Frankfurter Rundschau
27. April 2004


Rodelinda und ihr Bertarido: Mary Anne Kruger und Gerson Luiz Sales.

Das System in der Geste
Rosamund Gilmore zeigt Händels "Rodelinda" in Darmstadt

VON STEFAN SCHICKHAUS

Das Opernpublikum von 1725 wäre etwas verwirrt gewesen. Kaum hätte die neue Oper Rodelinda von Georg Friedrich Händel begonnen, wäre sie auch schon zum Ende gekommen - nach gut zwei Stunden wären die Premierengäste wieder im Londoner Regen gestanden. Denn damals, im barocken Jahr der Uraufführung, musste man schon mit an die fünf Stunden Spieldauer rechnen.

Jetzt, in der Darmstädter Fassung dieser Händel-Oper, wurde radikal weggeschnitten, was nicht unbedingt bleiben musste. Ein wenig merkte man der gekürzten Fassung den Rundumschnitt schon an, manches kommt hier arg Knall auf Fall - etwa der Schluss, die wundersame Auflösung der Tyrannengeschichte. Doch wie bei jeder Oper gilt: Lieber zu kurz als zu lang.

Die Kürze und die damit gewonnene neuzeitliche Stringenz war jedoch nicht das Einzige, was als "unhistorisch" bezeichnet werden könnte. Denn anders als 1725 am Haymarket-Theatre in London war 2004 am Hessischen Staatstheater in Darmstadt eine inszenierende Hand am Werk, die äußerst sensibel ihre Personen auf der Bühne dirigierte. Die Regisseurin und Choreografin Rosamund Gilmore weiß, wie man mit wenigen Schrittfolgen viel sagt, mit einigen Körperbewegungen klare Aussagen trifft. Dazu braucht sie so gut wie keine dinghaften Hilfsmittel, keine Ausstattung (auch das hätte den Barockmenschen, an regelrechte Ausstattungsorgien gewöhnt, irritiert). Sie spricht mit Körpern, nicht mit Mäntel und Degen.

Händels einstiges Erfolgsstück Rodelinda, eine der besten seiner etwa vierzig Opern, ist für Rosamund Gilmore die dritte Barockoper in den vergangenen Spielzeiten hier in der Region. Dabei erinnerte ihre aktuelle Inszenierung weniger an den 2002er-Vivaldi am gleichen Ort in Darmstadt (Orlando) als vielmehr an ihre Monteverdi-Arbeit aus dem Jahr 2001 für die Oper Frankfurt (Die Krönung der Poppea): überlegte Strenge, nichts Spielerisches. Personen umkreisen sich, verfolgen sich. Und vor allem: Nichts drängt sich auf, die Musik hat Platz genug.

Auch Könige können Gutes tun

Manchmal sind es kurze, kleine Gesten, die ein ganzes System vermitteln können: Etwa wenn Garibaldo (Werner Volker Meyer) als erste Bühnenhandlung überhaupt sich ans Revers seines dezenten Straßenanzugs greift, um etwas in ein Mikrofon zu flüstern, den obligatorischen Knopf des Bodyguards im Ohr. Das signalisiert unmittelbar seine Stellung in der Opernhandlung - er ist nicht der Boss, aber er hat etwas zu sagen, er hat Macht, aber nur physische. Manchmal aber muss das Signal lange reifen, bis es entschlüsselt wird: So verbringt der Tyrann Grimoaldo (Ralf Simon) die guten zwei Opernstunden mit in den Hosentaschen vergrabenen Händen. Erst bei seiner letzten Arie - er besingt darin den einfachen Hirten, der jene Ruhe findet, die ihm als König versagt bleibt - zieht er diese Hände hervor und betrachtet sie, erkennend, dass sie auch Gutes tun könnten. Signale, die unaufdringlich sind und sprechend zugleich.

