Mannheimer Morgen
7.12.2002

MOZARTWOCHE: "Tito" mit Tiger - Matthias Schönfeldt inszenierte Mozarts letzte Oper am Mannheimer Nationaltheater
Von der Einsamkeit eines milden Herrschers

Von Stefan Koch

Der arme Kaiser Titus. Nun ist er schon so milde und will für alle nur das Beste; verzichtet gar auf die Hochzeit mit Servilia, als diese ihm gesteht, dass ihr Herz schon dem Annio gehöre; und jener Verschwörergruppe, die - unter Anführung des besten Freundes, den es je gab, des Sesto nämlich - vergibt er auch, lässt alle leben. Aber niemand will ihm selbst gut. Einsam monologisiert er von Güte und Nachsicht, doch keiner hört ihm zu. Die Huldigungen des Volkes: hohles Zeremoniell ohne Wirkung. Was man will: Blut. Und Tod. Etwa den der Vitellia, die sich, als es nun nicht mehr anders geht, als Strippenzieherin des verräterischen Anschlags outet, bei dem das Kapitol in Flammen aufging. In einer Fantasmagorie fanatischer Raserei verspeist man die Leiche, und der Kaiser sieht fassungslos zu. Irgendwann wird Titus seinen Käfig öffnen müssen, in dem der Tiger auf Fraß wartet - Sinnbild einer domestizierten Despotennatur, mit der sich kaum regieren lässt. Was freilich zu denken gibt.

Matthias Schönfeldt hat mit seiner Neuinszenierung von Mozarts "La clemenza di Tito" am Mannheimer Nationaltheater eine ziemlich unheilvolle Parabel über die Frage auf die Bühne gestellt, wie der Mensch regiert werden will, um friedlich zu sein - mit Milde oder energischer Entschlossenheit, die auch vor Rache und Tod keinen Halt macht. Damit gibt der Regisseur der letzten Opera seria Mozarts einen überzeitlichen Dreh, wobei es ihm gelang, gerade das aus dem Werk herauszudestillieren, was ihm oft abgesprochen wurde: psychologische Glaubwürdigkeit, Spannung und musiktheatralische Schlagkraft - Dinge, die der zementierten Gattung der Opera seria eigentlich fremd sind.

Das geht freilich nicht ohne Retuschen am Libretto des Caterino Tommaso Mazzolà, das selbst schon die eigentliche Vorlage Metastasios im Sinne Mozarts variiert hatte. Schönfeldt straffte die Rezitative, schrieb den Text zum Teil um und schärfte die verzwickten Beziehungen zwischen den liebenden Paaren, rückte auch den Hofschranzen Publio in den Kreis der Verräter ein. Das kann man so machen. Denn letztlich wird deutlich, dass die politische Ränke erotischer Begierde entspringt, wie sie vor allem Vitellia in Sesto entfacht, der sich selbst fassungslos fragen muss, warum er seinen besten Freund verrät. Die Antwort Schönfeldts: Der Verrat ist ein Akt der Selbstentgrenzung, der vor keinen Normen Halt macht. Und was der Brandstifter aus erotischer Triebkraft tut, steht dem schlappen Titus vielleicht noch bevor.

Kein leichter Mozart-Abend also. Auf jeden Fall nichts für Opernkulinariker, die den "Tito" als historisierenden Bilderbogen mit schöner Musik gewöhnt sind. Denn Schönfeldts Schau auf das Innere der Figuren geht einher mit der kargen, rohen Optik von Birgit Angeles Bühne, die zwei breite, niedrige und leere Holzkästen übereinander stapelte, in denen - mal oben, mal unten - die Figuren agieren. Die Vorlage sind die zwei Friese des römischen Titusbogens. Wir merken das, wenn die Statistenschar in antiken Gewändern samt Streitwagen und Rössern die Kästen bevölkert - stumme Zitate einer historischen Fassade, deren Kehrseite sich allerdings als alles andere denn glanzvoll entpuppt. Denn dreht sich die Bühne, legt sie das nackte Eisengestänge der Holzkonstruktion frei, zwei Gabelstapler assoziieren rohe Geschäftigkeit, und im zweiten Akt kommt ein großer Käfig für jenen Tiger dazu, auf den das Publikum spannungsvoll wartet. Die Sache hat was, zeigt sie doch, dass hinter Titos Milde eine Raubkatzennatur schlummern könnte. Tiger Assam, geschult in solchen Auftritten, kam übrigens mit Mozarts Musik besser zurecht als manche Mannheimer, die sich zurzeit einer tönenden Dauerberieselung ausgesetzt sehen. Sestos Arie hörte der Kerl liegend zu, dann tat er das, was er tun sollte: tigern in Erwartung von 10 Kilo Rindfleisch. Eine satte Portion davon bekam übrigens Vitellia schon mal vom Chorvolk in den Arm gedrückt, bevor die blutbesudelte Ränkeschmiedin nach ihrem Geständnis - und nach der Metamorphose in eine Puppe - gradwegs hingeschlachtet wurde.

