Frankfurter Allgemeine Zeitung
4. Febbraio 2005

KLASSIK
Eine große Herausforderung: Johannes Debus Gounods "Faust"

Selten wohl verläuft eine Dirigentenkarriere so bruchlos-geradlinig: Nach Studienjahren in Hamburg kam Johannes Debus 1998 als Solorepetitor sogleich an die Frankfurter Oper. Schon ein Jahr später wurde ihm mit Henzes "Boulevard Solitude" eine anspruchsvolle Leitungsaufgabe zugetraut. Berios "Un re in ascolto", Strauss' "Frau ohne Schatten" und Sciarrinos "Macbeth" waren weitere Stationen eines erfolgreichen Aufstiegs: 1999 als musikalischer Assistent Carignanis, 2001 als Kapellmeister. Daß er am Sonntag um 18 Uhr im Frankfurter Opernhaus erstmals eine große Premiere übernehmen darf, empfindet er als Chance und Herausforderung; keine Schwierigkeiten bereitet es ihm, daß ihm mit Gounods "Faust" ein Werk anvertraut ist, das einerseits weltweit zu den meistgespielten Opern zählt, das aber auch gerade in Deutschland mit Mißtrauen und Kritik aufgenommen wurde. Debus hält dies für ein Mißverständnis und sieht seine Aufgabe darin, die besonderen Qualitäten der reich ausgestatteten Partitur zu entfalten. Als Beispiel demonstriert er die klangfarblichen Finessen des Quartetts im zweiten Akt.

Auf der Gratwanderung zwischen Drame lyrique und Grand opera, die sich in der Entstehungsgeschichte der Oper widerspiegelt, tendiert er zu ersterem, ohne die Vorzüge der späteren Fassung zu negieren; natürlich singt Valentin sein - nachkomponiertes - Gebet. Die Besonderheiten der Frankfurter Version sind etwa in der Walpurgisnacht-Szene zu erkennen, in der Mephisto sein Couplet singen darf. Insgesamt sollen auch die Elemente der Opera comique zur Geltung kommen. Spannend findet er die Zusammenarbeit mit Christof Loy, dessen Intentionen sich unmittelbar auf die musikalische Gestaltung auswirken. Auf die Frage nach prägenden Vorbildern nennt er neben seinem Hochschullehrer Klauspeter Seibel in erster Linie Carignani, der ihm wesentliche Einsichten in die Aufgaben eines Dirigenten vermittelt hat.

In den vergangenen Jahren konnte sich Debus auffallend oft mit Bühnenwerken des 20. Jahrhunderts profilieren. Neben den schon genannten gehören auch Ullmanns "Kaiser von Atlantis" und de Fallas "Retablo" wie auch Bergs "Lulu" dazu. Der junge Dirigent, der selbst nach einer strapaziösen Probe frisch und lebendig wirkt, bekennt, daß ihm der Umgang mit neuer Musik "viel Spaß macht", ohne daß er sich auf diese Produktionen einengen lassen will Als ebenso reizvolle Herausforderung sieht er etwa auch die Rolle des Pianisten, die er in Udo Samels szenischer Darstellung von Schuberts "Schwanengesang" glücklich ausfüllte; dies trotz der vielfachen Fachwechsel zwischen Tenor- und Baßlage. Ebenso wichtig ist ihm der Umgang mit der Frühzeit der Oper, ungeachtet der durch Spezialensembles rapid gestiegenen stilistischen Ansprüche. Sehr am Herzen liegt ihm Mozart, dessen Werke in Frankfurt derzeit recht gut vertreten sind. Neben der Oper "Cosi fan tutte", deren Wiederaufnahme er betreute, gilt dies für "Die Entführung aus dem Serail" und "Die Zauberflöte". Mehrere Aufführungen dieser Opern leitet er im März, den "Faust" im Februar insgesamt neunmal. Debus ist ein bei aller Lebendigkeit gelassener Gesprächspartner, der wohl auch seine musikalischen Partner eher durch ruhige Kompetenz als durch magistrale Gebärde, die ihm nicht gut anstünde, überzeugen dürfte. Ohne aufzutrumpfen, vermittelt er den Eindruck, daß er über den "Faust" hinaus in Frankfurt wichtige Aufgaben an sich herankommen sieht. Und es sieht so aus, daß er ihnen mit Sachverstand und Engagement zu begegnen weiß.