1725, das Publikum tobte, denn der Kastrat Senesino sang die Partie des Exil-Königs Bertarido. 2004 zollten die Darmstädter einem Countertenor aus Brasilien ein ähnliches Maß an Beifall, verdient. Denn Gerson Luiz Sales zeigte hier einen äußerst ansprechenden Alt, der ideal war für die ungewöhnliche Tiefe dieser Partie. Bei Luiz Sales gab es keinerlei Bruch beim Verlassen der Höhe, Stimmschönheit und Volumen blieben über den vollen Tonumfang auf gleich hohem Niveau.

Aus dem barocken Reservoir

Der Brasilianer ist der einzige Sänger mit Spezialisierung auf das Barockfach in dieser Produktion, und an der Verzierungskunst war das auch durchaus merkbar - nur Luiz Sales vermochte sich im Reservoir der spontanen Ausschmückungen selbstsicher zu bedienen. Die übrigen Ensemblemitglieder blieben aber auf Augenhöhe, stimmlich wie darstellerisch. Mary Anne Kruger sang die Titelpartie mit femininer Kraft, schön und stark. Durchweg leichter, auch dünner der Sopran von Tijana Gruijc als Eduige.

Ralf Simon und Werner Volker Meyer, beide enorm sicher und versiert auch in den temporeichen Arien, komplettierten die aktive Bühnenbesetzung - alle anderen Rollen wurden gestrichen, kein Verlust.

Wie immer bei barockem Repertoire stand Raoul Grüneis am Pult (besser: am Cembalo) des Staatstheater-Orchesters. Diese Musiker gaben ein veritables Barockorchester ab, man hörte Vitalität statt Vibrato, und das bei überraschend sauberer Intonation. Mit Grüneis, der auch stellvertretender Generalmusikdirektor ist, hat Darmstadt einen wirklich geeigneten Mann für jenes spezielle Fach in den eigenen Reihen. Und dieses Fach wird immer wichtiger, für alle Opernhäuser.

Nur ganz wenige Premierengäste verließen ihr Opernhaus vorzeitig. Die anderen gaben allen Beteiligten Ovationen, uneingeschränkt auch der Regisseurin Rosamund Gilmore.

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Dokument erstellt am 26.04.2004 um 16:04:09 Uhr
Erscheinungsdatum 27.04.2004

 

Frankfurter Neue Presse
27.04.2004

Die Liebe leuchtet rot wie Blut
Händels Oper "Rodelinda" hatte am Staatstheater Darmstadt Premiere.

Von Andreas Bomba

Das Leben ist eine Treppe. Mal steht man auf ihr, wie Bertarido, und ist gleichzeitig aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Mal steht man unten und befindet sich im Gefängnis, wie ebenfalls Bertarido, der verbotenerweise aus der Verbannung zurückgekehrt ist. Oder man schreitet nach oben, wie Bertarido mit Rodelinda zum Happy End. Oder man trennt Oben und Unten durch eine dicke Wand, wie Carl Friedrich Oberle im Bühnenbild: Man kommt nicht mehr rauf und nicht mehr runter.

Der geometrische Trick schafft zugleich drei abgegrenzte Spielflächen, die auf der Drehbühne – ähnlich wie unlängst in Friedrich Cerhas "Rattenfängern" – geschickt genutzt werden. Wie so oft ("Poppea" in Frankfurt, "Tannhäuser" in Kassel) erzählt Rosamund Gilmore die Geschichte durch Bewegung. So krude und verworren das Libretto – das typische Gemisch aus Politik und Liebe, Öffentlichem und Privatem, Treue und Verrat – auch daherkommt: Ihre Personen haben klare Konturen. Ihre Bewegungen, sparsam bis zum Stillstand, sind bedeutungsschwer, stark typisiert und stilisiert wie das Bühnenbild, symbolhaft wie die den hinteren Prospekt ausleuchtende Farbe Rot für Blut und Liebe. Und auch auf die heutige Zeit zugeschnitten wie Oberles Lifestyle-Kostüme oder die Colts, mit denen ständig herumgefuchtelt wird und die man weder zur Zeit der Langobarden – dorther stammt der Stoff – noch der Pierre Corneilles – dorther stammt das Ur-Stück – noch zu der des Komponisten Händel je auf einer Theaterbühne gesehen hätte. Emotion und Leidenschaft finden nur in kurzen Gewaltausbrüchen der Männer statt – oder wenn Eduige Servietten vom Edel-Büfett zerreißt.

