Frankfurter Allgemeine Zeitung
30. September 2002

Taumel in den Tod
Franz Schrekers Opernmysterium "Das Spielwerk" in Darmstadt

Von Ellen Kohlhaas

Bei der Wiederbelebung von Franz Schrekers Opern blieben "Das Spielwerk und die Prinzessin" (Erstfassung von 1913) und die überarbeitete Version von 1920 bisher fast ausgespart. Noch rätslhalfter, sprachlich verquollener als in den übrigen neun Oper ist Schrekers eigener Text, dramaturgisch schwer durchschaubar und schon um 1920 unzeitgemäß. Doch "Das Spielwerk" (Titel der Zweitfassung) kommt in übertourter Technikgläubigkeit und latenter Endzeitstimmung der Gegenwart mit einem Hang zu Esoterik und Mystizismus entgegen. Zudem bündelt das Stück relativ knapp Schrekers Themen, die sich obsessiv durch seine sämtlichen Opern ziehen: Eros und Thanatos, die Femme fatale und der fahrende Sänger oder Instrumentalist, die Verbindung von Orgie und götterdämmerungsähnlichem Weltuntergang, die unerfüllbare Sehnsucht nach Liebe und überwältigendem Klang.

Nach wie vor ist jede "Spielwerk"-Inszenierung ein Wagnis. Friedrich Meyer-Oertel hat nun versucht, im Damstädter Staatstheater die einaktige Zweitfassung möglichst plausibel nachzuerzählen, ohne ihre Rätsel metaphorisch zu überhöhen. Mehrdeutig immerhin ist Heidrun Schmelzers Bühnebild: Die bühnenfüllende Plastik könnte eine Höhle sein (mit tropfendem Wasser zu Beginn, als Naturmusik). In der Zweitfassung hat Schreker den Flammentod der welt umgebogen zu einem Hoffnungsstreif: Die Hütte von Meister Florian, der das menschheitsversöhnende Zauberspielwerk schuf, wird nicht in Brand gesetzt, vielleicht ziehen der flötende Wanderbursche und die laszive Prinzessin am Ende tatsächlich in die weite Welt. Doch die Ruine läßt darauf schließen, daß die Regie das fatale Finale der ersten Version mitbedenkt, daß wir lauter Wiedergänger aus Schrekers untergegangener Welt auf der Bühne sehen. Diese Sicht suggerieren Lioba Winterhalders phantasievolle Festkostüme aus den zwanziger Jahren, aber auch die surrealistischen Bildkonstellationen und die expressionistischen Bewegungen, die sich zu heiterer Verzückung besänftigen, ls der Bursche flötend die Prinzessin heilt und das Spielwerk, das Florians Geselle Wolf verdarb, wieder zu harmonischem Mitklingen bringt, Dieses Umfärben der Stimmung von der Orgie in künstlichen Paradies zu natürlicher, zerbrechlicher Eintracht gehört zu den einprägsamen Momenten der Regie.

Nicht weniger ungreifbar wie der Text ist Schrekers strömende, chromatisch vibrierende, farbsensualistische Musik. Das Darmstädter Staatstheaterorchester bemühte sich unter seinem Chefdirigenten Stefan Blunier nach Kräften, diesen oszillierenden Klangtaumel zu konturieren und mit den Stimmen auszubalancieren. Die Sänger der fünf Hauptrollen, ergänzt durch Friedemann Kunders beweglichen Kastellan, brillierten in nötigen Wagner- und Strauss-Format. Anton Keremidtchiev, optisch eine Mischung aus Siegmund Freud und Hans Pfitzner, hüllte den Meister Florian in den noblen Wohlklang seines tragfähigen Baritons. Lena Nordins Prinzessin schillerte in Stimme und Erscheinung fasziniriend zwischen Wollust, Wahn und Hoheit. John Pierce war ein tenoral frischer Naturbusche. Hubert Bischof lieh seinen angerauhten Baß passend dem zwielichtigen Wolf, der der Prinzessin verfällt wie Florians Sohn. Elisabeth Hornung war eine eindrucksvolle Liese, streitbar im Kampf gegen die Prinzessin und ihren verderblichen Einfluß auf das Volk (stimmenmächtig Chor und Kinderchor des Staatstheaters), anrührend als Mutter. Eine vielschichtigere, symbolkräftigere Deutung des "Spielwerks" wäre denkbar. Aber auch die möglichst einsichtige Nacherzählung in Darmstadt stieß im Publikum schon auf vehemente Gegenwehr, von Zustimmung gerade eben noch austariert.

 

Frankfurter Rundschau
30.09.2002

Vom Urstrom der Sehnsucht
Franz Schrekers "Spielwerk" am Staatstheater Darmstadt

Von Bernhard Uske

Nein, "ins Blitzblaue", wohin es ihn zieht kommt der junge Bursche in Franz Schrekers Oper Das Spielwerk nicht, obwohl er sich in die "traumverloren ins Weite" blickenden Augen der an Sehnsucht leidenden Prinzessin verliebt hat. Da nützt auch die für die Neuinszenierung Friedrich Meyer-Oertels benutzte Zweitfassung des Werks von 1920 nichts, die eine mildere, gleichsam noblere Betroffenheit artikuliert als die finsterere Erstfassung von 1912. Das Spielwerk von Meister Florian, eine Art klingendes Barometer, das mit berauschend-beglückenden oder gräulichen Akkorden reagiert, je nachdem wie seelenvoll-rein es hineinschallt - es tönt schon lange nicht mehr, und mit ihm liegt alles in Siechtum und Starre.

