Die Presse Wien
9. August 2003 - E-Musik

Interview: Claus Guth über Geistformen, Bayreuther Eigenheiten und den "Wanderer" Wolfgang Wagner

Claus Guth, Theatermann aus Frankfurt, hat mit seiner Bayreuther Neuinszenierung des "Fliegenden Holländers" innere und äußere Welten in Bewegung gesetzt.

VON PETRA HAIDERER


Szene aus dem „Fliegenden Holländer".
Eine Inszenierung von Claus Guth. | © AP

Im Festspielhaus hat Wolfgang Wagner den Spitznamen ,Der Wanderer'", er zählt Claus Guth lächelnd: "Das trifft es gut. Egal, wo man hinkommt, er ist da. Ob man zur Technik geht oder zum Kostüm - Wolfgang Wagner ist eine liebevolle Präsenz. Er hat auch jeder Probe einen Besuch abgestattet - aber nie in Form von Einmischung. Ich konnte absolut das umsetzen, was ich mir vorgenommen hatte."

Die Arbeit am Grünen Hügel funktioniert allerdings nach anderen Gesetzen als der herkömmliche Theaterbetrieb. Guth: "Man hat hier bei einer Premiere unglaubliche Bedingungen, im besten Sinne. Man ist gleich in der ersten Woche auf der Bühne, im originalen Bühnenbild. Das ist völlig atypisch. Normalerweise beginnt man einmal in einem dunklen, schlecht markierten Probenraum vorsichtig zu proben. Hier kann man auch sofort mit der Lichtregie arbeiten. Das muss man sonst mühsam am Modell versuchen zu vermitteln."

Diese Ausgangssituation ist für den erfahrenen Regisseur so faszinierend wie gewöhnungsbedürftig. Claus Guths Arbeitsstil kam diese Bayreuther Besonderheit durchaus entgegen. "Ich bin ein sehr starker Vorplaner", erklärt er: "Das heißt, ich habe gleich in der ersten Woche eine Skizze von der äußeren Form des Fliegenden Holländers entworfen, wie das alles aussehen soll. Und erst danach, auf der Probebühne, haben wir dann diese Form wieder kaputtgemacht, angefangen zu arbeiten und das äußere Gerüst mit Emotion zu füllen. So hatte ich aber schon sehr früh die Möglichkeit zu sehen, ob das, was ich mir visuell vorstelle auch realisierbar ist. Das ist irre, dass man das hier so früh weiß. Normalerweise gibt es den riesigen Schock in der Hauptprobe, meist eine Woche vor der Premiere, im besten Fall, wo man dann feststellt, was alles nicht machbar ist. Das ist in Bayreuth schon ein ganz eigener Arbeitsprozess, der aber vom Regisseur verlangt, dass man die innere Uhr, die man sich in der Theaterwelt angewöhnt hat, gehörig umstellt."

Die Uhr misst in Wagners Festspielstadt in anderen Zeiteinheiten als anderswo. Der 39jährige gilt hier als "Jungregisseur". Eine Bezeichnung, die ihm ein Schmunzeln entlockt, hat er doch in den letzten Jahren von Mozarts "Figaro" in München über Verdis "Otello" in Dortmund bis hin zu Uraufführungen - Luciano Berios "Cronaca del Luogo" bei den Salzburger Festspielen 1999, Peter Ruzickas "Celan" 2001 in Dresden - das breite Spektrum der Oper ausgelotet.

Mit dem "Holländer" hat sich Claus Guth schon einmal befasst. "Damals hab ich versucht, aus dem Holländer eine Figur aus Fleisch und Blut zu machen. Und bin gescheitert. Der Fliegende Holländer - und das ist kein Regiegag von mir, das ist stückimmanent - ist eine Fiktionsfigur, ist eine Geistform. Das war eine radikale Kehrtwende. Aber unter dieser Voraussetzung kann man unglaublich viel über die anderen Figuren erfahren, indem die das Bild des Fliegenden Holländers erfinden. In dem Sinn ist die Figur auch ein Lackmuspapier. Was in sie hinein projiziert wird, lässt sehr tief in die Abgründe und Sehnsüchte der Protagonisten Daland, Senta und Erik blicken."