Musikalisch kann die Aufführung nicht befriedigen. Vor allem die Orchestermusiker bekommen die Balance zwischen vibratofreiem und intonationssicherem Spiel nicht hin. Steigerungsfähig ist auch die Redekunst barocker Phrasierung und Artikulation, die Raoul Grüneis gleichwohl mit großen Bewegungen herausfordert. Continuospiel und sängerische Dramatik wirken schablonenhaft.

Am Anfang hatte man sogar den Eindruck von Verwirrung, vielleicht bedingt durch die starke Kürzung des Stücks, die dem Publikum freilich entgegenkommt. Auch Mary Ann Kruger brauchte einige Zeit, um der Titelpartie Konturen zu geben. Ihre Stimme zeichnet sich eher aus durch bisweilen betörende Leuchtkraft als durch Beweglichkeit. Bertarido, der rechtmäßige König und Sieger des Ganzen, wird von dem Altisten Gerson Luiz Sales gesungen – auch hier wunderbare Töne, aber auch stumpfe und spröde bei bestimmten Vokalen und in der Tiefe. Ralf Simon (Grimoaldo, der Usurpator) und Tijana Grujic (Eduige, Bertaridos Schwester und Grimoaldos Braut) gefallen mit gut fokussierten, charaktervollen Stimmen.

Eine lehrhafte Moral wird nicht verkündet. Eher eine szenische Botschaft: Die Zeit des Klamauks beim Umgang mit Barockoper geht zu Ende. Viel Beifall.

 

WIESBADENER KURIER
26. April 2004


Intrigenspiel im kargen Rahmen: Tijana Grujic und Ralf Simon in "Rodelinda".
Illius

Machtkampf in Moll
Darmstadt: Händels "Rodelinda" in Rosamund Gilmores Inszenierung

Von Axel Zibulski

An barockem Musiktheater herrscht derzeit kein Mangel in der Region. In wenigen Tagen werden die Wiesbadener Maifestspiele mit Christoph Willibald Glucks "Armide" eröffnet, und an der Oper Frankfurt steht seit kurzem Georg Friedrich Händels "Ariodante" in der Regie von Achim Freyer auf dem Spielplan. Mainz setzt im Mai ein Vivaldi-Oratorium in Szene, während das Staatstheater Darmstadt ebenfalls auf Händel vertraut: Dort hatte jetzt dessen Oper "Rodelinda, regina de´ Longobardi" in der Sicht von Rosamund Gilmore Premiere.

Wie erfrischend, dass auf so dichtem Raum die beiden Händel-Inszenierungen auf hohem Niveau denkbar unterschiedlich ausfallen: Brachte Achim Freyer in Frankfurt den ungekürzten "Ariodante" auf gut viereinhalb Stunden Aufführungsdauer, benötigt Gilmore in Darmstadt empfindlich weniger Zeit: Die im Original nicht wirklich kürzere "Rodelinda" ist hier dank beherzter Striche auf gut zwei Stunden zusammengeschrumpft. Und auch der Inszenierungsansatz fällt äußerst unterschiedlich aus. Während Freyer ein verspieltes, fantasievolles barockes Figurentheater eingerichtet hat, übersetzt Gilmore das Langobarden-Drama aus der Barock-Sicht auf das achte Jahrhundert in die Moderne. Das hat entscheidende Konsequenzen für den unterschiedlichen Grundcharakter der Inszenierungen: Freyer lässt der emotionalen Reflexion in der uneingeschränkten Arien-Zahl freien Lauf. Aber Gilmore erzählt eine Geschichte.

