Frankfurter Allgemeine Zeitung
Dienstag, 29. Juni 2004, Nr. 148 / Seite 38

Sucht den Erreger dieser Krankheit!
Viktor Ullmanns "Kaiser von Atlantis" und de Fallas "Meister Pedros Puppenspiel" in Frankfurt

Der Tod ist alt und kann nicht mehr. Seit die Welt steht, ist er seiner Profession nachgegangen. So oft schon gab es Kriege, zu denen ihm zu Ehren die prächtigsten Uniformen getragen wurden. Gold und Purpur, blitzende Harnische, bunte Standarten flatterten über den Streitrossen, Landsknechte rührten die Trommeln, und wenn sie tanzten, krachten den Weibern die Knochen. Jetzt aber tragen den Tod seine Beine nicht mehr, um all diesen motorisierten Kohorten folgen zu können. Schlecht mit anzusehen, wie er den neuen Todesengeln hinterherhinkt - ein kleiner Handwerker des Sterbens. Er muß das selbst gespürt haben. Denn in dem Moment, da Kaiser Overall zu den verbogenen, gleichwohl identifizierbaren Klängen des Deutschlandliedes den großen, segensreichen Krieg aller gegen alle ausrufen läßt, verweigert der Tod seinen Dienst. Eine seltsame Krankheit sei ausgebrochen, wird durch den Lautsprecher verkündet: Die Soldaten können nicht sterben.

Ob das den Machthabern gefallen hätte, wäre es - wie vorgesehen - im Konzentrationslager Theresienstadt erklungen? Hätte es den Mithäftlingen gefallen oder gar internationalen Verbänden, die dem Vorzeigelager einen jener zu Propagandazwecken organisierten Besuche abstatten durften? Viktor Ullmanns gespenstische Parabel "Der Kaiser von Atlantis" ist zu Lebzeiten des Komponisten sowenig aufgeführt worden wie die anderen vier Opern des Schönberg-Schülers und Assistenten Alexander Zemlinskys am Neuen Deutschen Theater in Prag. Man weiß bis heute nicht, warum das Stück, das nach seiner Vollendung in Theresienstadt schon geprobt wurde, schließlich doch nicht dort auf die Bühne kam. Aber man kann vermuten, daß die Ähnlichkeiten mit lebenden Personen und mit aktuellen Zuständen niemandem verborgen geblieben wären. Auch das gereicht dem unglücklichen, mit seiner Frau 1944 in den Gaskammern von Auschwitz umgekommenen Komponisten zur Ehre: daß kein Wort und kein Ton des Werkes auf die Spur eines künstlerischen oder moralischen Kompromisses führen. Ullmanns Oper ist ein Dokument des geistigen Widerstandes und zugleich eine bitterböse Satire auf das Dritte Reich. Daß es zudem noch als Kunstwerk bestehen kann, bezeugt jede gelungene Aufführung der knapp einstündigen "Art Oper in vier Bildern".

Wie jene, die jetzt auf der Zweitbühne von Frankfurts Oper im Bockenheimer Depot zusammen mit Manuel de Fallas einaktiger Cervantes-Hommage "El Retablo de Maese Pedro" inszeniert worden ist. Andrea Schwalbach hat mit Anne Neuser (Bühnenbild) und Stephan von Wedel (Kostüme) Ullmanns Todverweigerungsstück mit kargen und auch deshalb eindrucksvollen Mitteln interpretiert. Auf einer viereckigen, mit schwarzem Kies bedeckten Fläche treibt das um die stumme Rolle einer Frau (Raija Siikavirta) erweiterte siebenköpfige Ensemble in Straßenanzügen jener Zeit sein makabres Spiel um Macht und Ohnmacht im Stil eines zwischen Moritat und Klangcollage, Zeitoper und Satire lavierenden Stücks. Menschen werden an Stricken geführt, durch den Kies geschleift, an ihren Füßen aufgehängt, versuchen sich zu befreien und nähern sich doch - unheimliche Identifikation von Opfern mit ihren Tätern - hündisch ihren Peinigern an. Alles ist Pose, die Gesichter bleiben reglos, man zeigt seine Gefühle nicht oder nur in den Verrenkungen der Gliedmaßen. Die Physiognomie des Totalitarismus ist eine Maske, die nicht einmal im Zeichen des Todes fallen gelassen wird.

