Christof Loy, 1944 in Stuttgart geboren, studierte Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte in München und absolvierte dort auch ein Schauspielstudium. Nach ersten Regiearbeiten in Köln folgten Inszenierungen am Schauspiel Frankfurt und Stuttgart. Weitere Stationen sind Hamburg, Berlin und Basel. Darüber hinaus finden auch Nels interdisziplinäre und experimentelle Arbeiten große Beachtung, darunter das choreografierte Theater Thränen des Vaterlandes (1986, gemeinsam mit Heiner Goebbels), oder das Kleist-Projekt Wortpest im Jahr 1990 (beide Frankfurt). In den 80er Jahren begann er mit Opernarbeiten. In Frankfurt inszenierte Christof Nel Der Freischütz (1983), Falstaff und Die verkaufte Braut (1985) und Wagners Die Meistersinger von Nürnberg (1993). Zu Nels jüngsten Arbeiten gehören u.a. Jelineks Sportstück am Hamburger Schauspielhaus (1998), Wagners Die Walküre in Stuttgart (1999), Strauss’ Salome (1999) an der Oper Frankfurt und Der Freischütz (2000) an der Komischen Oper Berlin und Strauss´ „Die Frau ohne Schatten" an der Oper Frankfurt.

Frankfurter Rundschau
22.5.2003

Einsam, entsetzlich einsam
Christof Nel über den Schmerz in Richard Wagners "Tristan und Isolde" und dessen romantische Verklärung

Der Regisseur Christof Nel ist bekannt für seinen psychologisierenden, die Menschen hinter den Opernfiguren herausschälenden Blick.
In Frankfurt hat er zuletzt Puccinis Madame Butterfly und Strauss’ Die Frau ohne Schatten auf die Bühne gebracht. Am Sonntag, 25. Mai, hat seine Inszenierung von Richard Wagners Tristan und Isolde an der Oper Frankfurt Premiere. Mit Christof Nel sprach FR-Mitarbeiter Tim Gorbauch.

FR: Richard Wagner überschreibt Tristan und Isolde schlicht mit "Handlung in drei Aufzügen". Was meint er damit?

Christof Nel: Das ist eine Frage, die uns sehr beschäftigt hat. Ich kenne keine Oper, die so arm ist an äußerer Handlung. Handlung ist wohl eher auf das Innere bezogen, auf die Seelenprozesse. Zugleich geht es Wagner aber auch um die Fähigkeit, als Mensch zu handeln. Und Menschen handeln im Jetzt. Insofern wirft der Begriff Handlung, ein ambivalenter Begriff, wie so vieles bei Wagner ambivalent ist, die Frage auf, wo die Figuren stehen, wo die Handlung spielt.

Wenn sich, wie Sie sagen, die Handlung auf das Innenleben der Protagonisten verlagert, welche theatralen Mittel stehen Ihnen zur Verfügung, um das Innen nach außen zu kehren?

Es gibt immer wieder Momente, in denen die Zeit still steht, in denen sich nichts mehr rührt. Aber diese Spannung von äußerer und innerer Handlung hat ja jeder Mensch. Wie wir diese Spannung aushalten, wie wir sie balancieren, dafür gibt es Motive. Ich versuche, den Motiven nachzugehen, mit einer realistischen Erzählweise. Ich sage gerade nicht, dass sich innere Handlung im Licht abspielen müsse oder sich in Bühnensymbolen spiegeln sollte. Ich will die Kräfte zeigen, die in den Menschen Tristan und Isolde arbeiten. Ich möchte die Frage nach dem Tod, die sie sich stellen, nicht als eine metaphorische Frage verklären, sondern die Schmerzen, die da gefühlt werden, die Verzweiflung, die sie erfasst, spürbar machen. Ich will sie als Menschen verstehen. Das treibt mich an.

Eine gängige Sichtweise sagt, dass die Außenwelt die Liebe zwischen Tristan und Isolde unmöglich mache und sie in den Tod treibe. Hört man aber der Musik mal genau zu, kann man da nicht ein Sehnen spüren, das gerade gar keine Erfüllung will?