Zerrüttete Familienverhältnisse bei Meister Florian, der Sohn, einst die künstlerische Hoffung, im Sterben, der ehemalige Gehilfe Wolf als übler Gewaltmensch auf dem Vormarsch, die Prinzessin in ihrem Schloss depressiv und auf ein letztes, in Wollust und Untergang ziehendes Bacchanal aus.

Da muss so ein junger Bursch kommen, ein Parsifal, der mit Torheit und Naivität den alles wieder gut machenden Klang des sinnbetörenden Spielwerks hörbar macht. Das ist natürlich nichts anderes als die Verkörperung jener "knochenlosen Süße" (Erwin Jäger), zu der die Schrekersche Klang-Erlösung im flüchtigen Medium ihrer schwingenden Farbnebel und -wellen fähig ist.

Im Großen Haus des Staatstheaters Darmstadt mit seiner feinen Spaltklang-Akustik hat es diese Süße schon ein bisschen schwer, bleibt hier doch in heller Nüchternheit jedes Klang-Ingredienz schön präsent und Schrekers Opern-Spielwerk, diese Phantasie über den Klang, eine bis ins letzte Gewebeteilchen aushorchbare Gemengelage. Die aber schillert dank der guten Abstimmung aller Instrumentalisten des Staatstheater-Orchesters unter Stefan Blunier in so herrlichen Farben, dass man schnell erkennt: Schreker lässt mit seiner Musik keinen deftig-dräuenden Klang-Rauscher gären, sondern in heiliger Nüchternheit den Fluss der Klänge als Urstrom der Sehnsucht dahinziehen. Der war zerstörerisch wohl gerade über die Ufer getreten, denn er bedeckt als wässrig-brackige Grundlage den Boden, über dem sich eine an geborstenen Bunker, Grotte und Maschinenhalle gemahnende Kulisse (von Heidrun Schmelzer) erhebt: Friedrich Murnaus film-expressionstische Phantasien könnten hier daheim sein. In trüben, reizvoll abgestimmten Farben müht sich Meister Florian alias Dr.Caligari an der Seelenklang-Maschine ab und bräuchte doch nur einer einzigen reinen Seele Impuls.

Schließlich, beim großen Vernichtungs-Bacchanal der Prinzessin, als im Hintergrund das Schloss in Gestalt der Skyline der Bankentürme er- und verglüht, offenbaren sich die Streben und Pfeiler des verrotteten, zeitgenössischen Piranesi-Gemäuers als die ragenden Reste der Twin-Towers - wir sind auf Ground Zero angelangt.

Zwischenzeitlich hatte Lioba Winterhalder (Kostüme) die Volksscharen einmal durch den gesamten Bilder-Fundus der 20er und 30er Jahre geschickt und sie als tableaux vivants auf der Bühne postiert: von Otto Dix und George Grosz bis zum Gekreuzigten mit Gasmaske waren alle guten Bekannten wieder auferstanden und gaben zu Schrekers erlösungsbereiten Farbklängen eine optische Kolorierung zwischen "Welt, Du bist ein Lunapark" und "O Mensch, kehr um!"

Nicht ganz so direkt ins zeitgeschichtliche Rampenlicht wie die chorischen Sänger waren die Protagonisten gerückt: Wolf (präzise und direkt: Hubert Bischof) blieb trotz Leder-Outfit ohne zu viel faschistisches Profil, Florians einstige Frau (mit warmem Timbre Elisabeth Hornung) war der Elendsperspektive entrückt, Meister Florian selber (fest und statuarisch Anton Keremidtchiev) ein resignierter Bürger, während die beiden Sehnsüchtigen (Lena Nordin als Prinzessin und John Pierce als Bursch) das Doppel von himmelsstürmender, expressiv-überspannter Raserei und wandervogelig neuem Lebensglück stimmlich wie gestisch treffend verkörperten.

Nächste Vorstellungen: 2., 5. und 12. Oktober, Karten-Tel. : 06151 / 29 38 38.

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Copyright © Frankfurter Rundschau 2002
Dokument erstellt am 29.09.2002 um 21:36:11 Uhr
Erscheinungsdatum 30.09.2002

 

Frankfurter Neue Presse
30.09.2002

Die Oper "Das Spielwerk" von Franz Schreker hatte Premiere am Staatstheater Darmstadt.
Alles wallt und wogt auf der Suche nach dem Erlöser

Von Andreas Bomba

"Das Lied der Liebe" – dies sind die letzten Worte dieses Stücks. Aber was hat man gesehen und gehört? Ruinen, Wahn, Verstörung, Dekadenz, einen Hexensabbat. Diese in Frankfurt uraufgeführte Oper hielt Franz Schreker für sein bestes Stück. Sie ist zugleich ein Dokument für die Ernüchterung, die die Gesellschaft mit dem Ersten Weltkrieg überkam. Alles hatte sich geändert: Politik, Ordnung, Weltanschauungen, das tägliche Leben.

Schreker komprimierte die alte Oper zu einem neuen, neunzigminütigen, 1920 von Bruno Walter herausgebrachten "Opernmysterium". Ein Erlöser musste her, der aus dem Chaos den Weg in die heile Welt findet. Das – und die Sache mit der Liebe – kennt man auch von Richard Wagner. Friedrich Meyer-Oertel lässt im großen Festtableau mutig alles aufmarschieren, was in den zwanziger Jahren diese Erlösung verhieß. Wandervögel und Tiller-Girls, "sporting life" und Bürgertum, ja, auch ein paar Braunhemden sind notwendigerweise dabei (Kostüme: Lioba Winderhalder). Auch die Musik spiegelt diesen Zustand des Alles und Nichts, wallt und wogt, ein Pandämonium an Klang und Farbe.