Dazu ertönt eine anspielungsreiche Musik auf engstem Klangraum, die die Verzweiflung des Geschehens noch einmal ins Groteske verzerrt. Ullmann kennt seinen Krenek wie seinen Hindemith, er spürt alten Chorälen nach und kontrastiert sie mit dem Blues, führt den Totentanz im Tempo eines Menuetts ein und läßt den Protagonisten die Wahl zwischen Bänkelsänger, Conférencier, Koloraturarie. Eine beeindruckende Wiedergabe durch das reduzierte Frankfurter Museumsorchester unter der Leitung von Johannes Debus und durch ein darstellerisch wie musikalisch ausgezeichnetes Ensemble, aus dem Magnus Baldvinssons klangmächtiger Baß (Tod) und Britta Stallmeisters geradezu seraphischer Sopran (Bubikopf) hervorstachen.

Zu dieser für die Frankfurter Oper respektablen letzten Neuproduktion paßte als luftiger Kontrast ebenso vorzüglich die von der Regisseurin Sybille Wilson und der Bühnenbildnerin Anne Neuser zum Teil als Schattenspiel (Anusc Castiglioni), zum Teil als Puppentheater (Giulia Bonaldi) und im Rest als Singspiel (mit Florian Plock als Don Quijote, Peter Bronder als Maese Pedro und dem agilen Sängerknaben Malte Ring als Trujamán) mit leichter Hand inszenierte Fabel von der aus den Fängen der Mauren befreiten Königstochter Melisendra.

WOLFGANG SANDNER

 

Frankfurter Rundschau
29. Juni 2004

Der Griff der Wirklichkeit
Die Oper Frankfurt zeigt als letzten Saison-Premiere zwei Einakter von Manuel de Falla und Victor Ullmann im Bockenheimer Depot

VON HANS-KLAUS JUNGHEINRICH

Wenn Märchen wahr werden, dann ist das nicht Theater. Theater muss deshalb sein, weil Wirklichkeit so unerfüllt, so des ganz Anderen bedürftig ist. Die theatralische Fiktion funktioniert, indem die Grenze zur Realität bewusst gehalten wird. Für Don Quijote, den totalen Theatraliker, gibt es solche Grenzen nicht mehr. Indem er seinen Traum lebt, macht er sein Leben zu einem Traum (vom Realitätsprinzip her gesehen eine Lächerlichkeit, aus anderer Perspektive eine romantische, heroische, poetische Handlung).

Puppen-Schattentheater

Manuel de Fallas kurzes Musiktheaterstück El Retablo de Maese Pedro ("Meister Pedros Puppenspiel") lässt Quijote nicht in der banalen Rolle des Westerners auftreten, der bei seinem Kinobesuch zur Showdown-Beschleunigung den Revolver zückt und Löcher in die Leinwand schießt. Zwar demoliert der Ritter als vermeintlicher Verteidiger des Guten das Puppentheater gründlich, doch am Ende steht die Überhöhung seiner der reinen Minne geweihten Tat. Theater wird damit in eine Fiktion höherer Ordnung überführt.

Bei der letzten Frankfurter Opernpremiere (im Bockenheimer Depot) ersetzte die Regisseurin Sybille Wilson den Charakter des handfesten Puppenspiels durch ein (ebenfalls mithilfe von Puppen bewerkstelligtes) Schattentheater, das - vielleicht absichtsvoll - undeutlich, diffus und fast abstrakt anmutete. Es bedurfte der nachdrücklichen Verschrobenheit des im Parkett sitzenden Quijote (kräftig baritonal: Florian Plock), seine Fantasie von derart schattenhaftem Gewese provozieren zu lassen. Falls es nicht doch eher die vehemente Handlungskommentierung des Knabensoprans (gekonnt intoniert und hingebungsvoll gespielt vom Aurelius-Sängerknaben Malte Ring) war, die einen ritterlichen Aktionismus beflügelte, dem schließlich das hübsche Bühnenzelt von Anne Neuser zum Opfer fiel.

