Darmstädter Echo
9. Februar 2002

Meyer-Oertel inszeniert Mozarts Oper
Packender, lebendiger und unterhaltsamer Theaterabend

Giovannis betörend kühler Charme


ZUPACKEND und charmantversucht Don Giovanni (Werner Volker Meyer) mit Zerlina (Andrea Bogner) anzubandeln. Szene aus Friedrich Meyer-Oertels Inszenierung der Mozart-Oper im Großen Haus des Staatstheaters Darmstadt.
(Foto: Cornelia Illius)

Von Heinz Zietsch

Darmstadt. „Du bist als Verführer nie leidenschaftlich, sondern stets kühl gewesen", wirft Don Giovannis Vater in Torrente Ballesters Roman „Don Juan" seinem Sohn vor. Ähnlich sieht wohl auch der Regisseur Friedrich Meyer-Oertel diese Gestalt der Weltliteratur und des Welttheaters, wenn er Mozarts Oper „Don Giovanni" inszeniert, die am Samstag im Großen Haus des Staatstheaters Darmstadt Premiere hatte.

Giovanni geht buchstäblich über Leichen. Den Komtur hat er nicht mit seinem Degen getötet, sondern meuchlings mit einem Dolch. Dann ritzt er, eiskalt über dem Toten stehend, mit dem Degen kreuzweise dessen Kehle.

Auch das helle, klinisch weiße klassizistische Bühnenbild mit seinen labyrinthischen Häuserschluchten, palastartigen Gebäuden und Parkanlagen von Hartmut Schörghofer wirkt kühl und gespenstisch schön, vermittelt zugleich südländisches Flair. Häufig bewegt sich dazu die Drehbühne, denn Giovanni hält es nirgendwo lange aus.

Hat er eine Frau in seinen Armen, denkt er sogleich an die nächste. Wie kann er da Leidenschaft entwickeln, die eine gewisse Zeit braucht? Von ständiger Unruhe ist Giovanni getrieben. Er scheint mit seinem weiten Mantel gar zu fliegen wie ein Schmetterling – von einer weiblichen Blume zur anderen.

Zwar ist die Titelfigur schwarz kostümiert, doch der Kostümbildnerin Ulrike Schörghofer wäre das wohl zu viel Schwarzweißmalerei gewesen, deshalb setzt sie viele bunte Kostüme dagegen; zumal wenn Zerlina mit ihren Bauern daherkommt, wird der Zuschauer an ein spanisches Trachtenfest erinnert.

Meyer-Oertels „Don Giovanni" ist das Paradebeispiel einer werkgerechten, geradezu klassischen Interpretation, die der Regisseur in der Entstehungszeit um 1787 ansiedelt. Diese Inszenierung, die keinesfalls in unzugänglichen Tiefen gründelt, wirkt schlüssig und ausgewogen. Nur wenigen Regisseuren gelingt es, Mozarts Charakterisierung dieser Oper als „Dramma giocoso" derart stilvoll und stimmig als heiteres Drama umzusetzen.

Geschickt nutzt der Regisseur Situationskomik, etwa wenn Giovanni, verkleidet als dessen eifriger Diener Leporello, bei Donna Elviras Zofe fensterlt, derweil die Bauern mit ihrem Arbeitsgerät Giovanni lynchen wollen, der schließlich als vermeintlicher Leporello entkommen kann.

So lebendig und vielschichtig hat man „Don Giovanni" selten erlebt, und der von André Weiss glänzend einstudierte Chor ist nahtlos ins Spiel integriert. Jede Person ist hier in ihrem Charakter ausgefeilt. Alle Frauen erliegen dem kühlen Charme des Protagonisten. Selbst die so distinguiert wirkende Donna Anna kann offenbar der verführerischen Galanterie Giovannis kaum wiederstehen. Doch sie wird mit ihrer Situation nicht fertig und scheint Depressionen zu verfallen.

Mary Anne Kruger zeichnet diese Partie am Rande des Wahns und schöpft ihre sensible sängerische Gestaltungskraft dabei wirkungsvoll aus. Ein wahrer Springinsfeld, sprunghaft in seinen Handlungen und behend in den Bewegungsabläufen ist Werner Volker Meyer in der Titelrolle, die er tonlich sicher und mit feinen Nuancen in der Stimme ausstattet. Schalkhaft und durchtrieben ist sein Don Giovanni, eine Spielernatur durch und durch.

Wann hat man je das populäre „Là ci darem la mano" (Reich’ mir die Hand) – es wird auf Italienisch gesungen – mit derart viel schmeichlerischem Charme und anziehender Verführungskraft vernommen? Strahlt dieser Gesang Wärme oder Kälte aus? Jedenfalls ist er eiskalt überlegt.