Strauss, Mahler, die Impressionisten lassen grüßen, und man ahnt, wovon sich Schönberg absetzen wollte, auch wenn er selbst diesen Zeitgeist nur spiegeln, ihm aber nicht entrinnen konnte. Heidrun Schmelzer stellt auf der Bühne den Keller von Ground Zero nach, ein Bahngleis ragt herein, überall steht Wasser. Das ist Zerstörung – wo aber bleibt der Erlöser?

Bei Schreker ist es gedanklich die Liebe und real die Musik, eine Geige, eine Flöte als Symbol für klingende Kraft und Macht. Wenn man schon die ganze Welt aufmarschieren lässt, wirkt dieser Glaube eher kindisch, ja läppisch – wer aber ließe sich nicht ins Reich der Sinne entführen von einer Harmonie-Maschine, jenem im trüben Schuppen verborgenen Spielwerk des Meisters Florian (Anton Keremidtchiev)? Er zaubert herrliche Dreiklänge in das musikalische Gewaber hinein, entrückte Harmonien und betörende Klänge.

So einfach wie beschrieben ist die Geschichte im Detail nicht. Liebe ist auch Sex and Crime (Lena Norin als Prinzessin ist Täter und Opfer), der Geselle Wolf (Hubert Bischof) hatte der Weltmechanik das Böse ins Handwerk gepfuscht (woher hatte Schreker seine prophetische, an Hitlers Spitznamen erinnernde Namensgebung?), eine gewisse Graben-Liese (Elisabeth Hornung) zieht die Strippen zwischen den Generationen. Natürlich ist der wandernde Erlöser-Bursche ein Tenor, John Pierce mit heldischer Kraft und beachtlichem Ausdruck. Stefan Blunier dirigiert – vor dem Umstand, dass das meiste zu laut ist, hat man schon früh resigniert und zu Übertitelungen gegriffen. So kann das Staatsorchester prächtig aufspielen, der Chor prägnant und sicher agieren. Ein herausragender, hörens- und sehenswerter Saisonauftakt!

© 2002 Rhein-Main.Net

 

Darmstädter Echo
29. September 2002

Opernpremiere: Franz Schrekers Mysterienstück „Das Spielwerk" in der Regie von Friedrich Meyer-Oertel in Darmstadt
Endzeitstimmung in der Großstadt

Von Albrecht Schmidt


VON NEBEL UMWEHT: Die Prinzessin (Lena Nordin) fühlt Todessehnsucht
in der Schreker-Oper „Das Spielwerk", die am Samstag im Staatstheater
Darmstadt Premiere hatte. (Foto: Cornelia Illius)

DARMSTADT. Zu Beginn völliges Dunkel. Dann tröpfelnde und glucksende Wassergeräusche, als der Vorhang sich hebt und gedämpftes Licht allmählich die Bühne erhellt. Skelettartig ragen die Betonpfeiler des zerstörten World Trade Centers in die Höhe. Im Vordergrund Eisenbahnschienen, von Wasser unterspült – Bilder, wie man sie aus New York und von der ostdeutschen Flutkatastrophe kennt, beängstigend aktuelle Zeichen des Leids, die der Problematik dieses Schreker-Mysteriums gerecht werden.

Es gibt kaum einen Komponisten, bei dem Weltruhm und Vergessenwerden so plötzlich aufeinander folgten wie bei Franz Schreker. Zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts sehr erfolgreich, wurde er nach 1933 verdrängt. Von den Nazis verfemt, entsprachen seine Werke auch nicht den Vorstellungen einer modernen Musik, wie sie etwa von Arnold Schönberg entwickelt worden war. In den letzten Jahren genießt Schreker jedoch wieder erhöhte Aufmerksamkeit, und die Darmstädter Neuinszenierung des „Spielwerks" durch Friedrich Meyer-Oertel reiht sich ein in eine Wiederbelebung des Schrekerschen Œuvres.

Heidrun Schmelzers großartige Bühne liefert dem Regisseur ideale Ansatzpunkte zur Realisierung des nicht leicht zu handhabenden, weil äußerst schemenhaften und abstrakten Stückes – ein Märchen in mittelalterlichem Gewand, handelnd vom magischen Musik-Spielwerk Meister Florians, das kosmische Harmonie nur dann verströmt, wenn es auf reine Klänge antworten kann. Es treten auf ein verstoßener Sohn, ein böser Gehilfe, eine lüstern-sinnliche Prinzessin und ein Naturbursche, der sie heilt: Die Oper verknüpft Märchenmotive, die hier eher halluzinatorischen Charakter haben.

Die Personen repräsentieren menschliche Aspekte. Dem Bühnenbild mit dem Trümmerfeld des World Trade Centers entspricht die innere, psychische Deformation dieser Menschen, wie sie Meyer-Oertel in seiner Inszenierung eindringlich präsentiert. Natur erscheint nur als Hoffnung, wie sie aus den Blumenkränzen singender Kinder schimmert. Ansonsten: Endzeitstimmung, vermittelt von einem hervorragenden Darmstädter Ensemble.

Lena Nordin (als Gast von der Stockholmer Oper) gibt die Prinzessin mit bravourösem Sopran als eine zwischen Sinnentaumel und Todessehnsucht verzweifelt Suchende. John Pierces hell strahlender Tenor liefert die Folie für den geradlinigen Wanderburschen, der seinen Weg unerschütterlich geht und mit Flötenspiel und torenhafter Reinheit für Läuterung und Erlösung sorgt.

Pierce, ebenfalls zu Gast in Darmstadt, bestätigt mit dieser Rolle seine beeindruckende Lohengrin-Interpretation vor wenigen Monaten. Friedemann Kunder als markanter Kastellaun und Anton Keremidtchiev als sonorer Meister Florian geben ihren Partien ebenso prägnantes Profil wie Hubert Bischof, der den aus Erdhöhlen kriechenden Finsterling Wolf (Florians ehemaligen Gehilfen) in Alberich-Nähe rückt. Die Intensität schließlich, die Elisabeth Hornung (Graben-Liese) in ihrem Schlussgesang erreicht, erinnert an Wagners Götterdämmerung.

