Frankfurter Rundschau
26. Januar 2004

Gustav in den Seilen
Giuseppe Verdi, rekonstruiert: Die deutsche Erstaufführung des schwedischen Ur-Maskenballs mit dem Titel "Gustavo III" am Staatstheater Darmstadt

VON STEFAN SCHICKHAUS

In Schweden scheint das Staatsoberhaupt die Mörderhand anzuziehen. Nicht erst in jüngster Zeit Anna Lindh (2003) und Olof Palme (1986), schon der Schweden-König Gustav III. (1792) wurde Opfer eines Attentats. Gustav starb, wie er gelebt hatte: In einem Opernhaus - er war ein Liebhaber der Bühne, und auf die Bühne sollte er zurückkehren, als Opernheld. Giuseppe Verdi hatte es sich in den 1850ern so vorgestellt, doch die Zensur war dagegen. Anstelle des Schweden-Königs durfte allenfalls ein Gouverneur im fernen Amerika gemeuchelt werden, und darum trug die als Gustavo III gedachte Oper von Stund an den Titel Un ballo in maschera. Sie wurde ein Erfolgsstück.

Doch so ganz glücklich waren viele nicht mit diesem Maskenball, vor allem nicht die aus der Partitur ausradierten Schweden. Schon 1935 hatte man in Kopenhagen den ersten Versuch unternommen, die Handlung zurück an den Stockholmer Hof zu transferieren. 2002 ging man in Göteborg einen Schritt weiter und spielte zum ersten Mal die rekonstruierte Fassung, die beiden Musikologen Ilaria Narici und Philip Gossett ganz frisch aus Verdis originalen Partiturmanuskripten erstellt hatten. Einiges Hypothetische floss in diese Gustavo III-Oper mit ein, gaben die Beiden unumwunden zu, das "Gebiet reiner Forschung" sei durchaus auch mal verlassen worden. Das ist ehrlich.

Von solchen Relativierungen war jetzt jedoch nichts zu lesen im Programmheft der ersten deutschen Aufführung des rekonstruierten Gustavo III. Das Staatstheater Darmstadt hatte geschickt die Gelegenheit beim Schopfe gepackt: Eigentlich sollte der Regisseur Anthony Pilavachi hier den traditionellen Maskenball inszenieren. Allerdings war er es auch, der in Göteborg die Urfassung auf die Bühne gebracht hatte, und so machte er die deutsche Erstaufführung jetzt gleich hinterdrein.

Kurz und knapp: Ob Un ballo in maschera oder Gustavo III, gravierend sind die Unterschiede nicht. Nach wie vor hüpft die merkwürdige Rolle des Pagen Oscar wie ein Fremdkörper durch die Szene (in Darmstadt körperlich und stimmlich extrem beweglich dargestellt von Barbara Meszaros), nach wie vor sind es die schon aus dem Maskenball bekannten Arien, die den großen Effekt machen. Sicher, manches wirkt in der Urfassung konsequenter, etwa dass die Mörderbande aus dem Adel kommt und nicht aus den Niederungen des Volkes. Doch verliert im Gegenzug die Szene der Amelia im zweiten Akt jene Homogenität, wie man sie aus dem Maskenball schätzt. Interessant ist diese Fassung auf jeden Fall, sie wirkt zudem etwas schärfer im Klang - doch das kann auch an der erstklassigen Leistung des Kapellmeisters Raoul Grüneis und seiner Darmstädter Opernmusiker gelegen haben.

