Frankfurter Rundschau
9. Dezember 2003

In der Lichtflut
Männerfantasievoll unterm Kreuz: "Sancta Susanna" und "Herzog Blaubarts Burg" in Darmstadt

VON STEFAN SCHICKHAUS

Es gibt musikalische Werkpaare, die aneinander kleben, als wären sie verheiratet. So war das damals zur Zeit der Langspielplatte, als auf der Rückseite von Schumanns Klavierkonzert immer das von Grieg sein musste, so ist es noch heute bei den beiden kurzen Opern Cavalleria Rusticana und Der Bajazzo, die nie einzeln auf die Bühne kommen. So gesehen ist Béla Bartóks ähnlich kurze Herzog Blaubarts Burg immer noch Single. Viel wurde da kombinatorisch schon unternommen, diese Oper abendfüllend zu bekommen, ja ein nicht uncleverer Ansatz war sogar, sie erst vorwärts, dann noch einmal rückwärts zu spielen.

In Darmstadt hat man Blaubarts Burg jetzt wieder einmal neu liiert, und diese Ehe passt sehr gut, denn Gott Eros schafft die Verbindung. Friedrich Meyer-Oertel, der Operndirektor des Hessischen Staatstheaters, hat vor Bartók die halbstündige Kurzoper Sancta Susanna von Paul Hindemith gesetzt. Auf die hatte Darmstadt lange verzichtet, denn der Skandal, den drei von Hindemiths Einaktern 1922 (Mörder, Hoffnung der Frauen, Das Nusch-Nuschi und eben Sancta Susanna) bei ihrer Uraufführung in Frankfurt gemacht hatten, war einfach zu groß. Die beiden ersten Teile dieses Triptychons wurden 1969 in Darmstadt zwar gezeigt, bis zu Susanna wagte man sich damals allerdings nicht vor.

Denn das Thema ist nun einmal pikant, und auch jetzt noch konnte man das Darmstädter Premierenpublikum in der Pause diskutieren hören, ob man so etwas machen darf: Eine Nonne zeigen, die sich vor dem Gekreuzigten entblößt und ihm zwischen die Beine fasst. Wie schon in der Salome einige Produktionen zuvor ist es auch hier wieder die Sopranistin Doris Brüggemann, die sich entschleiern muss, an Leib und Seele; und sie macht das wieder gut, auch wenn die Regie sie schon sehr männerfantasievoll unter das Kreuz schickt.

Paul Hindemiths Musik dazu ist überraschend ekstatisch, farbig und schwül, ein junger Hindemith eben; Generalmusikdirektor Stefan Blunier am Staatsorchesterpult vollzieht die Ehe zwischen Hindemith und Bartók gleichberechtigt und bringt beide zum Punkt.

Eine der großen Stärken dieser neuen Darmstädter Produktion ist die Bühne und ihre ebenso reduzierte wie wirksame Gestaltung. Für Sancta Susanna hat hier Heidrun Schmelzer die Spur einer Kathedrale angedeutet, wobei die aufwärts strebenden Bögen auch Rippen eines Brustkorbs darstellen könnten.

Die gleiche Frage, ob Außen oder Innen, stellt sich so auch in Herzog Blaubarts Burg. Hier sind dann die einzigen Bühnenelemente frei im Raum verteilte Türen, hinter denen nichts ist als Licht. Das Lichtdurchfluten der Burg, es wurde regelrecht greifbar. Hinter der Szene, auch das ein aufgehendes Konzept, war jeweils das Orchester angeordnet. Der Intimität des Bühnenspiels tat dieser Aufbau gut, Seelen gehen nicht gerne auf Distanz.

War Doris Brüggemann als Hindemith-Protagonistin schon großartig, Katrin Gerstenberg als Bartóks Judit war eine Offenbarung. Sie und der düster-dräuende Bassist Friedemann Kunder (als Herzog - alle Gesangssolisten des Abends stammen übrigens aus dem eigenen Ensemble) gaben ein beklemmend getriebenes Paar ab, stimmlich markant, optimal besetzt. Natürlich ist Herzog Blaubarts Burg die bessere der beiden Einaktopern, da steckt um einiges mehr drin. Doch die Heilige Susanna, die mehr begehrt, als ihr zusteht, macht daneben keine schlechte Figur. Eros war eben schon immer ein guter Grund, sich zu begegnen.

