WIESBADENER KURIER
29. April 2004


Arbeit an "Armide": Inbal Pinto und Avshalom Pollak mit Ensemble-Mitgliedern
Kaufhold

Am Samstag hat "Armide" im Staatstheater Premiere
Im barocken Opern-Zauberland

Von Volker Milch

"Letīs start", sagt der Regisseur Avshalom Pollak und ruft dem gerade in den Orchestergraben kletternden Dirigenten Sébastien Rouland noch zu, dass dessen Hemd ihn an einen Hawaii-Urlaub erinnere. Urlaub? Der Dialog geht weiter: Hier im Großen Haus des Staatstheaters könne es sich nur um "crazy holidays" handeln, um einen ziemlich verrückten Urlaub. Das Team befindet sich in der heißen Endphase einer aufwändigen Opernproduktion, und kurz vor der ersten Hauptprobe von Christoph Willibald Glucks "Armide" liegt Hochspannung in der Theaterluft. Kreuz und quer wird auf Deutsch, Englisch, Französisch und Hebräisch kommuniziert.

Es scheint die richtige Oper zu sein, um an die kaiserlichen Glanzzeiten der Maifestspiele anzuknüpfen: Im Mai 1902 stand Glucks "Armide" zur Einweihung des prächtigen Foyers auf dem Programm. Wenn Kaiser Wilhelm II. ein gutes Jahrhundert später die Proben des nämlichen Werks besuchen könnte, müsste er zwar einen Wandel in der Bühnenästhetik bemerken, dürfte aber nach wie vor seine notorische Freude an tanzender Weiblichkeit haben: Das Dreispartenhaus nutzt, wie bereits in Rameaus "Platée", sein breites Spektrum und setzt für die Ballett-Szenen wieder Cauwenberghs Compagnie ein. Nicht nur das: Die Regie nähert sich dem Werk aus der choreografischen Perspektive.

Mit einem vollen Skizzenbuch, erzählt Dramaturg Bodo Busse, ist Avshalom Pollak angereist: "Er zeichnet alles". Wie ein "Märchenbuch" für Kinder sehe das aus. Das israelische Duo Pinto/Pollak setzt nicht, wie die von Andreas Baesler inszenierte und ebenfalls von Sébastien Rouland dirigierte Luzerner "Armide", auf Kampfanzug und Kalashnikov, sondern auf ein Zauberland, das von kurios kostümierten Gestalten bevölkert ist: Von einer "Sehnsuchtswelt" spricht Bodo Busse, wenn er die ganz eigene Ästhetik der "Inbal Pinto Dance Company" beschreibt, von "Bilderwelten, die man verloren hat." Das Duo ist für Inszenierung, Choreografie - und auch für die Ausstattung verantwortlich und seit sechs Wochen, wie Bodo Busse anerkennend sagt, fast rund um die Uhr mit der Produktion beschäftigt. Die Opern-Novizen werden von der Regie-Mitarbeiterin Iris Gerath-Prein tatkräftig unterstützt. Und in einem "Workshop", erzählt Busse, wurde das klassisch orientierte Wiesbadener Ballett an die "neue Körperlichkeit" der Choreografin Inbal Pinto herangeführt.

Dass Sophie Marin-Degor, die Sängerin der Armide, in der Woche vor der Premiere erkrankt ist, trägt nicht gerade zur Beruhigung der Lage bei. Wiesbadens Opernleitung hofft auf baldige Genesung und will mit ihrem Ausfall gar nicht mehr rechnen: "Sie wird gesund", sagt Bodo Busse mit beschwörendem Nachdruck - Wir befinden uns ja in einer Zauberoper, frei nach Tassos Epos "Das befreite Jerusalem", jener für die Barockoper äußerst ergiebigen Stoff-Quelle.

Aber die erste Hauptprobe der "Armide" musste ohne jene Zauberin stattfinden, die der Macht der Liebe unterliegt und ihren Feind, den Kreuzritter Renaud, nicht töten kann. Oder doch nicht ganz: Eine Assistentin wirft sich in Armides Kostüm und Pose, während der Dirigent Sébastien Rouland im Orchestergraben zur Sopranistin mutiert und die Partie zumindest andeutet. Der junge Mann, der gemeinsam mit dem Regisseur John Dew in Wiesbaden bereits "Platée" zum Erfolg verholfen hat, bringt das Fehlen seiner Protagonistin offenbar nicht aus der Fassung.

Letzte Meldung aus dem Theater: Sophie Marin-Degor ist wieder genesen, und zwei Tage vor der Eröffnung der Festspiele kündigen sich keine weiteren Katastrophen an.