Frankfurter Allgemeine Zeitung
Rhein-Main-Zeitung
28. Juni 2004

Raum zur Entfaltung
"Der fliegende Holländer" ist wieder im Frankfurter Repertoire

Fast fünf Jahre ist die Inszenierung von Wagners Fliegendem Holländer nun alt. Für die Betreuung der Wiederaufnahme stand Regisseur Anthony Pilavachi selbst zur Verfügung - ein gutes Zeichen dafür, wie sorgsam man an der Frankfurter Oper Repertoirepflege betreibt. Nach wie vor schwankt die Inszenierung bedenklich zwischen Traditionsbewustsein und Neuerung und gewinnt erst im Verlauf an Schlüssigkeit bis zum glücklichen Ende.

Ungeachtet aller Unstimmigkeiten ist ihr ein doppelter Vorzug nicht abzusprechen: Sie erlaubt nicht nur rasche Verwandlungen auf offener Szene, sondern gibt den Sängern optimalen Spielraum zur Entfaltung. Dieser Raum wurde denn auch weidlich genutzt. Unter der aufmerksamen wie impulsreichen Leitung von Christian Arming, dem Luzerner Musikdirektor, kam es geradezu zu einem Fest der Stimmen, zumal mit dem Auftritt von Elena Pankratova, die sich mit leuchtendem Sopran und glanzvollen Spitzentönen zu hingebungsvoller Ekstase steigerte. Lucio Gallo, als erster "italienischer Holländer" gepriesen, beeindruckte vor allem durch die mühelose Fülle seines hellen geschmeidigen Organs. Diese Qualität ist auch Gregory Franks geldgierigem Daland zuzuschreiben, was nicht nur dem Duett der beiden im ersten Bild zugute kam. Mit Stuart Skelton stellte sich ein optisch wie stimmlich stattlicher Erik vor, der nicht larmoyant auf seine alten Rechte pochte, vielmehr mit flexibler Stimme seiner Traumerzählung Profil gab und so zum gewichtigen Gegenspieler des Holländers wurde.

Die Choristen, von Pablo Assante betreut, folgten den guten Beispielen: Mit unverstellter Singlust schmetterten die Herren ihre Seemannslieder von der Rampe in den Zuschauerraum, und die Damen, nun einmal von den obligaten Spinnrädern befreit, folgten nach Kräften. Dass der Text dabei manchmal auf der Strecke blieb und sich bei Dalands Ankunft Verwirrung ausbreitete, ist entschuldbar. Und wenn Arming die Frankfurter Akustik noch besser kennt, wird er gewiss das allzu machtvoll auftrumpfende Blech dämpfen.

GERHARD SCHROTH

 

Frankfurter Rundschau
28. Juni 2004

Nicht von dieser Welt
Wagners "fliegender Holländer"

VON TIM GORBAUCH

Der Mann sehnt sich nach Erlösung. Schief grinsend, mit irrem Blick entsteigt er einer Bodenluke, nimmt das Schiff Dalands in Besitz und bald auch seine Tochter. Der fliegende Holländer ist nicht von dieser Welt, das sagt uns jeder Schritt, jede Geste, jeder Blick. Ein Gespenst ist er, ein Dämon, und in dieser Pose gefällt er Anthony Pilavechi am besten. Vor fünf Jahren hatte seine Sicht auf Wagners noch romantisch gefärbte Frühoper Premiere, nun kehrt sie zum Ende der Opernsaison auf den Spielplan zurück.

Besser ist sie dabei nicht geworden. Zu oft flüchtet sie sich in abgestandene, ausgediente Alltagsgesten, um dramatische Glaubwürdigkeit für sich beanspruchen zu können. Zu oft lässt sie chargierende Unbeholfenheit durchgehen und zu oft ersetzt sie Charaktere durch Opernstereotypen.

Daland, der sich mit einer Schwimmweste vor dem Sturm zu schützen sucht und von seiner Mannschaft samt Koffer über die Reling hieven lässt, ist mehr Karikatur als Gegenspieler. Der Steuermann torkelt betrunken über die Bühne, wie in den guten alten Zeiten eilig zusammengezimmerter Ensuite-Inszenierungen. Oberflächenreize all das, von Wahrheit weit entfernt.

Happy End in Sicht

Immerhin ist zwar kein Land, aber doch ein Happy End in Sicht. Senta muss nicht sterben, sondern darf, Arm in Arm mit dem Holländer vereint, von der Bühne schreiten - wenn schon nicht unbedingt glücklich, so doch sicherlich erhaben. Und irgendwie wirkt das wie eine nachgelieferte Überschrift für eine Inszenierung, die so offensichtlich niemandem weh tun will, dass sie umso stärker schmerzt.

Aber es gibt ja noch die Musik. Und zur Wiederaufnahme bietet Frankfurt ein erstaunliches Wagner-Ensemble auf, das das dramatische Vakuum füllen kann, das Pilavechis Regie hinterlässt. Die Zerrissenheit des Holländers etwa wird immerhin als Klang erfahrbar, obschon auch Lucio Gallo, einer der wenigen italienischen Holländer überhaupt, manches zu dick und plakativ anlegt. Elena Pankratova als Senta fehlt es indes noch ein wenig an Stabilität, aber man hört ihr an, um wie viel es geht, nämlich schlicht um alles.

Christian Armig am Dirigentenpult zündelt gehörig und musiziert Wagners Partitur voll aus, mit großen, fulminanten Chören, blühendem Melos und rhythmischem Furor. Von der verborgenen Grazie der Holländer-Partitur weiß aber auch er nicht viel.

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Dokument erstellt am 28.06.2004 um 17:24:17 Uhr
Erscheinungsdatum 29.06.2004