Und Hans Christoph Begemann als Leporello wirkt wie ein Bruder, ein Alter Ego Don Giovannis. Möchte er doch auch gerne so sein wie sein Herr. Es gelingt ihm allerdings nicht ganz, denn so galant wie sein Herr geht er nicht mit den Frauen um. Begemann ist blendend bei Stimme und macht aus seiner Partie mit geschmeidigen Tönen eine Paraderolle.

An Stimmkraft und –balance enorm gewonnen hat Andreas Wagner, der hier als Don Ottavio für feine gesangliche Schattierungen sorgt. Großartig Janice Dixon (ein Gast) als Donna Elvira, deren dramatischer Sopran keinerlei Schärfen in den Höhen zeigt und in der Mittellage warm und rund wirkt.

Für den Zuschauer gut nachtvollziehbar zeichnet sie kraft ihrer großen stimmlichen Wandlungsfähigkeit die Entwicklung einer von Giovanni sitzen gelassenen Frau nach, die am Ende ins Kloster geht. Als wären sie zwei Schwestern im Geiste, nimmt sie Donna Anna am Ende bei der Hand. Wird auch Anna ins Kloster gehen?

Fein und weich, dabei vollkommen natürlich und leicht charakterisiert Andrea Bogner die Zerlina. Solide wie sein Typ in der Oper angelegt ist, zeichnet Jürgen Orelly den Masetto. Mit profundem Bass, präzise und deutlich gestaltet Friedemann Kunder den Komtur. Eine veritable Mandolinenspielerin (Sonja Wiedemer) darf beim Ständchen auch noch auf der Bühne sichtbar die Saiten zupfen.

So verwinkelt wie das Bühnenbild, dennoch klar und scharf konturiert schöpft der Dirigent Raoul Grüneis Mozarts Partitur aus, das Tempo dabei präzise kalkulierend, den Klangraum in seiner Tiefenwirkung auslotend, dabei immer wieder Dynamik neu entfachend.

Dies alles und ein glänzend eingespieltes und gut aufeinander hörendes Orchester – zumal in der Mischung der Klangfarbenschattierungen von Bläsern und Streichern – ergeben einen packenden, lebendigen, vor allem unterhaltsamen Theaterabend, der mit Pause nach weniger als dreieinhalb Stunden zu Ende ist.

Das Publikum ist begeistert von der Ensembleleistung – Jubel auch für das Regieteam, dem dann gar stehend Ovationen dargebracht werden. Zu Recht, denn dieser „Don Giovanni" zählt zu den besten Regiearbeiten des Darmstädter Operndirektors Meyer-Oertel, der mit einem weißen Bühnenvorhang, der ins muntere Spiel einbezogen wird, elegant den „Don Giovanni" als ein grandioses Stück Welttheater kennzeichnet.

Im Februar gibt es noch zwei Aufführungen des „Don Giovanni" im Großen Haus des Staatstheaters Darmstadt: am 12. und am 26. – jeweils um 19 Uhr.

 

Frankfurter Rundschau
10.02.2003

Geschrumpft auf Mantel und Degen: Mozarts "Don Giovanni", am Darmstädter Staatstheater im Singspiel-Format
Der kleine Herr Komtur

Von Stefan Schickhaus

Es gibt Opern, die funktionieren immer. Giuseppe Verdis Rigoletto zum Beispiel: Wenn der Hofnarr am Ende seine sterbende Tochter aus dem Sack zieht, ist man zu Tränen gerührt, egal, was die Regie daraus gemacht hat. Oder Mozarts Don Giovanni: Die Abendmahl-Szene ist einfach so groß, dass man sie nur schwerlich klein bekommt. Die musikalische Potenz der Don Giovanni-Oper steht der lendlichen ihres Titelhelden in nichts nach. Diese Oper kann immer.

In Darmstadt wird deren Spannkraft jetzt aber mit leichtfertiger Hand arg auf die Probe gestellt. Operndirektor Friedrich Meyer-Oertel stellt hier eine Neuinszenierung vor, die schlaff wie ein Singspiel in den Kulissen hängt. Alles ist "giocoso", nämlich lustig, und das "Dramma" findet nicht statt. Leichtigkeit liegt in der Luft, Diabolus Giovanni ist zum fröhlichen Freier miniaturisiert. Meyer-Oertel hat einen Opernliebling auf Kinderformat geschrumpft.

Wie ein Schlumpf winkt ein Koch aus seiner Nische heraus, wenn er zum letzten, zum Abendmahl-Bild die Köstlichkeiten anreicht. Bei jeder Silberplatte aufs Neue. Ein Koch aus Leckerland für ein Abendmahl auf Operettenbasis.