Eine verwickelte immer noch, die - typisch barockes Intrigen-Spiel - in Kürze berichtet, wohl aber mit ihrem zentralen Grundkonflikt nur umrissen werden kann: Es ist der Konflikt von Politischem und Privatem, den gerade die Hauptfigur Rodelinda durchlebt. Man hat ihr den Gatten, den Thronhalter Bertarido, genommen, droht ihr auch das Kind zu nehmen, falls sie den Usurpator Grimoaldo nicht heiratet: Zum Schein lässt sie sich auf die Hochzeit ein, und - glückliches Ende - nach manchen Kapriolen der Handlung erlangt der Vertriebene die Macht sogar zurück. Doch bis dahin herrscht in der Musik vorwiegend trauriges Moll.

Wie sollte es auch anders sein in einer Oper, in der, wie in Gilmores Inszenierung, die Pistole von Hand zu Hand gereicht wird. In der keine Person kaum einmal allein ist, in der eine zuweilen erschreckende Kühle herrscht, selbst an den weiß bedeckten Tischchen der Hochzeitsgesellschaft: Wir sehen die Machthabenden als Maßanzug und Sonnenbrille tragende moderne Soldateska; Carl Friedrich Oberle hat sie kostümiert, und er hat auch die kargräumige Drehbühne errichtet, mit einer langen Freitreppe, die bis kurz vor dem Ende von einer massiven Wand unterbrochen wird, mit stilisierter Zypresse und sonst kaum mehr. Auch beim vokalen Personal wurde gestrichen, der Chor ist ganz und gar weggefallen. Umso mehr dürfen die verbliebenen fünf Solisten reüssieren: Mary Anne Kruger ist als Titelgestalt eine stil- und höhensichere Rodelinda, der tadellose Countertenor Gerson Luiz Salez ein im Lamentosen starker, machtvertriebener Bertarido. Nicht übermäßig strahlkräftig Tenor Ralf Simon (Grimoalda) und Bariton Werner Volker Meyer (Garibaldo), trocken-herb Tijana Grujic (Eduige).

Umso weicher klingt dafür das Darmstädter Orchester: Sichtbar impulsiv zwar das Dirigat von Raoul Grüneis im erhöhten Orchestergraben, doch die Musiker drängen die exakt ausgehorchte Zwischenfarbe nie hinter den Effekt reißerischer Vordergründigkeit zurück. Auch das adelt diese Premiere, mit der das Staatstheater Darmstadt, was diese Saison nicht eben häufig zu erleben war, in der Region musiktheatralisch konkurrenzfähig bleibt.

 

Darmstädter Echo
26.4.2004

Oper: Von der Macht der Gefühle: Rosamund Gilmore inszeniert Händels „Rodelinda" im Staatstheater Darmstadt
Aufstieg in den Liebeshimmel

Von Heinz Zietsch

DARMSTADT. Ungewöhnlich für die sonst üblichen Typisierungen in der Barockoper: Grimoaldo, der Tyrann, der Bertarido vom Thron gestürzt hat und dessen widerspenstige Gemahlin Rodelinda ehelichen möchte, macht in Georg Friedrich Händels „Rodelinda, regina de’ Langobardi" (Rodelinda, Königin der Langobarden) eine Wandlung vom bösen zum guten Menschen durch. Wohl aus diesem Grund hat der Komponist in seinem Werk die Figur des Grimoaldo einem Tenor anvertraut – denn sonst waren böse Gestalten vorwiegend einem Bass oder Bariton vorbehalten.

Als Grimoaldo nämlich erkennt, dass er als Herrscher niemals glücklich werden kann, gibt er die Macht wieder an Bertarido und dessen Gemahlin Rodelinda zurück. Diese seelischen Veränderungen Grimoaldos macht Händel mit einer Sturmmusik deutlich, die stilistisch weit über die Barockzeit hinausweist bis hin zu Frühklassik und Sturm und Drang.

