Frankfurter Rundschau
28.09.2002

Das Spielwerk

Früher war Franz Schreker neben Richard Strauss der meistgespielte zeitgenössische Opernkomponist im Lande. Das ging bis Mitte der Zwanziger so, dann geriet der gebürtige Monegasse (1887-1934) in Vergessenheit. Heute ist es nicht leicht, eine Schreker-Inszenierung zu Gesicht zu bekommen - am heutigen Samstag indes hat das einaktige Opern-Mysterium Das Spielwerk in Darmstadt Premiere, und einige Karten gibt es auch noch. "Ich bin Impressionist, Expressionist, Internationalist, Futurist, musikalischer Verist. Ich bin Klangkünstler, Klangphantast, Klangzauberer, Klangästhet und habe keine Spur von Melodie. Ich bin Melodiker von reinstem Geblüt, als Harmoniker aber anämisch, pervers, trotzdem Vollblutmusiker! Ich bin (leider) Erotomane und wirke verderblich auf das deutsche Publikum." Das schrieb der Meister eine Spur bitter ein Jahr nach der Münchner Uraufführung 1921 (Bruno Walter dirigierte), und man sieht: Die Kritik war außer Rand und Band. In Darmstadt inszeniert Friedrich Meyer-Oertel, am Pult: Stefan Blunier. ith

Darmstädter Staatstheater, 19.30 Uhr, die Kasse ist samstags von 10 bis 13 Uhr geöffnet, die Abendkasse öffnet um 18.30 Uhr.

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Dokument erstellt am 27.09.2002 um 21:45:28 Uhr
Erscheinungsdatum 28.09.2002

 


FRIEDRICH MEYER-OERTEL, Operndirektor und Regisseur am Staatstheater Darmstadt, probt mit Chor und Ensemble Schrekers Einakter "Das Spielwerk", das am Samstag (28.) um 19.30 Uhr im Großen Haus Premiere hat.
(Foto: Günther Jockel)

Darmstädter Echo
18. September 2002

Was ist los, wenn ein Zauber wirkt?
Porträt: Friedrich Meyer-Oertel, Operndirektor am
Staatstheater und Regisseur der nächsten Premiere,
Schrekers „Spielwerk"

von Heinz Zietsch

„Was mir als Regisseur neben der konzeptionellen Arbeit am meisten Freude macht, ist, mit den Sängern die gegebenen Charaktere so zu entwickeln, dass sie ihr eigenes künstlerisches Können entfalten", sagt der Opernregisseur Friedrich Meyer-Oertel, der seit 1996 Operndirektor am Staatstheater Darmstadt ist. Engagement versucht er auch in den Proben zu vermitteln.

Bei der Probe zu Franz Schrekers „Spielwerk" (Premiere: 28. September) rennt er hin und her, mal auf die Bühne, wo er Chor und Sänger genauestens positioniert, mal beobachtet er die Szenerie vom Zuschauerraum aus, um rasch zu korrigieren: „Kommt, wir versuchen das ein bisschen deutlicher zu sprechen." Der Text ist ihm sehr wichtig.

Als wolle er seinen Worten Nachdruck verleihen, geht Meyer-Oertel dabei leicht in die Knie und fordert die Sänger auf, starke Reaktionen auszudrücken. Wenn die Klänge des Spielwerks ertönen, geht ein Zauber aus, versetzt die Menschen in Trance und sie beginnen zu tanzen: „Was ist eigentlich los, dass plötzlich ein Zauber wirkt? Aber bitte nicht übertreiben, etwas verinnerlichter", fügt der Regisseur hinzu.

Den Zauber bewirkt ein junger Wanderbursche, der die Klänge des Spielwerks als heilende Kraft nutzt. Meister Florian hat nämlich zur Beglückung der Menschheit dieses Wunderwerk geschaffen, doch sein böser Geselle Wolf hat es dahingehend manipuliert, dass es nur Unglück und Krankheit verbreitet.

