Saarbrücker Zeitung
21.4.2003

Kopfgeburten eines Dichter-Riesen
Erfrischend modern, aber ohne alle modische Mätzchen: "Hoffmanns Erzählungen" am Saarländischen Staatstheater

Von Oliver Schwambach

Saarbrücken. Vollendet vieles, anderes nur skizziert und noch ungeordnet: "Hoffmanns Erzählungen", Jacques Offenbachs (1819-1880) letztes und ambitioniertestes Werk, erweist sich seit seiner Uraufführung 1881 als Puzzle-Spiel für Bearbeiter, Dramaturgen und Regisseure. Den Originalplan dazu nahm der Operetten-König mit ins Grab.

Zwischen Barbie und Dolly Buster

Wie stellt man's da bloß an, durch die drei Kern-Akte der Oper, die für Dichter, Musikus und Hauptfigur Hoffmann stets mit Herzschmerz enden, einen reißfesten roten Faden zu weben? Die Schluss-Klammer des Librettos jedenfalls, dass nämlich Olympia, das kesse Püppchen, Bürgerstochter Antonia und Kurtisane Giulietta quasi nur drei Facetten von Hoffmanns einer Angebeteten Stella sind, wirkt da eher dünn.

Regisseur Nicholas Broadhurst sieht das in seiner Saarbrücker Inszenierung genau so. Darum hat er die drei Rollen gar nicht erst einer Sopranistin allein zugeteilt, sondern drei verschiedenen. Und alle drei glänzen. Atombusig trippelt das von Spalanzani (bei Rupprecht Braun eher ein Salonlöwe denn ein Physiker) konstruierte Voll-Kunst-Weib Olympia auf die Bühne; irgendwas zwischen Barbie und Dolly Buster. Dessen Koloraturen jubelt Stefanie Krahnenfeld so glockenrein wie mühelos. Kein Wunder, dass Hoffmann betört ist. Doch bald gibt der Automat den Geist auf.

Antonia, Hoffmanns zweite Herz-Dame, singt wie ein Engel. Bei Oxana Arkaevas dunkel timbrierten Sopran glüht wunderbare Leidenschaft. Aber Antonias Stimme ist auch ihr Verderben - jeder Ton zuviel kann die Schwindsüchtige das Leben kosten. Da nützen auch Papas Mahnungen nichts (Hiroshi Matsui mit weich strömendem Bass). Der finstere Miracle verführt Antonia mit der Aussicht auf Künstler-Ruhm zum eigenen Abgesang, dazu lässt er sogar die Stimme von Antonias toter Mutter (düster verlockend: Maria Pawlus) ertönen. Eher eisig agiert Naira Glountchadze als Profi-Verführerin Giulietta, dafür entfacht ihre Stimme feuriges Verlangen. Doch auch hier winkt kein Happy End: Die Kurtisane treibt Hoffmann in ein Duell mit Nebenbuhler Schlemil (Manfred Bertram).

Vom Märchen-Zauber, der da üblicherweise gern bei "Hoffmanns Erzählungen" wuchert, nehmen Nicholas Broadhurst und sein Ausstatter Jon Morell zum Glück Abstand. Sie interessiert vielmehr Hoffmann, der Mensch, der Mann, der Künstler - und seine Unfähigkeit zu lieben. Ganz in unserer Zeit lebt dieser Hoffmann. Zwischen Bier und Zigarettendunst hockt er in der miefigen Kantine einer Provinzbühne. Nebenan singt Opern-Diva Stella (Eva Steffen). Doch Hoffmann kann sich nicht entscheiden, ob er nun sie lieben soll oder seine Kunst.