Die Regisseurin Rosamund Gilmore lässt zu dieser Musik Grimoaldo wie ein eingesperrtes Tier hin- und herlaufen. Dicke verschachtelte Wände und Treppen, die nicht mehr weiterführen, markieren in Carl Friedrich Oberles Ausstattung eine offenbar ausweglose Situation. Eine raffinierte Lichtregie, die auch gespenstische Schatten zulässt, sowie bizarre Streifen an diesen Wänden verdeutlichen den Seelensturm, von dem Grimoaldo erfasst wird. Erst als dieser Usurpator die Macht an das ursprüngliche Herrscherpaar wieder zurückgibt, verschwinden die Wände, geben den Blick frei auf eine herrschaftliche Treppe vorm roten Horizont. Rot als Zeichen der Liebe. Rodelinda und Bertarido gehen am Ende der mit Pause knapp zweieinhalb Stunden dauernden Aufführung diese steile Treppe hinauf, als stiegen sie einem Liebeshimmel entgegen. Ihren auf der Treppenmitte sitzenden gemeinsamen Sohn Flavio beziehen sie bei ihrem Aufstieg nicht weiter ein.

Sinnbild einer eher kinderfeindlichen Welt von heute? Das könnte die Regisseurin damit angedeutet haben, denn sie hat Händels Oper in unsere Zeit verlegt – statt mit dem Degen kämpft man mit Pistolen. Abstrahierend und stilisierend wirken Oberles Kostüme und Raum, vermittelnd zwischen Barock und Moderne, Expressionismus und italienischer Landschaft. Das passt Händels Musik, die Ausdruckskraft von Melodie und erlesener Harmonien in den Vordergrund rückt, weil dieser Opernstoff, der auf Corneilles Drama „Pertharite, roi des Lombards" (Pertharite, König der Lombarden) zurückgeht, von der Macht menschlicher Gefühle handelt. Kein Wunder, dass mit dieser Oper 1920, in der Zeit des Expressionismus also, die Händel-Renaissance in Deutschland einsetzte. Oberles durch die Wandkonstruktionen kantig wirkendes Bühnenbild scheint an die expressionistische Epoche anknüpfen zu wollen.

Wie ein Kammerspiel legt die Regisseurin Gilmore ihre Darmstädter Inszenierung an. Behutsam, fast zeitlupenartig führt sie die Figuren, als würden diese stets konzentriert auf die Stimmungen in ihrem Inneren hören. Oder lauschen sie gar der Musik, die aus dem leicht erhöhten Orchestergraben dringt und ihren Seelenzustand spiegelt? Jedenfalls hat der Zuschauer genug Zeit, Händels fantasievolle Klänge auf sich wirken zu lassen. Eines der faszinierendsten Bilder hat sich Gilmore im dritten Akt ausgedacht, wenn Rodelinda aus den zurückgelassenen blutigen Kleidungsstücken ihres vermeintlich getöteten Gatten dessen Körper nachformt.

In dieser Inszenierung bleibt auch für die Sänger genug Zeit, die Musik auszukosten. Allen voran der Countertenor Gerson Luiz Sales. Mit voluminöser, stets prononcierter und präziser Stimme formt der in Rio de Janeiro geborene Brasilianer als Gast mit ausdrucksvollem tiefen Alt die Partie des Bertarido. Eine sängerische Glanzleistung erster Güte. Bei der Premiere am Samstagabend im Großen Haus des Staatstheaters erhielt er den meisten Publikumsbeifall. Wunderschön die einschmeichelnden Harmonien im Duett mit Rodelinda, die von Mary Anne Kruger verkörpert wird. Wie sie die unterschiedlichen Facetten ihrer Trauer um den angeblich toten Ehemann gestaltet, das ist faszinierend anzuhören. An Ausdruckskraft hat ihr lyrischer Sopran vor allem in den Tiefen gewonnen, so dass es eine Wonne ist, dieser Sängerin zu lauschen. Überhaupt kommen die einzelnen Stimmen in dieser Inszenierung bestens zur Geltung: Da ist der weich tönende, aber dennoch kräftige und blitzsaubere Tenor von Ralf Simon, der als Gast die Winkel- und Charakterzüge des sich hin- und herwendenden Grimoaldo treffend darstellt; Werner Volker Meyer lotet die Durchtriebenheit des machtgierigen Garibaldo mit gut sitzendem Bass aus; mit viel Balance in ihrer schönen Altstimmen gastiert Tijana Grujic als Eduige, Bertaridos Schwester. Gesungen wird in italienischer Sprache – die deutsche Übertitelung wird dabei auf den oberen Bühnenrand projiziert.

