Frankfurter Neue Presse
1 September 2002

Mit der Wiederaufnahme von Verdis "Nabucco" eröffnete die Frankfurter Oper die Ära von Intendant Bernd Loebe.
Ein prächtiges Stimmengewirr erhitzte Babylon

Von Michael Dellith

Das eindrückliche Bühnenbild von Roland Aeschlimann mit seinen pyramidenartig abgestuften Treppen hat auch anderthalb Jahre nach der Premiere dieser Inszenierung von Bettina Giese nichts von seiner Wirkung eingebüßt. Gestatten doch die variablen Elemente immer wieder neue Tableaus, mit denen die wechselnden Personenkonstellationen von Hebräern und Babyloniern und den Einzelfiguren auf der Bühne optisch sinnfällig verdeutlicht werden können.

Musikalisch hielt Generalmusikdirektor Paolo Carignani (diesmal nicht im Frack!) die Zügel straff in der Hand. Knackig-akurrat kamen die Bläserakkorde der Ouvertüre aus dem Orchestergraben, Kantilenen entfalteten sich mit großer Binnenspannung. Und die im Tempo rasant gesteigerten Ensembleszenen gerieten in ihrer Dramatik fast ein wenig überhitzt, was in Anbetracht der tropischen Temperaturen an diesem Abend aber kaum verwundern mochte. Auch der von Andrés Máspero wieder bestens einstudierte Opernchor glänzte mit fein differenzierter Stimmgestaltung und flexiblem, voluminösem Klang. Paradebeispiel war dafür auch diesmal wieder der "Gefangenen-Chor".

Besonders gespannt war man natürlich auf die Umbesetzungen der großen Solisten-Partien. Zu Recht umjubelt wurden die beiden Protagonisten, Nabucco und Abigaille: Der italienische Bariton Marco Vratogna, der mit seinem natürlich klaren Timbre einen stimmlich bemerkenswert kultivierten Babylonier-König gab, und seine Sopran-Kollegin Paoletta Marrocu als machtigierige Sklaven-Tochter fanden vor allem in der Duett-Szene des dritten Aktes zu fesselnder Ausdrucksintensität. Die von Rachegelüsten getriebenen Koloraturen bewältigte die Sopranistin furios. Mit viel Emphase versuchte sich auch der italienische Nachwuchstenor Cesare Catani als Ismaele in Szene zu setzen, musste sich einem Orchester-Forte aber geschlagen geben. Applaus auch für die bewährten Kräfte: Magnus Baldvinsson (seit 1999 Ensemblemitglied) hatte als kernig-kraftvoller Zaccaria eine starke Bühnenpräsenz, Nidia Palacios" attraktiver Sopran schien noch an Kontur gewonnen zu haben.

So herrschte am Ende fast Premierenstimmung, hätte nicht ein Schatten über dem Jubel gelegen: Die Aufführung war dem ersten Geiger und Orchestervorstand Paul Morris gewidmet, der am 22. August bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war.

 
Frankfurter Rundschau
02.09.2002

Verblüffend modern
Frankfurts Oper startet mit zwei gelungenen Wiederaufnahmen in die neue Saison

Von Judith von Sternburg

Man sollte eine Portion Zeit auch nicht überschätzen. Bettina Gieses Nabucco ist in anderthalb Jahren nicht wesentlicher geworden, Christof Nels Salome in dreieinhalb nicht fader. Die Oper Frankfurt hat also ihre Spielzeit mit zwei besessenen Frauen eröffnet.

In Nabucco zeigte Paoletta Marrocu, die neue Abigaille und Frankfurt-Debütantin, wie man das Ruder vorübergehend an sich reißt, auch wenn die Szene eigentlich Chor und Bühnenbildner (Roland Aeschlimann) gehört.

Vor der enorm schicken Treppen-Kulisse und im Kostüm einer Sachbearbeiterin spielte sie große Oper und große Emotion, die in Gieses Verdi-Lesart ansonsten wenig zu suchen hat. Die musikalisch übel schwierige Partie der machtgierigen Kurzzeitkönigin fiel ihr derart leicht - in Zweifelsfällen: Ausdruck vor Schönheit -, dass es eine Lust war.

Ihr neuer Kompagnon ist ein anderer Typ: Der Nabucco des jungen Marco Vratogna wirkte bald verlegen, bald schlitzohrig und insofern verblüffend modern. Bis zur Pause - in der freundliche Babylonier Geld für die flutgeschädigte Semperoper sammelten, so wird das noch bis Ende des Monats sein - blieb Vratogna stimmlich kultiviert, aber blass.

Danach zeigte er an der Rampe beträchtliches Format. Marrocu und er zu zweit vor wohlgemerkt abgedunkelter Kulisse: mit Abstand die intensivsten Momente. Erwartungsgemäß glanzvoll spielte das Orchester unter Paolo Carignani. (…)

Weitere Nabucco-Termine: 7., 12., 20., 22. September, Salome: 19., 21., 28. September, Karten über Tel. 1340-400.

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Copyright © Frankfurter Rundschau 2002
Dokument erstellt am 01.09.2002 um 21:34:35 Uhr
Erscheinungsdatum 02.09.2002

 

Frankfurter Allgemeine Zeitung
17 April 2001

Von Benedikt Stegmann

(...) die Verpflichtung von Marco Vratogna für die Titelrolle bedeutet einen großen Gewinn. Vratogna verkörpert die überhebliche Arroganz des siegreichen Nabucco ebenso überzeugend wie sein vorübergehendes Irrewerden. Das Bild, wie er am Bühnenrand kniet, hilflos, einsam und unbeholfen in einem ihm fremd gewordenen großen Körper steckend, brennt sich förmlich ein und bringt die Aussage auf den Punkt. (...)

Neben vertrauten Gesichtern wie Magnus Baldvinsson als Hohepriester Zaccaria und Nidia Palacios als Despotentochter Fenena bewährte sich Cesare Catani in Frankfurt erstmals in der Rolle des Ismaele.

Weitere Vorstellungen am 12., 20., 22. September sowie am 3. und 5. Oktober 2002 um 19.30 Uhr.