Jon Morell schafft dafür Bühnen-Bilder, die sich einbrennen. Vergrößert ins Gigantische wird der Dichter selbst - als mechanischer Riese, der den ganzen Abend die Szenerie beherrscht - und sein Tisch zum Spielfeld der (Opern-)Figuren. Jene Welt, die Hoffmann zu kontrollieren glaubt. Wie bei so vielen Autoren aber entwickeln auch seine Geschöpfe ein Eigenleben. Broadhurst und Morrell öffnen dank der ungewöhnlichen Perspektive auch den Blick in Kopf und Seele Hoffmanns. Und man erkennt: Sein Unglück, seine Bindungsunfähigkeit - alles liegt bei ihm selbst begründet, weil er nicht bereit ist, sein (reales) Leben in die Hand zu nehmen. Dazu passt, dass Broadhurst gerade die Figuren fokusiert, die sich Hoffmann widersetzen. Wie die Muse etwa. Eigentlich nur ein etwas farbloser Begleiter des Dichters. Doch so wie Roswitha Müller sie mit geschmeidigem Mezzo singt, wird sie zur Frau aus Fleisch und Blut, zur verschmähten Geliebten des Dichters. Ein starker Auftritt! Was auch für Alan Cemore gilt. Als Lindorf, Coppelius, Docteur Miracle und Dapertutto baut Broadhurst ihn quer durch die Rollen zu Hoffmanns Gegenspieler auf. Diabolisches Funkeln legt Cemore in seinen eleganten Bariton. Das hat auch was vom Spiel zwischen Mephisto und Faust.

Überhaupt scheint dieser grübelnde Intellektuelle Hoffmann ein Seelenverwandter Fausts. Wobei Gary Bennett aber nur die - freilich mit Bravour bewältigte - Schauspiel-Rolle blieb (der erkrankte Sänger muss vorerst seine Stimme schonen). Tenor-Kollege Keith Ikaia-Purdy lieh von der Bühnenseite aus seine Stimme. Was beileibe keine Notlösung war. Denn er ist ein ganz Großer seines Fachs. Elegant, druckvoll und von silbernem Glanz: eine wunderbare Stimme.

Ein Seelenverwandter Fausts

Nicht das letzte Bravo, das diesem Abend gebührt. Bernd Könnes - auch im ständigen Rollenwechsel von Andr&;s bis Frantz gefordert, bestach mit Buffo-Qualitäten. Und Orchester wie Chor (Leitung: Andrew Ollivant) hatten sich den donnerden Applaus gleichfalls verdient.

Mit Michele Carulli am Pult glänzte das Staatsorchester: klug ausbalanciert das Klangbild, mit markanten Akzenten, forschem Puls und kapriziöser Heiterkeit, dort, wo es die Partitur vorschreibt - aber auch mit herrlich feingesponnenen Klängen.

Weitere Termine: 23. und 26. April, Karten: (0681) 32204.

 


23.04.2003

Hoffmanns Erzählungen von Jacques Offenbach am Staatstheater Saarbrücken

Von Sven Rech

Die Situation kennen wir eigentlich nur aus dem Kino: auf der Leinwand sind berühmte amerikanische Schauspieler zu sehen, die in perfektem, akzentfreiem Deutsch sagen: "Ich seh Dir in die Augen, Kleines" oder "Wo ist Frank?" oder solche Sachen. Und erst im Abspann erfahren wir, daß wir Humphrey Bogart und Charles Bronson nur gesehen haben - gehört hatten wir einen deutschen Synchronsprecher, dessen Namen wir sofort wieder vergessen.

Im Theater ist alles ein bisschen ein anders

Normalerweise wird dort niemand synchronisiert, und wenn, dann kommt der Abspann schon vorneweg in Gestalt des Intendanten, und den Namen der Synchronstimme werden wir sobald nicht vergessen: es ist Keith Ikaia-Purdy. Der lieh - ganz kurzfristig - dem erkrankten Gary Bennett die Stimme, und Gary Bennett lieh der Stimme seine Gestalt. Zusammen spielten sie die Hauptrolle in Hoffmanns Erzählungen, nämlich den chronisch unglücklich verliebten Dichter Hoffmann, der im Wirtshaus sitzt und seinen Freunden etwas vorsäuft:

Man hört es: zusammengenommen ist dieser doppelte Hoffmann unschlagbar. Keith Ikaia-Purdy, der sonst an den Opernhäusern in Wien, Berlin oder New York zu hören ist, konnte sich an seinem Notenpult voll auf seine hoffnungsvolle Tenorstimme konzentrieren, während Gary Bennett - der normalerweise ja ebenfalls über große Stimmqualitäten verfügt - nur den Mund auf und zu machte.