Die finale Festszene und Untergangsvision scheut nicht den Bruch mit ästhetischen Tabus: Orgiastisch, grell im Look der Zwanziger (Kostüme: Lioba Winterhalder) formiert sich die Gesellschaft zum makabren Totentanz (chorisch mit mächtiger Klangfülle, einstudiert von André Weiss: Chor und Kinderchor des Darmstädter Staatstheaters); ein Gekreuzigter hängt in einer Feuerleiter, während sich Durchblicke zur funkelnden New Yorker Skyline ergeben und Wanderbursche und Prinzessin unter Glockengeläute in ihr Märchenschloss irgendwo im großstädtischen Niemandsland entschwinden.

Am Dirigentenpult nimmt Stefan Blunier den Komponisten ernst. Das Staatstheaterorchester bringt die vielfältig wechselnden Farben, die sublimen Spielwerkklänge (Flötensoli: Iris Rath) wie die rauschhaft aufbrausenden Klangtableaus zum Leuchten. Dass eine derart intensive Tonsprache die Singstimmen oft zudeckt, liegt in der Natur der Sache. Von daher wundert es, dass die Texte, die man auf der Übertitelungsanlage mitlesen konnte, nur verkürzt angeboten wurden.

Am Ende der eineinhalbstündigen, pausenlosen Aufführung gab es begeisterte, von Bravorufen begleitete Zustimmung, die lediglich durch einige wenige Buhs, die der Regie galten, getrübt wurden.

 

Wiesbadener Kurier
30.09.2002

Franz Schrekers „Das Spielwerk" in Darmstadt
Vom Schicksal Getriebene

Von Axel Zibulski

Die Prinzessin sucht in exzessiven Festen die „tötende Freude", ein verlorener Sohn kehrt sterbend nach Hause, spielt als Untoter auf seiner Geige zum Tanz. „Ein Mysterium" nannte Franz Schreker seine Oper „Das Spielwerk", die Friedrich Meyer-Oertel nun am Staatstheater Darmstadt zu inszenieren wagte. Ein schwieriges Stück, ein selten aufgeführtes zudem: In Wiesbaden stand 1988 die Erstfassung der Oper, „Das Spielwerk und die Prinzessin", auf dem Spielplan.

Darmstadt wählte nun die 1920 in München uraufgeführte Zweitfassung, in der Schreker das Geschehen von zwei Akten auf einen verdichtete und damit noch ein wenig mysteriöser werden ließ. Diese Zweitfassung in groben Zügen: Ein wandernder Bursche verirrt sich ins Märchenreich, wo ein Spielwerk, von Meister Florian „geschaffen allein, Erhabnes zu künden" von dessen bösem Gesellen Wolf aus der rechten Stimmung gebracht worden ist. Der Wanderbursche bringt es mit seiner Flöte zum reinen Klingen und erlöst auch gleich die todessüchtig-laszive Prinzessin. Und dann ist da noch der lange verstoßene Sohn Florians, der sterbend zurückkehrt, auf dass ihm seine Mutter zu finalen Glockenklängen das Lied der Liebe singt. So einfach?

So einfach nicht. Denn Schreker treibt seine Orchesterdramatik (im Zentrum steht immerhin die titelgebende Klangerscheinung), vor allem aber seine schwer entschlüsselbaren Symbolismen im „Spielwerk" nahe an die Grenze zur inneren Zusammenhanglosigkeit. Vielleicht noch mehr als in seinen anderen Opern erscheinen die Figuren daher als schicksalhaft Getriebene, „Gezeichnete". Friedrich Meyer-Oertels Inszenierung verheimlicht das nicht, etwa wenn das Volk (erneut exzellent einstudiert: der Darmstädter Opernchor) zu den Klängen des Spielwerks in ekstatischen Taumel gerät. Was geschehen ist, bevor der Wandergesell des Weges kam, hat das Märchenreich zu einem Ort der Unsicherheit, der Zerfahrenheit werden lassen: Durchbrochene Stahlstreben, schmutzige Farben prägen das Bühnenbild von Heidrun Schmelzer. „Ground Zero"? Später wird man im Hintergrund illuminierte Hochhäuser sehen. Allerdings: Das schon in sich kaum geschlossene Mysterium sperrt sich gegen einfache Übertragungen, Aktualisierungen. Während die Erstfassung des „Spielwerks" mit einer gewaltigen Feuersbrunst endet, bleibt in der Zweitfassung bei schon geschlossenem Vorhang das „Lied der Liebe" auf der Übertitelungsanlage stehen.

Sie hilft, obwohl das Libretto ein deutsches ist, in Darmstadt über manch ungenaue Artikulation der Solisten hinweg. Lena Nordin singt eine eher expressive als klangschöne Prinzessin, John Pierce neigt als wandernder Bursche mit kernigem Tenor bisweilen zum Forcieren – anders der wohl klingende Bass-Bariton von Anton Keremidtchiev: ein der Welt müder Meister Florian. Vor allem dank ihrem glaubhaften Spiel verraten Hubert Bischof (Wolf) und Elisabeth Hornung (Liese, Florians verstoßene Frau) reichlich Bühnenerfahrung. Unter der Leitung von Stefan Blunier formt das Darmstädter Orchester Schrekers schwebende Harmonien bodenständig und ohne Patzer.