Formulieren wir es so: Wäre es eine Neuproduktion des üblichen Un ballo in maschera gewesen, ohne den Mehrwert der Fassungsfrage, so müsste man nicht viele Worte verlieren. Denn die Inszenierung von Anthony Pilavachi, der wie meist im Verbund mit seinem Bühnenbildner Piero Vinciguerra nach Darmstadt eingeladen wurde, ist konventionell und pendelt unentschieden zwischen den Welten von leicht und ernst. "Schöne Operette!" schrie einer erregt aus dem Publikum in den ersten Akt hinein, aber da hatten die Höflinge auf der Bühne zu ihren gepuderten Perücken die roten Pappnasen noch gar nicht aufgesetzt gehabt. Und manche Operngesten, die Pilavachi seinen Sängern hier durchgehen ließ, wollten wir eigentlich nie, nie wieder sehen. Zum Beispiel die zombihaft nach vorne gestreckten Arme des Hexenchores oder schlimmer noch die Duettpose des Tenors, der hinter der Sopranistin steht und ihr die Hände an die Schultern legt.

Unter den Solisten bestach einmal mehr der Sopran von Mary Anne Kruger (Amelia), ihre Ensemblekollegin Elisabeth Hornung allerdings konnte die Partie der Wahrsagerin Ulrica nicht ganz mit der von ihr gewohnten Klasse ausfüllen. Eine interessante Konkurrenzsituation entspann sich zwischen dem Mörder und seinem König: Anton Keremidtchiev (Graf Ankastrom) wurde zwar als indisponiert angesagt, doch ging er mit seinem allenfalls leicht angeschlagenen Baritonorgan so konzentriert und klug gesteuert um, dass ihm daraus kein Nachteil entstand, im Gegenteil. Der Tenor Scott MacAllister als König Gustav dagegen, voll Kraft und schöner Stimmfarbe, wirkte eher schlampig, forcierte unnötig und machte es dem Dirigenten im Graben öfters mal schwer, ihn auf Linie zu halten.

Am Ende hing Gustav in den Seilen. Die kamen aus dem Schnürboden herab, warum auch immer, vielleicht um den eigentlich schon erschossenen König zur Schlussszene auf den Beinen zu halten. Die Seile jedenfalls verhedderten sich bei der Premiere mächtig im gefährlich schlingernden Kronleuchter, was gerne als symptomatisch genommen werden darf; und was nicht erwünschtes Lachen im Publikum evozierte, denn schließlich stirbt hier ein König. Der Schwedenkönig Gustav, endlich und zum ersten Mal nach neuer Lesart auf deutschem Bühnenboden. Fast hätte man es vergessen, es war ja eine deutsche Erstaufführung.

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Dokument erstellt am 25.01.2004 um 17:52:47 Uhr
Erscheinungsdatum 26.01.2004
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Darmstädter Echo
26.1.2004

Oper: „Gustavo III", Urfassung von Verdis „Maskenball" im Staatstheater Darmstadt
Zurück zu den Quellen

Von Klaus Trapp

DARMSTADT. Als erste deutsche Bühne stellte das Staatstheater Darmstadt die Urfassung von Giuseppe Verdis Oper „Ein Maskenball" vor und erzielte damit bei der Premiere am vergangenen Samstag einen Publikumserfolg. Es ging nicht nur darum, die Handlung aus Boston wieder an ihren Ursprungsort zu verlegen, nach Stockholm nämlich, wo König Gustav III. 1792 einem Attentat zum Opfer fiel; die italienische Zensur hatte Verdi untersagt, einen Königsmord auf die Bühne zu bringen. Es galt auch, die Partitur wieder in ihren Urzustand zu versetzen, wobei manche musikalischen Unterschiede zwischen den Fassungen zutage traten.

Das geometrisch abgezirkelte Bühnenbild von Piero Vinciguerra, das glatte Wände eines Palastes zeigt, versagt sich allerdings konkrete Hinweise auf Ort und Zeit der Handlung. Das schaurige Galgenfeld, das zur schicksalhaften Begegnungsstätte wird, gewinnt Atmosphäre aus Beleuchtungs- und Nebeleffekten sowie durch rote Galgenstricke. Einen erkennbaren Zeitbezug stellen die stilisierten, von Tatjana Ivschina entworfenen Kostüme her, die im vorherrschenden Farbkontrast von Rot und Schwarz der Hofgesellschaft einheitliches Gepräge geben.