Wie muss er sich dabei gefühlt haben?

Hut ab vor soviel Loyalität! Denn Bennett hat mit seinem stummen Spiel dafür gesorgt, dass die 9 Wochen Regiearbeit nicht umsonst waren - es wäre auch mehr als schade drum gewesen. Denn Nicholas Broadhurst und Jon Morrell, zwei junge Briten, haben viele witzige und geistreiche Einfälle gehabt, um die Erzählungen des Dichters Hoffmann umzusetzen.

Da sieht man ihn zunächst in einer Kneipe sitzen, wie sie schäbiger nicht zu denken wäre: vergammelte Tapete, in der Mitte zwei Klotüren, Resopaltische. Mittendrin verdeutlicht Hoffmann die Legende vom Unglücksraben Kleinzach mit zwei Würstchen - so wie Charlie Chaplin einst in "Goldrausch" mit seinen Schuhen gespielt hat.

Und wie im Kino...

sehen wir den Tisch plötzlich in Großaufnahme. Ein riesiger Hoffmann sitzt daran, und zwischen übergroßen Zigarettenschachteln und einem mannshohen Bierglas entfalten sich die unglückseligen Liebesabenteuer des Dichters, die immer wieder von dem finsteren Lindorf durchkreuzt werden - die ganze Oper nur ein böser Traum von einem, der zu tief in sein Glas geguckt hat?

Jedenfalls eine tolle Spielfläche für alles Phantastische, was diese Oper so packend - und so schwer glaubwürdig darzustellen macht. Hier, auf dem überdimensionalen Biertisch, ist der Fabulierer Hoffmann immer präsent - und damit ist alles erlaubt und alles erklärt.

Da darf dann auch mal...

ein Diener aus den Ohren rauchen, ohne dass sich einer wundert (und es wird noch lange nicht das Extremste sein, was dem Sänger Bernd Könnes da alles abverlangt wird...). Und trotzdem geht in all dem Klamauk die Schauergeschichte vom Scheitern-Müssen der großen Liebe nicht verloren: das ist die Kunst in dieser Inszenierung, und das liegt zum großen Teil auch an den Sängerinnen und Sängern - allen voran: Roswitha Müller in der Rolle der Muse des Dichters.

Aber auch Chor und Orchester haben sich ihren Applaus redlich verdient - und Gary Bennett wird über Ostern soviel Halstabletten lutschen haben, dass die nächste Aufführung dann seine Premiere wird. Ohne Synchronstimme.

http://www.sr-online.de/programm/index.jsp?dir=18&aufklapp=87&akt=892&sonderDesc=0&id=135810

 

Online Musik Magazine
19. April 2003

Erzähls noch einmal!

Von Angela Mense

Offenbachs "Hoffmanns" ist Prüfstein für jeden Regisseur und die Sternstunde aller ambitionierten Dramaturgie. Kaum eine andere Oper besitzt einen vergleichbaren Reichtum an literarischen Querverweisen und Bezügen, aber auch damit verbundene Probleme für eine szenische Umsetzung: Statt einer Handlung werden gleich drei Geschichten hintereinander erzählt und eine vierte zusätzlich noch als Rahmenhandlung. Die drei zentralen Akte hätten jeder für sich schon eine ganze Oper ausgemacht, aber zugleich sind sie drei Version jener ur-romantischen Erzählung vom Künstler, dem nur in der Kunst Erfüllung vergönnt ist - und nicht in der Liebe. Durch den Kunstgriff der Librettisten, vermittels der Rahmenhandlung Werke des historischen und die Biographie eines fiktiven Hoffmann zu verschmelzen, werden die verschiedenen Ebenen miteinander vermischt; und ganz im Sinne Hoffmanns, dessen phantatstisch-romantische Texte oftmals eine gehörige Portion (Selbst-)Ironie enthalten, enthält die Partitur neben Elementen der großen Oper etliche Anklänge an die offenbachsche Operette.


