Frankfurter Rundschau
18.11.2002

Mordsschön
"Macbeth" in Wiesbaden

Von Hans-Klaus Jungheinrich

Schwung bekommt die Wiesbadener Theaterarbeit mit dem neuen Intendanten Manfred Beilharz, und geglückt auch der Opernbeginn mit John Dews Rameau-Inszenierung Platée, die sich anschickt, fürs jüngere Publikum zu einer Kultaufführung zu werden. Am Ende der Spielzeit fängt Dew mit Rheingold eine auf drei Jahre angesetzte Ring-Beschäftigung an. Erst war nun aber Dietrich Hilsdorf, ebenfalls ein herausragender Vertreter der NRW-Opernszeniker-Schule, an der Reihe mit Verdis Macbeth. Das schonungslose Mord- und Kriegsstück mit der lakonischen, treffsicheren Musik braucht um seine Aktualität auch derzeit nicht zu bangen.

Der von Dieter Richter gebaute Raum ist hoch, aber zunächst untief, und erweitert sich im zweiten Akt, indem die Zwischenwand nach hinten fährt, zu einer kahlen Fabrikhalle. Hauptrequisit ist ein Eisenbett, das während des ganzen Stückes stehen bleibt, nur manchmal von einem Wandschirm verdeckt wird. So beim Akt der besonderen Gastfreundschaft (Pierre Klossowski lässt grüßen), die Lady Macbeth im Einvernehmen mit ihrem Gatten dem König erweist, und dem prompt folgenden Königsmord. Im Bankettbild ist die Lady sichtlich hochschwanger. Zur zweiten Hexenszene lässt sie sich den königlichen Fötus wegmetzgern. Das dabei blutbeschmierte weiße Gewand trägt sie noch in ihrer Wahnsinnsszene, an deren Ende sie tot im Bett hinsinkt. Ins gleiche sinnbeladene Bett lässt sich auch die Titelfigur kampflos hineinmorden. Das Abschlachten, der ingrimmige Schlusschor zeigt es, geht weiter.

Verdis Oper, weit weg noch von der psychologisierenden Finesse des quasi Wagner'schen Musikdramas Otello und damit auf ganz andere Weise Shakespeare adäquat, legt eine mechanistisch-fatalistische Lesart nah. Unstillbar brennender weiblicher Ehrgeiz? Größenwahnsinn eines provinziellen Warlords? Die auffällig durchgeführte Schwangerschaftsmetapher deutet eher auf den Automatismus der sich fortzeugenden Gewalt. Das blutbesudelte Paar scheint Vollzugsorgan einer Sache, die kaum die Ihre ist und die ihnen, indem sie treibend hineingetrieben werden, zunehmend entgleitet. Das schemenhaft Somnambule äußert sich auch im gestockten Pathos der Arien. Die Kollektive (Hexen, Mörder, unbehaustes Volk) geraten zu den unentrinnbaren Marionettenfäden, an denen die Einzelnen hängen. Mit blutbeschmierten Kadavern und Fleischteilen hantieren vor allem die lemuren- oder krähenhaften Hexen, zum Teil mit echten oder künstlichen nackten Brüsten (aparte Kostümgestaltung: Renate Schmitzer).

Hilsdorf ist erfahrener Opernpraktiker genug, um mit seinen Visionen nicht spektakelnd die musikalische Expression zuzudecken (wie einst Neuenfels in seiner aberwitzig-extravaganten Frankfurter Inszenierung). Das Hauptpaar schickt sich mehrmals sogar zum demonstrativen Rampengesang, der hier nicht als konventionelle Operngeste verstanden werden kann, eher als der anrührend-verzweifelte Versuch, momenthaft aus der tödlichen Handlungsdynamik herauszutreten. Dabei ringen Macbeth und die Lady um eine Personalität, der sie längst verlustig sind. Sängerdarstellerisch wird das sehr glaubhaft realisiert von der voluminös-dramatischen Sopranistin Barbara Schneider-Hofstetter (die in ihrer Schlussszene allerdings entrücktere Piano-Facetten vermissen ließ) und dem ungeheuer differenziert und charakteristisch intonierenden Bariton Raimo Laukka.

Zu den vehement belebten Nebenfiguren gehören vor allem die Kammerfrau (Tomana Vaccaro) und der Arzt (Florian Plock). Als vorzüglicher Anwalt des trocken-rabiaten, merklich entfetteten frühen Verdiklangs stand der Dirigent Wolfgang Ott am Pult, der mit dem großen Solistenensemble und dem schlagkräftigen Chor (Thomas Lang) besten Kontakt hielt. Etwas unkoordinierter agierte das Staatsorchester, das in rhythmusbetonten Strecken zu Ungenauigkeit (schleppendes Blech) neigte. Alles in allem aber eine zündende Aufführung, die mit souveränem Atem Haarsträubendes nach- und neuerzählte.

