Allgemeine Zeitung
03.11.2004

Singen, Starren
Musik-Projekt "Alexanderszenen" in Mainz


Mitglieder des Jungen Ensembles stellen im "Dramma
per musica" ihr großes Können in der Steinhalle des
Landesmuseums einmal mehr unter Beweis.
Foto: Martina Pipprich

Von Markus Häfner

Trinken. Singen. Starren. Fünf Stühle, fünf Personen. Die Minen so eiskalt und steinern wie die antiken Rundbögen im Hintergrund der Bühne. Zum Singen aber erhebt man sich, schiebt das Whiskyglas zur Seite, lockert den Schal oder knöpft das Jackett auf, tritt nach vorn an die Rampe, dorthin, wo wärmende Barockkadenzen aus der Orchesterparzelle dampfen. Empfindsames Tauwetter während der Arien, klirrende Eiszeit vorher und nachher. Das Musiktheaterprojekt "Alexanderszenen" - eine Koproduktion vom Mainzer Staatstheater mit der Villa Musica und den Musikfestspielen Potsdam Sanssouci - hatte bereits im Juni in Schloss Engers und in Potsdam Premiere.

Es ist eine Kammerfassung von Händels 1726 in London uraufgeführter Oper "Alessandro", der Georges Delnon schon in Engers ein betont steifbeiniges Regiekonzept umgeschnallt hatte. Nun, für die neue Spielstätte im Mainzer Landesmuseum, wurde dieses Konzept noch weiter reduziert. Das Ergebnis ist eine nur mehr halbszenische, beinahe konzertante Aufführung, die ihre Dramatik, Spannung und Emotionalität nur selten aus der Personenführung, statt dessen fast ausschließlich aus der musikalischen Ausgestaltung der Instrumental- und Vokalpartien gewinnt.

Das Orchester - von Michael Millard am Cembalo geleitet - besteht in dieser Kammerbearbeitung aus lediglich zehn Musikern, die sich trotz ihres modernen Instrumentariums zu einer barocktypischen Artikulation verpflichten: Elegant ihr Spiel in Auftaktnoten, grazil in Verzierungen, intonationssicher in terzparallelen Begleitstimmen. Die fünf Sänger sind allesamt Mitglieder des jungen Ensembles des Mainzer Theaters. Betsy Horne hat in der Titelrolle "Alexanders des Großen" im Vergleich zur Premiere in Engers noch an darstellerischer und stimmlicher Prägnanz hinzugewonnen: Ihr Mezzosopran klingt in den tiefen Koloraturketten ebenso klar und souverän wie in Spitzentönen.

Während Chen Wang die Partie der "Lisaura" schon im Juni mit ungemein raumgreifender, aber auch zu feinen Pianonuancen fähiger Sopranstimme gesungen hatte, wurde die "Rossane" in Mainz neu besetzt. Diana Schmid überzeugt in dieser Rolle mit großer Geschmeidigkeit in Koloraturen und sanftem Stimmtimbre im "Naturidyll": Diese Szene, in der die Inszenierung von der von Händel beabsichtigten Naturstimmung nur eine Gartenzeitschrift übrig lässt, gewinnt durch Schmids extrem zart gesponnenes Legato ihre romantische Stimmung zurück. Zuerst nur sehr zögerlich tupft Felix Uehlein die Countertenorpartie des Tassile in den Raum. Doch ermutigt ihn die dankbare Akustik der Steinhalle im Verlauf des Abends zu einer immer selbstbewussteren, lineareren und klangvolleren Intonation.

Frank Häser als Clito vergönnt die Partitur nur wenige Takte; er meistert sie mit sonorer, gelegentlich aber zu vibratofreudiger Bassstimme. Im Schlussensemble steht jeder für sich, die Fäuste geballt oder in den Hosentaschen: Delnon verweigert konsequent jede Andeutung einer Konfliktlösung, wohl weil auch das Libretto die Rivalitäten lediglich oberflächlich auflöst. Es bleibt dabei: Singen. Starren.

 

Frankfurter Rundschau
2. November 2004

Flasche leer
Barock-Rückschritt in Mainz mit Händels "Alessandro"

VON STEFAN SCHICKHAUS

Am Ende waren alle Flaschen des gut bestückten Barwagens leer, in Liebeslust und -frust geleert von den Solistinnen und Solisten der Kammeroper Alessandro. Man könnte es sich vielleicht schöntrinken, das halb szenisch gegebene Barockstück um den schlaffen Helden Alexander. Doch nüchtern betrachtet muss man sagen: Es war schwach, was das Staatstheater Mainz da an Barockleistung zustande gebracht hat. Dabei muss man nicht unbedingt von einer Mogelpackung sprechen - denn angekündigt war (und ist etwa auf den Internetseiten bis heute) eine szenische Realisierung unter der musikalischen Leitung des renommierten Händeloper-Experten Alan Curtis. Statt dessen gab es Konzertantes ohne Curtis und mit dem Mainzer Kapellmeister Michael Millard dirigierend am Cembalo. Und da wollte weder barocke Musizierlust noch der Eindruck einer wirklich sorgfältigen Einstudierung aufkommen.