 

Offenbach Post
Dienstag, 1. Oktober 2002

Verunsicherung im Märchenreich

Von AXEL ZIBULSKI

Die Prinzessin sucht in exzessiven Festen "tötende Freude", ein verlorener Sohn kehrt sterbend nach Hause, spielt als Untoter auf der Geige zum Tanz. "Ein Mysterium" nannte Franz Schreker seine Oper "Das Spielwerk", die Friedrich Meyer-Oertel am Staatstheater Darmstadt inszenierte. Ein schwieriges Stück, ein selten aufgeführtes zudem: In Wiesbaden stand 1988 die Erstfassung, "Das Spielwerk und die Prinzessin", auf dem Spielplan. Darmstadt wählte die 1920 in München uraufgeführte Zweitfassung, in der Schreker das Geschehen von zwei Akten auf einen verdichtete und damit noch mysteriöser werden ließ.

Ein wandernder Bursche verirrt sich ins Märchenreich, wo ein Spielwerk, von Meister Florian "geschaffen allein, Erhabnes zu künden" von dessen bösem Gesellen Wolf aus der Stimmung gebracht worden ist. Der Wanderbursche bringt es mit seiner Flöte zum reinen Klingen und erlöst auch die todessüchtig-laszive Prinzessin. Und dann ist da noch der verstoßene Sohn Florians, der sterbend zurückkehrt, auf dass ihm seine Mutter zu Glockenklängen das Lied der Liebe singt.

So einfach? Keineswegs. Denn Schreker treibt seine Orchesterdramatik (im Zentrum steht immerhin die titelgebende Klangerscheinung), vor allem aber seine schwer entschlüsselbaren Symbolismen an die Grenze zur inneren Zusammenhanglosigkeit. Vielleicht noch mehr als in seinen anderen Opern erscheinen die Figuren als schicksalhaft Getriebene. Meyer-Oertels Inszenierung verheimlicht das nicht, etwa wenn das Volk (erneut exzellent einstudiert: der Darmstädter Opernchor) zu den Klängen des Spielwerks in ekstatischen Taumel gerät.

Das Märchenreich ist ein Ort der Unsicherheit: Durchbrochene Stahlstreben, schmutzige Farben prägen das Bühnenbild von Heidrun Schmelzer. "Ground Zero"? Später wird man illuminierte Hochhäuser sehen. Allerdings: Das Mysterium sperrt sich gegen einfache Übertragungen.

Während die Erstfassung des "Spielwerks" mit einer gewaltigen Feuersbrunst endet, bleibt hier bei geschlossenem Vorhang das "Lied der Liebe" auf den Übertiteln stehen. Sie helfen, obwohl das Libretto ein deutsches ist, über manch ungenaue Artikulation hinweg.

Lena Nordin singt eine eher expressive als klangschöne Prinzessin, John Pierce neigt als wandernder Bursche mit kernigem Tenor bisweilen zum Forcieren - anders der wohlklingende Bass-Bariton von Anton Keremidtchiev: ein der Welt müder Meister Florian. Dank ihrem glaubhaften Spiel verraten Hubert Bischof (Wolf) und Elisabeth Hornung (Liese) viel Bühnenerfahrung. Geleitet von Stephan Blunier formt das Darmstädter Orchester Schrekers schwebende Harmonien bodenständig und ohne Patzer.

 

Allgemeine Zeitung
02.10.2002

Franz Schrekers „Das Spielwerk" in Darmstadt
Orgie in der Ruine

Von Siegfried Kienzle

Mancherlei Assoziationen aus der Opernwelt stellen sich ein beim Einakter „Das Spielwerk", das Franz Schreker ein „Mysterium" nennt. Da herrscht eine kranke, von Sex und Todesverzückung getriebene männerverschlingende Prinzessin im Palast – wie Salome. Da kommt ein tenoraler Wanderbursch aus der Fremde und will sie heilen mit den reinen Tönen seiner Flöte – wie Parsifal.

Schreker (1878-1934), der auch das Libretto geschrieben hat, will in einem mystischen mittelalterlichen Spiel die erlösende Macht der Musik feiern. Zur Rettung der Welt hat in der Darmstädter Aufführung Meister Florian (Anton Keremidtchiev nachdenklich und resignierend als Künstlerfigur) eine klingende Weltorgel der reinen Harmonie konstruiert. Sein missgünstiger Gehilfe Wolf (Hubert Bischof) hat das Instrument verdorben und in Missklang verwandelt.

Seitdem ist die schöne Prinzessin der Lust am Untergang verfallen. Sie ordnet eine Orgie an, in der die Stadt in Flammen aufgehen soll. Der Naturbursch mit seiner Flötenweise kann ihr den Glauben an Liebe und Glück zurückgeben. Für das Volk spielt der Tod zum Tanz in den Untergang auf: der tote Sohn Florians musiziert auf seiner Fidel und seine Mutter, die verstoßene Graben-Liese (Elisabeth Hornung) singt ihm das letzte Wiegenlied.

Das ist ein krudes Gemisch aus Märchen-Symbolik, verzücktem Jugendstil und neuromantischem Schwulst – doch überstrahlt von Schrekers opalisierender Orchestersprache. Stefan Blunier entfaltet in den Zwischenspielen Bläserstimmen und Glockentöne, eruptive Ausbrüche und verträumte Stimmungsmalerei – raffinierte Mischungen zwischen Debussy und Richard Strauss.

„Das Spielwerk" ist Schrekers dritte Oper, 1913 zunächst in drei Akten komponiert, 1920 zum Einakter verdichtet und von Bruno Walter in München uraufgeführt.

Der Regisseur Friedrich Meyer-Oertel hat das Stück bereits in Wuppertal 1987 neu entdeckt und eröffnet damit auch die Spielzeit in Darmstadt. Er verlegt die Handlung aus dem Mittelalter in die Entstehungszeit des Stücks, in die frivolen 20er Jahre. Heidrun Schmelzer hat als Palast eine verrottete Industrieanlage hingestellt mit geborstenen Schienen, Wasserlachen, Blechtonnen.