Staatstheater Darmstadt: 13.12., 19.30 Uhr, Karten-Tel. 06151/ 29 38 38.

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Dokument erstellt am 08.12.2003 um 17:28:06 Uhr
Erscheinungsdatum 09.12.2003

 

WIESBADENER KURIER
09.12.2003


Die beiden Solistinnen in Hindemiths "Sancta Susannna" (von links):
Elisabeth Hornung und Doris Brüggemann.
Illius

Handzahmer Schauer
Premiere in Darmstadt: Einakter von Paul Hindemith und Béla Bartók

Von Axel Zibulski

Wie schaurig. Eine Nonne, die den Gekreuzigten umarmt. Dazu eine Frau, die in allen Seelenschichten des Geliebten Blut aufstöbert. Grauselig eben, diese beiden Einakter. Paul Hindemiths "Sancta Susanna", Béla Bartóks "Herzog Blaubarts Burg". Seelenmusiktheater mit viel provokativer Sprengkraft. Eigentlich. Doch wie handzahm begegnen uns die beiden Stücke aus dem ersten Drittel des vergangenen Jahrhunderts jetzt in Darmstadt. Da erschreckt eigentlich nur, wie kalt einen das Geschehen auf der Bühne lassen kann.

Deren größten Teil nimmt in Friedrich Meyer-Oertels Inszenierung das Orchester ein. Theoretisch sinnvoll, ist es doch bei Hindemith wie bei Bartók der eigentliche, von tiefen psychologischen Vorgängen kündende Protagonist. Tatsächlich entpuppt sich diese Platzierung aber bald als Fehlentscheidung: Aus den Weiten der Darmstädter Bühne lassen sich gerade Bartóks feine Farbvaleurs nicht sonderlich differenziert hören, obwohl Dirigent Stephan Blunier sie bestmöglich herausarbeitet. Nein: Das Orchester hätte nach vorne gehört. Also in den Graben. Aber der ist verdeckt, darüber die knapp bemessene Spielfläche (Bühne: Heidrun Schmelzer). Das vor allem verbindet in Darmstadt die beiden Opern, zwischen denen sich noch so viel mehr Bezüge herstellen ließen.

Zum Beispiel über das Symbol des Eingemauertwerdens. Hindemiths Nonne Susanna blüht dieses Schicksal als Sanktion für ihre Lust am Kruzifix. Und bei Bartók weilt Blaubarts Judith von Anfang an in den Mauern von dessen Burg. Doch so etwas spiegelt Meyer-Oertels Regie nicht recht wider. Stattdessen schauen wir bei Hindemith von hinten auf ein gewaltig von der Decke hängendes Kreuz, sehen dazu Kerze, Kutten, Klosterleben und eine Nonne, die sich, als der Jesus an seinem Kreuz herabgelassen wird, irgendwie darunter wurschtelt und Sex macht: Pardon: Aber reichlich altherrenhaft wirkt das schon.

Mindestens genauso fragwürdig ist zuvor der Umgang mit einer der sexuellen Initiationen der Nonne ausgefallen: Es stöhnt ein junges Liebespaar vor dem Kloster. Auch in Darmstadt. Und dann kommen sie über einen Steg im Parkett hereingelaufen, das reichbusige Mädchen (Mackie Heimann) und ihr Bursche

(Uwe Sachs). Und der spricht breitestes Südhessisch. "Ei, isch will mei Mädscher hole." Die Theatergemeinde lacht. Trotzdem: Was hat das mit uns zu tun?

Immerhin: Die vokale Bilanz fällt in "Sancta Susanna" zugunsten der klar und rein singenden Doris Brüggemann (Susanna) und der dämonisch-dunkel timbrierten Elisabeth Hornung (Klementia) aus. Und in "Herzog Blaubarts Burg" erlebt man in der Titelpartie einen vokal etwas groben Friedemann Kunder, neben dem die Judit von Katrin Gerstenberger umso differenzierter wirkt: Respekt, dass die beiden Solisten die Mühe nicht gescheut haben, ihre Partien in ungarischer Originalsprache einzustudieren.

