Premieren-Ausblick: Autor Viktor Jerofejew über Schnittkes Oper in Darmstadt DARMSTADT. Vielleicht war es keine ganz so gute Idee des Moskauer Literaten aus Viktor Jerofejews Erzählung, einen Irren bei sich aufzunehmen. Denn das „Leben mit einem Idioten" führt nicht zu interessanten Gesprächen, sondern zu einem geplünderten Kühlschrank und grotesken Gewaltexzessen. Ja, der Versuch, seinen Egozentrismus zu überwinden, endet für den Literaten selbst im Irrenhaus. Für Jerofejew, einen der meistgelesenen russischen Gegenwartsautoren, zeitigte die Erzählung eine andere überraschende Folge. Auf Bitten seines 1998 gestorbenen Landsmanns Alfred Schnittke wurde er Opernlibrettist und fertigte aus dem Stoff der Erzählung die Textvorlage zur gleichnamigen Oper, die Schnittke komponierte. Bei einer Einführungsmatinee zur Oper, die am nächsten Samstag (15.) im Darmstädter Staatstheater Premiere haben wird, betonte Jerofejew gestern die Offenheit seines Textes für verschiedene Interpretationen. Natürlich könne der Irre, der Lenins Kosenamen „Wowa" führt, als Verweis auf die Welt des Politischen betrachtet werden. Möglich seien aber auch viel weiter gehende Deutungen: „Jeder lebt mit seinem eigenen Idioten!" Und in der Welt alltäglicher Verstrickungen suchen wir uns immer wieder einen neuen, wenn der alte einmal abhanden gekommen ist. Friedrich Meyer-Oertel, der die Darmstädter Aufführung inszeniert, unterstrich das Spiel mit verschiedenen Perspektiven in der Oper. Das Geschehen erscheint hier aus dem Blickwinkel verschiedener Personen. Dabei stellt Meyer-Oertel die politische Dimension in den Mittelpunkt. Wowa, der Idiot, steht für die politische Idee, die sich auf gewalttätige Weise verselbständigt, für den „Wahnsinn einer Welt, die aus dem Wahnsinn herausmöchte". Der Vielfalt der Blickwinkel entspricht trefflich Schnittkes Kompositionstechnik. Vom Tango bis zu Bachs Matthäuspassion werden Musikepochen und Stile vereint. Für Stefan Blunier, der die Aufführung musikalisch leitet, spricht die stilistische Vielfalt auch unterschiedliche Hörgewohnheiten an. Im Wechselspiel zwischen Wohlklang und subtilen Störfaktoren, zwischen klanglichen Pressungen und perkussiven Partien findet der avantgardistische Experte ebenso seinen Zugang wie der weniger versierte Hörer. Zudem sorge Schnittkes psychologisches Komponieren für ein besonderes Zusammenspiel zwischen Musik und Bühnengeschehen. Nicht zuletzt deshalb verspricht sich Blunier einen „gigantischen Abend" von der Darmstädter Aufführung. Die Premiere von „Leben mit einem Idioten" ist am Samstag (15.) um 19.30 Uhr im Großen Haus des Staatstheaters Darmstadt. Weitere Vorstellungen am 19., 22. und 26. Juni. Reinhard Olschanski |