Mannheimer Morgen
4.12.2002

VORSCHAU: Der Regisseur Matthias Schönfeldt inszeniert am Mannheimer Nationaltheater Mozarts Opera seria "La clemenza di Tito"
Die Weisheit des Herrschers schützt ihn nicht vor dem Verrat des besten Freundes

Von Stefan Koch

Dass ein Herrscher milde zu sein und seine Macht einem allgemein verbindlichen Humanismus unterzuordnen habe, war eine ideologische Forderung des aufgeklärten 18. Jahrhunderts - auch wenn die Realpolitik dem natürlich entgegen stand. Das Theater, die Oper zumal, diente auch dazu, die Prinzipien dieses sittlichen Handelns zu transportieren. Das Mittel war die "Opera seria", jene musiktheatralische Gattung also, die - zumeist aus Anlass einer Krönung, eines Thronjubiläums oder sonstiger höfischer Feierlichkeiten in Auftrag gegeben - das Lob auf des Herrschers Weisheit und Nachsicht anstimmt. Dies in steter Abfolge von Rezitativen, in denen die Handlung vorangetrieben wurde, und Arien, die den Gefühlszustand - oder, besser: den Affekt - der jeweiligen Person musikalisch illustrierte. Ein Trick dabei: Die Librettisten bedienten sich meist aus dem Fundus antiker Stoffe, so kam man nicht in die Bredouille, dass die königliche Güte auf der Bühne allzu sehr von der aktuellen Politik konterkariert werden konnte.

Einer der beliebtesten Stoffe für die Opera seria war der über Titus, der ab 79 vor Christus römischer Kaiser war und sich, wie damals üblich, einer Verschwörung ausgesetzt sah, den Verrätern aber, nachdem sie gar das Capitol in Brand gesetzt hatten, verzieh. Der Stoff wurde über 60-mal vertont, zuletzt von Mozart, der zur Krönung Leopolds zum König von Böhmen 1791 in Prag den Auftrag für eine Opera seria erhielt. Mitten in der Arbeit zur "Zauberflöte" sagte Mozart dem lukrativen Geschäft zu, komponierte aber nur die Arien auf das Libretto des sächsischen Hofpoeten Caterino Mazzolà, während er die Ausarbeitung der Rezitative seinem Schüler Süßmayer überließ.

In "La clemenza di Tito" - Die Weisheit des Titus - sah die Mozartforschung lange ein schwaches Werk, schließlich war die Opera seria zu jenen Zeiten bereits eine überholte Gattung, und Mozart hatte mit dem "Figaro" und "Don Giovanni" längst gezeigt, dass die Reise wegführt von den typisierten Figuren und ihren schematisierten Gefühlskonflikten. Erst nach und nach erkannte man, dass er es dennoch verstanden hatte, die überkommene Form mit einer Musik zu füllen, die aus den Personen lebende Menschen werden lässt, die ihrem Inneren auf überzeitlich gültige Weise musikalisch Gestalt geben. Das ist der Ansatz, von dem jetzt Matthias Schönfeldt bei seiner Mannheimer Neuinszenierung des "Tito" auszugehen versucht. Ihn interessiert, wie er im Gespräch sagt, nicht so sehr der politische Konflikt, sondern die Frage, warum jemand einen Freund verrät. So wie jener Sesto, eigentlich Titos treuer Gefährte, der jedoch Kopf einer Verschwörung wird. Warum? Weil Sesto verliebt ist. In Vitellia, die Tochter des ermordeten Kaisers Vitellius, dessen Tod sie an Tito rächen will. "Ich sehe", so Matthias Schönfeldt, "in dem Stück weniger eine Parabel über Politik, eher die Geschichte über den Verrat als Akt der Befreiung. Und in Titos Milde sehe ich eine Strategie des Herrschens um den Preis, dass er den Menschen nie wirklich nahe kommt."

Der Zuschauer wird, so ist es Schönfeldts Vorstellung, also eher eine psychologische Studie über Menschen sehen, die ihr Inneres maskieren, um ihre Ziele zu erreichen als ein historisierendes Tableau. Auch die Kostümierungen von Birgit Angele werden wie Masken verwendet, so erklärt es Matthias Schönfeldt, als Bühnenbild dienen dabei die beiden Reliefs des Titus-Triumphbogens in Rom. Und um zu zeigen, dass das Wesen des Kaisers sehr wohl auch eine raubtierhafte Seite birgt, hat Schönfeldt einen vierpfotigen Statisten gewonnen - mehr verraten wir jetzt nicht. Damit das heutige Publikum die Zusammenhänge versteht, sind übrigens die ursprünglich ausladenden und üppig auf die Antike anspielenden Rezitative gekürzt und behutsam neu textiert worden - was übrigens in der Aufführungstradition des Werkes nicht selten war.

Premiere ist am Donnerstag, 5. Dezember, 19.30 Uhr, im Opernhaus, weitere Vorstellungen sind am 11. und 27. Dezember; Karten unter 0621/16 80-1 50.