Um die Grenzen zwischen Traum und Realität szenisch zu verwischen, arbeitete Guth mit Doppelgängern. Daland glich dem Holländer, neben der erwachsenen Senta agierte auch ein Sentakind auf der Bühne. Ein offensichtlich hochmusikalisches kleines Mädchen, mit verblüffender Bühnenpräsenz: "Das war eigentlich eine der beglückendsten Entwicklungen in dieser extrem konzentrierten Probenzeit. Wir haben aus 15 Kindern zwei ausgewählt, die auffallend talentiert die Geschichte, die ich ihnen erzählt habe, in Bewegung umsetzen konnten. Am Anfang waren die beiden, die sich in den Vorstellungen abwechseln, wahnsinnig schüchtern und wollten die Szenen am liebsten immer zu zweit spielen, damit sie nicht so allein sind. Aber in der Premiere war das unglaublich: die souveränste und ruhigste Person war das Kind. Für die Kleine war das alles ein großer Spielplatz, der extra für sie aufgebaut worden war. Sie hat das alles sehr genossen."

© Die Presse | Wien

Claus Guth durante le prove
Claus Guth, Jg. 1964, sucht in seinen Arbeiten die Balance zwischen zeitgenössischen und klassischen Werken. Mit Verdi, Strauss und Wagner setzt er sich ebenso auseinander wie mit neuer Musik. Der gebürtige Frankfurter studierte in München Philosophie, Germanistik und Theaterwissenschaften. Nach seinem Diplom in Theater- und Opernregie an der Hochschule für Musik in München arbeitete er am Hamburger Thalia-Theater und am Staatstheater Stuttgart. Zu seinen ersten Inszenierungen gehörte Verdis "La Traviata" 1994 am Nationaltheater Mannheim. Bei den Salzburger Festspielen inszenierte Guth 1999 die Uraufführung von "Cronaca del Luogo" von Luciano Berio und im Jahr darauf Christoph Willibald Glucks "Iphigenie en Tauride". 2001 hatte er bei der viel beachteten Uraufführung von Peter Ruzickas "Celan" in Dresden die Regie, danach erfolgte auch das Bayreuther Engagement. 2002 brachte er den "Tannhäuser" in Basel auf die Bühne. Kürzlich erregte er in München mit der Uraufführung von Awed Terterjans "Das Beben" Aufsehen.
Am Grünen Hügel zu arbeiten, sieht er als große Chance und Ehre. 1985 wirkte er noch als Kameraassistent an einer "Holländer"-Aufzeichnung mit. Nun will er mit seiner Interpretation des "Holländers" "seelische Abgründe und unbewusste Prägungen" ans Licht bringen: "Ein zentrales Thema im ´Holländer´ sind die Vorstellungen, die man voneinander hat: So muss die Traumfrau, der Traummann sein. Und das hängt stark mit der Kindheit, mit Prägungen, zusammen." Guth verspricht eine Spurensuche: "Ich finde es interessant, dass sich hier Menschen in gegenseitige Abhängigkeit bringen. Der Holländer sagt immer wieder, er suche jemanden, der ihm treu sei. Von Liebe ist nie die Rede. Man braucht den anderen für etwas. Das ist wie in einer Kontaktanzeige. Der Holländer ist weniger reale Figur, als die Summe der Vorstellungen, die sich ein Person macht." Da es sich hierbei um ein allgemeines Problem handelt, muss das Stück auch nicht an der norwegischen Küste spielen und die Bühne nicht so aussehen, findet Guth. Seit zwei Jahren arbeitet er mit Bühnenbildner Christian Schmidt am "Holländer", beschäftigte sich intensiv mit Kunst und Literatur der Romantik, die sich tief mit menschlichen Innenwelten befasst. Stilistisch gesehen versucht Guth, dem "Opern-Inzest" zu entkommen: "Das heißt, ich arbeite auch mit Stilmitteln, die aus Performance, Schauspiel oder Tanztheater kommen."