Vor solch visuellem Gleichklang entwickelt Regisseur Anthony Pilavachi, der erstmals in Darmstadt arbeitete, eine konzentrierte Personenführung, die vor dem Hintergrund der in durchdachter Choreografie bewegten Menge das Beziehungsspiel der Hauptakteure präzise ausformt. Befremdlich wirkt allerdings die Idee, die Rolle des Pagen Oscar besonders stark zu gewichten. Wenn Oscar den ehrwürdigen Richter seiner Perücke beraubt und ihn mit einem Tritt in den Hintern zu Boden streckt, dann ist ein solcher Slapstick-Effekt auch durch die Urfassung der Oper kaum gerechtfertigt. Seltsam zudem der Einfall, Oscar in Frauenkleidern über den Galgenberg geistern zu lassen – solcher Aktionismus vermindert die Spannung, wenn das tragische Geschehen um Liebe und Eifersucht sich anbahnt. Überzeugend wirken dagegen die Ensembleszenen, etwa bei den zwischen Übermut und Schrecken schwankenden Reaktionen auf die Prophezeiungen der Wahrsagerin Ulrica oder bei der Verspottung des Grafen Ankastrom.

Raoul Grüneis arbeitet am Dirigentenpult die musikdramatischen Qualitäten der Urfassung prägnant heraus. Er treibt das Orchester des Staatstheaters energisch voran, schärft die Blechbläserattacken, steigert die Tuttipassagen. Als Gegenpol betont er die lyrischen Episoden, vor allem in den zentralen Begegnungen zwischen Amelia und Gustav. Der Kontakt zwischen Bühne und Graben ist eng geschlossen, hier und da wünschte man sich jedoch noch etwas mehr Flexibilität im Umgang mit der dynamischen Skala.

Als Gustavo III. betont Scott MacAllister die Facetten dieses umstrittenen Königs: die Attitüde des unumschränkten Herrschers, die verzweifelte Liebe zu Amelia, der Gattin des Grafen Ankastrom, die große Geste der Verzeihung nach erfolgtem Attentat. MacAllister setzt seinen Tenor differenziert ein, nur im äußersten Forte wirkt die Stimme etwas gepresst. Auf bewegende Weise verkörpert Mary Anne Kruger die Amelia: vom Ankämpfen gegen ihre Liebe bis zur Todesahnung macht sie die inneren Wandlungen glaubhaft. Es gelingt ihr mit geschmeidigem Sopran, die spannungsreiche Melodik Verdis ausdrucksstark umzusetzen. Anton Keremidtchiev gibt der Rolle des Grafen Ankastrom trotz leichter Indisposition markantes Profil, überzeugend in sängerischer wie darstellerischer Hinsicht. Die Partie der Ulrica füllt Elisabeth Hornung mit dunkler Altstimme eindrucksvoll aus. Barbara Meszaros ist der quirlige Page Oscar, anmutig in den tänzerischen Bewegungen, perlend im leicht ansprechenden Sopran. Werner Volker Meyer als forscher Matrose Cristiano, Thomas Fleischmann und Hans-Joachim Porcher als finstere Verschwörer und weitere Akteure fügen sich nahtlos ins Ensemble ein. Die Sangbarkeit der italienischen Sprache kam dabei allen Akteuren zugute.

Hervorragend präsentieren sich der Chor des Staatstheaters und die Herren des Extrachores, trefflich vorbereitet von André Weiss. Kabinettstücke sind der Verschwörerchor in der Wahrsageszene und der Spottchor am Ende des zweiten Aktes. Nach der zweidreiviertel Stunden dauernden Premiere gab es starken, anhaltenden Beifall für alle Akteure und den Dirigenten, einige wenige Buhrufe waren beim Erscheinen von Regisseur und Ausstattern zu verzeichnen.