Mit den Sängern scheint das Orchester unter der feinsinnigen Leitung des Ersten Kapellmeisters Raoul Grüneis zu atmen, derart geschmeidig federt es die Arien der Singstimmen ab. Ohne Taktstock führt der Dirigent das Ensemble an, das dadurch gesanglicher, flexibler und klanglich abgerundeter wirkt. Grüneis hat sich hier als ein stilsicherer Dirigent von Barockmusik empfohlen. Geschickt arbeitet er dabei die Klangfarben von Flöte, Oboen, Fagott und tiefer Laute (Theorbe) heraus und macht deutlich, wie abwechslungsreich Händel menschliche Gefühle kompositorisch zu gestalten wusste.

Das Publikum im nicht ganz ausverkauften Großen Haus applaudierte am Ende der Premiere lange und begeistert allen Mitwirkenden und dem Regieteam. Die nach innen gerichtete, vor allem auf die Musik verlagerte Dramatik dieser Inszenierung dürfte nicht jedermanns Sache sein. Doch die Oper ist ein Musterbeispiel für Händels Kunstfertigkeit, menschliche Gefühlslagen (im Barock Affekte genannt) mit den Mitteln der Musik erhellend nachzuzeichnen: Händels Musik macht hellhörig.

Weitere Aufführungen am 30. April sowie am 5., 8., 11. und 29. Mai jeweils um 19.30 Uhr.

 

egotrip.de
April 2004

Barocke Innigkeit in modernem Gewand
Georg Friedrich Händels Oper "Rodelinda, regina de´ Langobardi" in Darmstadt

Die Verlagerung historischer Opernsujets in modernes Ambiente ist in den letzten Jahrzehnten eine beliebte Methode gewesen, einem alten Stoff neue Aktualität zu verleihen. Dabei wurden gerne Accessoires der politischen Geschichte des 20. Jahrhunderts eingesetzt, so SS-Uniformen oder Verweise auf aktuelles politisches Geschehen. Oftmals drängte sich diese zeitliche "Verfremdung" aufgrund des Librettos und der politischen Situation geradezu auf, bisweilen wirkte sie jedoch auf ziemliche aufgesetzt, sprich nur modernistisch. Die Regisseurin Rosamund Gilmore hat sich Händels Oper über dynastische Kämpfe im frühen Mittelalter vorgenommen und in das 21. Jahrhundert verlagert. Allerdings betrifft dies lediglich die Kostüme und Requisiten, nicht jedoch die Handlung, die keinerlei Versatzstücke aus der Gegenwart entleiht. Die Protagonisten erscheinen in hellen Anzügen und in Kleidern, die sich irgendwo zwischen 19. und 21. Jahrhundert ansiedeln lassen, und hantieren mit Pistolen statt mit Schwertern. Das war´s dann aber schon mit der Aktualisierung. Insofern bleibt die Modernisierung auf halbem Wege stecken, lässt sich doch keine unmittelbare politische oder gesellschaftliche Analogie ableiten, wenn man nicht ganz allgemein Machtgier und Verrat als solche gelten lässt. Aber mit diesen menschlichen Schwächen hätte man die Oper genauso gut um tausend Jahre zurückverlegen können.