 

Agence France Presse
23 juillet 2003

Festival de Bayreuth: le "débutant" Marc Albrecht pas intimidé par Wagner

Le chef d'orchestre allemand Marc Albrecht, qui fera vendredi l'ouverture du 92e Festival de Bayreuth avec le "Vaisseau fantôme", affirme ne ressentir "aucune pression" avant de faire ses premiers pas sur la célèbre colline verte de la ville de Bavière.
"Je ne ressens aucune pression", assure à l'AFP l'actuel invité permanent du Deutsche Oper, l'un des trois opéras de Berlin. "C'est pour moi très important de travailler là où tant de mes héros ont évolué. Bayreuth possède une atmosphère très spéciale, propice à l'inspiration. C'est très excitant de pouvoir utiliser les mêmes loges que des chefs d'orchestre de légende comme Fritz Busch (1890-1951) ou Wilhelm Furtwaengler (1886-1954)".
Le festival, fondé en 1876 avec l'inauguration de l'opéra offert la même année par le Roi Louis II de Bavière au compositeur allemand Richard Wagner (1813-1883), ouvre chaque année à guichets fermés. Il faut attendre sept ans, voire plus, pour obtenir un billet.
Jugé trop insitutionnel par beaucoup, le festival pourrait afficher un tournant cette année, marquée par l'arrivée d'une nouvelle et jeune équipe, avec notamment pour le "Vaisseau fantôme", Claus Guth, 39 ans, à la mise en scène et Marc Albrecht à la baguette.
Egalement âgé de 39 ans, Marc Albrecht connaît bien Bayreuth pour y être venu à plusieurs reprises en tant que spectateur, et le "Vaisseau" pour l'avoir dirigé deux fois: à Dresde en 1992, avec une mise en scène de Wolfgang Wagner, petit-fils du compositeur et directeur à vie du festival, et à Darmstadt en 1995.
Il apprécie particulièrement les conditions de travail qu'offrent le festival et la qualité de vie de Bayreuth. "L'atmosphère est très relaxe, mais on sent en même temps les gens concentrés, explique-t-il. Tout le monde, du musicien au portier, a Wagner en tête. La musique prime sur tout. Personne, par exemple, ne regarde sa montre lors des répétitions".
Pour l'ouverture de cette édition, Albrecht s'attaque à l'une des premières versions, rarement interprétée, de l'opéra wagnérien, fondé sur le mythe du vaisseau fantôme que seul l'amour peut libérer de son errance. "Il y aura beaucoup plus de cuivre, cela donnera un son plus dur", explique-t-il, ajoutant que l'oeuvre sera "plus compacte et plus consistante".
Le "Vaisseau", joué pour la première fois en 1843 à Dresde, est considéré comme le premier opéra "mûr" de Wagner et, avec une durée de 2 h 20 minutes, l'un des plus courts.
Mais c'est aussi l'un des plus difficiles à conduire, nuance Albrecht. "C'est l'oeuvre d'un génie, jouée enchaînée mais avec beaucoup de changements brusques de style, on passe du bel canto à une grande scène dramatique, qui augure de ses oeuvres postérieures".
Cette année est pour Marc Albrecht et les habitués du festival "une bonne occasion d'apprendre à se connaître", se réjouit le chef d'orchestre, qui n'exclut pas de revenir: "on verra ce qui arrivera".

© 2003 AFP

Le chef d'orchestre allemand Marc Albrecht (Photo AFP)
Marc Albrecht, Jg. 1964, gehört zu den gefragten Dirigenten seiner Generation. Hauptwerke der deutschen Operngeschichte zählen ebenso zu seinem Repertoire wie die klassische Moderne und Uraufführungen. Bereits während seiner Studienzeit in Hannover und Wien gewann Albrecht internationale Dirigentenwettbewerbe. Seine Karriere begann er als persönlicher Assistent von Claudio Abbado beim Gustav Mahler Orchester. Danach wechselte Albrecht als Kapellmeister an die Dresdener Semperoper. 1995 ging er für sechs Jahre als Generalmusikdirektor an das Staatstheater Darmstadt, wo er sich besonders für die Neue Musik einsetzte. Seit zwei Jahren ist Albrecht erster Gastdirigent an der Deutschen Oper in Berlin. An der Semperoper dirigierte er bereits die Wagner-Opern "Lohengrin" und "Tristan und Isolde". Kurz nach seinem Bayreuth-Debüt gibt Albrecht auch seinen Einstand bei den Salzburger Festspielen mit "Die Bacchantinnen" von Wellesz.