Frankfurter Rundschau
14. April 2003

Leuchtend rund sogar im Liegen
Die Oper nimmt Axel Cortis "La Traviata" mit Annalisa Raspagliosi wieder auf

Von Bernhard Uske

Eigentlich dienen Akt 3 und 4 immer nur der Ruhe nach dem Sturm: Violetta hat ihre Ohrwürmer bis hinauf in die gewagtesten Regionen geschraubt und lässt nun alle in eine wohlige Ausschwingphase gleiten. Im Angesicht der der Schwindsucht Anheimgegebenen erholt man sich allmählich und dankt vor allem für das furiose erste Drittel von La Traviata.

Annalisa Raspagliosi, das Zentralgestirn in der Wiederaufnahme der zehn Jahre alten Frankfurter Axel-Corti-Inszenierung, setzt da aber andere Prioritäten und lässt bereits im Glamour der ersten Bilder die fulminanten Koloraturen als das artistisch geadelte Hüsteln der längst von Krankheit Befallenen durchsichtig werden. Die vielen Liege-, Sitz- und Stützpositionen, die ihr dabei abverlangt werden, spielt die Italienerin ohne Rücksicht auf Verluste aus und das setzt sich nach der Pause fort. Jetzt erst, frei vom Vokalglitzer ihres Lebedamen-Daseins, wird diese leuchtend-runde Stimme, die uns die besten Zeiten des Frankfurter Hauses wiederzubringen scheint, offenbar. Jetzt wird die Figur - auf den harten Bänken eines Pariser Wartesaals zur Zeit der deutschen Besatzung - wirklich groß und Annalisa Raspagliosi ist die schönste Beglaubigung einer gelungenen Verdi-Individualisierung.

Zur Seite steht ihr mit ebenmäßigem, unforciertem Tenor der Alfredo Zoran Todorovichs, der sich in der ersten Szene des 2. Akts für den herunteroktavierten Schlusston entschied. Boris Statsenko war als Giorgio Germont für den erkrankten Anders Larsson eingesprungen und bot mit scharf konturierter, perfekt sitzender Stimme die warnend-besorgte Vater-Imago des verehrungsbereiten und hingebungsvollen Sohnes. Ideale Besetzungen auch in den kleineren Rollen.

Am Pult des nach der Carlo-Franci-Kur mittlerweile regelrecht mediterranisiert wirkenden Opernorchesters leuchtete ein feuerroter Kurzharrschnitt, der zu Karen Kamensek gehört. Schon nach den ersten Takten der Ouvertüre, diesem Monteverdi-Memorial, wo die Seufzermotive als chromatisiertes Streichermadrigal die genialische Verbeugung Verdis vor dem Stammvater aller Opern-Italianitá bekunden, war eine Luzidität und Weite der Klänge zu erleben, die allen Verdi-Ruch von sinfonischer Feuerwehrkapelle im Orchestergraben vertrieb. Jubel für zwei übervolle La Traviata-Stunden. Ovationen für Annalisa Raspagliosi.

• Nächste Vorstellungen: 18. und 21. April.

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Dokument erstellt am 13.04.2003 um 16:16:08 Uhr
Erscheinungsdatum 14.04.2003

 

Frankfurter Neue Presse
16.4.2003

An der Frankfurter Oper wurde Verdis "La Traviata" wieder aufgenommen.
Traviata frisch und lebendig

Von Ge

In seiner beliebten "Traviata"-Inszenierung lebt der tote Regisseur Axel Corti weiter. Seit 1991 kehrte sie zahllose Male zurück auf den Spielplan, auch nach fast zwölf Jahren wirkt das Geschehen auf der Bühne – mit dem großen Zirkuszelt im zweiten Akt als Höhepunkt – lebendig und frisch. So war denn auch der 100 000. Besucher zu begrüßen. Diesmal stand das Orchester unter der Leitung einer resoluten Frau: Karen Kamensek, die ihr musikalisches Temperament mühelos auf die Darsteller auf der Bühne übertragen konnte. Annalisa Raspagliosi verkörperte eine würdige Violetta, wenngleich manches in den extremen Höhenlagen nicht sicher klang. Ihr zur Seite stand mit Zoran Todorovich ein stimmlich ebenbürtiger Alfredo. Auch Jenny Carlstedt (Flora), Birgit Treschau (Annina) und der kurzfristig eingesprungene Boris Statsenko (Giorgio Germont) trugen zum Erfolg dieser "Traviata" bei.