GERHARD SCHROTH

 

Frankfurter Rundschau
03. Febbraio 2005


Christof Loy über Auszeichnungen, Erwartungen und Gounods "Faust",
den er an der Oper Frankfurt inszeniert
(FR)

Der singende Mensch
Regisseur Christof Loy über Auszeichnungen, Erwartungen und Gounods "Faust", den er nun an der Oper Frankfurt inszeniert

Frankfurter Rundschau: Herr Loy, herzlichen Glückwunsch. Sie sind gerade zum zweiten Mal zum Regisseur des Jahres gewählt worden. Verändert das?

Christof Loy: Nein, es verändert mich nicht. Es ist auch nicht so, dass ich jetzt eine bessere Verhandlungsposition hätte oder mehr Geld fordern könnte. Dafür hat es mich noch mehr gefreut als beim ersten Mal. Ich denke immer, es gibt so viele gute Kollegen - dass die Wahl nun zweimal hintereinander auf mich fällt, damit habe ich nicht gerechnet.

Was macht Sie so gut?

Ich glaube, dass in den Aufführungen, die mir besonders geglückt sind, eine Energie zwischen den Sängerdarstellern und dem Publikum stattfindet, von der man fast dachte, dass es die gar nicht mehr gibt, dass sie einer alten Zeit angehöre. Dass ein Mensch sich singend auf der Bühne veräußert, das steht für mich vor allem anderen. Und manchmal meine ich auch, dass sich in gelungenen Inszenierungen meine ganz naive Freude der Kunstform Oper gegenüber auf die Zuschauer überträgt.

Ich frage mich, ob es da nicht auch gewisse Zyklen gibt? Phasen, in denen von Kritikern, Zuschauern, Intendanten eher ein Konzepttheater favorisiert wird, und Phasen, in denen Regisseure wie Sie, die so etwas wie dramatische Wahrheit suchen, in den Vordergrund treten?

Ich finde das schwer zu sagen. Was ist das denn, Konzepttheater? Ist Patrice Chereaus Ring Konzepttheater oder gerade nicht? Er ist eine der Aufführungen, die mich am stärksten beeinflusst hat - weil da nämlich eine ungeheure Wahrheitssuche stattfindet. Und zugleich steht ein Konzept dahinter, das inhaltlich und ästhetisch ein Stück hat neu erscheinen lassen. Aber er hat in allem, was er tat, sich inhaltlich und musikalisch abgesichert. Neueres Konzepttheater, wenn ich den Begriff jetzt mal gebrauche, macht das nicht immer. Gerade das empfinde ich manchmal furchtbar epigonal. Mir kommt das oft nur wie ein Bluff vor.

Als ich Sie während der Probe zu Gounods "Faust" beobachtete, fiel mir auf, dass Sie gegenüber Ihren Sängern oft einzelne Worte oder musikalische Gesten hervorheben, um ihnen ihre Handlungen verständlich zu machen. Sie begründen Ihre Arbeit, scheint es, immer im geschriebenen und/oder musikalischen Text. Ist das ein Grundmotiv Ihrer Arbeit?

Ich habe gerade gestern mit Johannes Debus, dem Dirigenten des Faust, darüber gesprochen. Im Grunde ist doch unsere Aufgabe, Übergänge zu klären. Die großen Emotionen sind ja letztlich klar und offensichtlich. Aber dem kleinen Zweifel, der sich der Freude beimischt, den kleinen Veränderungen und Schwankungen nachzugehen und sie plausibel zu machen, das ist das, worauf wir achten müssen.

Sie arbeiten sehr eng mit und an Ihren Sängern. Was erwarten Sie von ihnen?

Eine souveräne Beherrschung von Text und Musik. Das klingt jetzt so selbstverständlich, ist es aber nicht unbedingt. Ein Sänger muss darin vollkommen sicher sein. Denn der Text, sowohl der geschriebene als auch der musikalische mit seinen Crescendi, seinen Akzenten und so weiter, ist eine ungemein wichtige Inspiration für den Ausdruck einer Figur. Wenn ein Sänger die Musik voll erfasst und eine Phrase richtig singt, wenn er der Musik genau zuhören kann, wird er fast von selbst dorthin kommen, wo ich hin will. Und ich erwarte grundsätzlich einen Eigenanteil an Fantasie. Ich erwarte Lust, sich meine Vorgaben anzueignen und sie für sich weiterzuentwickeln. Für manche Sänger ist das zunächst schwierig. Es ist ihnen wie eine Last, ständig nachdenken zu müssen. Meistens kommt dann bald der Punkt, an dem sie das als Freiheit empfinden. Wenn nicht, bin ich allerdings auch in der Lage, für sie ein festes, choreographisches Gerüst zu entwickeln, an dem sie sich festhalten können.