Die Diktion dieser tragenden Knabenpartie ist ein Hauptreiz der Partitur, die, nicht nur obenhin vom Sujet inspiriert, einen raffinierten Neoklassizismus der Ungleichzeitigkeiten konstituiert. In prismatischen Brechungen begegnen sich Zeitschichten, spiegelt sich Großes im Kleinen, gleiten Realität und Fiktion in- und wieder auseinander. Das Silbrige des Cembaloklangs wird dabei zur ambivalenten Chiffre von Entrückung und glasklarer Präsenz.

Victor Ullmanns Kammeroper Der Kaiser von Atlantis entstand im Konzentrationslager Theresienstadt und wurde dort von Häftlingen zur Aufführung vorbereitet, nach der Generalprobe freilich verboten. Dass es überhaupt so weit kam, erklärt sich aus einem jovial zwinkernden Zynismus der Lagerleitung, die die kaum verhüllte Parabel (das Libretto schrieb der Mitgefangene Peter Kien) hinnahm: den "Kaiser", der den Krieg aller gegen alle verkündet, und den Tod, der seine Arbeit verweigert, so dass das auf Gewalt gegründete Machtgebäude des Herrschers zusammenbricht.

Totentänze

Ullmanns Musik changiert leicht und flüssig zwischen jazzgetränktem Saxophonsound à la Weill und emphatischen Mahler- oder Schreker-Lyrismen. Stets pathosfrei das kammermusikalische Kolorit. Eine Moll-Variante des Deutschlandlied-Refrains wird eher unauffällig eingearbeitet. Umso manifester zeigt sich die finale Vokalquintettbearbeitung der Luther-Choral-Melodie Ein feste Burg ist unser Gott: Vieldeutiges Indiz für den Bedeutungshintergrund eines scheinbar farcenhaften Totentanz-Spiels. Ullman und Kien wurden nach Auschwitz verbracht und dort getötet. Ullmanns Partituren konnten von Theresienstädter Mithäftlingen gerettet werden.

Das Federgewicht des Genres, mehr aber noch die Situation, in der das Stück entstand, lassen Fiktion zu einem fragilen Modus der Wirklichkeitstäuschung und Realitätseinsicht zugleich werden. Die Leerstelle - und das geheime Verbindungsglied zu de Fallas Puppenspiel - ist hier ein bramarbasierender, den gordischen Knoten des scheinhaften Lager-Konsens durchhauender "Don Quijote", der aufstünde, die Handlung erklärte - und den Aufstand der Gefangenen realisierte. Hier ist es also nicht die "unsichtbare Scheidelinie" zwischen Bühne und Parkett, die die Unwirklichkeit des Theaters außer Frage stellt.

In schlichter Klarheit inszenierte Andrea Schwalbach das Acht-Personen-Stück auf einem von Stühlen umstandenen erdigen Rechteck (Bild: Anne Neuser). An einem Seilzug hängend, werden einzelne Akteure akrobatischen Quälereien unterzogen. Das naturalistische Habit der Vierzigerjahre (Kostüme: Stephan von Wedel) wird bei mehreren Figuren akzentuiert durch altmodisch-scheußliche Korsetts. So bleibt auch beim Harlekin (Alexander Mayr) bei allem Anschein von Beschwingtheit das Eingeschnürtsein. Fast unmerklich typisiert Trommler (Annette Stricker) und Lautsprecher (Gérard Lavalle). Soigniert im dunklen Nadelstreifenanzug der Tod von Magnus Baldvinsson, vokal dominant im großen Monolog gegen Ende der Kaiser von Anders Larsson. Weitere prägnante Darsteller: Britta Stallmeister (Bubikopf), Michael McCown (Soldat) und Raija Siikavirta (ein Mensch). Das Museumsorchester spielte beide Werke in kammerorchestraler Besetzung, aufmerksam und zupackend dirigiert von Johannes Debus.

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Copyright © Frankfurter Rundschau online 2004
Dokument erstellt am 28.06.2004 um 16:28:16 Uhr
Erscheinungsdatum 29.06.2004

 

Frankfurter Neue Presse
29.06.2004

Der Tod macht blau
Mit der Premiere zweier Einakter von Manuel de Falla und Viktor Ullmann im Bockenheimer Depot geht die Frankfurter Oper in die Sommerpause.