Dann kommt der kleine Herr Komtur, mit ihm etwas Nebel, allerdings längst nicht so viel, wie man nach dem Lärmen der Nebelmaschine erwartet hätte. Der Nebel wird rot angestrahlt, drei echte Flammen schlagen hoch (der Brandschutztechnologiefirma wird im Programmheft gedankt, und vor der Oper warten zwei Feuerwehren mit Blaulicht), Don Giovanni fährt zur Hölle. Ganz kalorienbewusst und leicht.

Oper wie diese muss man mittlerweile schon mit der Lupe suchen hier zu Lande. Gespielt mit Mantel und Degen, bezopft mit gepuderter Perücke, angeleitet in erster Linie vom Fechtmeister, mit viel tanzendem Bauernvolk in Tracht. Ein Saurier des Theaterwesens, ohne jedes irritierende Moment. Keine Bildidee, keine Bewegung, die nicht als Regieanweisung auch im Libretto steht.

Alle Beteiligten passen sich dem Tempo und Gewicht der Regie an, und das dann sogar überraschend Gewinn bringend. So ist die Drehbühne, die Hartmut Schörghofer gebaut hat, ein geradezu idealer Ort für flüssiges Spiel und burleskes Treiben zwischen klassizistischen Säulen. Und auch Raoul Grüneis im Orchestergraben macht das Beste aus dem flockigen Zugriff. Unter seinem Dirigat wird die Don Giovanni-Partitur zur kammermusikalischen Linie, statt Orchesterdonner hört man Struktur und feine Schärfe. Die großen Ensembleszenen hat der Darmstädter Kapellmeister so optimal im Griff, bei ihm zahlt sich der Verzicht auf diabolischen Furor als echter Mehrwert aus.

Die Premierenbesetzung auf der Bühne begann stark, gegen Ende ließen einige der Protagonisten allerdings dann etwas nach. Ein wenig der Tenor Andreas Wagner (Don Ottavio), deutlich mehr Mary Anne Kruger (Donna Anna), die eine ausgezeichnete, ja blendende erste Hälfte hatte. Anders Janice Dixon, die New Yorker Sopranistin, die als Gast vom Nationaltheater Mannheim gekommen war und in der Rolle der Donna Elvira mit zunehmender Spieldauer immer besser zu werden schien. Gewohnt gut kam Hans Christoph Begemann als Leporello an, noch mehr Wirkung machte Werner Volker Meyer als Don Giovanni. Was hätte man mit ihm alles machen können, einem Sängerdarsteller voll Präsenz und Spielstärke! Der blitzschnell vom Charmeur zum Choleriker zu mutieren vermag, dabei im parlando ganz natürlich und auch in den Arien noch spielbereit bleiben kann. Doch viel mehr als geräuschvoll den Degen zu ziehen hatte er szenisch leider nicht zu tun.

• Darmstadt; die nächsten Vorstellungen sind am 12. und 26. Februar, Beginn ist immer um 19 Uhr. Karten-Tel. 0 61 51/29 38 38.

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Copyright © Frankfurter Rundschau 2003
Dokument erstellt am 09.02.2003 um 17:48:42 Uhr
Erscheinungsdatum 10.02.2003

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Frankfurter Neue Presse
11.02.2003

Mozarts "Don Giovanni" hatte am Staatstheater Darmstadt Premiere.
Blick in ein verzweifeltes Herz

Von Rudolf Jöckle

Friedrich Meyer-Oertel inszenierte. Keine Experimente, keine unerhörte Lösung dieser unerhörten Geschichte: Meyer-Oertel hält es mit dem Traditionellen, das er sanft und manchmal auch energisch modelliert und keinesfalls verfremdet.

Die Bilder sind der Zeit entlehnt, in der die Oper kurz vor der großen Revolution entstand, in der sich die glatten Wände des Klassizismus (Bühnenbild: Hartmut Schörghofer) schon breit machen und die Kostüme (Ulrike Schörghofer) den Pomp des Rokoko abstreifen. Ein breiter Architrav öffnet den Bühnenraum, der linkerhand mit einer Wand samt Bank abschließt, auf der Don Giovanni, von einem Mandolinisten unterstützt, sein Ständchen singen wird. Denn ein Schiebefenster in der Wand gibt Einblick ins Zimmer der Donna Elvira und der Zofe, die man dann endlich einmal handgreiflich mit Giovanni sehen darf.