Die Stärken der Inszenierung liegen jedoch weniger in solchen Schockelementen, mehr in der differenzierten Zeichnung der Personen, ihres argwöhnischen Mit- und Umeinander, auch in der leisen Ironisierung. So kann der Brandstifter Sesto schon anfangs von seinen Streichhölzern kaum lassen, alle Verräter steckt Schönfeldt buchstäblich unter eine Decke, und mit Pistolen zum Selbst- oder Meuchelmord ist jeder schnell bei der Hand.

Das ist sehr plausibel, phasenweise auch anrührend inszeniert, vor allem, was die zunehmende Vereinsamung des Tito betrifft. Ein Manko freilich hatte die Premiere: Daniela Sindram fiel als Sesto krankheitsbedingt aus, eine echte Notlage, denn der Abend ist regelrecht um den Verräter herum inszeniert. Als Ersatz eilte Gundula Schneider aus Stuttgart herbei und lernte die neuen Texte sowie die Inszenierung in zwei Tagen, was höchste Anerkennung verdient. Zumal sie mit ihrem sehr gepflegten Mezzo, der lyrischen und dramatischen Ausdruck aufs Angenehmste verbindet, auch musikalisch überzeugte. Aber so endgültig wird die darstellerische Ensembleleistung erst zu würdigen sein, wenn Daniela Sindram wieder gesund ist.

Dieser von Adam Fischer dirigierte "Tito" setzt musikalisch den Weg fort, den Mannheims Generalmusikdirektor so glückhaft eingeschlagen hat. Das Orchester versteht es immer mehr, Fischers Mozartstil umzusetzen. Artikulation und dynamische Abstufungen stimmen, die federnde, straffe Rhythmik sorgt für dramatischen Furor, die feine melodische Zeichnung für die Eleganz und den geschmeidig innigen Geist der lyrischen Passagen.

Nikolaus Friedrich blies die beiden Solo-Klarinettenpartien in den zwei Sesto-Arien bravourös - auf der Bühne als instrumentales Alter Ego der Sängerin. In der Titelpartie zeigte Mannheims neuer Mozarttenor Stanley Jackson mit seinem fein ziselierten, leichten und lichten Tenor eine hohe Kunst, Ludmila Slepniowa ist eine Vitellia voller Energie, mit flammender Höhe und unangestrengter vokaler Diktion, Andrea Szántó gibt dem Annio ein dunkles, gradwegs samtenes Timbre, Rebecca Langhurst ist eine seraphische Servilia und Thomas Jesatko der katzbuckelnde Publio. Der Chor, einstudiert von Bernhard Schneider, singt gewohnt plastisch und kultiviert, agiert aber auch sehr suggestiv.

Die Reaktion des Premierenpublikums war geteilt, Buhs und Bravos konkurrierten, für die Ausführenden gab's einhellige Zustimmung. Mannheim hat einen "Tito", an den man sich gewöhnen muss, der aber über den Abend hinaus zum Nachdenken anregt. Nicht das schlechteste Ergebnis.

Weitere Aufführungen am 11. und 27. Dezember sowie am 6. und 24. Januar; Karten unter 0621/1680-150.

© Mannheimer Morgen 2002

 

Allgemeine Zeitung
7.12.2002

Nationaltheater Mannheim: Matthias Schönfeldt inszeniert Mozarts „La clemenza di Tito"
Der Tiger im sanftmütigen Herrscher

Von Johannes Bolwin

Mozarts späte, von Süßmayr vollendete Oper „La clemenza di Tito" (1791) ist nicht zuletzt deshalb interessant, weil sie parallel zur „Zauberflöte" entstand – einem Werk, das in phantasievollen Traum-Gefilden spielt und auch dramaturgisch und musikalisch einen ganz anderen Geist atmet.

Aber „Tito" hatte es immer schon schwer, seinen Stellenwert zu behaupten. Daran mag das aktionsschwache, dünne Libretto Caterino T. Mazzolàs seinen Anteil haben: Raumgreifend ist das typische Kreuzgewirr von Liebesbeziehungen. Eifersucht lässt aus diesem Knäuel, dessen Konstruiertheit durch zwei „Hosenrollen" (Sesto, Annio) gesteigert wird, eine Verschwörung gegen den milden Kaiser werden. Das interessantere Thema darunter ist das der Verstrickung, der Mitschuld und des öffentlichen Schuldbekenntnisses.