Staatstheater Wiesbaden: 22.11., 3., 7., 11., 19. und 23.12.

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Copyright © Frankfurter Rundschau 2002
Dokument erstellt am 17.11.2002 um 21:08:35 Uhr
Erscheinungsdatum 18.11.2002

 

Frankfurter Neue Presse
18.11.2002

Verdis "Macbeth" hatte unter Dietrich Hilsdorfs Regie eine effektvolle Premiere am Wiesbadener Staatstheater.
Die Lady ist ein Vamp

Von Carsten Kretschmann

Am Anfang sind die Hexen. Vor dem Ehebett lümmeln sie sich aufreizend herum, zelebrieren schwarze Messen und weissagen dem armen Helden unvorstellbare Macht. Der Held, schwacher Mann einer starken Frau, wittert seine große Chance, ergreift sie und zahlt den Preis. Bevor er dazu Gelegenheit erhält, spritzt freilich allerhand Blut durch den Raum. So will es Verdis "Macbeth", der jetzt in der zu Recht umjubelten Inszenierung von Dietrich Hilsdorf im Wiesbadener Staatstheater Premiere hatte.

Mit der Mordlust eines schottischen Aufsteigers allein gibt sich Hilsdorf freilich nicht zufrieden. Deshalb rollt er in Wiesbaden die "Macbeth"-Geschichte jetzt von hinten auf. Das wiederum führt gleich zu Beginn dazu, dass Macbeth nicht aus der Schlacht, sondern aus dem Ehebett zu den Hexen gelangt. Und darin liegt eine tiefe Wahrheit: Sein Schicksal ruht allein auf seiner Frau. Ihre Fantasien treiben ein blutiges Spiel an, das sich konsequenterweise nur an einem einzigen Ort ereignet: in Macbeths Schlafgemach.

In diesem Raum, von Dieter Richter gekonnt als graue Betonhalle auf die Bühne gestellt, spiegeln sich die Ängste und Triebe der Figuren als Seelengemälde. Sie verweisen immer wieder auf die Lady, aus der Hilsdorf eine durch und durch moderne Figur macht. Und einen Fall für die Psychoanalytiker-Couch. Denn der Lady, dieser Rächerin ohne Motiv, blitzt der Irrsinn aus den Augen. Sie zickt und zackt und zockt. Und das nicht von ungefähr: Das Leben erscheint ihr nur als Spiel, über das niemand anderes gebietet als sie selbst. An ihren Fäden laufen die anderen Figuren, die Hexen, die Mörder, vor allem aber ihr Mann.

Von solcher Entmenschlichung des Menschen handelt Verdis Oper, und von ihr handelt auch Hilsdorfs Inszenierung, in der die Lady als weiße Domina durch ihren Schreckensbunker wandelt. Große, effektvolle, durch und durch opernhafte Bilder fallen Hilsdorf ein, der mit seinen Regiearbeiten für das Frankfurter Schauspiel in den 80er Jahren ("Hexenjagd") noch in guter Erinnerung ist.

Groß, ja effektvoll ist auch die musikalische Seite des Abends. Wobei Barbara Schneider-Hofstetter ein Glücksfall ist: Sie singt nicht die Lady Macbeth, sie spielt sie nicht, sie ist die Lady. Und zwar mit enormer Energie, Präsenz und einem wunderbaren Sotto voce. Raimo Laukka gibt den Macbeth als naiven Muskelmann, mit metallischem Timbre und beachtlicher Durchschlagskraft. Über die verfügt auch Mauro Nicoletti, der den Macduff mit großem Ausdruck, aber bescheidener Höhe singt. Guido Jentjens ist ein gewichtiger, schlanker Banco. Axel Mendrok singt einen leichten, wendigen Malcolm. Der von Thomas Lang vorzüglich einstudierte Wiesbadener Opernchor präsentiert sich in bester Verfassung. Gleiches gilt für das Hausorchester, das Wolfgang Ott zu einem großen Abend führt.

 

Wiesbadener Kurier
18.11.2002

Staatstheater: Dietrich Hilsdorfs saftige Inszenierung von Verdis „Macbeth"
Blutbett im Schlachthaus

Von Volker Milch


Im Schlachthaus: Macduff (Mauro Nicoletti) erledigt Macbeth (Raimo Laukka).
Photo: Kaufhold

Man kann Dietrich Hilsdorfs Wiesbadener „Macbeth"-Inszenierung gewiss nicht vorwerfen, dass sie unter Blutarmut leide. Im Gegenteil: Nach Cesare Lievis anämischer „Zauberflöte" findet mit Giuseppe Verdis großartigem Werk im Großen Haus des Staatstheaters eine Transfusion statt, bei der (durchaus auch im übertragenen Sinn) einiges daneben schlabbert, der Empfänger aber doch letztlich gestärkt aus der Operation hervorgeht.