Am Architrav hängt eine Art Brecht-Gardine, bisweilen durchscheinend, immer wieder zur Gliederung, zur Absonderung verwendet. Zum Finale im "Saal" wird sie von Don Giovanni selbst aufgezogen. Die Bühnenmitte suggeriert mit Hilfe der Drehbühne eine Stadtlandschaft, vielgestaltig und -winklig, der rechte Raum für Heimlichkeiten und überraschende Begegnungen. Hier taucht auch der Festsaal auf oder das bleiche Standbild des Komturs. Die Drehbühne provoziert Tempo, Meyer-Oertel hält denn auch Protagonisten und Chor in ständiger Bewegung, manchmal zu sehr, wie beim Bankett, bei dem die Bühnenmusiken teilweise untergingen. Meyer-Oertel baut kein philosophisches System auf, andererseits verdeutlicht er immer wieder Zusammenhänge und "Psychologie".

Die Donna Anna – Mary Anne Kruger mit hellem Timbre, nie hochdramatisch, bei einigen Spitzentönen mit Mühen – zeigt er als durchaus verführbar und motiviert damit ihre maßlose Trauer bis an die Grenze der Larmoyanz. Donna Elvira – Janice Dixon mit großem Ausdruckspotenzial – wird dagegen nach dem Zusammenbruch, nach der Registerarie aufgewertet, um schließlich beim "In quali eccessi" tragische wie menschliche Größe zu gewinnen. Auch Don Ottavio – Andreas Wagner singt ihn eher unauffällig – darf endlich einmal Gefühl zeigen: Er wirft Annas Rosen wütend gegen das Komtur-Denkmal, ein kurzer Blick in ein verzweifeltes, zweifelndes Herz. Don Giovanni – Werner Volker Meyer mit behänder, eleganter, dabei nicht zu fülliger Stimme, ähnlich wie der sehr präsente, bewegliche Leporello von Hans Christoph Begemann (vielleicht im Stimmcharakter doch zu ähnlich) – ist im wahrsten Sinne gewissenlos, also verständnislos gegenüber den Gefühlen anderer, und unbeherrscht dazu. Sein Untergang vollzieht sich wenig aufregend, dafür von der Windmaschine lärmend begleitet im Bühnenvordergrund, aus dem Feuer und Rauch steigen, während der zügellose Edelmann in die Hölle fährt.

Jürgen Orelly als kerniger Massetto, Andrea Bogner als resolute Zerlina – beide dürfen nach dem "Vedrai, carino" in einer Gasse kopulieren – sowie Friedemann Kunder als sehr markanter Komtur runden ein homogenes, stimmlich eindrucksvolles Ensemble ab. Angenehm auffallend die (noch nicht konsequente) Verwendung von Fiorituren wie die blitzsauberen Rezitative, die Meyer-Oertel immer wieder geschickt gliederte. Raoul Grüneis leitete das stabile Orchester nach der etwas ruhigen Ouvertüre zügig, mit kontrollierter Lebhaftigkeit und sorgfältig gestaltet. Mehr Tiefenschärfe mag in den nächsten Aufführungen dazukommen. Gewaltiger Jubel des Publikums, das zu gerne in die Arienschlüsse hineinklatschte.

 

Wiesbadener Kurier
11.02.2003


Tendenz Singspiel: "Don Giovanni" mit Werner Volker Meyer und Andrea Bogner.
Bild: Cornelia Illius

"Don Giovanni" hatte in Darmstadt Premiere
Echt spanisch

Von Kurier-Mitarbeiter
Axel Zibulski

Dass es so etwas heute noch gibt: Don Giovanni trägt Zopf, Mantel und streckt den Komtur in einer veritablen Fechtszene nieder, auf dass der Gemeuchelte, nur torkelnd noch, einen roten Blutfleck auf die weiße Kulissenwand presst.

Dieses Bühnenbild, das Hartmut Schörghofer für die Darmstädter Neuinszenierung von Mozarts "Don Giovanni" errichtet hat, mutet reichlich spanisch an: Gatter, Gassen, Winkel, Schwarz und Weiß, die Drehbühne fährt Karussell.

Nicht weniger spanisch kommt einem die Konventionalität von Friedrich Meyer-Oertels Regiearbeit vor. Da stampfen die Bauern und dampfen die Nebelwerfer. Wenn der Frauenheld im Finale des zweiten Akts vom Steinernen Gast abgeholt wird, versinken er und die Bühne in einem Meer von feuerrotem Theaternebel. Fast schon unfreiwillig komisch wirkt das, und man ist in Darmstadt tatsächlich amüsiert - vielleicht, weil zuvor Mozarts "Dramma giocoso" so richtig "giocoso, giocoso" gespielt wird. Der Bauernchor (Kostüme: Ulrike Schörghofer) hüpft von einem Bein aufs andere, der Masetto nach erfolgter Versöhnung auf die Zerlina. Nur der Komtur, der steht fest und gipsern auf seinem Sockel.

