Darmstädter Echo
Samstag, 5. Dezember 2003

Liebe Last mit der Lust
Ausblick: Zwei Operneinakter haben am Sonntag (7.) im Staatstheater Darmstadt Premiere: „Sancta Susanna" und „Herzog Blaubarts Burg"

DARMSTADT. Beide Frauengestalten betreten unwegsame Pfade: Die Nonne Susanna liebt Christus bis zur erotisch-sinnlichen Ekstase, und Judith verlässt alles, den Verlobten und ihre Eltern, um aus Liebe Blaubart in seine Burg zu folgen. Beide Operneinakter, Hindemiths „Sancta Susanna" und Bartóks „Herzog Blaubarts Burg", handeln auch von der Kluft zwischen den Geschlechtern. Während Susanna sich selbst befreit, weil sie ihren Mitschwestern am Ende ein barsches „Nein" entgegenschleudert und es nicht bedauert, sich vor dem Gekreuzigten entkleidet zu haben, bleibt Judith in Blaubarts Burg, sie ist nur eine von vielen Frauen, die der Herzog besessen hat. Beide Frauen finden im Grunde keine Liebe.

Hindemiths „Sancta Susanna" hat nach der Uraufführung in Frankfurt am 26. März 1922, als Teil eines Triptychons, Furore gemacht: die Aufführung war ein Skandal. Schon davor riefen Kirchen zum Sühnegebet gegen das Stück auf, und nach der Premiere war das Geschrei so groß, dass Hindemith, der damals eh im Rufe eines Bürgerschrecks stand, das Stück mitsamt dem Triptychon zurückzog. In der Rezension des „Darmstädter Tagblatts" war am 29. März 1922 über die Uraufführung zu lesen: „‚Sancta Susanna‘ ist eine perverse Angelegenheit eines ekstatischen Nönnleins... Dazu ein Gesang, der jeder gesunden Empfindung bar bleiben muß".

Erst nach Hindemiths Tod (1963) konnte das Werk wieder aufgeführt werden. Operndirektor Friedrich Meyer-Oertel, der jetzt am Staatstheater Darmstadt die Inszenierung der beiden Einakter betreut, hat „Susanna" bereits 1968 in Wuppertal auf die Bühne gebracht – mit Hindemiths später Oper „Die Harmonie der Welt", die stark gekürzt wurde.

Wie wird dieser Regisseur jetzt in Darmstadt Hindemiths „Susanna" und Bartóks 1911 komponierten und erst 1918 uraufgeführten „Blaubart" inszenieren, der in ungarischer Sprache gesungen und mit deutscher Übertitelung dem Publikum nahegebracht wird? Hindemiths ekstatische Klangsprache und Bartóks an Debussy geschulte Klangreize verlangen jeweils ein großes Orchester, das einen eigenen Klangraum entfaltet. So kam der Regisseur auf die Idee, das Orchester offen auf der Bühne spielen zu lassen, gewissermaßen als Klangfolie hinter dem Bühnengeschehen, das sich ganz vorne überm Orchestergraben abspielt.

In der „Susanna" wird die Bühne (Heidrun Schmelzer) von einem Kirchenraum bestimmt, wobei das Publikum gleichsam im Kirchenschiff sitzt. Beide Opern lässt der Regisseur in unserer Gegenwart spielen. Im „Blaubart", der etwa mit knapp einer Stunde doppelt so lange dauert wie Hindemiths Einakter, bestimmt ein Gewölbe das Bühnenbild. Sieben Türen stehen frei im Raum. Im Verlaufe des Stücks fallen manche Türen um und wirken dann wie Gräber. Je mehr sich Judith Blaubart äußerlich nähert, um so distanzierter wird sie innerlich. Im Märchen ist Blaubart ein Mörder, bei Bartók und seinem Librettisten Béla Balász vernichtet der Herzog die Frauen, weil er ihre Individualität vernichtet, sagt Meyer-Oertel. Er sieht sie nur als schönes Schmuckstück, nicht als Individuum. Im Gegensatz zu Judith will Blaubart nicht das Innere seiner Partnerin aufspüren. Judith versinkt am Ende im Nichts. Die Premiere der beiden Operneinakter, Hindemiths „Sancta Susanna" und Bartóks „Herzog Blaubarts Burg" ist am Sonntag (7.) um 19.30 Uhr im Großen Haus des Staatstheaters Darmstadt. Generalmusikdirektor Stefan Blunier wird die mit Pause knapp zwei Stunden dauernde Aufführung dirigieren. (hz)