Eine nymphomane Prinzessin möchte das Spielwerk zerstören. Doch dem kommt der Wanderbursche mit seinem Zauber zuvor. Er, als Verkörperung der reinen Liebe, befreit die Menschen, erlöst die Prinzessin, mit der er von dannen zieht.

Nicht Oper, sondern Mysterium hat Schreker seinen Einakter genannt, dessen Handlung kaum zu erklären ist. 1913 wurde das Werk in Frankfurt uraufgeführt, 1920 in München in der zweiten Fassung. Meyer-Oertel stützt sich in seiner Darmstädter Inszenierung auf diese letzte Fassung. Musikalisch sei das Werk ein „fantastischer Wurf", sagt der Regisseur, der das „Spielwerk" 1987 in Wuppertal schon einmal herausgebracht hatte – ebenfalls in dieser Fassung, die gut eineinhalb Stunden dauert.

Die Welt, in der das Stück spiele, erklärt Meyer-Oertel, sei eine zerstörte Welt, in der Unsicherheit und Ängste verbreitet sind. Eine solche Weltlage hätten wir heute auch, meint er. Das Nebeneinander von Glück und Unglück, von Freude und Leid, von Schönem und Schrecklichem drückt Schreker mit seiner oft rauschhaften Musik aus, die einen geradezu dissonanzreichen Wohlklang verbreitet.

Wie ist Meyer-Oertel Regisseur geworden? Nach dem Krieg hat es den am 3. April 1936 in Leipzig geborenen Künstler nach Österreich an den Traunsee verschlagen. Seine Mutter war Österreicherin, sein Vater Verlagsdirektor der damals renommierten „Leipziger Illustrierten". Aufgrund dieser familiären Situation besitzt Meyer-Oertel zwei Staatsbürgerschaften: die deutsche und die österreichische.

Bereits in seiner Gymnasialzeit in Gmunden entwickelte er seine Vorliebe für die Musik: er spielte Geige, Klavier, komponierte, jazzte. Nach dem Abitur wollte er Musik studieren. Das erlaubte ihm sein Vater unter der Bedingung, dass er zunächst etwas „Praktisches" erlernte. So studierte er in Wien Wirtschaftswerbung und Grafik, parallel dazu an der Musikhochschule Komposition und Oboe, außerdem Musik- und Theaterwissenschaft sowie Philosophie und Psychologie.

Wie ein Schwamm sog er in Wien das künstlerische Leben auf. Mindestens einmal am Tag besuchte er Theater und Konzerte. Eine unbändige Gier nach Theater habe ihn seither gepackt. „Du redest ständig über Regie", habe damals in Wien ein Freund zu ihm gesagt und hinzugefügt: „Du musst Regisseur werden." Da eröffnete sich ihm eine Gelegenheit: Das „Theater der Jugend" suchte einen Regisseur für Brittens „Wir machen eine Oper". Über fünfundzwanzigmal wurde das Stück im Konzerthaus Wien gespielt. Meyer-Oertel wurde Oberspielleiter dieses Theaters und baute ein Opernstudio auf.

In der Opernregie habe er sich gleich wie zu Hause gefühlt, erzählt Meyer-Oertel. 1963 wurde er Regieassistent an der Wiener Staatsoper. 1965 holte man ihn als Assistent an die Württembergische Staatsoper nach Stuttgart, wo er mit Wieland Wagner, Ernst Poettgen, Gustav Rudolf Sellner, Walter Felsenstein und anderen zusammenarbeitete.

1968 bis 1972 ging er dann als Opern-Oberspielleiter nach Mainz, nachdem er dort eine faszinierende Inszenierung von Hindemiths „Cardillac" eingerichtet hatte. Sechs Stücke (üblich sind sonst drei) pro Saison hatte er dort zu inszenieren. In Mainz lernte er auch seine spätere Frau kennen, die Schauspielerin und Regisseurin Helga Op gen Orth (die übrigens in der WDR-Fernsehserie „Die Anrheiner" mitspielt), die er 1971 heiratete.