Zur eindringlichsten Szene wird der Auftritt des Volks: eine dekadente, glitzernde Party-Gesellschaft, in die sich auch schon SA-Männer und Offiziere der Reichswehr mischen, dazwischen ein Kinderchor in adretter Kadetten-Uniform. Wie diese Menge, von Wolf zum Pogrom aufgestachelt, den Zorn mal gegen die Prinzessin, dann gegen Meister Florian richtet, unentschieden, wer hier das Opfer sein soll, aber um so entschlossener in der Zerstörungswut – das überzeugt. Auch Schreker, 1934 gestorben, wurde im Dritten Reich diffamiert und totgeschwiegen.

Mit strahlkräftigem Tenor vermittelt John Pierce die Naivität des Wanderburschen. Lena Nordin, Gastsopran von der Stockholmer Oper, schillert verzückt und ekstatisch als Prinzessin. Viel Beifall erhält dieser Einsatz für Schreker – schon im Dezember wird die Oper Frankfurt folgen mit seiner Oper „Der Schatzgräber".

Weitere Aufführungen: 5., 12. Oktober. Karten unter Telefon (06151) 293838

 

egotrip.de
Oktober 2002

Franz Schrekers Oper "Spielwerk" in Darmstadt
Mysterium, ins Reale gewandelt

Es gibt Opern, die allenthalben für überholt, ja tot gehalten werden, denen man nicht mehr die Chance für eine Wiederauferstehung einräumt. Zu weit scheinen sie vom aktuellen Zeitgeist entfernt, zu sehr einem längst überholten Weltbild und -gefühl verhaftet. Zu diesen Werken gehört Franz Schrekers "Das Spiel- werk", das, bereits 1913 uraufgeführt, erst in einer Neuinszenierung nach dem Ersten Weltkrieg seine endgültige Form fand. Schreker selbst, geboren 1878, sah sich als Erbe Wagners und Konkurrent von Richard Strauss und starb kurz nach Hitlers Machtergreifung, was ihm als Juden sicher Einiges ersparte.

Die Oper "Das Spielwerk" gründet tief in der einerseits schwermütigen und todessüchtigen, andererseits schwülstig-dekadenten Endzeitstimmung vor dem Ersten Weltkrieg, die in dem Untergang der "Titanic" eine so treffliche Metapher fand. Trotz materiellem Wohlergehen sah sich die bürgerliche Gesellschaft Europas in einer Sackgasse der Erstarrung, aus der nur ein umwälzendes Ereignis wie ein Krieg sie erlösen konnte.

Aus dieser Gemütslage enstand Schrekers Myste- rium um das Spielwerk des Meisters Florian, das sein eigener Sohn so perfekt zum Klingen bringen konnte, bevor der Gehilfe Wolf es zur akustischen Hässlich- keit manipulierte. Den Sohn verführte die laszive Prinzessin im nahen Schloss zu Ausschweifungen, so dass Florian ihn und seine eigene Frau Liese hinaus- warf, als sie sich mit Wolf einließ. Nach Jahren kehrt der Sohn todkrank zurück, zeitgleich mit einem jungen Wanderbursch, der die angeblich kranke Prinzessin heilen will. Mit seiner Flötenmusik entlockt er zum Erstaunen aller Anwesenden dem Spielwerk zum ersten Male wieder harmonische Klänge.

Die Prinzessin ist nach dem Verschwinden ihres Geliebten in extrem schwankende Gemütszustände verfallen, hat in Wolf einen schlechten Ratgeber gefunden und sehnt den Tod als die einzige Lösung herbei. Die von Liese überbrachte Nachricht von der Rückkehr des Geliebten elektrisiert sie erst, dann jedoch wendet sie sich mit Grauen von dem Todge- weihten ab. Stattdessen verliebt sie sich in den Wanderburschen, der jedoch ihre Identität nicht erkennt und sie mit dem Hinweis auf die zu rettende Prinzessin abweist.

Als der eifersüchtige Wolf das Volk gegen die Prin- zessin aufhetzt und zur Lynchjustiz aufruft, rettet sie der mutig auftretende Wanderbursche, in dem er das Volk mit seiner Flöte verzaubert. Inzwischen hat Meister Florian die Leiche seines Sohnes in seine Wohnung aufgenommen, um die Trauerrituale zu vollziehen. Während noch das Volk sich in der Trance der Flötenmusik wiegt, stürzt Florian mit der Bot- schaft aus dem Hause, der tote Sohn sei auferstan- den und spiele Geige. Dieser kommt tatsächlich, nur mit einem Lendenschurz bekleidet, zum Vorschein und verstirbt nach einigen letzten Bogenstrichen in den Armen seiner Mutter Liese, die ihm zum Abschied ein Sterbelied vorsingt. Das Schlussbild zeigt eine selektiv ausgeleuchtete Liese mit ihrem toten Sohn im Arm in unübersehbarer Anspielung auf die "Piéta" mit dem gekreuzigten Jesus Christus.