Alessandro war eigentlich eine ganz gelungene Angelegenheit, zunächst. Aus der üppigen Händel-Oper dieses Namens hatte Alan Curtis eine auf die Hälfte reduzierte Kammerfassung erstellt, um sie im Sommer 2004 mit Stipendiaten der Mainzer Villa Musica und unter der Regie des Staatstheaterintendanten Georges Delnon einzustudieren und in den Schlössern von Engers und Potsdam aufzuführen. Jetzt wurde das Projekt wieder aufgenommen und auf das Format eines neuen Spielortes gebracht: Der Steinhalle des Mainzer Landesmuseums, wo antike Torbögen und Säulen für gute Atmosphäre sorgen. Die Sängerbesetzung, leicht modifiziert, gehört dem "Jungen Ensemble" des Staatstheaters an, ist also ein hoch qualifizierter Bühnennachwuchs. An ihnen lag es am wenigsten, dass die Alexanderszenen für das Staatstheater einen deutlichen Schritt zurück bedeuteten auf dem ansonsten so erfreulich eingeschlagenen Barockpfad. Vom Niveau früherer "Junges Ensemble"-Kammeropern war man so recht weit entfernt.

Allzu pauschal musizierten die Instrumentalisten des Opernorchesters, Michael Millards Continuo zeigte wenig Gespür für die Besonderheiten der jeweiligen Arien. Und zuviel ging schlichtweg schief: Der Bassist Frank Häser war bei seiner Auftrittsarie rein gar nicht auf das von Millard gegebene Tempo eingestimmt, die ansonsten mitreißend singende Chinesin Chen Wang verlor das Ende ihrer ersten Arie im Unbestimmten, Altus Felix Uehlein wurde im Sempre fido vom Orchester nicht von der A-Teil-Kadenz abgeholt - Pannen wie diese zogen sich vor allem durch die ersten 45 Minuten. Mag sein, dass es an Vorbereitungszeit fehlte und dass dieses Händel-Projekt keine große Rolle spielen durfte im Orchesteralltag. So aber tut man niemandem einen Gefallen, auch nicht den sich am Barocken erprobenden jungen Sängern.

Unter ihnen waren es besonders die Frauen, die auffielen: die Amerikanerin Betsy Horne als Alessandro, ein weicher Mezzo, nicht groß, aber dennoch überlegen, weil immer überlegt wirkend; oder eben die Sopranistin Chen Wang, der emotionale Aktivposten im Jungen Ensemble, Händels Koloraturenproblematik etwas druckvoll, aber erfolgreich lösend; oder Diana Schmid, Ensemble-Neuling mit fulminantem Einstieg.

Sie war es, die das Kammerspiel um Alessandros verkorkste Herzensangelegenheiten letztlich mit Hilfe des Barwagens zum für alle akzeptablen Ausgang brachte. Bis in die Zuhörerreihen kam sie damit leider nicht.

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Dokument erstellt am 01.11.2004 um 15:56:23 Uhr
Erscheinungsdatum 02.11.2004

 

Darmstaedter Echo
3.11.2004

Händel in der Bar
Musiktheater: „Alexanderszenen" in der Steinhalle im Landesmuseum in Mainz

Von Siegfried Kienzle

MAINZ. Fünf Stühle und eine reich mit Alkohol bestückte Hausbar – das muss genügen für die von Regisseur Georges Delnon nur dezent szenisch belebte Wiedergabe der „Alexanderszenen" von Händel. Mit dem Barockspezialisten Alan Curtis hat der Mainzer Intendant Delnon aus Händels Oper „Alessandro" eine Kurzfassung erarbeitet und als Projekt für den Sängernachwuchs bereits auf Schloss Engers und bei den Potsdamer Festspielen vorgestellt. Getragen wird diese Studienarbeit von der „Villa Musica" und dem Fachbereich Musik der Universität Mainz. Das Mainzer Landesmuseum ist nun die dritte Station des Projekts.

Die antiken Architekturteile im Museum kontrastieren reizvoll mit den fünf Figuren einer heutigen Party. Alexander der Große (Betsy M. Horne als Dandy in Smoking, doch mit noch wenig ausgeprägtem Mezzo) wird heftig umworben von der Sklavin Rossane und der skythischen Prinzessin Lisaura. Händel hat 1726 diese Rollen für die rivalisierenden Stars in seiner Londoner Oper komponiert, für die Primadonnen Bordoni und Cuzzoni.

In Mainz bringt der Mezzosopran von Diana Schmidt Leid und Hoffnung der Rossane sowie die jubelnden Koloraturen des Glücks zu imponierender Leuchtkraft. Die Sopranistin Chen Wang aus China schärft dramatisch die Eifersuchtsattacken der Lisaura. Musikalischer Glanzpunkt ist der technisch ausgereifte Alt von Felix Uehlein, der ausdrucksstark und makellos das Leid des unglücklich liebenden Tassile gestaltet.

Händels Orchesterstimmen bilden ein Streichquintett, drei Bläser und eine Theorbe. Michael Millard dirigiert vom Cembalo aus kammermusikalisch prägnant und klangschön.