Offenbach Post
11.11.2003

Spielwitz und Esprit blieben auf der Strecke
Mussbachs "Barbier von Sevilla" wieder an Oper Frankfurt

Von AXEL ZIBULSKI

Auf den ersten Blick sieht man ihr die fünfzehn Jahre nicht an, die diese Inszenierung mittlerweile auf dem Buckel hat: Die bunte Guckkasten-Bühne, die Licht- und Schatten-Spiele in Peter Mussbachs Deutung des "Barbiers von Sevilla" haben immer noch Charme. Als Mussbach, inzwischen zum Intendanten der Berliner Staatsoper aufgestiegen, Gioacchino Rossinis populärste Oper in Frankfurt inszenierte, war der Opernbrand gerade ein Jahr vorbei. 1988 feierte man in der Ausweich-Spielstätte Schauspielhaus die Premiere; jetzt wurde der "Barbier" in der Oper einmal mehr wieder aufgenommen.

Ob das wirklich eine gute Entscheidung war? Denn der überschaubare Raum, den das Bühnenbild von Johannes Schütz bietet, will gleichwohl ausgefüllt sein. Mit buffoneskem Leben, mit Spielwitz und Esprit, die während manch langer Rezitativ-Strecke ein wenig auf derselben bleiben. Wohl wird auf der Bühne viel gehuscht und gewunken, wird sich verkleidet und maskiert. Doch die zündenden Funken bleiben gerade im anderthalb Stunden dauernden ersten Akt spärlich (szenische Leitung der Wiederaufnahme: Orest Tichonov).

Einer, der ein wenig geistreiches Leben in das Geschehen bringt, ist just der Spieler des Hammerklaviers: Hartmut Keil streut mancherlei rossinifremde Zitate ein. War das eben Donizetti? Oder gar Wagner? Fragt man sich, findet das gehört Geglaubte passend und ist im übrigen von dem, was aus dem (erhöhten) Orchestergraben klingt, eher enttäuscht: Unter der Leitung von Johannes Debus versucht das Museumsorchester, einen fein-transparenten Rossini zu bieten. Doch das scheitert zum einen an mancher spielerischen Ungenauigkeit. Und zum anderen daran, dass der Komponist zuweilen eben mehr auf Effekt als auf Feinklang setzt. Gerade die mitreißenden Crescendi der Partitur verpuffen immer wieder.

Sollte man zumindest meinen, dass diese Begleitung günstig für die Sänger ist. Doch Nathaniel Webster, als Figaro eine glatte Fehlbesetzung, kommt mit seinem arg schmächtigen Bariton selbst gegen das kleine Orchester nicht immer an. Darüber hinaus fehlt ihm die Agilität, um sich in seiner populären Eingangs-Kavatine "Largo al factotum" angemessen zu profilieren. Dankbar ist diese Partie eben nur, wenn man für sie die nötigen Farben, die schillernde Wendigkeit mitbringt. Eben dies bietet Donato di Stefano als grandioser Doktor Bartolo: Zurecht wird der italienische Gast vom Publikum als Sympathieträger erkannt, ebenso die quecksilbrig singende Barbara Zechmeister als dessen Haushälterin Berta. Als Graf Almaviva findet Gioacchino Lauro di Vigni im Lauf des Abends zu passablem tenoralem Format; Jenny Carlstedt trifft mit etwas herbem Timbre die Koloraturen der Rosina genau. Und nicht zu vergessen: Der hinreißend spielende Carlos Krause, der bereits im Premierenjahr den Diener Fiorillo sang. Lang ist's her.

 

Frankfurter Allgemeine Zeitung
10. November 2003

Die dienstälteste Produktion
Wiederaufnahme von Mussbachs "Barbier" an der Oper Frankfurt

Von Guido Holze

Carlos Krause ist seit 15 Jahren dabei. In Peter Mussbachs Inszenierung von Rossinis Il barbiere di Siviglia hat er von der ersten Wiederaufnahme, die noch im Jahr der Premiere 1988 anlief, in der kleinen Partie des Dieners Fiorillo immer wieder auf der Bühne gestanden. Die nach dem Opernbrand für die kleinere Bühne des Schauspiels konzipierte Produktion ist damit die dienstälteste der Oper Frankfurt. Antiquarisch wirkt sie dennoch nicht. Erstaunlich vor allem, dass die Gags und Slapsticks immer noch so gut ankommen und wie einfach das alles auf der schultheaterhaft sparsamen Guckkastenbühne von Johannes Schütz und mit den historischen Kostümen von Jorge Jara funktioniert.

Musikalisch sorgte nun Kapellmeister Johannes Debus für einen handwerklich soliden Eindruck. In zügigen, aber nicht gehetzten Tempi hatten die Sänger so offenbar selbst ihren Spaß am rasenden Rossini-Geschnatter. Die Rezitative begleitete Hartmut Keil am Hammerklavier voller Spiellust, gespickt mit Zitaten. [...] Jenny Carlstedt, [...] seit der Saison 2002/03 im Ensemble, gefiel als kindlich-gewitzte Rosina besonders mimisch-darstellerisch. "Abräumer" war als perfekter Buffo-Darsteller mit sonorem Bass Donato di Stefano in der Rolle des Bartolo. Sein ebenfalls gastierender italienischer Landsmann Gioacchino Li Vigni war dazu ein agiler, stimmlich und spielerisch wandlungsfähiger Graf Almaviva.

 

Frankfurter Neue Presse
10.11.2003

Puppenhaft und kess im dunklen Farbenspiel
Rossinis "Der Barbier von Sevilla" wurde an der Oper Frankfurt wieder aufgenommen.

In schöner Regelmäßigkeit wird diese Inszenierung von Peter Mussbach von 1988 aufpoliert, diesmal von Orest Tichonov. Der große Spaß hat sich über die Jahre gehalten, besitzt noch vieles von der Motorik, die ihr Mussbach so glanzvoll mitgegeben hatte. Das Spiel zwischen quirliger Gestik und urplötzlicher Erstarrung ist etwas "weicher" geworden, das Marionettenhafte wie das Manische haben sich gemildert, doch das prächtig Überdrehte ist nicht unterzukriegen und gewinnt unverändert seine Kräfte, gerade auch aus dem fantastisch-dunklen Farbspiel des so verblüffend sparsamen Bühnenbildes von Johannes Schütz. Das Frankfurter Ensemble ist mit Jenny Carlstedt als Rosina zwischen puppenhaft und kess, dem ranken und auch stimmlich schlanken Figaro von Nathaniel Webster, übrigens auch mit Barbara Zechmeisters ausgezeichneter Berta oder Carlos Krauses witziger Studie des Dieners Fiorello würdig vertreten. Im Zentrum auch diesmal der Don Bartolo vor Donato di Stefano als Gast mit plastischer Stimme und einer verblüffenden Beweglichkeit (auch der Zunge), die die Erinnerung an Enzo Dara weckt. Da die Inszenierung keine Helden benötigt, ist Gioacchino Lauro Li Vigni, ein liebenswerter und leicht trotteliger Almaviva, am rechten Platz. Und da passt auch Simon Bailey als recht junger Basilio jenseits allen Chargierens ins komödiantische Bild. Johannes Debus am Pult des agilen, trocken artikulierenden Orchester hält alles bravourös zusammen. (jö)