Die deutlich ins Mystische und Märchenhafte weisende Handlung lässt sich heute natürlich nicht mehr mit dem selben, fast naiven Ernst der Entstehungszeit präsen- tieren. Die eindeutig schwülstigen und falsch sentimen- talen, ja kitschigen Elemente der späten Kaiserzeit würden jede vernünftige Auseinandersetzung mit diesem Stück verhindern. Friedrich Meyer-Oertel hat dies offensichtlich erkannt und hat den zeitgeschicht- lichen und gesellschaftlichen Hintergrund so mit der Handlung verwoben, dass er diese als ironischer Kommentar begleitet. Tragen Personen und Bühnenbild anfangs noch zeitlose, fast archaische Züge - ein strenger Kastellan in Frack und Zylinder, ein düsterer, heruntergekommener Schlossaufgang, ein tragisch-komischer Meister Florian in einem verwunschenen Studierkämmerchen -, so wendet sich das Ambiente mit zunehmender Dauer ins Real-Gesellschaftliche. Das Volk erscheint in der Kostümierung der zwanziger Jahre, leicht geklei- dete Charleston-Damen, Transvestiten und Pros- tituierte, Lebemänner und mitten unter ihnen Braunhemden. Weggefegt ist das Jenseitige, handfest werden die Anspielungen. Der alte Florian versteckt sich als angeblicher Hexen- meister vor den Steinewerfern in seinem Stüb- chen und verweist damit deutlich auf die begin- nenden Judenprogrome der damaligen Zeit. Das laut Libretto "darnieder liegende Volk" und das allgemeine Elend lassen sich leicht in dem moralischen Niedergang der Weimarer Republik zum Ende der zwanziger Jahre wiederfinden. Ohne den Text zu vergewaltigen, verbindet Meyer-Oertel dieses für die heutige Zeit etwas sehr angedickte Stück auf elegante Weise mit dem zeitgeschichtlichen Kontext und verleiht ihm damit eine über den eigentlichen Inhalt hinaus weisende Bedeutung.

Als gewagt muss man die Schluss-Szene betrachten, wenn zum teilweise lasziven Tanz des Volkes ein Mann im Lendenschurz im Hintergrund an einem symbolischen Kreuz hängt und wenn - Krönung des Ganzen - Mutter und Sohn das höchste christliche Mutter-Sohn-Paar nachstellen. Diese deutliche Anspielung bewegt sich am Rande des Darstellbaren, denn allzu schnell kann die höchst religiöse Metapher zur Peinlichkeit ausarten oder gar als Blasphemie gedeutet werden. Meyer-Oertel wagt es und gleitet dabei zumindest nicht ins Peinliche ab. Es bleibt allerdings offen, worauf diese Metapher zielen soll, wenn man nicht eine ernsthafte inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Schrekerschen Stoff voraussetzt. Eine solche - affirmative - Annahme des Stoffes ist jedoch aufgrund der in sich widersprüchlichen und mystisch-dunklen Strukturen und angesichts der erwähnten ironisch-kritischen Elemente nicht gegeben.  

Die Musik Schrekers speist sich ganz aus der Wagnerschen und Mahlerschen Tradition, Ele- mente von Strauss (Richard) lassen sich ebenso finden wie von anderen Komponisten der vorletz- ten Jahrhundertwende. Aus dem Tonalen und der romantischen Harmonik kommend, reizt diese Musik die Grenzen der Harmonielehre aus und findet dabei neue, mal subtile, mal reibende Klangbilder. Immer jedoch zeichnet sich Schrekers Musik durch ihre außergewöhnliche Dichte aus, die der Handlung auf der Bühne die nötige Dramatik und den entsprechenden Bedeu- tungshintergrund liefert. Auch wer diese Musik nicht "schön" fand, und das war bei vielen Besuchern der Fall, musste zugeben, dass man sich ihrer Wirkung schwer entziehen kann. Das Orchester unter der Leitung von Stefan Blunier tat das Seinige dazu, diesen Eindruck zu erzielen und zu verstärken. Äußerst diszipliniert und konzentriert gingen die Musiker zu Werke und bewahrten auch in den expressiven Momenten die Präsenz. Beeindruckend immer wieder die Arbeit der Bläser und die exakten Einsätze wie auch die Bewältigung der schnellen Tempiwechsel und der klanglichen Eruptionen.

Bei den Gesangssolisten sind vor allem Lena Nordin als Prinzessin und John Pierce als Wan- derbursch hervorzuheben. Lena Nordin bestach durch eine außerordentlich klare und modula- tionsreiche Stimme, die auch den Belastungen der vielen expressiven Passagen standhielt. John Pierce überzeugte mit seiner physisch-stimmli- chen wie schauspielerischen Präsenz. Anton Keremidtchiev als Meister Florian, Hubert Bischof als Wolf und Elisabeth Hornung als Liese standen ihnen kaum nach und trugen zu einem beein- druckenden Gesamtbild bei.  Besonders zu erwähnen ist - wieder einmal - der Chor unter der Leitung von André Weiß, der vor allem durch die Variabilität und die Bewegungsarbeit in den großen Volksszenen glänzte.

Das Publikum dankte allen Beteiligten - Sängern, Orchester und Regie - mit lang anhaltendem, von "Bravos" durchsetztem Applaus. Allerdings mischten sich bei der Regie auch deutliche "Buh"-Rufe unter den Applaus. Offensichtlich konnten diese Zuschauer mit der Oper selbst wenig anfangen.

 

Stuttgarter Nachrichten
07.10.2002

Die Oper "Das Spielwerk" von Franz Schreker in Darmstadt
Mysterium vor Wolkenkratzern
Die Franz-Schreker-Renaissance geht weiter. Nach Stuttgart und Kiel "schrekern" in dieser Spielzeit auch Frankfurt und Darmstadt. In Darmstadt steht jetzt die Oper "Das Spielwerk" in ihrer zweiten Fassung auf dem Programm.

VON SUSANNE KAULICH

Der Skandal bei der Wiener Uraufführung 1913 hatte 1920 eine einaktige Version mit der Bezeichnung "Ein Mysterium" nach sich gezogen. In der geht der dramaturgische Faden vom Glück und Leid bringenden Klangphantom im apotheotischen Wust des Symbol- und Metaphern-Patchworks allerdings völlig verloren.