Es gab ja schon im Vorfeld der Premiere abenteuerliche Gerüchte über kanisterweise bestelltes Theaterblut, und wenn man das Schaffen von Dietrich Hilsdorf ein wenig kennt, dann wunderte man sich kaum darüber, dass er aus Verdis Version von Shakespeares düsterem Drama keinen beschaulichen Opernabend, sondern ein Stück Radikaltheater macht. Ein radikalerer Gegensatz etwa zu Cesare und Daniele Lievis ästhetisierender „Macbeth"-Deutung für Frankfurts Oper (1990) ist kaum denkbar: Hilsdorf entdeckt in seiner Sicht sozusagen eine Frühform realistischen Musiktheaters auf, was von den musikdramatischen Novitäten der Partitur durchaus gestützt wird, und bringt damit auch wieder seine letzte Wiesbadener Opern-Inszenierung von 1993 in Erinnerung, die Verklammerung von „Cavalleria rusticana" und „Pagliacci" unter dem herzhaften Motto „Blutige Ostern".

Das waren Zeiten: Weil der Regisseur dann ein bisschen sehr herzhaft aufs Theater und sein Orchester schimpfte („Kurkapelle Sylt"), musste ihn Intendant und Hilsdorf- Förderer Claus Leininger wohl oder übel an die Luft setzen. Das war um so ärgerlicher, als Wiesbaden dem Theatermann spannende Produktionen zu verdanken hatte, darunter auch die Ausgrabung von Lortzings „Undine". Einstiger Theaterdonner ist verhallt, und es ist so viel Gras über die österliche Posse von 1993 gewachsen, dass der neue Intendant Manfred Beilharz Hilsdorf nun zu einem seiner Leit-Regisseure machen kann. Offenbar ist auch das Staatsorchester nicht nachtragend und stützt hoch motiviert das Eindrucksvolles Großformat der Chöre düstere Spektakel auf der Bühne: Der 1. Kapellmeister Wolfgang Ott sorgt für einen präzisen Verdi von herber Unerbittlichkeit und einen sehr guten Kontakt zischen Graben und Bühne. Hervorragend ist dort nicht nur die Leistung der Solisten, sondern auch des von Thomas Lang einstudierten Chores, dessen Hexen, Mörder, Flüchtlinge und Soldaten im „Macbeth" einiges zu tun bekommen. Chor und Extrachor entwickeln in ihren großen Szenen eindrucksvolles Großformat und werden von Hilsdorf höchst spannungsvoll geführt, geradezu atemberaubend schön in den stilisierten Tanzschritten im „Festsaal" des zweiten Aktes. Nichts bleibt dem Zufall überlassen, und die Liebe zum Detail kennzeichnet auch die gruseligen Hexenchöre, mit allerlei liebevoll erdachten Scheußlichkeiten aus der anatomischen Schausammlung angereichert, dekoriert mit Schönen der Schlacht, deren Reize das Abonnentenherz höher schlagen lassen.

Es wird auch jenseits solcher Nuditäten etwas fürs Auge geboten, angefangen vom düsteren Wolkenbild, in das der „Macbeth"-Schriftzug wie ein Filmvorspann eingeblendet wird: Hochmoor-Stimmung für einen Horror-Streifen, und tatsächlich lässt die Rasanz der Szenenwechsel, die den Zuschauer kaum zum Atemholen kommen lassen, an Filmschnitte denken.

Hilsdorfs Hexen sind allerdings nicht einfach Gruselweiber, sondern womöglich ein radikalfeministischer Zirkel mit gynäkologischen Kompetenzen: Da bei Herrn und Frau Macbeth der ersehnte Nachwuchs ausbleibt, wendet sich das Paar an die weisen Weiber, die mit ihrem von den Müttern ererbten Wissen nachhelfen sollen. Tatsächlich wird nach allerlei Zauber die Lady schwanger, wobei die Frage der Vaterschaft selbst für den mit Opernglas bewehrten Zuschauer nicht einfach zu klären ist: Sie teilt das Bett auch mit König Duncan, der damit womöglich von angestammtem königlichen Recht gebraucht macht und in die tödliche, blutige Falle geht. Im Bett, dem Fixpunkt in der maroden Fabrikhalle, die Dieter Richter auf die Bühne des Großen Hauses gebaut hat, wird gezeugt, geboren und eben vor allem gemordet. Durch die großartige Trostlosigkeit des Bühnenbildes wabern schottische Nebel, und die Ausleuchtung trägt ihren Teil zur Gänsehaut bei.