 

WIESBADENER KURIER
27. Januar 2004

Darmstadt: Urfassung von Verdis "Maskenball"
Keine Revolution

Von Axel Zibulski

Dass Schweden kein so ganz sicheres Terrain für die Regierenden ist, wissen wir seit den Attentaten auf Anna Lindh und Olof Palme. Und Opernfreunde natürlich durch die Ermordung des schwedischen Königs Gustav III. Wie pikant: Der ausgerechnet in einem Opernhaus getötete Regent wurde später selbst zur Zentralgestalt eines Bühnenwerks, von Giuseppe Verdis "Maskenball" nämlich. Womit sich der Komponist Mitte des 19. Jahrhunderts reichlich Ärger mit der Zensur einhandelte.

Nein, ein Königsmord auf offener Bühne, wenngleich im fernen Schweden, das durfte nicht sein. Auch Stettin, wohin Verdi und sein Librettist Antonio Somma die Handlung zunächst verlegt hatten, war nicht genehm. Danach gingen sie auf Nummer sicher: Seither spielt der "Maskenball" im amerikanischen Boston. Wohin das Geschehen aber so gar nicht passt. Bereits im vergangenen Jahrhundert hat man daher nicht selten den "Maskenball" wieder zurück nach Schweden verlegt.

Das Staatstheater Darmstadt ging nun noch einen Schritt weiter: Da hatte jetzt nicht etwa "Un ballo in maschera" Premiere, sondern "Gustavo III": Als Deutsche Erstaufführung der (angeblichen) Urfassung. Man musste freilich etwas weiter hinten im Programmheft und zwischen den Zeilen lesen, um zu erfahren, dass die Musikwissenschaftler Philipp Gossett und Ilaria Narici ihre Rekonstruktion nicht ganz frei von vagen Momenten halten konnten. Immerhin lässt das Resultat ihrer Arbeit keinen "Maskenball"-Freund seine vertraute Oper vermissen. Die Änderungen liegen eher im Detail, in transponierten Melodien etwa, aber auch in einer strukturellen Umgestaltung zu Beginn des zweiten Akts.

Dass man in Darmstadt dabei nicht gerade das Gefühl hatte, Zeuge einer Revolution der Verdi-Rezeption zu werden, lag wohl auch an der durch und durch konventionellen Inszenierung von Anthony Pilavachi, der bereits für die erste Aufführung dieser "Urfassung" 2002 in Göteborg verantwortlich war. In Darmstadt sieht man zwischen geometrisch abgezirkelten Treppen, Wänden und Gittern (Piero Vinciguerra) manche arg konventionelle Geste, erlebt manches forcierte Rampensingen: Gerade Scott MacAllister wirkt als Schwedenkönig Gustav in der Premiere oft angestrengt.

Dass die vokal wendige Barbara Meszaros als Diener Oskar anfangs den Bühnenvorhang aufzieht und ihn am Ende nicht mehr zu schließen vermag, ist eine nicht gerade neue Idee; dass die Höflinge sich zwischendurch rote Pappnasen aufsetzen, ein letztlich beliebiger Einfall. Überhaupt dominieren Rot, Schwarz und Weiß (Kostüme: Tatjana Ivschina). Damit lässt sich manches undifferenziert abarbeiten. So trägt Königsmörder Ankastrom, von Anton Keremidtchiev trotz Indisposition wunderbar balsamisch gesungen, eben schwarz, wenn seine Gattin und Königsgeliebte Amelia weiß gewandet erscheint. In vokaler Hinsicht bietet Mary Anne Kruger freilich eine großartige Amelia mit leichten Höhen, lyrischer Kraft und exakter Artikulation, so glaubhaft in der Darstellung, wie es sich insoweit auch von Elisabeth Hornung als Wahrsagerin Ulrica sagen lässt. Das unauffällig sekundierende Orchester wird von Raoul Grüneis in den Ensembleszenen nicht immer ganz souverän geleitet. Kann man nun nur noch gespannt sein, ob eine andere Bühne demnächst einen weiteren Ur-"Maskenball" zur deutschen Erstaufführung bringt.