Ganz, ganz dicht ist Meyer-Oertel am Libretto geblieben, und gerade dadurch gerät die Oper aller Opern heute in eine eigentümliche Schieflage. Denn allzu stark wirkt so die Tendenz zum bloß heiteren Singspiel. Es sind eben Szenen wie Giovannis Höllenfahrt, die heute ein wenig mehr Kreativität verlangen, als Meyer-Oertel sie in seiner Neuinszenierung bietet. Recht gewöhnlich bleiben auch einige Elemente der durchaus detailgenauen Personenführung, etwa das alberne Fensterln bei Donna Elvira oder der eisige Griff des Komturs nach Giovanni.

Schon glücklicher fällt da die musikalische Bilanz aus: Das Darmstädter Orchester, in der Ouvertüre noch ein wenig schummrig und behäbig, sekundiert das Geschehen bald mit leichtem Fluss und sauberem Spiel. Dirigent Raoul Grüneis hat zudem die Ensembles und auch den von André Weiss einstudierten Chor tadellos im Griff. Unter den Solisten überzeugen gerade die Damen. Darmstadt bietet mit Mary Anne Kruger eine hoch noble Donna Anna, die nur im zweiten Akt vereinzelt unscharf intoniert. Janice Dixon ist eine stimmgewaltige, feurige Donna Elvira, Andrea Bogner bietet in der Premiere eine silbrig-leichte Zerlina. Als Don Giovanni schlägt sich Werner Volker Meyer tapfer, ist ein geschmeidiger Darsteller, singt duftig das Ständchen, quirlig und exakt die Champagner-Arie. Die Bass-Partie seines Dieners Leporello liegt für Hans Christoph Begemann vielleicht eine Spur zu tief: Hier besticht vor allem sein Spiel. In jeder Hinsicht rollengerecht agieren Andreas Wagner (Don Ottavio), Friedemann Kunder (Komtur) und Jürgen Orelly (Masetto). Viel Applaus. Auch fürs Regieteam.

 

egotrip.de
Februar 2003

Mozarts "Don Giovanni" in einer neuen Inszenierung des Staatstheaters Darmstadt
Abgründe zwischen Schwarz und Weiß

Wenige Opern haben die Gemüter so bewegt und die Dikussionen so angeheizt wie Mozarts "Don Giovanni". Mag sein, dass manche - modernere - Oper aktuelle Zeitumstände provokanter oder schärfer thematisierten, in der Mehrdeutigkeit jedoch kommen wenige an diese wohl bedeutendste Oper Mozarts heran. Nicht um- sonst wurde sie zu ihrer Zeit als "Oper aller Opern" bezeichnet. Deshalb auch finden Neu-Inszenierungen dieses Werkes besonderes Interesse.

Im "Don Giovanni" wächst Vieles zusammen, was nach klassischer Opernsicht nicht zusammen gehört. So war die "Opera seria" - die ernste Oper - thema- tisch immer den höheren Gesellschaftsschichten - vorzugsweise dem Adel - gewidmet, denn tiefe Gefühle waren kein Attribut der einfachen Leute, und ein Ver- such, so etwas zu behaupten, hätte die meist adligen Zuschauer brüskiert. Das Volk wiederum kam haupt- sächlich in der "Opera buffa", dem mal lustigen, mal derben Singspiel zu Wort. Mozart jedoch vermengte diese beiden Welten in einer Oper, die er auch noch "Opera jocosa" nennt. Im "Don Giovanni" wechseln sich burleske, handfeste Szenen mit solchen tiefster Seelenpein und höchster Liebessehnsucht ab. Mal ist einem zum Lachen, mal zum Weinen zumute.

Und noch etwas Neues wagten Mozart und Da Ponte, sein Librettist. Sie führten den Typ des schranken- losen, außer aller Ordnung stehenden Libertins ein, der nur dem Augenblick lebt und seine gesellschaftliche Stellung skrupellos bis zur Neigung auf Kosten seiner Mitmenschen auslebt. Jetzt versteht man auch, dass diese Oper an einem Ort wie Prag, weit ab vom Wiener Hof, Triumphe feiern konnte, während sie im Zentrum der Adelsmacht eigentlich nur Befremden auslöste.