Inszeniert ist wenigstens Bartóks "Blaubart" ohne weitere Peinlichkeiten. Handwerklich solide: Die Burg- und Seelen-Türen stehen frei im Raum, die Waffen- und Folterkammern, den Tränensee dahinter lassen Lichtwechsel imaginieren, die letzte Tür liegt auf dem Boden: Wie auf einer Bahre bleibt Judit darauf liegen. Schaurig, schaurig.

 

Damstädter Echo
9.12.2003

Mitten ins Mark der Musik
Operneinakter: Hindemiths „Sancta Susanna" und Bartóks „Herzog Blaubarts Burg" im Staatstheater Darmstadt

Von Heinz Zietsch

DARMSTADT. Welche der beiden Operneinakter, die am vergangenen Sonntagabend im Großen Haus des Staatstheaters Darmstadt Premiere hatten, ist der faszinierendere: Hindemiths „Sancta Susanna" oder Bartóks „Herzog Blaubarts Burg"? Am Beifall gemessen, nach der mit Pause genau zwei Stunden dauernden Aufführung, gebührt Bartók der Siegerkranz. Die beiden Sänger, Katrin Gerstenberger als Judith und Friedemann Kunder in der Titelpartie, wurden zudem mit begeisterten Bravorufen bedacht. Sie brachten außerdem das Kunststück fertig, auf Ungarisch (vorzüglich einstudiert vom Dramaturgen Wolfgang Binal) zu singen – die deutsche Übersetzung wurde per Übertitelung eingeblendet.

Wenn die Musik so ausdrucksstark ist wie in Bartóks einziger Oper, dem „Herzog Blaubart", warum sollte man nicht auch das gesamte Orchester auf die Bühne verfrachten, dürfte sich wohl Friedrich Meyer-Oertel, Regisseur und Operndirektor am Staatstheater Darmstadt, gefragt haben? So platziert er das Orchester, mindestens um zwei Meter erhöht, hinter einem Gazevorhang auf die Bühne des Theaters. Davor agieren nun die beiden Protagonisten des Zweipersonenstücks. Und sie tun das mit einer gesanglichen und darstellerischen Intensität, die ihresgleichen sucht. Katrin Gerstenberger und Friedemann Kunder stehen sich hier in nichts nach. Beide umschmeicheln sich mit wunderbaren Gesängen, die den ungarischen Sprachklang in Musik verwandeln.

Wenn Judith die vierte Tür öffnet und unter mächtigem Orgelbrausen und imposanten, rasch wechselnden Akkordfolgen Blaubarts Zaubergarten erschaut, dann öffnet sich hinter dem Orchester gleichsam ein großer Lichtschacht. Einerseits Sinnbild von Blaubarts Großmannssucht, aber auch Sinnbild für eine Musik, die einen Klangraum heraufbeschwört. Generalmusikdirektor Stefan Blunier am Dirigentenpult entfaltet hier mit dem Orchester eine Wucht, die gar nicht so weit von Filmmusik entfernt ist.

Aber nicht genug, dass das Orchester auf der Bühne spielt, der Regisseur ließ von seiner Bühnenbildnerin Heidrun Schmelzer einen Steg bis zur Parkettmitte bauen. Judith und Blaubart bahnen sich ihren Weg zur Burg durch die neunte Reihe im Zuschauerraum zu diesem Steg. Derlei hätte sich Meyer-Oertel vor zwei Jahren, als er dieses Werk schon einmal mit Hindemiths „Susanna" kombinieren wollte, nicht erlauben dürfen, denn die Bartók-Erben hatten verfügt, „Blaubart" müsse genau so inszeniert werden, wie das in der Partitur beschrieben ist. Darauf will sich heute kein Regisseur einlassen. So verschob das Staatstheater die Premiere auf die jetzige Spielzeit, nachdem die Erben von ihrem Ansinnen abließen.

Meyer-Oertel hat zu Bartóks Musik eine Seelenstudie der Beziehung zwischen Mann und Frau herausgearbeitet und lässt das Stück, zu dem Wilhelmine Bauer die Kostüme entworfen hat, als Beziehungsdrama in unserer Gegenwart spielen. Die Türen, die frei im Raum stehen, sind Symbole dieser Seelenräume, die Judith zwar buchstäblich durchschaut, doch beide bleiben einander fern, da Blaubart sich nur in Judith spiegelt. Deshalb ist die siebte Tür ein auf dem Boden liegender Spiegel, in den Judith versinkt. Blaubart bleibt am Ende einsam auf dem Steg zurück.

