von Hector Berlioz war nicht nur das Orchester der Frankfurter Oper in großer Besetzung angetreten, sondern auch ein gut 150 Sänger und Sängerinnen starker Chor, bestehend aus dem Figuralchor Frankfurt und der Frankfurter Singakademie, verstärkt durch Mitglieder des Opern- und Konzertchors Darmstadt sowie vier Solisten.

Berlioz hatte sich am Faustthema begeistert, bearbeitete die Geschichte jedoch nach eigenem Gutdünken, so dass die »dramatische Legende«, wie der Komponist sein gattungsmäßig schwer zu fassendes Werk bezeichnet, im Gegensatz zuJohann Wolfgang von Goethes Version mit der Höllenfahrt Faustens endet. Eine der ersten Höhepunkte des auf insgesamt 20 Szenen angelegten Werkes ist sicher der von Berlioz in einer Nacht rauschhaft komponierte Ungarische Marsch, in dem der Komponist den Rákóczy-Marsch zueinem mitreißenden, klanggewaltigen Tableau verarbeitet.

Immer wieder finden sich solche umwerfenden Szenen, in denen Chor undOrchester fast maßlos wirken. Gipfel der Maßlosigkeit ist die Höllenfahrt am Ende, nachdem Faust seinen Vertrag mit dem Teufel unterzeichnet hat: Der Ritt in den Abgrund wird in galoppierender Hatz von denStreichern beschleunigt, während die Einwürfe der Bläser für Entsetzen und Schauern sorgen. Unter den beständigen anfeuernden Rufen »Hopp, Hopp« Mephistos stürzen er und Faust in den Abgrund, in das Pandämonium, wo die bösen Geister hausen. Diese, als Chor der Verdammten und der Teufel, empfangen den Verlorenen in einer wilden Fantasiesprache unter höhnischem Gelächter.

Doch ist das Werk weit mehr als nur eine Ansammlung wilder Orchesterausbrüche und heftiger Szenen. Die Margarethe zugehörigen Teile bilden den sanften und melodischen Gegenpol - das Werk endet schließlich mit Margarethens Verklärung. Berlioz hat von Goethe sowohl den »König von Thule« als auch »Meine Ruh ist hin« übernommen und hat diesen Liederneinen lyrisch-sentimentalen Ton gegeben, dem die junge Mezzosopranistin Frederika Brillembourg auf das Schönste gerecht wurde.

Dabei lässt er plötzlich italienisch wirkende Belcanto-Linien auftreten, denen die Sängerin mit ihrem klaren und doch warmtönenden und wandlungsfähigenSopran spielerisch in alle Höhen folgt. Der amerikanische Tenor Donald Kaasch gestaltete Fausts Geschichte intensiv nacherlebend, stellte sich lautstark und doch rein den entfesselten Orchestermassen entgegen, und bot auch in denHöhen - Berlioz verlangt hier bis zumFalsett alles - einen sicheren und textverständlichen Tenor.

Philippe Rouillon, der kurzfristig eingesprungen war, verlieh der Figur desMephisto eine wuchtige Stimme und Gestalt. Dirigent Philippe Auguin, er ersetzte den erkrankten Michel Plasson, kannteoffensichtlich die Tücken und Höhepunkte der Partitur genau und leitete das beeindruckend aufspielende Museumsorchester souverän mit großen Gesten und voller Temperament.

Der Dirigent vermied allzu exzessives Orchesterdonnern, hielt die schwierige Balance zwischen den dämonisch-dunklen und den lieblich-gefühlvollen Passagen. Großes Lob schließlich gebührt den stimmgewaltigen Chören, die ebenfalls die zwei Seiten - Faust würde von den zwei Seelen sprechen - diesesselten aufgeführten Werks verkörperten.