Christoph Begemann (Leporello) und Janice Dixon (Donna Elvira)

Die Handlung sei hier noch einmal kurz zusammengefasst. Der erotomane Don Giovanni ist maskiert nächtens bei der schönen Donna Anna mit eindeutigen Absichten eingestiegen und tötet im Duell deren zur Hilfe herbeieilenden Vater, den Komtur. Donna Anna bittet ihren Verlobten Don Ottavio um Rache an dem noch unbekannten Täter, während dieser sich mit seiner verflossenen Ehefrau Donna Elvira herumschla- gen muss, die ihm überall hin folgt. Geschickt schiebt er sie seinem leidgeprüften Diener Leporello hin, der ihr dann genüsslich in der "Register-Aarie" die erotischen Erfolge seines Herrn vorblättert. Anschließend gerät Don Giovanni in eine Bauernhochzeit und beginnt sofort, die junge Braut Zerlina zu umgarnen. Die vor dem bekannten "Reich mir die Hand zum Leben" dahin Schmelzende wird gerade noch von der hinzukommen- den Donna Elvira gerettet und aufgeklärt. Bei einem zufälligen Treffen mit dem bekannten Edelmann Don Giovanni erkennt Donna Anna in ihm den Mörder ihres Vaters und beschließt zusammen mit Don Ottavio, die Rache selbst in die Hand zu nehmen. Bei dem von Don Giovanni für die Hochzeitsgesellschaft veranstal- teten Fest - eigentlicher Grund ist die Braut Zerlina - erscheinen die Rächer vermummt und entlarven Don Giovanni, doch ein aufkommendes Gewiiter treibt die ganze Gesellschaft auseinander. Als Don Giovanni in Leporellos Kleidung auch noch Elviras Zofe verführen will - die fängt man nicht als Edelmann - und derweil der sichtlich überforderte Leporello als Don Giovanni mit Donna Elvira flirten muss, zieht sich die Schlinge zu. Der falsche Don Giovanni wird von der rächenden Truppe unter der Führung des fast gehörnten Bräutigams Masetto gefasst und entgeht dem Tod nur durch das Eingeständnis des Kleidertausches. Don Giovanni selbst hatte - als Leporello - die Häscher auf seinen vermeintlichen Herrn gehetzt. Bei einem zynischen Gelage am Grabe des Komturs lädt Don Giovanni dessen lebensgroße Statue zum Abendessen ein und erhält eine deutliche verhehmbare Zusage. Ungerührt lässt er das Essen vorbereiten und lässt sich auch nicht von einem letzten Rettungsver- such Donna Elviras erschüttern. Schließlich tritt die Statue des Komturs durch die Tür und verdammt den bis zuletzt reuelosen und selbstbewussten Don Giovanni zur Höllenfahrt. Der abschließende Epilog der Überlebenden fasst dann noch einmal die "Moral von der Geschichte" zusammen.

Nach der Ouvertüre ist das Bühnenbild der erste Eindruck einer Inszenierung. Das Sehen kommt vor dem Hören. In Darmstadt hat Hartmut Schörghofer eine bewusst enge Stadtkulisse mit einem Turm-Torso auf die Bühne gestellt, mit der er zwar den Spielraum auf eine kleine Fläche an der Rampe verengt, aber den- noch immer wieder Wege in das Innere der Kulissen eröffnet. Geschickt sucht sich vor allem Don Giovanni durch dieses Labyrinth immer wieder einen Zugang zu neuen Abenteuern und Fluchtwege aus prekären Situationen. Die Drehbühne verändert die Umgebung auch während der Handlung und gibt dadurch immer wieder andere Blickwinkel frei. Besonders beeindruk- kend zeigt sich die Kombination von Kostümen und Bühnenbild in den dramatischen Szenen mit dem Standespersonal - Donna Anna, Donna Elvira, Don Ottavio. Die schwarzen Gewänder vor weißen oder auch mal schwarzen Wänden spiegeln den katholi- schen Hintergrund des spanisch-österreichischen Kultur wider und verbreiten geradezu eine klerikale Beklemmung. Das Zeitkolorit wird durch die historischen Kostüme ausdrücklich unterstützt.