Don Quijote liegt wieder mal völlig daneben. Dauernd stört er durch Zwischenrufe die Aufführung des Stückes von der entführten Prinzessin Melisendra, lässt sich schließlich so sehr hinreißen vom Spiel des Meisters Pedro, dass er die Feinde vernichten und die Prinzessin retten will. Meister Pedro ist gar nicht glücklich, sein Theater ist ziemlich ramponiert nach dem Eingriff des komischen Ritters. Manuel de Falla hat die Szene aus Cervantes’ Roman in den 1920er Jahren als Kurzoper vertont und damit eine musikalische Form gewählt, mit der viele Komponisten seiner Zeit experimentierten, um sich vom Bombast der Oper des 19. Jahrhunderts abzusetzen. "Meister Pedros Puppenspiel", so der Titel, wird eigentlich mit kleinen Puppen dargestellt, Sybille Wilson, junge Regisseurin französisch-englischer Abstammung, realisiert es als Schattentheater und spielt damit auf die Eigenart Don Quijotes an, nicht zwischen Realität und Fiktion entscheiden zu können. Auch der Zuschauer verliert sich in diesem grenzenlosen Raum und erkennt, dass Theater einerseits nicht als Realität umgedeutet werden kann, der Beobachter aber andererseits geprägt ist von seinen bisherigen Erfahrungen, von Gesehenem und Gelesenem.

Gleiches gilt für Viktor Ullmanns 1943 entstandenes und erst 1975 uraufgeführtes Werk "Der Kaiser von Atlantis". Die Oper schildert, wie der Tod mitten im Krieg die Arbeit verweigert. Die Menschen finden sich in ein Lebens-Siechtum zurückgeworfen, das an jenen Ort so fatal erinnert, dem das Werk sein Entstehen verdankt: dem Konzentrationslager Theresienstadt. Andrea Schwalbach (Inszenierung) und Anne Neuser (Bühnenbild) verlegen die Oper an einen grauen, düsteren Ort: ein Karrée mit dunklen Kieselsteinen, auf dem die Akteure an Seilen hängen, hin- und hergerissen werden und in Gram und Verzweiflung dahinsiechen. Das Werk wurde verboten, Ullmann wurde 1944 nach Auschwitz deportiert. Vermutlich hatten die Nazis entdeckt, dass diese Parabel auf die damalige politische Lage zu übertragen war.

Magnus Baldvinsson leiht Ullmanns Tod eine bedrohlich-mächtige Stimme, Anders Larsson dem Kaiser ein stattliches, gleichzeitig trauriges, dem Stimmungsbild der Oper entsprechendes Organ. Florian Plock gibt Don Quijote eine komisch-tragische Note, und der jugendliche Malte Ring beeindruckt als Erzähler mit deutlicher Aussprache und umfangreichen Textwissen. Auch das übrige Ensemble liefert eine herausragende sängerische und schauspielerische Leistung ab. Johannes Debus dirigiert das exzellente Frankfurter Museumsorchester sorgfältig und dem Charakter der Werke dienend. (car)

 

OFFENBACH POST
29. Juni 2004

Doppel-Premiere der Frankfurter Oper im Depot
Wenn selbst der Tod sich verweigert

Lange Zeit unterblieb im Nachkriegsdeutschland eine Auseinandersetzung mit den Werken von den Nazis verfemter Komponisten. Es dauerte bis in die siebziger Jahre, bis allmählich eine Wiederentdeckung begann. Victor Ullmanns von der Frankfurter Oper jetzt im Bockenheimer Depot gezeigte Kurzoper "Der Kaiser von Atlantis" ist im Vorzeige-KZ Theresienstadt entstanden.

Der wegen seines jüdischen Glaubens deportierte Ullmann wurde vom normalen Arbeitsdienst befreit und musste als Komponist und Musikkritiker der Nazipropaganda zu Diensten sein. Er wurde später nach Auschwitz verschleppt, wo er im Oktober 1944 ermordet wurde. Gleichnishaft erzählt das von Ullmanns Mithäftling Peter Kien verfasste Libretto die Geschichte um einen Gewaltherrscher, dem der Tod die Gefolgschaft verweigert: Die Menschen können nicht mehr sterben. Bei einer Begegnung mit dem Tod beschließt der Kaiser zu sterben, da er seine Macht verloren hat. Zu einer Aufführung in Theresienstadt kam es nicht. Womöglich sprachen die Nazis ob der unmittelbaren Bezüge zur Wirklichkeit ein Verbot aus, vielleicht erschienen auch den Beteiligten selbst die Risiken zu groß. Die Uraufführung im Jahre 1975 in Amsterdam durch George Tabori gab den Anstoß zur Beschäftigung mit dem Werk verfolgter Komponisten der Nazizeit.