Das Mannheimer Nationaltheater unternimmt nun unter der musikalischen Leitung Adam Fischers den ehrenhaften Versuch, die verborgene Bedeutung der Oper zu verdeutlichen – es gelingt leider nicht. Nach einem langatmigen ersten Teil ist man gar versucht, dem Ganzen den Rücken zu kehren, und auch nach der Pause dauert es lange, bis die Sache allmählich interessant wird. Ein plötzlich aus dem Nichts erscheinender Tigerkäfig samt des imposanten, leibhaftigen Raubtiers ist spektakulärer Blickfang, hilft aber wenig. Vor allem fehlt der Inszenierung Matthias Schönfeldts, der voriges Jahr schon an gleicher Stelle den „Don Giovanni" in einer Sperrmüll-Flut versenkte, die Stringenz. Ein Mangel, den die beliebig zwischen Altertum, Moderne und einem zeitlichen Irgendwo flatternden Kostüme und das sperrige Bühnenbild Birgit Angeles noch vergrößern. Wie eine perpetuierte Ladehemmung klemmt diese Fassung in der Statik des Stücks fest. Zweimal nur kommen die psychologischen Wirkkräfte schön zur Geltung: einmal, als Titus die Drahtzieherin Vitellia (gesanglich imponierend: Ludmila Slepniowa) entlarvt; dann, als er den von der Verschwörer-Clique ans Messer gelieferten Sesto zur Rede stellt. Hier ergreift der stimmlich gut disponierte, biegsame Stanley Jackson die seltene Chance, die zwischen Einsamkeit, Weisheit und zarten, homoerotischen Liebesregungen verspannte Gefühlswelt des Herrschers zu dramatisieren. Gundula Schneider, kurzfristig für die erkrankte Daniela Sindram eingesprungen, steht in der schwierigen Sesto-Partie ihren Mann, übrigens nicht nur hier, Aug in Aug mit dem Tiger, der plötzlich gefährlich im sanften Herrscher zu knurren beginnt.

Insgesamt aber bleibt das reflektorisch-innerliche Substrat der Oper diffus. Vor allem auch die Ausstattung stellt sich dem Stück und den Darstellern in den Weg: In der Mitte ein drehbarer, zweietagiger, durch allerlei Kipptore durchlässiger Kasten – das Kapitol; vorn ist es Bücherregal oder wahlweise Puppenhaus, hinten unfreundliche Werkshalle. Diese Szenerie zwängt die Akteure, die sich selbst zu einem simplen „Was schaust du so?" nicht in die Augen sehen dürfen, ins Korsett: Oft dürfen sie nur durch das Poltern der Schritte obendrüber und auf den Treppen Notiz voneinander nehmen, mitunter schwenkt die Regie sie unvermittelt einfach aus dem Blickfeld. Weiß der Teufel, warum plötzlich Gabelstapler herumkurven, warum sich dann alle kindlich und verängstigt unter einer weißen Bettdecke wegducken. Alles ist eng, vieles angedeutet, manches gut gemeint, am Ende lebt die gelynchte Drahtzieherin weiter. Man rätselt mürrisch.

Aufführungen: 11./27. Dezember. Karten (0621)1680-150.

 

Darmstädter Echo
11. Dezember 2002

Nationaltheater Mannheim: Opernpremiere von Mozarts Spätwerk
„La Clemenza di Tito" von Matthias Schönfeldt

Von Sigrid Feeser

MANNHEIM. Die jüngste Opernpremiere am Mannheimer Nationaltheater galt Mozarts Spätwerk „La Clemenza di Tito". Regie führte Matthias Schönfeldt, der in der vergangenen Saison dort bereits „Idomeneo", vor zwei Jahren einen kräftig verjuxten „Don Giovanni" inszeniert hat. Ein kleiner Mozart-Zyklus also, wenn man so will.

Für den psychologisch fein gesponnenen „Titus" gibt es einiges zu bedenken. „Clemenza" heißt soviel wie Milde, Gnade, Güte, Nachsicht, Huld. Spätbarocke Herrschertugenden dieser besonderen Art sind längst aus der Mode gekommen. Insofern ist Schönfeldt recht zu geben, wenn er ihnen misstraut – und das großmütige Verzeihen des hintergangenen Herrschers am Ende der Oper als das denunziert, was es durchaus auch sein könnte: Machtstrategie. Doch spätestens, als im zweiten Akt ein lebendiger Tiger im Käfig – als Symbol für Titus’ gezügelte Raubtiernatur? – auf die Bühne rollt, hat der Regisseur die Übersicht über die Gags im Ränkespiel endgültig verloren.

Sechs bemühte, eher brav besetzte Sänger bleiben im aus Liebeshändeln, Seelenkrampf, Verschwörung und Verrat subtil gewirkten Kammerspiel ziemlich allein. Eine eher giggelnde als dramatisch furios ausholende Vitellia verführt den Sextus, indem sie erst den BH, dann den Slip aus dem Kleid zieht. Später fliegt sie (als Puppe) aus dem Ikea-Regal, das Birgit Angeles Bühne darstellt.

Ein kasperletheaterhafter Triumphzug stellt Reliefs vom römischen Titusbogen nach. Alle tragen mal Verschwörer-Schwarz, mal Römerkostüm, aber keine plausibel voneinander abgehobenen Charaktere zur Schau.

Eine magere, überflüssige Inszenierung. Schade, dass das Orchester unter Generalmusikdirektor Adam Fischer sich auf dienende Pflichterfüllung beschränkt und der szenischen Fadheit nicht energisch gegensteuert.

Die nächste Aufführung ist am 27. Dez. in der Mannheimer Oper. Kartentelefon 0621 1680 150.