Friedrich Meyer-Oertels Inszenierung verzichtet auf jegliche Zugeständnisse an Modernierungsfreunde. Neben Bühnenbild und Kostümierung bleibt das Stück strikt in seiner Zeit und - seltsam - wirkt gerade dadurch zeitlos. Dies erreicht Oertel mit einer zuge- spitzten Konturierung der Charaktere. Da ist vor allen anderen Don Giovanni zu nennen, der hier nicht - wie so oft - als mehr oder minder akzeptabler Lebemann auftritt, sondern als skrupelloser, mit allen Wassern gewaschener Verführer. Dies wird bereits in der ersten Szene klar, wenn er den Komtur nicht im "fairen" Fechtkampf sondern hinterrücks mit einem kaum sichtbaren Dolch tötet. Dass es sich bei den Objekten seiner Begierde um Frauen handelt, ist fast neben- sächlich. Im Mittelpunkt steht seine Gier, den Augen- blick zu genießen, und seine Leugnung jeglicher Schranken. Insofern steht Don Giovanni auch für den skrupellosen Machtpolitiker oder Medienstar heutiger Tage, ohne das dies plakativ ausgebreitet werden muss. Werner Volker Meyer bringt diesen Wesenszug Don Giovannis meisterhaft zum Ausdruck, so wenn er nach zwei, drei "Augenblicken" Zerlina mit geradezu mit professioneller Kunst und zynischen Lügen zu verführen trachtet, oder wenn er die wütende Donna Elvira vor Aller Augen als verrückt darstellt. Sein Don Giovanni ist bis zum Schluss immer Herr der Lage, geht über Leichen, notfalls auch über die seines treuen Dieners Leporello, und hat Spaß daran, die Welt zum Tanzen zu bringen. Selbst der finalen Todesdrohung der Komturstatue tritt er noch lachend entgegen.

Als Gegenentwurf zu dieser Welt einer entgrenzten Libertinage baut Oertel das Trio um Donna Anna auf, die ihre beiden Gefährten Don Ottavio und Donna Elvira deutlich überragt. Im Gegensatz zur wütenden und doch liebenden Donna Elvira folgt sie einem Plan, für den sie Don Ottavio benötigt. Dieser soll nicht nur den Tod des Vaters rächen sondern auch die Flamme der erotischen Begierde löschen, die sie in Don Giovannis Augen entdeckt und in sich selber gespürt hat. Diese Begierde verstößt gegen den katholischen Sittenkodex und ist daher radikal zu vernichten.

In Don Ottavio sieht Anna einerseits den willfährigen weil hingebungsvollen Vollstrecker, andererseits einen faden Langeweiler ohne das Feuer, das sie innerlich gefangen hat. Ihre geradezu überirdische Trauer und Rachsucht sind nur als selbstzerstörerischer Reflex einer erzkatholischen Erziehung zu verstehen.


Friedhof mit Komtur-Statue und Don Giovanni

Don Ottavio bleibt auch bei Meyer-Oertels Insze- nierung der sittsame Spießer, wie wir ihn kennen, auch wenn er die gefühlvollsten Seufzer-Arien über die stets vertagte Erfüllung seiner Sehn- süchte von sich gibt. Donna Elvira dagegen ist ein wahres Pulverfass voll von liebesgetränkter Wut. Bis kurz vor Don Giovannis Ende hofft sie noch auf seine Bekehrung und Rückkehr zu ihr. Auch die schlechteste Behandlung seitens des Wüstlings können dieser Liebe nichts anhaben. Diese beiden Frauen, und mit Abstrichen auch Zerline, stehen für den tief sitzenden Hang der Frauen zu skrupellosen Machos, den man noch heute beobachten kann.

Als dritte Gruppe stehen die Bauern für eine pragmatische und unverstellte Weltsicht. Vor allem Zerlina lässt sich zwar durch die Möglichkeit, Schlossherrin zu werden, zur Untreue verleiten, gewinnt aber nach der Enttäuschung überra- schend schnell ihre pragmatische Weltsicht zurück und erobert Masetto in einer betörenden Schmeichel-Arie wieder zurück. Als einzige der Frauen geht sie schadlos aus dem Geschehen hervor.

Bei Meyer-Oertel gewinnt der "Don Giovanni" Dimensionen über eine moralische Lehrfabel hinaus. Hier tun sich Abgründe zwischen den weißen Mauern Spaniens und den schwarzen Kleidern der Edlen auf. Don Giovanni selbst trägt entweder schwarz oder weiß - außer wenn er seinen Diener imitiert - und dazwischen eröffnen sich Abgründe an Gemeinheit und skrupelloser Selbstverwirklichung auf. Dass diese am Ende scheitert, ist eher eine Randbemerkung, aus- löschen lässt sich diese Grundhaltung nicht.

Die ganze Inszenierung lebt von einem hohen Tempo, das sich weniger in der Abfolge der Szenen als in der Intensität der Gefühle dokumen- tiert. Die äußerst akzentuierte und konturierte Musik des Orchesters trägt wesentlich zu dem Gefühl der Verdichtung bei. Da kommt kein Akkord breit daher, von den ersten düsteren d-Moll-Akkorden der Ouvertüre bis zu den stür- mischen, fast heiteren des Endes wirkt jeder wie gemeißelt. Die einzelnen Instrumente kommen transparent zur Geltung und unterstützen die Handlung durch ihre Dynamik wirkungsvoll. Obwohl die Musik nie dominiert und den Sängern genügend Raum gibt, scheint sie omnipräsent.