Klangsprachlich vermischt der Schönberg-Schüler und Mahler-Verehrer Ullmann Momente der Spätromantik mit Errungenschaften der Zwölftonmusik. Die ungewöhnliche Instrumentalbesetzung mit solistischen Streichern, Flöte, Klarinette, Oboe sowie Altsaxofon, Trompete, Tenorbanjo, Cembalo, Harmonium und Schlagzeug erklärt sich aus dem Musikkreis, der Ullmann im Lager zur Verfügung stand.

Die Frankfurter Inszenierung von Andrea Schwalbach setzt auf eine unmittelbare Körperlichkeit. Die anfangs im Aufzug wohlsituierter Leute rundum auf Stühlen verschiedener Epochen sitzenden Figuren werden auf ein mit Kies ausgestreutes Geviert (Raum: Anne Neuser) gezerrt und gestoßen. Ein Schlachtfeld, eine Arena der Peinigungen, aus der es kein Entkommen gibt, nur die Liebe als Postulat einer besseren Zeit.

Vorangestellt hatte die Oper den Einakter "El Retablo de Maese Pedro - Meister Pedros Puppenspiel" des spanischen Komponisten Manuel de Palla, eine hübsche Burleske um Don Quijote, der aus dem Publikum heraus die Szene stürmt, um der historischen Wahrheit und den in einem - merkwürdig abstrakten - Schattenspiel (Regie: Sybille Wilson) gespiegelten Figuren zu ihrem Recht zu verhelfen. Über die schlichte Notwendigkeit hinaus, dem nicht abendfüllenden Ullmann ein weiteres Stück hinzuzugesellen, ist eine dramaturgische Brücke nicht zu erkennen. Da hätte man sich eine glücklichere Lösung gewünscht - oder schlicht Mut zur Kürze.

In beiden Fällen war ein enorm präsentes Sängerensemble zu erleben: Auch in solch kleineren Arbeiten zeigt sich der Erfolg der Aufbauleistung von Intendant Bernd Loebe.

STEFAN MICHALZIK

 

Darmstädter Echo
1. Juli 2004

Kurzopern: „Meister Pedros Puppenspiel“ von Manuel de Falla und „Der Kaiser von Atlantis“ von Viktor Ullmann im Bockenheimer Depot
Der Tod kündigt seinen Dienst auf

Von Klaus Trapp

FRANKFURT. Ein Herr kritisiert aus dem Publikum heraus lautstark die Vorführungen des Puppenspielers auf der Bühne im Bockenheimer Depot. Schließlich hält es ihn nicht mehr auf seinem Platz, er stürmt nach vorne und zerstört das Jahrmarktszelt. Spätestens jetzt weiß man, dass es Don Quijote ist, der die Verfolgten im Schattentheater für reale Figuren hält und sie mit allen Kräften verteidigt.

Sybille Wilsons Frankfurter Inszenierung des Einakters „Meister Pedros Puppenspiel“ von Manuel de Falla aus dem Jahr 1923 hält geschickt die Balance zwischen Spiel und Realität, auch wenn die stark stilisierten Schattenfiguren, die sich auf der Zeltwand abzeichnen, das Verstehen des Ritterspiels um die schöne Melisendra und ihren Befreier Don Gaiféros nicht eben leicht machen.

De Fallas originelle, an Scarlatti wie Strawinsky orientierte Musik, die zudem folkloristische Anspielungen aufweist, wird von einem Ensemble des Museumsorchesters unter Johannes Debus prägnant und federnd gespielt, Florian Plock als Don Quijote, Peter Bronder als Maese Pedro und ein Solist der Aurelius-Sängerknaben Calw als Erzähler geben der Aufführung sängerisch wie darstellerisch starkes Profil.