Auch Susanna bleibt in Hindemiths Einakter einsam, weil sie ihre mystische Liebe zu Christus nicht ausleben kann und dem Gekreuzigten, nachdem sie sich ihrer Nonnentracht entledigt hat, zum Entsetzen ihrer Mitschwestern, das Lendentuch herunterreißt. Statt der frei stehenden Türen wie bei „Blaubart" deuten im Bühnenbild von Heidrun Schmelzer, die für „Susanna" auch die Kostüme entworfen hat, Strebepfeiler einen Kirchenchorraum an. Oben hängt ein riesiges Kruzifix, darunter stehen Betstühle. Über den Steg gelangen ein drall-sinnliches Mädchen (Mackie Heimann) und ihr Liebhaber (Uwe Sachs) – zwei mit Gästen besetzte kurze Schauspielerpartien – in die Klosterkirche, nachdem beide sich draußen unterm Fliederbusch verlustiert hatten.

Das alles wirkt auf Susanna, die von Doris Brüggemann mit wohliger, sinnlich-stimmlicher Intensität dargestellt wird, wie ein Sog, den auch die expressive Musik Hindemiths in immer neuen Steigerungsbögen bis zum Schluss vorgibt. Geradezu rauschhaft zeichnet Blunier mit einem heftig vibrierenden Orchester die unablässig sich hochschraubenden Klänge nach. Von diesem Sog wird auch Susannas Mitschwester Klementia mitgerissen, die von Elisabeth Hornung mit klarer Stimme, jedoch nicht ohne Mitgefühl charakterisiert wird. Der Frauenchor (einstudiert von André Weiss) und die alte Nonne (Katharina Ihlefeld) wirken allerdings derart massiv auf Susanna ein, dass deren „Nein" zum bisherigen Klosterleben nahezu untergeht.

Uwe Sachs wird man hernach noch einmal begegnen, wenn er mit nachdenklich stimmenden Worten den Prolog zum „Blaubart" spricht und fragt: „Wo ist die Bühne: außen oder innen, Männer und Frauen?" Trotz des effektvollen klanglichen Sogs, den Hindemiths Musik ausstrahlt, Bartóks klangliche Intensität des Orchesters fasziniert den Besucher hernach um so nachhaltiger. Hindemiths Einakter wird zu einer Art Vorspiel. Keine Frage, Meyer-Oertels Konzept eines szenischen Konzerts, hat zumindest Bartóks klangliche Seelenschau ins Mark getroffen.

Im Dezember ist nur noch eine Aufführung im Großen Haus: am 13. um 19.30 Uhr .

 

Frankfurter Neue Presse
11.12.2003

Herzog Blaubart trifft sexbesessene Susanna
Operneinakter von Hindemith und Bartók hatten im Staatstheater Darmstadt Premiere.

Von Claudia Arthen

So unterschiedlich Hindemiths "Sancta Susanna" und Bartóks "Herzog Blaubarts Burg" auch sind, verbindet sie doch der Blick in die komplizierte Struktur der menschlichen Seele. Zudem packen beide religiöse und bürgerliche Tabus an. Hindemiths "Susanna" löste nach der Uraufführung 1922 in Frankfurt sogar einen Skandal aus, wurde das Werk doch als zu obszön und blasphemisch abgelehnt. Die Idee, diese beiden selten gespielten Stücke an einem Abend aufzuführen, erweist sich als durchaus schlüssig. Regisseur Friedrich Meyer-Oertel überrascht zudem mit einer ungewohnten szenischen Anordnung: Das Orchester sitzt auf der Bühne, die Sänger agieren davor und dringen auf einem Steg bis zur Parkettmitte hervor. Das erzeugt Intimität mit dem Zuschauer, denn um das Intimste des Menschen geht es ja in beiden Einaktern. Auch um die Probleme der Sexualität in der Gesellschaft.