Die Akteure wurden dem hohen Anspruch durch- weg gerecht. Allen voran bildeten Volker Werner Meyer als Don Giovanni und Christoph Bege- mann ein perfekt aufeinander abgestimmtes Paar. Beide warfen sich die Bälle zu wie Jongleure und schienen sich blind zu verstehen. Meyer über- zeugte jedoch nicht nur schauspielerisch als lustbetonter Zyniker sondern auch stimmlich, obwohl seine Rolle keine großen, gefühlsbetonten Arien zu bieten hat. Christoph Begemann spielte die Rolle des unterdrückten und doch bauern- schlauen Dieners mit wahrer Wonne. Sein Leporello schimpft, poltert, klagt seinen Herrn an und schafft ihm doch Freiraum für seine eroti- schen Abenteuer. In jeder Szene spürte man den Spaß, den Begemann an dieser Figur hat. Herrlich die Register-Arie, mit der er Donna Elvira in subaltern-triumphierender Art die Wahrheit über ihren Gatten enthüllt. Auch er glänzte außerdem mit einer überzeugenden gesanglichen Leistung.

Mary Anne Kruger verlieh der Donna Anna den tiefen Schmerz und die ganze lyrische Breite, derer sie fähig ist. In den stillen, verzweifelten Momenten ihrer Figur überzeugte sie mit einer Intensität, die auch den letzten Huster verstum- men ließ, um in den Rache-Arien das gesamte Potential ihrer Stimme zu entfalten. Andreas Wagner als Don Attavio konnte in dieser Rolle seinen strahlenden Tenor entfalten, der sich vor allem in den höheren Lagen durchsetzte. Es bereitete ihm sichtlich Vergnügen, sich wieder einmal dem Publikum mit einer großen Rolle präsentieren zu können. Als Dritte im Bunde der Rächer vertrat Janice Dixon als Donna Elvira den temperamentvollen Part. Ihre Wut und Enttäu- schung wirkten jederzeit wahrhaftig, genauso wie das Umkippen in Liebe und Hoffnung. Ihre Stimme strahlte eine durchdringende Kraft mit viel Fülle aus und wirkte dabei nie angestrengt.

Andrea Bogner spielte die Zerlina mit viel Leich- tigkeit und einem fast spitzbübigem Zug. Ihre größten Momente sind das Duett mit Don Giavanni ("Reich mir die Hand...") und das Einfangen des durch - berechtigte - EIfersucht abgängigen Brätigams Masetto. In beiden Sze- nen spielte sie ihr gesangliches wie schauspielerisches Können aus, das der Figur der Zerlina ihre Glaubwürdigkeit verlieh. Jürgen Orelly als Masetto konnte dagegen mehr als Schauspieler denn als Sänger brillieren, ist ihm doch keine große Arie vergönnt. Kurze Ausbrüche der Wut und der Eifersucht kennzeichnen diese Rolle, die Jürgen Orelly jedoch mit viel Gespür für die Situation meisterte.

Friedemann Kunder hatte als Komtur nur zu Beginn eine kurze und am Schluss die statuari- sche Rolle zu spielen. Vielleicht hätte man diese Rolle - vor allem am Schluss - mit einen größeren Darsteller besetzen sollen, denn ihm fehlt die Wirkung der schieren körperlichen Größe. Außer- dem wäre ein schlichteres Kostüm besser gewe- sen als die martialische Ritterrüstung, die eigent- lich gar nicht zu der Zeit passte. Aber sei´s drum, dies sind kleinere Einwände, die den Gesamt- eindruck der Inzenierung nicht beeinträchtigten.

Bleibt noch der Chor zu nennen, der bis zur Pause seine Auftritte absolvierte und die Hoch-. zeitsgesellschaft darstellte. Diesmal waren vom Chor eher szenische als gesangliche Leistungen größeren Ausmaßes zu erbringen, was dem geübten Ensemble jedoch problemlos von der Hand ging.

Das Publikum zeigte sich begeistert und sparte schon bei den Szenen nicht mit Beifall. Bei den einzelnen Darstellern - vor allem werner Volker Meyer, Christoph Begemann und Anne Mary Kruger - erklangen Bravo-Rufe, die dann für die Regietruppe unter Friedrich Meyer-Oertel und für das Orchester unter Raoul Grüneis noch einmal auflebten. Zum Schluss erhob sich das Publikum zu "standing ovations", um anschließend diesen großen Opernabend in einhelliger Begeisterung bei der Premierenfeier ausklingen zu lassen.