Das Kind der Lady wird schließlich tot geboren. Diese schlimme Erfahrung soll in Hilsdorfs Macbeth-Erzählung den Rachedurst des fatalen Paares motivieren: „Tod und Verderben der bösen Brut", singt die Lady ja am Ende des dritten Aktes, bevor sich das Paar im blutrünstigen Racheduett vereint. Natürlich ließe sich gegen solche szenische Fabulierlust, bei der gelegentlich die Gäule durchgehen, die Dietrich Hilsdorfs Thespiskarren ziehen, einiges sagen. Der fatale Wille zur Macht als das große, harte „Macbeth"-Thema tritt, aufgeweicht von der überraschenden Schwangerschaft, in den Hintergrund, die weltliterarische Dimension wird zur Blut-und-Hoden- „Story" zurechtgestutzt, die Magie auch des Sujets ein Stück wegrationalisiert. Bei aller Drastik wirkt der psychologische Realismus damit ein wenig naiv. Aber die Qualität der Umsetzung dieser Geschichte frei nach Shakespeare und Verdi lässt solche Einwände fast schon als kleinlich erscheinen: Das ist Hilsdorfs Personenführung und einer fabelhaften Riege von Sänger-Darstellern zu verdanken, allen voran dem wuchtigen Bariton Raimo Laukka als Macbeth und Barbara Schneider-Hofstetter als Mordsweib, das auf dem Blutbett ihren Mann zum Männchen macht – und dabei das Orchester mühelos überstrahlt. Wir wissen von Verdi, dass im „Macbeth" nicht der Schöngesang das Ziel ist, sondern das Charakteristische – bis zur „rauhen, erstickten, hohlen Stimme", die er sich für die Lady wünschte. Solche Hässlichkeiten sind nun in Wiesbaden nicht zu vernehmen, und man muss Verdi da wohl auch nicht ganz wörtlich Macbeth und die Lady: Schlimmes Paar mit großen Stimmen nehmen. Aber die beiden großen Stimmen lassen doch stets die Abgründe unter der vokalen Oberfläche ahnen. Neben dem schlimmen Paar glänzen Guido Jentjens als profunder Banco und, mit einer sehr schönen italienischen Träne im Timbre, Mauro Nicoletti als Macduff; aufhorchen lassen Axel Mendrok als Malcolm und Romana Vaccaro als Kammerfrau.

Der arme Macduff verliert nicht nur seine Kinderchen, sondern wird am Schluss auch noch vom neuen König Malcolm gemeuchelt. Der Regisseur belässt es also nach dem ausführlichen Abschlachten des Protagonisten nicht mit Shakespeare und Verdi bei der Inthronisation der „guten" Macht, sondern schreibt den Schrecken fort – es wird noch viel Blut fließen in Schottlands Hain und Flur.

 

Allgemeine Zeitung
18.11.2002

Oper „Macbeth" in der Inszenierung von Dietrich Hilsdorf im Staatstheater Wiesbaden
Einfache Bettstatt in bröckelnden Mauern

Von unserem Mitarbeiter
Siegfried Kienzle

Nichts zu sehen von schottischer Heide, Berghöhle und Königssaal. Diesmal ist Schottland Schlachthaus und Folterkammer. Dieter Richter hat einen Einheitsraum gebaut: zerbröckelnde Mauern, Eisentüren. Ein primitives Bettgestellt ist Zentrum des Geschehens. So konzentrierte die Regie von Dietrich Hilsdorf das unablässige Morden auf die Verstrickung des Ehepaars Macbeth, wo der Terror zwischen Mann und Frau beginnt.

Wir sehen kein Staatsdrama, sondern das Psychogramm einer Sexualneurose. Reichlich viel Nebel lässt man wallen durch alle Szenen dieser privaten Hexenküche. Bereits während der Ouvertüre wird Lady Macbeth zu Bett gebracht und erlebt die Orakel der Hexen mit, als wäre es ihr eigener wahnwitziger Machttraum: Macbeth soll Herrscher werden. Für dieses Ziel wird König Duncan im Schlaf von Macbeth auf demselben Bett erstochen, auf dem die Lady einen blutigen Wechselbalg zur Welt bringt. Dass sie sich später in der Wahnsinnsszene die imaginär blutigen Hände reinwäscht und dabei noch das blutbesudelte Gewand der Entbindung trägt, entspricht nicht gerade der Logik Shakespeares.