Auch das Bühnenbild gibt keine Auskunft über die Zeit des Stücks. Eine konisch sich nach hinten erweiternde Treppe wird durch eine breite Wand versperrt - den blockierten Weg zur Macht symbolisierend. Auf der Rückseite des sich drehenden Bildes verleiht eine stilisierte Zypresse dem kubistischen Gebilde eine südlich-ländliche Note. Der Hintergrund der Bühne leuchtet in einem intensiven Rot, das sich zum Schluss voll entfaltet. Die Farbe Rot steht sowohl für Blut und Krieg als auch für die Liebe und entspricht insofern dem Libretto, das die historischen Ereignisse nur zum Anlass für eine Geschichte um Liebe, Verrat und Treue nimmt.

Grimoaldo ( Ralf Simon) hat den vormaligen Herrscher Bertarido (Gerson Luiz Sales) vertrieben und und wirbt aus persönlichen wie politischen Gründen um die Hand der vermeintlichen Witwe Rodelinda (Mary Anne Kruger), dabei kalt seine Verlobte Eguide (Tijana Grujic), die Schwester Bertaridos, abservierend. Bei seinen Spielen um die Macht geht ihm sein Freund Garibaldo zur Hand, der jedoch in Wirklichkeit eigene Pläne mit Eguide und dem Reich verfolgt. Bertarido ist jedoch nicht tot, sondern kehrt zurück, um Frau und Sohn zu befreien und dabei unvermutet die mit Todesdrohungen gegen seinen Sohn erzwungene Heiratszusage seiner Frau an Grimoaldo anhören zu müssen. Von Eguide über die wahren Verhältnisse ins Bild gesetzt, entdeckt er sich seiner Frau, nur um von Grimoaldos Häschern entdeckt und zum Tode verurteilt zu werden. Als Eguide ihm eine Waffe in den Kerker schmuggelt und sich bei der gemeinsamen Flucht verletzt, hält die dazukommende Rodelinda das Blut im leeren Gefängnis für das ihres Gatten und betrauert seinen Tod. Als Bertarido im letzten Moment die Ermordung Grimoaldos durch dessen machtbesessenen Freund Garibaldi verhindert, dankt der schuldbeladene Grimoaldo ab, setzt Bertarido wieder in seine Rechte ein und zieht sich mit Eguide auf seine eigenen Ländereien zurück. Happy End vom Feinsten.

Natürlich darf man dieses Libretto nicht an heutigen dramatischen Maßstäben messen, reflektiert es doch nur die Mentalität des Barockzeitalters einerseits und die Tendenz der damaligen Opern, mythische und historische Themen ins Ideale zu entrücken und dabei Erbauung der höchsten Art zu liefern. Dabei bieten die verschiedenen "tragischen" Momente ausreichend Gelegenheit zu großen, leidgetränkten oder rachegeladenen Arien. In "Rodelinda" überwiegt deutlich das Leid, trauert doch selbst der - nur scheinbar - betrogene Bertarido mehr als dass er vor Rache schäumt. Außer Garibaldi leidet in dieser Oper jeder an seinem Zustand, selbst Grimoaldo, den von Beginn an sein schlechtes Gewissen plagt. Und als Rodelinda ihm das Eheversprechen nur unter der Bedingung gibt, dass er vor ihren Augen ihren kleinen Sohn Flavio tötet, denkt er keinen Augenblick an die Umsetzung dieser Bedingung, auch wenn Garibaldi ihm dies in machiavellistischer Manier eindringlich empfiehlt. Grimoaldo leidet an seiner usurpierten Macht, Rodelinda unter dem Verlust des Gatten, dieser erst an ihrer vermeintlichen Untreue und dann an seiner Eifersucht und Eguide schließlich unter dem Verlust der Liebe Grimoaldos. So gesehen ist Garibaldi der einzige zielgerichtet nach vorne Blickende, wenn auch als durchtriebener Intrigant. In dieser Konstellation spiegelt sich auch das Selbstverständnis der Barocks wieder, das am Weltlichen der Kriege zerbrach und sich in die religiöse Verinnerlichung rettete. Händel hat diese Weltsicht in dieser Oper in konzentrierter Weise zusammengefasst und in Musik gesetzt.