1974 kam er als Oberspielleiter nach Mannheim, wo er bis 1979 blieb und dort mit der Regie von Reimanns „Lear" und der Uraufführung von Rihms „Hamletmaschine" nachdrücklich beeindruckte. Anschließend war er bis 1996 Operndirektor in Wuppertal. In dieser Zeit, 1990, verlieh ihm das Ministerium für Wissenschaft und Forschung von Nordrhein-Westfalen den Titel eines Honorarprofessors.

Mit Gerd-Theo Umberg, dem ab 1996 neuen Intendanten des Staatstheaters, kam Meyer-Oertel als Operndirektor nach Darmstadt. Zwei Jahre zuvor hatte er in Darmstadt Verdis „Macht des Schicksals" inszeniert, das überall auf Begeisterung stieß. Hier habe er die optimale Ensemblepflege und könne mit dem Intendanten und dem Generalmusikdirektor auf eine für ihn fruchtbare Weise zusammenarbeiten und den Spielplan gestalten.

Was ihn besonders erfreut, das sei der überwältigende Zuspruch für seine Inszenierung von Händels „Alcina" gewesen. Er hätte nie vermutet, dass das Werk über 40-mal aufgeführt werden würde.

Ob Darmstadt wohl die bisherige Krönung seiner Tätigkeit sei? In Darmstadt werde der Maßstab sehr hoch gesetzt: „Wir müssen uns auch mit den großen Häusern messen lassen", erklärt Meyer-Oertel. Intendant werden möchte er nicht, da führe er viel zu gerne Regie. Und wenn Umberg 2004 geht, verlässt er da auch Darmstadt? Er könne sich bei entsprechenden Bedingungen auch noch weitere Jahre hier als Operndirektor vorstellen, denn er habe sich gut in dieser Stadt eingelebt.

Er habe ja Vergleiche mit anderen Häusern, wo er häufig gastiere – da könne Darmstadt „mit seinen Mitteln oft sehr gut mithalten", meint Meyer-Oertel. Gastinszenierungen führten Meyer-Oertel nach Dresden, wo er 1995 die Wuppertaler Produktion von Schnittkes „Leben mit einem Idioten" vorstellen konnte – mit diesem Werk hat der Regisseur übrigens die vergangene Spielzeit in Darmstadt beschlossen; jetzt wurde es wieder aufgenommen. Die Liste seiner erfolgreichen auswärtigen Inszenierungen ist lang.

Meyer-Oertel gastierte an der Kölner Oper, am Münchner Gärtnerplatztheater, am Opernhaus Essen, an der Komischen Oper Berlin, im Februar in Meiningen mit Rossinis „Barbier von Sevilla", außerdem in Frankreich, in Montpellier. Nach Lüttich brachte er die Darmstädter Inszenierung der „Elektra" (mit Elisabeth Hornung, als Klytämnestra), nach Göteborg den „Tannhäuser". Außerdem inszenierte er in Stockholm und in Helsinki.

In der finnischen Hauptstadt begeisterte Meyer-Oertel 1997 mit seiner Sicht auf Mussorgkys „Boris Godunow" – eine Inszenierung, die dort auch weiterhin auf dem Spielplan steht (so im Mai und Juni 2003).

In seinen Regiearbeiten versucht Meyer-Oertel verschiedene Stile zu verfolgen. „Jedes Stück braucht seine eigene Sprache", erklärt der Regisseur. Es geht ihm auch nicht darum, ein altes Stück unbedingt in die Gegenwart zu verlegen, sondern er fragt zuerst einmal nach der Notwendigkeit und dem Sinn solcher Maßnahmen.

„Manchmal", ergänzt Meyer-Oertel, „kann es richtig sein, manchmal aber verstellt die Verlegung ins Heute den Sinn der Dramaturgie und die notwendige Atmosphäre. Alle musikdramaturgischen Werke sprechen zwar aus fernerer oder näherer Vergangenheit zu uns; aber wenn sie stark sind und wir sie in einer guten Aufführung stark wirken lassen können, werden sie zum selbstverständlichen Hier und Jetzt. Auf diese Weise schafft die Oper eine höhere Ebene fantastischer Wirklichkeit, in deren Fluidum zu leben mich seit je faszinierte."