Hilsdorf siedelt Verdis schwärzeste Oper, die ohne Liebesromanze und strahlenden Tenorhelden auskommen muss, im 20. Jahrhundert an. Macbeth und seine Mannen zeigen stets die nackten Arme von Schlächtern, tragen schwarze Unterhemden, Stiefel und Hosen der SS-Soldateska. Die Hexen rotten sich zusammen als aggressive Horde.

Dem Chor des Staatstheaters Wiesbaden gelingt ein großer Abend: Als Mörderbande, keifende Hexen, Klage der Vertriebenen, und im Schlussjubel begeistert der Chor durch das dynamisch facettenreiche Klangbild. Dabei entheroisiert die Regie Verdis patriotisches A-Dur-Finale: Rüde wird der Sieger Macduff vom neuen König Malcolm aus seiner Trauer gerissen. Neuer Konflikt um den Machterhalt bahnt sich an – der Terror geht weiter.

Raimo Laukka ist ein überraschender Macbeth. Auch stimmlich macht er die psychischen Abgründe zwischen Machtgier und Angst vor Entlarvung deutlich. Auf seinem Sterbemonolog „Mal per me" muss der Sänger verzichten, da man Verdis Pariser Zweitfassung von 1865 spielt. Die Stim me der Lady verlangt Sopran-Koloraturen und düstere Mezzotiefe. Barbara Schneider-Hofstetter, die diesjährige Venus in Bayreuths „Tannhäuser", verfügt über die Fortissimo-Strahlkraft der Furie, die besessen ist von der Erotik der Macht. In der Wahnsinnsszene, wenn ihr die Totgeburt im Kindersarg nachgetragen wird, ergreift ihr fahler Verzweiflungston, das Trinklied führt sie automatenhaft vor als Ablenkungsmanöver für die Hofgesellschaft.

Guido Jentjens macht Banco zum ausdrucksstarken Gegenspieler. Mauro Nicoletti (Macduff) hält leidgepresst seinen Monolog über Kinderleichen. Axel Mendrok als Malcolm lässt aufhorchen mit seinem frischen Tenor.

Wolfgang Otto gibt dem Schlachtfugato Kontur. Wo sonst die Grellheiten in diesem Frühwerk betont werden, sorgt er für eher harmonisch abgerundeten Klang. Viel Beifall für diesen Abend, der statt Opernhelden packende Gesangsschauspieler zeigte.

Weitere Auff: 22.11., 3., 7., 11., 19. u. 23.12., Tel. 0611-132325

 

Darmstädter Echo
20.11.2002

Immer wieder sprudelt Blut
Oper: Fast wie ein Horrorfilm-Szenario: Dietrich Hilsdorf inszeniert Giuseppe Verdis „Macbeth“ am Wiesbadener Staatstheater

Von Sandra Binder

WIESBADEN. „Was bedeutet das Leben? Das Gelalle eines Idioten, ein Luftzug“, singt Macbeth in Verdis Vertonung der Shakespeare-Tragödie. Den Machtrausch der Lady Macbeth kann nur das Schicksal stoppen. Im Großen Haus des Wiesbadener Staatstheaters tauchte dieser Rausch die ganze Bühne in Blut. Mit den verschmierten Händen des Königsmörders Macbeth im ersten Akt begann es. Immer wieder sprudelte das Blut der Mordopfer, nackte Frauen trugen das totgeborene Kind der Lady, und die Leintücher des königlichen Betts wurden irgendwann nicht mehr weiß.

Regisseur Dietrich Hilsdorf, Bühnenbildner Dieter Richter und Kostümbildnerin Renate Schmitzer leugneten den Wahnsinn nicht. Gemordet wurde am Orchestergraben. MacDuff beklagte den Tod seiner Kinder, während er erschreckend regungslose Kinderstatisten zum Bühnenrand schleppte. Dem Zuschauer blieb das Grauen eines Horrorfilms.

Der Star der Aufführung war Barbara Schneider-Hofstetter als Lady Macbeth. Ihre in der Tiefe brillante, in der Höhe warme Stimme trug über das Orchester. Sie schlug mühelos die Brücke zwischen Koloraturen und den Melodiefragmenten, die Verdi der wahnsinnigen Lady im vierten Akt lässt. Das Publikum feierte sie – wie auch die anderen Sänger – mit langem Szenen- und Schlussapplaus. Raimo Laukka als Macbeth überzeugte mit festem, doch flexiblem Klang und mit einer Spielweise, die die Hilflosigkeit der Figur ins Kindliche zog. Dem gesamten Ensemble gelang eine stimmige Interpretation. Besonders beeindruckten Chor und Extrachor des Staatstheaters. Die Sänger bewältigten die schwierige Partie mit Präzision, Ausdruck und in großer Nähe zum Orchester. Dieses spielte unter der Leitung von Wolfgang Ott mit transparentem Klang.