Ja, unbedingt. Mich interessiert aber gerade, wieso das so ist. Wenn ich bereit bin, es ernst zu nehmen, dass Tristan ein junger Mann ist, dessen Vater starb, als er ihn zeugte, und dessen Mutter starb, als sie ihn gebar, wenn ich mir die Welt vorstelle, in der er als Kind gelebt hat - ohne das erste wichtige Du einer Mutter -, dann ist das etwas unglaublich Desaströses. Wie soll er ein gesichertes Verhältnis von Innen und Außen haben? Wie soll er, der sich seine Mutter nur als Tote imaginieren kann, dessen Sehnsucht nach der Mutter immer auch eine Sehnsucht nach dem Tod war, eine Liebe im Tag vollziehen können? Das Sehnen, das Tristan fühlt, ist nicht auf Erfüllung, sondern auf das Sterben ausgerichtet - das sehe ich wie Sie. Und ich finde das etwas Furchtbares, unfassbar Trauriges.

Aber das ist doch gerade Gegenstand romantischer Verklärung. Der Liebestod als Beweis größter, grenzenloser Liebe.

Für mich steckt hinter dieser Verklärung vor allem Abwehr. Ich höre in der Musik eine Tiefe von Schmerz, von allerschwärzester Verzweiflung bis hin zu einem Zustand, wo das, was Ich ist, nicht mehr zusammenhält, ausfranst. Ich kann diese Verzweiflung nicht beiseite schieben und nur als Metapher für Liebe deuten.

Aber es geht schon auch um Liebe?

Ja, es geht um Liebe. Aber nicht um eine schöne, romantische Liebe, sondern um eine desaströse. Um eine voller Schmerzen. Und ich will, dass der Schmerz Schmerz ist und nicht etwas anderes.

"Tristan und Isolde" steht auch in einem Spannungsfeld von großer Oper und dem Kammerspiel eines Beziehungsdramas.

Die Balance zu finden und dann zu halten, ist furchtbar schwer. Über weite Strecken sind zwei Personen allein auf der Bühne, dagegen steht der ganze Apparat der großen Oper. Ich habe bei der Arbeit an Tristan das erste Mal das Bayreuther Prinzip des unsichtbaren Orchesters verstanden. Ohne die physische Präsenz eines arbeitenden Hundert-Mann-Orchester - dieses Allein-Sein der Bühne mit dem Klang, diese Form von Einsamkeit wird man bei einem offenen Orchestergraben nie herstellen können.

Einsamkeit?

Ja, Einsamkeit. Tristan und Isolde sind auf eine entsetzliche Weise einsam. Sie sind einander die einzigen Menschen, die überhaupt verstehen können, was mit ihnen los ist, ohne aber eine Chance zu haben, zueinander zu finden. Daran arbeiten wir von Anbeginn an, dass sich Tristan und Isolde auf der einen Seite auf eine ungeheuer tiefe Art und Weise verstehen, auf der anderen aber doch hoffnungslos einsam sind. Tristan begeht immer wieder Suizid, er sucht den Tod. Mit ihm kann man nicht zusammen kommen. Isolde hingegen hat gelernt, Du zu sagen. Nur ist dieses Du immer wieder enttäuscht worden.

Was die Sehnsucht nach dem Tod angeht, ist für Sie Tristan der Akteur.

Ja. Ich glaube, dass Isolde mit Tristan gerne leben würde, aber eben auch bereit ist, ihm in den Tod zu folgen. Während Tristan von Anbeginn an die Nacht will und Isolde bittet, mit ihm zu gehen. Für Tristan gibt es keine Liebe am Tag. Das ist nicht romantisch. Das ist irrsinnig traurig. Schwärzer als der schwärzeste Beckett. Und ohne die Gloriole der Musik wäre das gar nicht auszuhalten.

  • Beginn der Premiere ist um 17 Uhr, weitere Vorstellungen am 29. Mai sowie am 1., 4., 8., 19., 22., 26., 29. Juni. Karten unter 069/1340400.

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    Copyright © Frankfurter Rundschau 2003
    Dokument erstellt am 19.05.2003 um 21:36:04 Uhr
    Erscheinungsdatum 20.05.2003

    URL: http://www.fr-aktuell.de/ressorts/frankfurt_und_hessen/eine_woche_kultur/?cnt=215615

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