Ein Dichter singt.

Der Regisseur ist gefragt, etwas darzustellen, das zugleich innen und außen stattfindet, in der erzählten und "erzählenden" Welt. Er muß ernste Inhalte schlüssig interpretieren und zugleich die ironischen Momente schwungvoll aber nicht geistlos darstellen. Nicholas Broadhorst gelingt gleichsam ein kleines Opernwunder, wenn er diesen Anspruch nicht nur erfüllt, sondern zudem eine Frische und Unverkrampftheit auf die Bühne zaubert, die ihresgleichen sucht.


Auch ein Automat singt.

Das Bühnenbild bestimmt den konzeptionellen Rahmen. Luthers Weinstube spielt am Bühnenrand in angedeutetem Kneipendekor. Mit hochgefahrenem Prospekt erweist sich der Kneipenboden als Vorderkante eines überdimensionalen Tisches, an dem man einen überlebensgroßen Pappmaché-Hoffmann sitzen sieht. Der Tisch mit Bierglas, Schreibheft und Zigarettenschachtel wird zum bespielten Raum. Das Dekor der übergroßen Gegenstände ist Spalanzanis Salon, Antonias Zimmer oder im letzten Akt ein venezianischer Kanal: Der Krug des betrunkenen Dichters ergießt zugleich Bier und Lagunen-Wasser über die Bühne.


Und ein diabolischer Bariton singt auch...

Den räumlichen Rahmen füllt glaubhaft das Personal: Gary Benett überrascht mit behendem und differenzierten Spiel - obwohl oder gerade da er stimmlich in der Premiere ausfallen mußte. Für die erkältungsgeplagten Stimmbänder sprang kurzfristig der überragende Heldentenor Keith Ikaia-Purdy ein, der die Partie vom Bühnenrand aus zusang. Szenisch wie musikalisch vortrefflich war die als Gast verpflichtete Roswitha Müller als Muse bzw. Nicklausse. Broadhurst verleiht dieser Figur besonderes Gewicht, weiß deren halb involviertes, halb kommentierendes Agieren szenisch zu schultern und kann sich dabei auf eine großartige Interpretin verlassen. Weitere Glanzlichter setzten Alan Cemore als elegant aufspielender Gegenpart Hoffmanns sowie Bernd Könnes in den verschiedenen Buffo-Partien. Die Anklänge an den Tonfall der offenbachschen Operette kamen gut zur Geltung. Könnes als überdrehter Automaten-Diener, skurriler Buttler oder S/M-Fetischist zieht alle Register seines humoristischen Könnens und wirkt nie peinlich oder bemüht.

Der Nachweis wird erbracht, daß die vordergründige Heterogenität des Stückes sich zu einem vielgestaltigen Ganzen zusammenführen läßt. Ein Verdienst, das zu einem Gutteil auch Michele Carulli am Pult des Saarländischen Staatsorchesters zukommt. Die elegante Präzision hatte im Graben ebenso ihren Platz wie der große Gefühlsausbruch, das geistreiche Zitat ebenso wie dramatische Zuspitzung. Carulli findet eine ausgewogene Balance der Tonfälle und koordiniert ein weitestgehend präzises Zusammenspiel von Orchester, Solisten und einem wie schon so oft hervorragend aufgelegtem Chor.

FAZIT
Eine Produktion, die einem den Glauben an die Oper zurückzugeben vermag.