Die Bilder schwelgten in dem romantischen Hexenstoff. Es regnete Rabenfedern, Weihrauch waberte in den Zuschauerraum, weise Frauen trugen Tierleichen und menschliche Gliedmaßen. Der kalte Bühnenraum korrespondierte mit dem Blutrausch der Handlung. Der lange Schlussapplaus honorierte eine Macbeth-Interpretation mit überwältigenden Bildern und begeisternder musikalischer Leistung.

 

Frankfurter Allgemeine Zeitung

Insgesamt bietet sich der ausdrucksgeballten Musik Verdis viel Freiraum. Wolfgang Ott am Pult nutzte ihn zu einer spannungsgeladenen und fesselnden Premiere, die zu Recht reichen Beifall fand. Einer der Vorzüge seiner Interpretation besteht in der Spannweite zwischen dem machtvollen, manchmal eindimensionalen Fortissimo und den leisen Tönen, die die Partitur Verdis immer wieder fordert. Diesem Anspruch zeigten sich die Hauptdarsteller hervorragend gewachsen. Raimo Laukka gibt der Titelgestalt markante Kontur. [...] Die wesentlichen dramatischen wie musikalischen Impulse gehen im Wiesbadener "Macbeth" freilich stärker als sonst von der Lady aus. Barbara Schneider-Hofstetter ist der Mittelpunkt der Inszenierung. Durchsetzungskraft und -wille prägen die Gestalt bis in viele Details hinein. Sie finden ihre Entsprechung in stählerner Strahlkraft und virtuoser Beweglichkeit der voluminösen Stimme, die freilich ebenso über gedämpfte Nuancen verfügt, wie die Nachtwandel-Szene zeigt. Dem hohen Niveau der Inszenierung entspricht nicht nur die Besetzung der weiteren Rollen bis hin zu den Erscheinungen, von denen zwei durch Mainzer Domsingknaben gegeben werden, sondern auch der von Thomas Lang einstudierte Chor und Extrachor.

 

Wiesbadener Tagesblatt

Nichts zu sehen von schottischer Heide, Berghöhle und Königssaal. Diesmal ist Schottland Schlachthaus und Folterkammer. Dieter Richter hat einen Einheitsraum gebaut: zerbröckelnde Mauern, Eisentüren. Ein primitives Bettgestell ist Zentrum des Geschehens. So konzentrierte die Regie von Dietrich Hilsdorf das unablässige Morden auf die Verstrickung des Ehepaares Macbeth, wo der Terror zwischen Mann und Frau beginnt.[...] Hilsdorf siedelt Verdis schwärzeste Oper, die ohne Liebesromanze und strahlenden Tenorhelden auskommen muss, im 20. Jahrhundert an. Macbeth und seine Mannen zeigen stets die nackten Arme von Schlächtern, tragen schwarze Unterhemden, Stiefel und SS-Soldateska. Die Hexen rotten sich zusammen als aggressive Horde. Dem Chor des Staatstheaters Wiesbaden gelingt ein großer Abend: Als Mörderbande, keifende Hexen, Klage der Vertriebenen, und im Schlussjubel begeistert der Chor durch das dynamisch facettenreiche Klangbild.[...] Viel Beifall für diesen Abend, der statt Opernhelden packende Gesangsschauspieler zeigte.

 

Online Musik Magazine
November 2002

Der alte Wolf wird langsam grau

Von Thomas Tillmann / Fotos von Martin Kaufhold

Wann hat man je erlebt, dass Dietrich Hilsdorf vor dem Vorhang nicht mit wütenden Missfallensbekundungen, sondern mit freundlich-höflichem Applaus und nur vereinzelten Bravorufen empfangen wurde? Anders als bei früheren Verdi-Interpretationen war dem Meister der Provokation aber auch nicht viel Verstörendes eingefallen; der bereits beim Betreten des Zuschauerraums beleuchtete Prospekt mit dem gemalten wolkenverhangenen Himmel Schottlands war da symptomatisch.



Lady Macbeth (Barbara Schneider-Hofstetter) liest noch einmal nach, dass ihr Gatte (hinten: Raimo Laukka) nun zum Than von Cawdor aufgestiegen ist.