 

egotrip.de
Januar 2004

Die Geschichte vom leidigen Libretto
Deutsche Uraufführung von Giuseppe Verdis "Gustavo III" in Darmstadt

In Opern muss es sich nicht immer nur um Liebe und Leid drehen, obwohl dieses Paar noch in jede Handlung hineinspielt. Auch erfolgreiche politische Libretti kennt die Operngeschichte, und eines der wichtigsten dieser Art hat Giuseppe Verdi vertont: "Die sizilianishe Vesper". Angesichts der Urfassung seiner Oper "Gustavo III", die später in einer überarbeiteten Version als "Der Maskenball" bekannt wurde, lohnt sich ein knapper Vergleich der Ausgangspunkte.


Gustavo (Scott MacAllister), Graf Ankastrom (Anton Keremidtchiev) und Amelia (Mary Anne Kruger)

In der "Vesper" entfaltet sich vom ersten Moment an eine dramatische Situation: die Besetzung Siziliens durch die ungeliebten Franzosen, die Unterdrückung des Volkes und die beginnende Revolte. Die Handlung ist von Anfang an stimmig und entwickelt sich konsequent auf das disaströse Ende zu. Entsprechend diesem logischen inneren Aufbau ergibt sich auch - man möchte fast sagen: automatisch - die innere Dramatik und Wirkung der Musik. Im "Gustavo III" dagegen stellt sich die Situation deutlich anders dar. Wir erleben einen "guten" Herrscher, der im Volk weit und breit beliebt ist und sich bereits in der ersten Szene dieser Liebe würdig zeigt. Die gegen ihn laufende Verschwörung entbehrt jeglicher aus der Konstellation sich ergebender Notwendigkeit. Der Hintergrund der Verschwörer und ihre politischen Motive werden nicht ausgeleuchtet, schon gar nicht wird ein großer Konflikt heraufbeschworen. Zwar erwähnen die Verschwörer einmal kurz ihre eher privaten Rachegründe, diese werden jedoch in keiner Weise von irgendeiner "objektiven" Instanz innerhalb des Librettos bestätigt. Sie können also reiner Vorwand sein und erhalten ihre einzige Berechtigung aus der historischen Vorlage.

Auf der anderen Seite steht der persönliche, erotische Konflikt. Ohne historischen Hintergrund der Handlung hinzugefügt, wirkt diese Geschichte konstruiert, weil sie mit dem politischen Hintergrund oder mit der Verschwörung nichts zu tun hat. Außerdem handelt es sich hier nicht um den klassischen "tragischen" Konflikt, aus dem die Liebenden keinen Ausweg finden, sondern es geht eher um außereheliche Erotik, wie sie in den besten Familien vorkommt. Gustav liebt Amelia, die Frau seines besten Freundes Graf Ankastrom, und sie liebt offenbar auch ihn. Doch die Liebe bleibt platonisch, wird nur verbal mitgeteilt. Die beiden könnten sich in jedem Fall den Konventionen beugen und vermieden dadurch jeden dramatischen Konflikt. Die schlechte Ironie des Librettos will es sogar, dass Gustavo eben dies tut, Entsagung üben, und nur dem aus Eifersucht geborenen Irrtum und Misstrauen seines Freundes zum Opfer fällt. Eine weitere Schwäche der Handlung, denn Ankastrom unternimmt rein gar nichts, um die Situation zu klären. Das von ihm zufällig entdeckte Treffen Gustavos mit Amelia an einem erotisch wenig verdächtigen Ort, dem Galgen, dient in keiner Weise als Beweis für einen Ehebruch. Ankastrom jedoch handelt in überhasteter Raserei, als habe er die beiden im Bett erwischt.