Meyer-Oertel verlangt den Sängern (allesamt Darmstädter Ensemble-Mitglieder) einiges ab: Doris Brüggemann muss als sexbesessene Nonne Susanna dem Gekreuzigten das Lendentuch entreißen und ihm zwischen die Beine fassen. Das provoziert die Zuschauer - auch heute noch. Zweifellos tadellos ist die sängerische Leistung: Sowohl die Sopranistin Brüggemann als auch Altistin Elisabeth Hornung als Klementia meistern die gewaltigen Anforderungen hinsichtlich Stimmumfang, Volumen und Gestaltung bravourös. Das wird von Katrin Gerstenberger und Friedemann Kunder in "Herzog Blaubarts Burg" sogar noch getoppt: Kunder gibt den ambivalenten Charakter des Herzogs mit sonorer Tiefe, klarer Mittellage und genau abgestufter Tongebung. Gerstenberger verleiht der Judit einen klangfülligen Mezzo, macht das Grauen beim Anblick der Folterkammer und das Erschrecken bei der blutbesudelten Waffenkammer erlebbar.

Das Orchester unter der Leitung von Stefan Blunier vermag bei Hindemith den statischen Passagen Spannung zu verleihen und die üppig orchestrierten Abschnitte wirkungsvoll auszukosten. Bei Bartók schöpft Blunier mit ausladendem Klangbild aus dem Vollen.

 

egotrip.de
Dezember 2003

"Liebe" im Doppelpack
Hindemiths "Sancta Susanne" und Bartoks "König Blaubarts Burg" als Doppelaufführung im Staatstheater Darmstadt

Betrachtet man die Opernliteratur, dann steht das Thema "Liebe" - wie auch in der tonlosen Literatur - mit an vorderster Stelle. Doch meist wird dann ein bestimmter Aspekt - Treue, Entsagung, Eifersucht - über drei bis fünf Akte herausgearbeitet. Selten drängen Librettist und Komponist das Thema auf einen Akt zusammen, entschlacken es sozusagen auf das Wesentliche.

Paul Hindemith und Béla Bartók sowie ihre jeweiligen Librettisten August Stramm und Béla Balázs gehören zu dieser seltenen Spezies. In beiden Fällen hat das Duo jeweils einen "Kernaspekt" der Liebe aufgegriffen und in hoch verdichteter Form vertont. Regisseur Friedrich Meyer-Oertel hat in seiner letzten Spielzeit am Staatstheater Darmstadt diese beiden Einakter einander gegenübergestellt und dadurch ein reizvolles Spannungsfeld geschaffen.

In "Sancta Susanna" hat sich die Nonne Susanna (Doris Brüggemann) vollständig der Liebe zu Jesus Christus hingegeben. Tag und Nacht betet sie, und selbst ihre Mitschwester Klementia (Elisabeth Hornung) kann sie nicht von der lebensgroßen Skulptur des Gekreuzigten weglocken, um etwas Schlaf zu finden. Die Gottesliebe wird noch durch die Legende einer anderen Nonne verstärkt, die einst eine Jesus-Figur in libidinöser Absicht umarmt haben und dafür lebendig eingemauert worden sein soll. Susanna betrachtet diese Figur eher als Vorbild denn als abschreckendes Beispiel. Als zudem noch durch die warme Mainacht lustvolles Stöhnen eines Liebespaares dringt, gewinnt der immer mitschwingende sinnliche Anteil an der religiösen Liebe die Oberhand. Susanna sieht sich außer Stande, die jungen Leute zu maßregeln, reißt sich die Tracht vom Leibe und zieht die Jesus-Statue auf sich. Als dies die zum Gebet kommenden Nonnen sehen. verdammen sie Susanna unter vorgestreckten Kreuzen als "Satana"