 

© Mannheimer Morgen – 04.12.2002

Mannheimer Morgen
5.12.2002

Raubtier auf der Bühne: Ein seltener und teurer Tiger wirkt bei "La clemenza di Tito" mit
Gefüttert wird "Assam" immer erst nach der Oper

Von Peter W. Ragge

Nein, er faucht nicht - nicht während unseres Besuchs zumindest und, so hoffen die Sänger, auch nicht auf der Bühne. Er liegt nur ruhig da, steht auch mal auf, läuft hin und her. Mehr muss er nicht, aber das allein ist schon spektakulär genug: Ein Tiger zählt zu den Darstellern der Mozart-Oper "La clemenza di Tito", die heute Abend im Nationaltheater Premiere hat.

"Assam" ist noch dazu nicht irgendein Tiger, sondern ein ganz besonderer: Er hat ein goldglänzendes und braun-weiß gestreiftes, sehr edles Fell und stolziert derart majestätisch durch den großen Käfig, als wüsste er, dass er 50 000 Dollar wert ist. "Von dieser Züchtung gibt es weltweit nur 25 Exemplare", betont sein Besitzer, Tierlehrer Dieter Farell und erklärt: "Eine Kreuzung aus bengalischem und bengalischem weißen Tiger, die in der freien Natur kaum vorkommt". Indien ist sonst der Lebensraum dieser Rassen, doch "Assam" wurde vor zwölf Jahren in Amerika geboren. Seit sechs Jahren gehört er Dieter Farell, der künftig zu jeder "Tito"-Aufführung mit ihm nach Mannheim reist.

Seine Heimat ist in der Nähe von Lübeck, wo Farell einen Futterhandel ebenso wie eine Filmtierschule betreibt. Die Tiger im Tank von Esso - die kamen zum Beispiel von ihm. Und im nächsten Jahr will er in Dassow, 25 Kilometer von Lübeck entfernt an der Ostsee, für die Touristen auf drei Hektar einen Raubtierpark eröffnen. Für Film, Fernsehen und Werbeaufnahmen sind einige von Farells Tieren aber auch immer mal unterwegs - "Assam" zum Beispiel gerade zehn Wochen in Essen, wo eine frühere Zeche mit viel Show zum "Weltkulturerbe" erklärt wurde.

"Assam" fühlte sich dort aber nicht so wohl wie jetzt in Mannheim, weiß sein Besitzer. "Da ertönte ständig Rap, das mochte er nicht, da lief er ständig nervös herum", hat Farell beobachtet. Nicht so im Nationaltheater: "Mozart-Musik findet er schön, das regt ihn nicht auf", spürt der Tierlehrer. Seine "Rolle" ist ja auch nicht anstrengend. Er muss 20 Minuten - in seinem Käfig - einfach nur da sein, als ein Symbol der Macht des römischen Kaisers Tito, der gewaltsam den Thron bestiegen hat und sich jetzt einer Intrige ausgesetzt sieht. "Das unmittelbare Bild des wilden Tigers drückt wie in einem Brennspiegel das wahre Wesen dieser Gesellschaft aus", erklärt Dramaturgin Ina Karr, warum Regisseur Matthias Schönfeldt diesen besonderen "Solisten" engagierte.

Und wild kann "Assam" schon werden, auch wenn er jetzt nur ruhig daliegt, weil Raubkatzen wie er 18 Stunden Schlaf benötigen. "Tiger sind Choleriker, den halten sie nicht", erklärt Farell, schließlich ist das Tier 300 Kilogramm schwer, mehr als einen Meter hoch. Damit er von seinem Käfig auf der Hinterbühne in seinen Transportwagen gebracht werden kann, haben die Techniker des Nationaltheaters sogar eigens schnell einen kleinen Transportkäfig geschweißt. Über den Kulissenaufzug kommt "Assam" dann auf die Bühne.

Aufgeregt vor Auftritten sei er aber nie, hat Farell beobachtet: "Der sagt sich, wenn mein Alter dabei ist und ruhig bleibt, kann ich auch ruhig bleiben", beschreibt er seine Rolle als Tierlehrer. Doch mit einem Vorurteil räumt er auf: Raubtiere würden vor ihren Auftritten gerade nicht gefüttert. "Nicht wenn sie hungrig sind, sind sie gefährlich, sondern satt. Wenn der Tiger verdaut, will er nämlich seine Ruhe haben - und wer da stört . . .", so Farell. Daher gibt's die zehn Kilo feinstes Rindfleisch, die er pro Tag vertilgt, immer erst nach der Oper.

Premiere "La clemenza di Tito", Premiere Donnerstag, 5. Dezember, 19.30 Uhr, Opernhaus.
Zudem am 11. und 27. Dezember sowie am 6. und 24. Januar.
Restkarten per Tel. 0621/1680-150 oder an der Abendkasse.

© Mannheimer Morgen 2002