Frankfurter Rundschau
28.08.2002

"Schlecht ist, wer immer nur sich selber spielt"
Die Frankfurter Opern-Saison wird am Freitag mit Verdis "Nabucco" eröffnet - Ein Gespräch mit Paoletta Marrocu und Paolo Carignani

Die erste Spielzeit des neuen Opernintendanten Bernd Loebe beginnt mit einem Klassiker der italienischen Oper und einer ganzen Reihe neuer Sänger - darunter die junge italienische Sopranistin Paoletta Marrocu. Mit der Frankfurt-Debütantin, die seit Mitte der 90er Jahre auf eine steile internationale Opernkarriere verweisen kann, und mit dem Frankfurter Generalmusikdirektor Paolo Carignani sprach FR-Mitarbeiter Stefan Schickhaus.

FR: Für eine Opernsängerin wäre es eigentlich immer besser, ein Engagement an der großen Dresdener Semperoper zu haben als an der kleineren Oper Frankfurt. In dieser Saison ist das allerdings anders, die Semperoper steht unter Wasser, während Frankfurt am Freitag starten kann.

Paoletta Marrocu: Bei einer solchen Katastrophe ist es immer reine Glückssache, wo man sich gerade befindet. Wieviel von solchen Zufällen abhängen kann, haben wir ja an jenem 11. September gesehen. Zur Bedeutung der Opernhäuser kann ich nur sagen: Die Größe selbst und auch das Honorar sind nicht wichtig. Entscheidend ist allein, was künstlerisch passiert, wie intensiv die Arbeit ist. Die Kunst, die Musik, für das Publikum - das ist das, was zählt.

Besonders intensiv verspricht Ihre Rolle zu werden hier in Frankfurt, denn mit der Figur der Abigail in Verdis "Nabucco" haben Sie eine Frau von ganz besonderer dynamischer Potenz und Durchsetzungskraft zu verkörpern. Entspricht das ein wenig Ihrem eigenen Naturell?

Paoletta Marrocu: Da muss ich erst einmal widersprechen. So stark ist diese Abigail gar nicht, sie ist vielmehr äußerst zerbrechlich. Die Stärke ist lediglich eine Maske, auch um der Aggressivität um sie herum mit gleichen Mitteln begegnen zu können. Ob ich mich darin wiederfinde? Nein, gar nicht - Aggressivität heißt Verlust von Kontrolle, und das versuche ich zu vermeiden.

Herr Carignani, neben Ihnen sitzt eine selbstbeherrschte Abigail. Was muss eine ideale Sängerin für diese so anspruchsvolle Partie sonst noch alles mitbringen, außer Beherrschung und einer schönen Stimme.

Paolo Carignani: Sie braucht physische Präsenz, und das ganz stark. Überhaupt ist diese Rolle ja die vielleicht schwierigste, die Giuseppe Verdi jemals geschrieben hat - man denke nur an ihren ersten Auftritt, da muss sie einen Sprung von c nach c über zwei Oktaven treffen. Sie muss Koloraturarien meistern, und zwar dramatische Koloraturen, nicht die leichtgängigen Rossini-Koloraturen, sondern kraft- und charaktervolle. Darum waren wir in den letzten Jahrzehnten immer nur 150-Kilo-Abigaile gewohnt - jetzt aber haben wir eine, die zur guten Stimme auch noch eine guten Figur macht.

Frau Marrocu, Ihre Lehrerin Renata Scotto war selbst eine sozusagen "wahrhaftige" Sängerin: Nicht immer nur schön singend, sondern charakteristisch und dramatisch, oft an die Grenzen gehend. Entspricht das auch Ihrer Ästhetik?

Paoletta Marrocu: Die Schönheit einer Stimme hat für mich nicht unbedingt etwas mit der puren Reinheit zu tun. Schönheit ist auch etwas Emotionales. Das Theater ist eine Sprache, die auch in der Lage sein muss, Hässliches auszudrücken, und das darf dann nicht mit der gleichen schönen Stimme geschehen. Da war La Scotto ganz genau und intelligent, sie wusste Stimme und Ausdruck in Übereinstimmung zu bringen. Das Wichtigste ist, die Stimme mit der Rolle korrespondieren zu lassen. Schlecht ist, wenn einer immer nur sich selber spielt.

Heute gibt es die klassische Operndiva vom Schlag der Renata Scotto nicht mehr, und auch kaum mehr den Dirigenten, der mit Maestro angesprochen werden will. Begrüßen Sie diese Entwicklung?

Paoletta Marrocu: Ja, unbedingt! Aber die Diva ist nicht tot, sie gibt es nach wie vor, auf der Bühne. Dort kann immer noch etwas "Göttliches" entstehen. Wenn eine Opernpartie - Mann oder Frau - vollkommen das Herz trifft, dann ist das wie ein Wunder, die Kunst einer "Göttin". Außerhalb des Theaters aber heißt es dann: "Paoletta Marrocu, sehr angenehm" - da bin ich einfach Privatperson. Früher spielte die Diva ihre Rolle auf und ebenso vor der Bühne, ohne Unterschied, war VIP, war Snob.

Und Sie Herr Carignani: Ist der Maestro tot?

Paolo Carignani: Ich denke schon, selbst an den ganz großen Häusern. An der Met in New York ist James Levine für seine Musiker einfach nur "James", und die Berliner Philharmoniker, habe ich gehört, nennen ihren Chefdirigenten einfach "Simon". In den letzten Jahrzehnten haben sich aber auch die Orchester so weit entwickelt, was Qualität wie auch Selbstbewusstsein angeht, dass der strenge Maestro kaum mehr eine Chance hätte. Manchmal nimmt dann eher das Orchester die Rolle der Diva ein. Da muss dann der Dirigent sehr sensibel damit umgehen.

Noch einmal zur Sintflut: Wenn Sie Noah wären und von jedem Komponisten zwei Opern mit in die Arche nehmen dürften, wäre dann "Nabucco" mit dabei?

Paolo Carignani: Nein. Aber es ist dennoch ein wunderbares Stück, es hat genau das, was das Publikum hören will. Nicht umsonst war es ja Verdis erster Opernerfolg. In die Arche kämen bei mir "Don Carlos" und "Falstaff".

Wiederaufnahme der Nabucco-Produktion aus der Spielzeit 2000/01 mit mehrfach veränderter Besetzung am 30. August. Weitere Termine 1., 7., 12., 20., 22. September.

[ document info ]
Copyright © Frankfurter Rundschau 2002
Dokument erstellt am 27.08.2002 um 21:35:51 Uhr
Erscheinungsdatum 28.08.2002