Nun sind Opernlibretti nicht gerade für ihre logische Stringenz berühmt. Man denke da nur an die "Zauberflöte". Aber in vielen Fällen besteht auch kein entsprechender Anspruch und die Qualität der Oper liegt in anderen Bereichen, so bei der letzteren im Märchenhaften. Bei "Gustavo" jedoch bildet die Verschwörung den Handlungsmittelpunkt und impliziert damit eine gewisse Notwendigkeit, die zum tödlichen Ausbruch des Konflikts führt. Was bei anderen Opern als Schönheitsfehler geduldet wird, trifft hier das Werk ins Mark. Ohne echten Konflikt, ohne zwingende Dramatik dümpelt die Handlung als unterhaltsame Hofintrige dahin, die niemanden wirklich ergreift. Das strahlt letztlich auch auf die Musik aus, die einer sich eher zufällig entwickelnden Dramatik keine innere Logik verleihen kann.

Natürlich war ein Komponist wie Verdi in der Lage, dieser Handlung seinen musikalischen Stempel aufzudrücken, und seine Musik ist tatsächlich von Beginn an "reiner Verdi". Liebhaber seiner Opern werden sich daher bei dieser Inszenierung sicher wiedergefunden haben. Die Musik folgt der Handlung und betont die jeweilige Atmosphäre, sei es durch okkultes Geraune beim Auftritt der Wahrsagerin Ulrika - übrigens eine weitere Figur, die weder mit der Verschwörung noch mit der falschen Liebe etwas zu tun hat - sei es durch den Spott der Verschwörer gegenüber dem scheinbar "gehörnten" Graf Ankastrom, sei es in der zupackenden Dramatik der Finalszene. Raoul Grüneis hatte das Orchester gut auf dieses Werk eingestellt und lieferte den musikalischen Auftritt wie aus einem Guss ab. Auch die Abstimmung mit der Bühne klappte ausgezeichnet, so wenn Oskar, der Page, seinen Stab genau zu den Schlägen des Orchesters aufsetzt, oder wenn ein wichtiges Stück Papier exakt im Takt der Musik zerrissen wird. Man hatte sich einige gute Ideen einfallen lassen, um Bühne und Orchester eng miteinander zu verzahnen, und dabei hat auch der von André Weiß geleitete Chor seinen Anteil. Er bestach wieder einmal durch hohe szenische Beweglichkeit und darstellerische Elemente. Allerdings musste er sich zu Beginn ein einzelnes "Buh" gefallen lassen, als er zum Kostüm der Hofschranzen rote Faschingsnasen aufsetzte. Da zeigte jemand wenig Humor......


Oskar (Barbara Meszaro), Graf Ankastrom und Gustavo

Die Darsteller machten wieder einmal das beste aus dem dünnen Libretto. Anton Keremidtchiev (Graf Ankastrom) merkte man von seiner angeblichen Erkältung nichts an, er lieferte die von ihm bekannte souveräne Partie ab. Mary Anne Kruger glänzte in der Rolle der Amelia, konnte sie doch vor allem bei den Arien ihre ganze Ausdrucksbreite und Stimmkraft ausspielen. Ihr zur Seite stand als Gustavo Scott MacAllister, der seinen Part ebenfalls sehr stimmsicher und kraftvoll interpretierte. Das Lyrische liegt ihm nicht ganz so, dafür war aber Mary Anne Kruger zuständig. Barbara Meszaros feierte als ein äußerst agiler und bübischer Oskar ein mit viel Beifall bedachtes Comeback an der Darmstädter Oper und hat sich ihre alte Fan-Gemeinde im Sturm zurück erobert. Thomas Fleischmann und Hans-Joachim Porcher gaben zwei eher im Hintergrund agierende Verschwörer, die jedoch im Spottlied auf Ankastrom sehr gut zusammenfanden.

Im Großen und Ganzen ein unterhaltsamer Verdi-Abend mit dramatischen Effekten und einigem Verdi-Schmelz, aber ohne die große Erschütterung und das tiefe Gefühl. Doch auch solche Opernabende muss es geben, denn nicht jedes Werk eignet sich zum Aufwühlen der Gemüter. Das Publikum muss ähnlich empfunden haben und applaudierte allen Beteiligten freundlich und ein bisschen mehr, zu "standing ovations" reichte es diesmal jedoch nicht.