Die Musik zeichnet sich vor allem durch die vielen Arien aus, die jedem der fünf Akteure ausreichend Raum zur Entfaltung bieten. Dabei steht Rodelinda immer wieder im Mittelpunkt, ist sie doch der Spielball der Interessen am Hofe Grimoaldos. Mary Anne Kruger nutzt diese Auftritte, um ihre Stimme und ihre darstellerischen Qualitäten zur Geltung zu bringen. Ganz Innerlichkeit, entsagungsvolle Treue und Todesbereitschaft, kann sie jedoch auch andere Saiten aufziehen, wenn sie den intriganten Garibaldi durchschaut und ihm mit Worten und Füßen kräftig zusetzt. Die Regie hatte sich diese Auflockerungen einfallen lassen, um die Statik der Arien-Präsentation nicht in Längen enden zu lassen. Zu diesem Zweck wurde auch der kleine Sohn der Rodelinda geschickt eingesetzt. Lukas Meyer, vielleicht 4-5 Jahre alt, weckte beim Publikum durchaus mütterliche Gefühle und dank seiner freien und doch rührenden Art auch wohlwollende Heiterkeit.

Doch im Mittelpunkt steht immer die Musik und der Gesang, den das Orchester unter der Leitung von Raoul Grüneis mit viel Gespür für die leisen Töne stützt und begleitet. Wenn einmal Eguide im Bühnenbild verschwindet und aus dem "Off" singt, nimmt sich das Orchester soweit zurück, dass man auch den entferntesten Ton von ihr noch hört. Das Orchester hat man überdies auf Bühnenebene angehoben, was der gesamten Aufführung eine kammermusikalischen Atmosphäre verleiht. Musik und Bühne gehören hier eng zusammen und verstehen sich als Spielgemeinschaft. Das geht natürlich nur wegen des kleineren Orchesterzuschnitts. Für die Zuschauer ergibt sich dadurch ein besserer Einblick in die Arbeit des Orchesters, sieht man doch sonst bei Opern nur den Rücken des Dirigenten und die Köpfe einiger weniger Musiker.

Bei den stimmlichen Leistungen stand keiner der Protagonisten den anderen nach. Wenn auch Mary Anne Kruger allein durch die Anzahl ihrer Solo-Auftritte und durch ihre Ausdruckskraft die höchste Präsenz aufwies, so sind doch die anderen im gleichen Atemzug zu nennen. Gerson Luiz Sales meisterte die äußerst schwierige Party des Counter-Tenors überzeugend und ohne die kleinste Unsicherheit. Die einzige Frage ist, warum in dieser Oper ausgerechnet eine typisch maskuline Rolle durch einen Counter-Tenor besetzt ist. Ralf Simon gab den Usurpator Grimoaldo mit viel Nachdenklichkeit und innerer Zerrissenheit, ohne dabei jedoch stimmlich nachzulassen. Seine Darstellung war jederzeit darstellerische gesteuert und gesanglich auf die Interpretation abgestellt. Tijana Grujic brachte das Schwanken Eguides zischen der Liebe zu Grimoaldo und der geschwisterlichen Bindung an Bertarido sehr gut zum Ausdruck, bewegte sich hin und her gerissen zwischen den Fronten und brachte ihren inneren Reifeprozess, der schließlich in der Rettung ihres Bruders mündet, auch in ihren Solo-Arien zum Ausdruck. Werner Volker Meyer schließlich spielte und sang den Bösewicht Garibaldi offensichtlich mit viel Wonne und ließ sich gerne von der schönen Mary Anne Kruger treten. Er vertrat mit viel Temperament das richtige, will sagen falsche Leben, das naturgemäß nicht so edel verläuft wie bei den anderen Protagonisten.

Das Premierenpublikum dankte allen Beteiligten, einschließlich Regie und Bühnenbild, mit lang anhaltendem, teilweise begeistertem Beifall. Offensichtlich empfanden die Zuschauer diese Inszenierung als einen seltenen Höhepunkt im Opernrepertoire, wohl auch wegen der hervorragenden Leistungen der Darsteller und der Suggestionskraft der Barockmusik.