Vom "Orpheus" über die "Zauberflöte" bis zu Mahlers "Lied von der Erde" hat Schreker reichlich Bildungsgut-Motive in dieses "Mysterium" gepackt - und er scheut sich auch vor religiöser Metaphorik nicht. Regisseur Friedrich Meyer-Oertel verlegt das mittelalterliche mystische Geschehen in die 20er Jahre. Spielplatz vor einer Wolkenkratzer-Skyline ist eine stimmungsvolle Betonruine. Meister Florian baute dereinst ein Glück bringendes Spielwerk, das sein böser Gehilfe Wolf verpfuscht hat und das jetzt Übel bringt.

Weltenbrand droht, wenn die liebestolle Prinzessin (Lena Nordin) mit dem selbstzerstörerischen Hang zum orgiastischen Laster nicht geheilt wird. Diese Femme fatale, deren Krankheit irgendwie mit dem verpfuschten Spielwerk und der unglücklichen Liebe zum Geige spielenden Sohn Florians zusammenhängt, entspricht dem gängigen Klischee. Nach einigen Wirrnissen erscheint der untote Tote und spielt mit seiner Fidel zum Untergang auf, bevor ihn Mutter Liese (Elisabeth Hornung) mit einem Wiegenlied erlöst. Dabei hatte sich eh schon alles geklärt. Denn ein heldentenoraler Wanderbursche (John Pierce) hat mit seinem naiven Flötenspiel Volk und Prinzessin betört und so das ominöse Spielwerk wieder in Ordnung gebracht. Verliebt kann das neue Paar nach oben schreiten.

Seinen im symbolistischen Duktus des Fin-de-Siècle schwelgenden Text taucht Schreker in spätromantische, klangsinnliche Musik, die in ihren allzu süßlichen Passagen oft nur knapp am Filmmusikkitsch vorbeischrammt. Doch der hypnotisierenden Wirkung, die auf munterem Konversationsstil und melodiöser Dur-Moll-Harmonik basiert, kann man sich nur schwer entziehen. Das ist wohl das eigentliche Mysterium, das den Komponisten immer wieder ins Interesse rückt. Zumal wenn seine Musik so fesselnd, soghaft und klangschön zelebriert wird wie vom Darmstädter Ensemble unter Stefan Bluniers charismatischer Leitung.

Weitere Vorstellung heute und am 12. Oktober. Karten 06151 / 29 38 38.

 

opernnetz
2. Oktober 2002

APOKALYPSE

Es ist nicht die "böse" Prinzessin, die das bunt-gemischte Volk in Kostümen der Zwanziger Jahre vor der Bühne der Twin Towers ins Verderben führt: es ist der Höllenmeister mit seinem unheilbringenden "Spielwerk", das zur "tötenden Freude" animiert. Rettung: die Besinnung auf Verantwortung und Liebe. Friedrich Meyer-Oertel inszeniert Schrekers Mysterium von Oh-Mensch-Pathos, Expressionismus, Freuds und Reichs Sexualtheorien, kompositorischer Anlehnung an Verismo und Strauss als moralische Philippika: die aggressive Spaß-Gesellschaft steuert auf die Apokalypse zu, retten kann sich der naiv-ehrliche "Wanderbursche".

Das wird in einem instrumental-expressiven Bühnenbild von Heidrun Schmelzer eindrucksvoll in Szene gesetzt: auf Ground Zero ist "der Spaß" am Ende - doch bleibt Hoffnung: die Pieta von verstoßener Ehefrau mit ebenso verachtetem Sohn und das liebende Paar Prinzessin/Wanderbursche weisen die Richtung.

Unter Stefan Blunier spielte das Orchester des Staatstheaters Darmstadt ungemein präzise in den Instrumentengruppen, vorzugsweise die Flöten! Das "Geheimnisvoll-Seelische" der Schreker-Musik wird zum kommunikativen Erlebnis.

Ein hochkompetentes und -motiviertes Ensemble gestaltet die apokalyptische Vision ohne Aplomb mit darstellerischer und stimmlicher Intensität. Elisabeth Hornungs Rolle als leidend-aktive Graben-Liese gelingt ihr unpathetisch-überzeugend; der Meister Florian Anton Keremidtchievs ist stimmlich sonor, verzichtet auf unangemessene Effekte; Hubert Bischof ist als indifferent-spekulierender Wolf ein grundsolider Bariton; mit Lena Nordin ist eine zerrissene Prinzessin zu erleben, die Schrekers expressive Vorgaben zugleich melodisch und dissonant eindrucksvoll vermittelt; der "Naturbursche" wird von John Pierce (in Dortmund ein traumhaft-gelöster Tristan!) sehr einfühlsam dargestellt, seine flexible Stimme beherrscht die Tessitura souverän und beeindruckt mit klangschönem Legato. Weitere Solisten integrieren sich wandlungsfähig ins schluchtenartige Ambiente und verbreiten äußerst dichte Totentanz-Atmosphäre.

Bei der zweiten Aufführung nach der Premiere ist das wunderbar-innovative Haus trotz aller Tradition in Sachen "modernes Musiktheater" nicht voll besetzt; doch die Anwesenden sind ein intensiver Partner der Bühne - atemlos mitgehend, leidenschaftlich applaudierend. Doch fehlt dem kompetenten Publikum in der Kulturstadt Darmstadt offenbar der aktuell-ästhetische "thrill" der Produktion. (frs)

Staatstheater Darmstadt
DAS SPIELWERK (Franz Schreker)

POINTS OF HONOR
Musik ****o
Gesang ****o
Regie ***oo
Bühne ***oo
Publikum ****o
Chat-Faktor ***oo