 

JuNetz Magazin
april 2003

LA TRAVIATA: Wiederaufnahme an der Oper Frankfurt
Giuseppe Verdis Oper ist wieder in der Oper Frankfurt zu hören und zu sehen.

Von Gabriele Becker

Das Melodram mit Text von Francesco Maria Piavenach dem Drama La dame aux camélias (1852) von Alexandre Dumas d.J. gehört sicher zu den Oper-Klassikern.

Für den Regisseur Axel Corti (1933-193), der sich in seinem Filmen immer wieder mit dem Faschismus auseinander setzte und wiederholt das Schicksal von Emigranten gestaltete, stand Verdis Oper von Anfang an nicht im luftleeren Raum einer modernen Vergnügungsgesellschaft. Seine Inszenierung aus der Spielzeit 1991/92 transportiert Piaves Melodramma in das von der Hitler-Armee besetzte Paris der frühen vierziger Jahre. Auch bei Corti erscheint Violetta als Opfer ihrer immer gnadenloser werdenden Krankheit (Tuberkulose). Denn La Traviata befindet sich hier nicht nur im Spannungsfeld von zu wahrendem Schein und individueller Tragödie. Corti stellt die Protagonistin zugleich mitten in das dramatische Zentrum einer polarisierten Gesellschaft.

Die Titelpartie in dieser Wiederaufnahme singt die hervorragende junge italienische Sopranistin Annalisa Raspagliosi. Ihre schauspielerischen Leistungen verdeutlichen das kränkelnde an der Figur der Violetta. Das Publikum dankte es ihr mit Ovationen.

© 2003 JuNetz FFM

 

Magazin Frankfurt
April 2003

Oper Frankfurt: La Traviata

Der vor zehn Jahren verstorbene Regisseur Axel Corti hat sich in seinem Filmen (Santa Fe, An Uns Glaubt Gott Nicht Mehr) immer wieder mit dem Faschismus auseinander setzte und wiederholt das Schicksal von Emigranten gestaltete. Für ihn stand Verdis Oper La Traviat von Anfang an nicht im luftleeren Raum einer modernen Vergnügungsgesellschaft.

Seine Inszenierung aus der Spielzeit 1991/92 transportiert Piaves Melodramma in das von der Hitler-Armee besetzte Paris der frühen vierziger Jahre. Auch Corti sieht Violetta als Opfer ihrer immer gnadenloser werdenden Krankheit. Denn La Traviata befindet sich hier nicht nur im Spannungsfeld von zu wahrendem Schein und individueller Tragödie. Corti stellt die Protagonistin zugleich mitten in das dramatische Zentrum einer polarisierten Gesellschaft.

Die Titelpartie in dieser Wiederaufnahme singt die begnadete junge italienische Sopranistin Annalisa Raspagliosi, die gerade an der Oper Frankfurt mit großem Erfolg als Valentine in Meyerbeers Les Huguenots und die tragisch verliebte Nedda in Leoncavallos I Pagliacci gastierte. In der Rolle des Alfredo ist Zoran Todorovich, der dem hiesigen Publikum durch seine Auftritte als Lensky in Tschaikowskys Eugen Onegin bekannt ist, wieder an den Main zurück. Alternierend zu hören ist Matthias Zachariassen, der kürzlich mit viel Beifall als Tamino in Mozarts Die Zauberflöte in Frankfurt debütierte. Den Germont übernahm bei der Wiederaufnahme der russische Bariton Boris Statsenko, der als vielbeachteter Verdi-Interpret nach einem Engagements am Moskauer Bolschoi-Theater und der Chemnitzer Oper jetzt an der Deutschen Oper am Rhein unter Vertrag steht, für den erkrankten Anders Larsson. Mit ihm im Wechsel übernimmt diese Partie ˇeljko Lucic vom Ensemble der Frankfurter Oper, dessen Debüt an der renommierten Metropolitan Opera in New York bevor steht. Der Abend wurde am Dirigentenpult flott begleitet durch die Amerikanerin Karen Kamensek, in Frankfurt bereits sehr erfolgreich mit Brittens The turn of the screw in Erscheinung getreten ist, die in der kommenden Spielzeit als GMD an das Freiburger Theater geht. Bei weiteren Vorstellungen übernimmt Michail Jurowski, der hier erst kürzlich Puccinis Tosca wiederaufgenommen hat, die Leitung des Orchesters.

Ein besonderes Lob verdient nach wie vor das sehr vielseitige Bühnenbild von Bernt Kistner und die Kostüme von Gaby Frey.

Weitere Vorstellungen: 18., 21. April, 27., 30. Juni, 3., 5. Juli 2003.