Wie schnell erkennen Sie das?

Eigentlich sofort. Nach drei Minuten vielleicht. Manchmal ist das auch bei einem Sänger von Szene zu Szene verschieden.

Gibt es eigentlich so etwas wie Respekt oder gar Angst vor einem so großen Stoff wie dem "Faust"? Das ist ja immerhin das höchste deutsche Bildungsgut überhaupt.

Ich hätte mehr Respekt im unguten Sinn, wenn ich Goethe machen würde. Ich bin davon total befreit, weil ich Gounod inszeniere, eine Oper, die nur sehr bedingt etwas mit Goethe zu tun hat. Das, was Faust und Gretchen bei Gounod für sich entdecken, ist ja genau das, was Mephisto eigentlich verhindern will. Es hat kaum etwas mit Lust zu tun, es hat nichts Banales, sondern sie erfahren ein Gefühl von Transzendenz und Ewigkeit. Es ist etwas ganz Fleischloses, was gar nicht über Berührung geht, sondern mehr über das Wort. Margarethe sagt in der Liebesszene: "Parle, parle encore". Und nicht "Fass mich noch mal an". Ihrer Liebe wohnt etwas Religiöses inne. Sie erfahren sich gegenseitig als lebenden Gottesbeweis.

Mephisto hat sich mit Margarethe also die falsche Frau ausgesucht.

Unbedingt. Er hat sich einen Engel zur Gegenspielerin gemacht.

Kann der Faust immer und überall spielen?

Vielleicht. Ich wollte aber unbedingt eine soziale Konkretisierung. Das kommt auch aus einem gewissen Unbehagen gegenüber Aufführungen, die vor allem das Fantastische, die Magie betont haben. Da habe ich die Menschen nicht mehr gesehen, ihre Sehnsüchte, ihre Beweggründe. Alles wurde amorph. Es sind letztlich ja sehr nachvollziehbare Grundmotive: ein alter Mann, der Angst vor sozialer Isolation hat, vor dem Tod und dem, was danach kommt: Gibt es nun einen Gott oder nicht? Um die Nöte dieser Menschen zu verstehen, musste ich das Umfeld ganz konkret fassen.

Hilft das nicht auch der Musik, die ja den zweifelhaften Ruf nicht los wird, vor allem dekorativ zu sein?

Ja. Auch die Psychologisierung, die in der Musik ja drin ist, rückt so in den Vordergrund und schiebt das Atmosphärische beiseite.

Im vergangenen Jahr haben Sie in Frankfurt Mozarts "Entführung aus dem Serail" inszeniert. Sie sagten damals, Sie könnten von Mozart enorm viel lernen, von seiner Beobachtungsgabe, von der Wahrheit des Menschen in seiner Musik. Was reizt Sie nun an Gounod?

Gerade in den wichtigen Szenen, etwa in der Begegnung Fausts mit Margarethe im dritten Akt, ist das ähnlich. Gounod geht überhaupt nicht klischeehaft mit Gefühlen um. Andererseits reizt es mich, gerade für das Vordergründige etwa der Kirmesszene einen Raum zu finden, in dem genau dieses Vordergründige als wahrer Ausdruck der Musik erscheint. Und manchmal reizt es auch einfach, einen szenischen Kontrapunkt auf die Bühne zu stellen. Gounod zu inszenieren ist fast schwieriger als Mozart.

Weil Sie bei Mozart durchweg mit der Musik gehen können und sich bei Gounod manchmal dagegen stemmen müssen?

Ja. Bei Gounods Faust gibt es sehr viel mehr Klippen, die ich aber auch so bewusst anvisiere.

Interview: Tim Gorbauch

INTERVIEW.
Christof Loy inszenierte im vergangenen Jahr an der Oper Frankfurt Mozarts "Entführung aus dem Serail", einen der großen Erfolge der Saison. Sein Ringen um dramatische Wahrheit und seine ungemein genaue Arbeit mit seinen Sängerdarstellern macht aus Loy einen der derzeit interessantesten Opernregisseure überhaupt. Kürzlich wurde er von den Kritikern der Fachzeitschrift "Opernwelt" zum zweiten Mal in Folge zum Regisseur des Jahres gekürt. Nun inszeniert Loy in Frankfurt Charles Gounods "Faust". Premiere ist am 6. Februar, 18 Uhr, weitere Termine: 9., 11., 13., 16., 18., 20., 25., 27. Februar (Karten-Tel. 069/13 40 400). Gor

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Dokument erstellt am 02.02.2005 um 16:49:17 Uhr
Erscheinungsdatum 03.02.2005