Offenbar inspiriert von einem Shakespeare-Sonett bringt der Regisseur Macbeth und seine Frau als ein Paar auf die Bühne, dass sich nach jahrelanger Kinderlosigkeit durch übernatürliche Kräfte zum lang ersehnten Nachkommen verhelfen lassen will. Mit Hilfe einer Kammerfrau, die in dieser Produktion stark aufgewertet wird und anders als in der Partitur vorgesehen große Passagen des Hexenchores mitzusingen hat, konnte die Verbindung zu geheimnisvollen Frauen von den Rändern der Gesellschaft hergestellt werden: Wahrsagerinnen, Hebammen mit zweifelhaftem Ruf, Verrückte, Ausgestoßene und Huren (im Programmheft erfahren wir, dass die Hebamme, die weise Frau, die "gute" oder "weise" Hexe, wahrscheinlich ein und dieselbe Person war, bevor sich in den mittelalterlichen Städten eine geregelte medizinische Versorgung etabliert hatte).



Die Hexen besuchen Banco (Guido Jentjens) und Macbeth (Raimo Laukka), und auch die Lady (Barbara Schneider-Hofstetter, hinten) spitzt die Ohren.

Hilsdorf reflektiert zweifellos das Interesse des Komponisten am sogenannten "genere fantastico", das mit Beschwörungs-, Nachtwandel- und Hexenszenen die romantische Faszination am Übersinnlichen und Phantastischen auf die Opernbühne übertrug. Besonders gefährlich oder bizarr wirken diese "Hexen" in den vorwiegend schwarzen, zeitlosen Kostümen der vielbeschäftigten Renate Schmitzer freilich nicht, auch wenn einige ihre nackten oder aus Stoff gefertigten Brüste (oder mehr) in dem mit seinen schlecht verputzten Wänden ziemlich modrig wirkenden, ständig in dicken Bühnennebel gehüllten Palast präsentieren - das scheint nicht einmal mehr ein Premierenpublikum im schmucken Staatstheater aufzuregen, ebenso wenig wie es das Auffahren des an schlechte Halloween-Partys erinnernden Plunders beim Brauen des Trankes im dritten Akt das Fürchten lehrte.


Macbeth (Raimo Laukka) bekommt im Spiegel die Banco-Sippe auf dem Königsthron vorgeführt (Statisterie des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden).

In einem von einer rätselhaften farbigen Schönheit im Paillettenkleid hingehaltenen Spiegel erblickt Macbeth die endlose Nachkommenschaft Bancos (bedeutungsschwanger segeln sieben schwarze Federn auf die Szene hinab, ansonsten wird diese mitunter so suggestiv gestaltete Szene völlig verschenkt), während seine Frau, die sich eben noch im roten Umstandskleid als Animateuse auf der Krönungsfeier verausgabt hatte, unterstützt von drei nackten, theaterblutverschmierten Statistinnen in dem allgegenwärtigen Bett, in dem sie aufstiegsfördernd auch mit König Duncan geschlafen hat und in dem sie wie ihr Mann sterben wird, ein totes Kind zur Welt bringt. Trauer und Verzweiflung können nun natürlich erst recht nur durch neues Morden und Gewalt kompensiert werden. Einleuchtend ist diese Motivation der Machtbesessenheit der Macbeths schon, doch abendfüllend ist sie keineswegs, zumal Hilsdorf an zu vielen Stellen in einen an Horrorfilme erinnernden Realismus verfällt, der hinsichtlich der "special effects" aber nicht das nötige Niveau hat, um nicht provinziell oder gar lächerlich zu wirken. Nur ganz am Schluss blitzt dann noch ein wenig von Hilsdorfs gewohntem Ideenreichtum auf: Der vom Schicksal so sehr geschlagene Macduff wird auch noch schnell umgebracht, was den historisch wohl gesicherten Umstand reflektieren mag, dass die Gewalt nach Macbeths Tod keinesfalls ein Ende fand, sondern sich eine äußerst konfuse Zeit der raschen Thronfolge in Schottland anschloss, und die Fackeln in den Händen der Mannen Malcolms, die in Richtung Hexen ausgestreckt werden, spielen auf zukünftige Verbrennungen dieser gefürchteten Spezies an.



Macbeth (Raimo Laukka) berichtet der Lady (Barbara Schneider-Hofstetter), die inzwischen ein totes Kind zur Welt gebracht hat, von den letzten Prophezeiungen der Hexen.

