Frankfurter Rundschau
23.04.2003

Frankfurts "Cosi fan tutte"
Mit Vesuv

Von Tim Gorbauch

Wie immer ist das Idyll brüchig. Das Sonnendeck des Lebens, auf dem es sich Fiordiligi und Dorabella bequem machen, entpuppt sich als Schräge, die Halt nicht bietet. Dabei sieht alles so schön aus. Zwei Liegestühle stehen bereit, vorne links lädt eine Teeecke zum Verweilen, Lavagestein liegt pittoresk herum, ein Cinemascop-Horizont zeigt kaum eine Wolke, ganz hinten ruht der Vesuv (Bühne: Johannes Leiacker). Doch der Vulkan wird bald zu lodern beginnen, Rauchwolken werden sich über ihn legen, Lava wird er in den Himmel speien, dass es Asche auf das Weiß der Holzlatten regnet und der Berg wankt.

Im Innern der Akteure sieht es nicht viel anders aus: "Mir ist, als ob ich den Vesuv im Herzen hätte", singt Dorabella irgendwann in 2. Akt, heftig geschüttelt von dem, was sie für Liebe hält. Mit der Moral der beiden Schwestern ist es nicht weit her. Ihre Treueschwüre halten keine 24 Stunden, die Verlobten sind kaum tränenreich verabschiedet, schon erliegen sie den Avancen sonnenbebrillter Albaner. Dass es sich dabei um eine Ausnahme handelt, wollen Mozart und sein Textdichter Lorenzo da Ponte uns nicht in Aussicht stellen. Cosi fan tutte, so machen's alle, lautet der ernüchternde Titel ihres Dramma giocoso.

Annegret Ritzel geht das Ganze dann auch nicht besonders ernst, im Detail aber sehr genau an. In den besten Momenten entwickelt ihre erstmals im Mai 2000 aufgeführte, jetzt wiederaufgenommene Inszenierung einen ballettuösen Bewegungsablauf, wunderbar choreographiert und mit schönem, nie diskreditierendem Blick für die Absurdität des von Don Alfonso (Johannes Martin Kränzle) eingefädelten Possenspiels. In den schlechteren plätschert sie unentschieden und vielleicht auch ein wenig ratlos vor sich hin.

Darüber rettet dann Mozarts Musik hinweg, vom Frankfurter Kapellmeister Johannes Debus zügig, kokett, leicht und doch mit Nachdruck dirigiert, eine enorm viel versprechende Leistung. Dem steht das Sängersextett in nichts nach, allen voran Fiordiligi (Maria Fontosh) und Dorabella (Elina Garanca), aber auch Nathaniel Webster als Guglielmo und Yves Saelens als Ferrando, die nicht nur solistisch Mozart auf den Grund gehen, sondern auch dessen Idee von Ensemblegesang begreifen. Die kontemplativen, jede Erinnerung an dramatische Zeit, Handlung, Logik suspendierenden Ensembles, etwa die Verabschiedung der Verlobten im ersten Akt, heben die Maskerade auf eine neue, höhere Ebene, die von keiner Verwechslungskomödie und schon von gar keinem Vulkanausbruch zu erschüttern ist.

Auch am 1., 3., 9., 11. und 17. Mai. Karten-Tel. 069/13 40 400.

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Dokument erstellt am 22.04.2003 um 18:04:02 Uhr
Erscheinungsdatum 23.04.2003

 

Frankfurter Neue Presse
22. April 2003

Gefährlich droht der Vesuv
"Così fan tutte" in der Inszenierung von Annegret Ritzel wurde an der Oper Frankfurt wiederaufgenommen.

Gary Bertinis "Così", hochkarätig besetzt und von der Kritik streng gescholten, überdauerte wenige Tage, dann brannte das Opernhaus ab. Annegret Ritzels Arbeit aus dem Jahr 2000 sucht keine Neuheiten, sondern eher spielerische Vertiefung. Wobei sie mit dem stets dräuenden Vesuv im Hintergrund klar macht, dass hier explosive und dunkle Kräfte am Werk sind: die Macht aus der Kontrolle laufender Gefühle, zumal wenn man noch mit ihnen zynisch spielt. Dennoch, auch trotz der finalen Erstarrung verliert das Spiel nie seine komödiantische Leichtigkeit, die Bewegungslust, die Frau Ritzel geschickt am Leben hält, von hübschen Einfällen zusätzlich aufgelockert.

Neu gegenüber der Premiere waren sämtliche Protagonisten, was die musikalische Qualität der Wiederaufnahme jedoch keinesfalls schmälerte. Alles neu? Eine Ausnahme gibt es. Johannes Martin Kränzle, Guglielmo der Premiere, singt schlank und markant und klug dazu den Drahtzieher Don Alfonso. Dass aber auch Drahtzieher gezogen werden, demonstriert Britta Stallmeister als Despina, die zumindest im kraftvollen Klang der Stimme über das Soubretten-Klischee hinausgeht. Bewundernswert aufeinander abgestimmt sind die beiden Paare: auf der einen Seite Maria Fontisch als Fiordiligi, die mit strahlend-kräftigem Sopran die ganze Bandbreite des "Come scoglio" bewundernswert durchmisst, und Yves Saelens als Ferrando mit schmiegsamer Linie, andererseits Elina Garanca als leidenschaftliche, flexible Dorabella und Nathaniel Webster als Guglielmo mit klangschöner Lyrik auch in der Höhe. Johannes Debus am Pult sorgt für aufregende Kontraste bei sehr sorgfältiger Differenzierung der Tempi, übrigens auch der lebendigen Rezitative. Er bewirkt ein wundervolles Gleichgewicht. (Jö)