In Bartóks "Herzog Blaubarts Burg" dagegen steht von vornherein die Liebe zwischen den Geschlechtern im Mittelpunkt. Judit (Katrin Gerstenberger) verlässt Eltern und Bräutigam, um Herzog Blaubart (Friedemann Kunder) in seine Burg zu folgen, obwohl sie von dem Gerücht gehört hat, dass er dort seine Frauen umbringt. In dem Haus entdeckt sie sieben verschlossene Türen und lässt nicht eher locker, als bis Blaubart ihr mit zunehmendem Widerstreben die Schlüssel einzeln ausgehändigt hat. Hinter einer Tür entdeckt sie Folterkammern, hinter der nächsten Kriegswaffen, eine andere führt zu Gärten, dann eine aufs weite Land des Herzogs. Die vorletzte Tür führt auf einen See aus Tränen - seiner Frauen - und die letzte schließlich, in der Inszenierung Meyer-Oertel als Sarkophag-Deckel ausgebildet, zeigt die bisherigen Frauen als "tote" Abbilder. Die Geschichte ist von hoher Symbolkraft, die Türen stehen für die Abschottung der männlichen Psyche gegenüber der Umwelt, vor allem den Frauen, und das hinter ihnen Verborgene für die Phantasie der Männer: Gewalt, Krieg, doch auch Freiheit und Schönheit, sowie die Frau als leidendes Objekt männlicher Begierden. Die Frauen ihrerseits ruhen nicht, bis sie alle Türen geöffnet haben, und machen dadurch ein Zusammenleben unmöglich- sieh "Lohengrin". So endet auch Judit in diesem Einakter wie die bisherigen Frauen als ein bloßes Erinnerungsbild.

Soweit die Handlung. Meyer-Oertel hat diese beiden so verschiedenen und doch so ähnlichen Stücke über die Klammer des Bühnenbildes verbunden. Eine hohe Gazewand trennt den vorderen Bühnenraum von dem rückwärtigen Teil, auf dem erhöht das Orchester unter Leitung von Stefan Blunier sichtbar agiert. Die Musik wird dadurch auch optisch Teil der Inszenierung, was dieser einen zusätzlichen Reiz verleiht. Denn tatsächlich spielt die Orchestermusik eine wesentlichere Rolle als in herkömmlichen Opern, wo sie eine mehr oder minder komplexe Handlung oft nur begleitet oder umspielt. Hier verdichtet die Musik selbst den eindimensionalen Handlungsstrang. "Eindimensional" bezieht sich hier weniger auf die Qualität als auf die Thematik. Die Musik zeichnet die Seelenzustände der Akteure bzw. die "Räume" der männlichen Psyche im Detail nach. Susannas sich steigernde Obsession, der stetige Übergang vom Geistigen zum Sinnlichen bis hin zum finalen Ausbruch finden sich in der Musik wieder, ja, die Gesangspartien stehen deutlich hinter der orchestralen Musik zurück, dienen nur als Korsett für die Handlung. Spielte man diese Einakter ohne Gesang, mit stummen Darstellern, so würde allein die Orchestermusik die Aussage verdeutlichen können. Das gilt auch und vor allem für "Blaubarts Burg", bei der sich die Musik sozusagen "von Tür zu Tür" ändert: die Folterkammer kommt mit drohenden, schmerzlich kreischenden Klängen daher, die Waffenkammer mit deutlichen Anklängen an Militärmusik, Garten und weites Land mit lyrischen und weit ausholenden Motivbögen. Zum Schluss dann fällt die Musik in düsteres Moll, wenn Blaubart wieder alleine davonzieht, die nächste Frau zu suchen.

Die handlungsarmen, doch expressiven Libretti verlangt von den Darstellern höchste Konzentration, ist ihnen doch kein Moment Leichtigkeit oder Entspannung vergönnt. In beiden Einaktern steigert sich die Spannung vom ersten Ton bis zur finalen Katastrophe, und diese Steigerung setzen alle Darsteller überzeugend um. Das gilt vor allem für Doris Brüggemann als Sancta Susanna und Katrin Gerstenberger als Judit. Beide haben die jeweils aktiven Rollen mit einer größeren Ausdrucksbreite zu bewältigen, während Elisabeth Hornung als Klementia und Friedemann Kunder als Blaubart eher passive, d.h. reagierende Rollen einnehmen. Im letzteren Fall ließen sich daran noch einige psychologische Betrachtungen über das Geschlechterverhältnis anschließen, diese würden jedoch den Rahmen der Rezension sprengen.

Allen Darstellern ist jedoch gemein, dass sie ihre Rollen glaubwürdig und überzeugend ausfüllten. Das Publikum erkannte die Leistung des Ensembles an und brachte dies durch kräftigen Beifall und diverse "Bravo"-Rufe zum Ausdruck. Ein "Programm-Renner" dürfte dieses Doppelpack angesichts des geringen "Unterhaltungswerts" jedoch kaum werden.