Insgesamt aber geraten die Personenführung und die Zeichnung der Figuren bei dieser Neuproduktion, die wie geschaffen scheint für die Maifestspiele, bei denen sich Stargäste nach kürzester Einweisung in ihre Aufgaben einfinden werden, ausgesprochen konventionell und eindimensional. Hilsdorfs neue Arbeit wirkt einfach nicht besonders inspiriert, obwohl sie natürlich immer noch besser ist als manch andere Inszenierung, die von ihm beeinflusste Regisseure sich teuer bezahlen lassen, aber man erwartet einfach mehr als diese brav, aber nicht wirklich eindringlich erzählte Geschichte. Wie spannend man dieses frühe Meisterwerk Verdis heute auf die Bühne bringen kann, hat etwa Robert Carsen in Köln bewiesen.



Die schwangere Lady (Barbara Schneider-Hofstetter) versucht verzweifelt beim Bankett die Stimmung zu retten, Macbeth (Raimo Laukka) und die übrigen Gäste (Chor, Extrachor und Statisterie des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden) lauschen andächtig.

Barbara Schneider-Hofstetters hochgetriebener, sehr individueller timbrierter, in Tiefe und Mittellage üppiger, in der auf merkwürdige, riskante Weise erreichten Höhe viel schlankerer, metallischerer (Mezzo-)Sopran ist natürlich ideal für die Partie der Lady, deren beträchtliche virtuose Anforderungen sie souveräner meisterte als manch andere Hochdramatische selbst in Studioaufnahmen, so dass man über einzelne zu tief geratene Acuti zu Beginn, störende Vokalverfärbungen und kleinere rhythmische Freiheiten hinwegsehen mochte. Natürlich hatte die überaus involvierte, auch in den Ensembles stets dominierende Künstlerin Verdis Anweisungen zur Rollengestaltung verinnerlicht und viel Augenmerk auf eine expressive Textgestaltung gelegt (offenbar so sehr, dass sie in der "gran scena di sonnambulismo" einen wichtigen Einsatz verpasste), und auch das keinesfalls fakultative, sondern notierte Des in alto am Ende bewältigte sie problemlos in der vom Komponisten vorgesehenen Weise (also "fil di voce").



Macbeth (Raimo Laukka) hat König Duncan getötet.

Raimo Laukka fand in der Titelpartie einen guten Ausgleich zwischen kraftvollem Schöngesang und differenzierter, nie auf vordergründige außermusikalische Effekte setzender Deklamation und lieferte ein nuancenreiches Portrait dieser von Anfang als gebrochen gezeichneter, nicht nur sexuell von seiner Frau abhängigen Frau. In der Romanze des vierten Aktes allerdings machten sich erste Ermüdungserscheinungen der besonders in der Tiefe voluminösen, nun aber in allen Lagen raue, heisere Nebengeräusche aufweisenden Stimme bemerkbar. Dem eigentlich nur in der Höhe sehr präsenten, wenig persönliche Farbe besitzenden, recht leichten Bass von Guido Jentjens fehlt es für mein Empfinden am nötigen Fundament in der Tiefe und der "Schwärze", um sich in den gemeinsamen Szenen von Macbeths Bariton abzuheben. Mauro Nicoletti, der doch im Februar diesen Jahres noch einen mehr als anständigen Dick Johnson gesungen hatte, enttäuschte mit weinerlich-ersticktem Ton und vager Intonation in der selbst vom Komponisten als undankbar beschriebenen Rolle des Macduff. Verdi hatte ja in einem seiner zahllosen Briefe sogar nur von drei Hauptrollen gesprochen, wobei ich zu bezweifeln wage, dass der Komponist damit in weiser Voraussicht den Einsatz solch überforderter Comprimari rechtfertigen wollte (den besten Eindruck hinterließen da noch die Mitglieder der Mainzer Domsingknaben), wie sie an diesem Abend besetzt waren.


Macduff (Mauro Nicoletti) tötet zum Entsetzen der undurchsichtigen Kammerfrau (Romana Vaccaro) zwar Macbeth (Raimo Laukka), weiß aber noch nicht, dass auch seine letzte Stunde bald geschlagen hat.

Als gut einstudiert und engagiert erwiesen sich erwartungsgemäß besonders die Damen des verstärkten Chores des Staatstheaters (die dritte Hauptrolle eben), dessen Orchester Wolfgang Ott mit aufmerksamem Blick für die Belange der Solistinnen und Solisten vorstand. Insgesamt könnte man sich aber eine weniger kontemplative, packendere, rhythmisch aggressivere Interpretation vorstellen, die zudem - und dies gilt besonders für den zweiten Teil - weniger Spielfehler aufweisen würde, auch wenn diesmal das peinliche Niveau des Fidelio vom letzten April nicht erreicht wurde.

FAZIT

Eine Neuproduktion, die szenisch hinter den mit dem Namen des Regisseurs verbundenen Erwartungen zurückbleibt und auch musikalisch trotz einzelner Höhepunkte manche Schwachstelle offenbart.