In eine andere Welt führt Viktor Ullmanns Kurzoper „Der Kaiser von Atlantis oder die Todverweigerung“ nach einem Text von Peter Kien. Ullmann hat diese Parabel um Macht, Tod und Zerstörung 1944 im Ghetto Theresienstadt komponiert, wenige Monate, bevor er in Auschwitz ermordet wurde. Unüberhörbar sind die Anspielungen auf Hitler und seine Vernichtungspolitik; dennoch hat sich die Regisseurin Andrea Schwalbach epochale Bezüge versagt. Auf einem großen schwarzen Teppich, der sich wie eine überdimensionale Ringermatte ausnimmt, spielt sich ein Kampf aller gegen alle ab. Die in Korsette gezwängten Figuren werden durch Stricke gefesselt, herumgeschleift, an einer Schlaufe kopfüber aufgehängt. Doch sie können nicht sterben, der Tod als einziger Erlöser hat seinen Dienst aufgekündigt.

Ullmanns Partitur pendelt eigenartig zwischen romantischem Ausdruck, kühnen, an Schönberg geschulten Klangfolgen, kecken, tänzerischen Passagen, die in der Tradition eines Kurt Weill stehen, und einer Choralbearbeitung zum Schluss. Johannes Debus arbeitet diese Elemente mit dreizehn Instrumentalisten scharf und intensiv heraus. Aus der Reihe von sieben Sängern und einer stummen Darstellerin heben sich der Bariton Anders Larsson als Kaiser Overall und der Bass Magnus Baldvinsson als Tod besonders ab.

 

Welt Kompakt
29. Juni 2004

Tja, wie war´s? Diese Aufführung muss man ertragen. Es braucht ein starkes Naturell dazu und einen heftig belastbaren Charakter. Das ist als Verbeugung gemeint, vor den Sängern, den Musikern, gegenüber Regisseurin und Bühnenbildnerin. Aber sorry, es geht wirklich nicht – handwerkliche Kunst loben, Einfälle, Esprit und Funkenflug. Und die Freude der Beteiligten am großen Premierenerfolg, die strahlenden Gesichter auf der Bühne beim Schlussapplaus – es war, wie soll man sagen: nicht in Ordnung.

Der jüdische Komponist Viktor Ullmann hat die kleine Oper Der Kaiser von Atlantis im KZ Theresienstadt komponiert, und von nichts anderem handelt sie, vom Tod, vom Foltern und massenweisen Sterben, ein bisschen tote Hoffnung ist auch mit drin. Schwarzer Kies macht den Bühnenboden. Alle Figuren tragen die Klamotten der 30er Jahre. Eine hübsche Blondine wird kopfüber aufgeknüpft, sie windet sich in stummen Todeskrämpfen, aber sterben kann sie nicht- der Tod hat keine Lust, noch weiter zu sensen. Todverweigerung heißt Ullmanns Oper im Untertitel. Es ist nicht die Handlung, diese Parabel, diese Märchen, und auch nicht diese gemäßigt moderne, zitatenfreudige Musik, für die es starke Nerven braucht. Es ist der spirit. Es ist eine absolut lebende Ahnung davon, was für ein Gefühl es ist, in einem Todes-KZ zu sein, was für ein Gedankenhorizont das ist, was für ein Leben vor dem Tod. So etwas kann keine Gedenkstätte geben. Diese Aufführung tut es.

Thomas Delekat

 

BILD ZEITUNG
30. Juni 2004

Zwei Spielverderber-Stücke beenden Saison der Oper. Nach halbstündiger minimalistischer Erzähloper (Meister Pedros Puppenspiel von Manuel de Falla) großes Stück aus dunkler Zeit. Begeistert gefeiert. Der Kaiser von Atlantis von Viktor Ullmann.

Auf Text von Peter Kien 1943 im KZ Theresienstadt komponiert. Unglaublich tiefgehende Reflektion über Leben, Tod, Macht. In absolut auswegloser Lage. Wo Tod Erlösung ist.

Kiesbett, Stühle. Graue Anzüge. Tod, Meister aus Deutschland, rollt sich den schwarzen Teppich aus.

Magnus Baldvinsson, kantiger Tod, der sich verweigert. Tiefe vertrauenerweckende Stimme. Anders Larsson, Kaiser, ersingt dem Menschenverächter Sympathie in Einsichts-Arie: Tyrannen müssen sich selbst abschaffen.

Tolle sängerische Leistungen. Bewegende Musik. Dichte Inszenierung. Fantastisches kleines Orchester, von Johannes Debus subtil geleitet.

Wertung: SEHR GUT

Dr. Josef Becker