Frankfurter Rundschau
29. September 2005

"Die Burgen bröckeln"
Regisseur Claus Guth über die Probleme idealen Musiktheaters

Frankfurter Rundschau: Herr Guth, Sie sind 1964 geboren und im Frankfurt der Gielen-Ära aufgewachsen. Wie bewusst haben Sie die miterlebt?

Claus Guth: Ich war ein paar Mal als Jugendlicher mit meinen Eltern in Wiesbaden in der Oper. Das fand ich furchtbar. Ich hatte überhaupt keinen Zugang und wollte das eigentlich nicht weiter überprüfen. Dann bin ich aber doch noch mal mitgegangen, diesmal nach Frankfurt. Es war eine Ruth-Berghaus-Inszenierung, ich glaube, es war Siegfried. Ein wahnsinniges Erlebnis, ich war geradezu geschockt davon, wie emotional das Publikum auf eine Regiearbeit, auf eine Operninszenierung reagierte. Ich war auf eine Art begeistert und aufgeregt, wie ich es nicht für möglich hielt. Und dann bin ich immer wieder hin.

Wie alt waren Sie da?

Als alles begann, vielleicht 14, 15.

Spürten Sie da schon die Macht des Regisseurs?

Ich bekam eine erste Ahnung davon, denn was ich auf der Bühne sah, war eine rätselhafte Welt mit eigenen Gesetzen, in die man hineintauchen konnte - das hat mich fasziniert.

Wie war es, als Sie später merkten, dass der Geist, der damals an der Oper Frankfurt herrschte, nicht die Regel ist?

Ich ging zum Studium nach München, zunächst an die Uni, dann an die Musikhochschule, um Opernregie zu studieren. Dabei arbeitete ich auch an der Oper München, zur Sawallisch-Zeit, die musikalisch großartig war, aber szenisch vollkommen uninspiriert. Das war, nachdem ich Frankfurt erlebt hatte, für mich die Hölle.

Wie gingen Sie damit um?

Ich entwickelte eine geradezu wütende Lust, anders mit Stücken umzugehen. Es musste einfach andere Lesarten geben, als ich sie da sah. Dann fragte mich zufällig ausgerechnet Axel Manthey, ob ich sein Assistent werden wollte. Damit schloss sich ein Kreis, denn Manthey war ja der Bühnenbildner, der die Ästhetik von Ruth Berghaus in der Gielen-Frankfurt-Zeit prägte.

Haben Sie den Geist der Frankfurter Ära an anderen Häusern als Regisseur erlebt?

Eigentlich nicht. Aber vielleicht idealisiere ich das auch maßlos, ich habe das ja nur als Zuschauer erlebt. Es gibt immer wieder mal Momente, in denen ich spüre, dass es so im Idealfall doch immer funktionieren müsste: eine Gleichgewichtung von musikalischer Leitung, Dramaturgie, Regie, Bühne, Sängern. Aber das ist dann oft nur die Stimmung in einer Produktion, selten aber ein konstanter Geist.

Wer bestimmt einen solchen Geist?

Die handelnden Personen. Die können sich über Strukturen hinwegsetzen beziehungsweise sie neu definieren.

War das vor 30 Jahren leichter, weil die Oper da noch selbstverständlicher in die Gesellschaft eingebunden war als heute? Weil die Bereitschaft, sich durch einen Opernabend provozieren oder sagen wir besser: herausfordern zu lassen, größer war?

Ja, klar. Neulich staunte ich wieder über einen Satz eines designierten Intendanten, der jetzt erst einmal heraushören möchte, welche Art Theater die Bevölkerung der Stadt sehen will. Man ist da ganz ähnlich wie in der Politik auf der Suche nach Mehrheiten und hört demoskopisch ins Volk hinein. Dabei wird ja auch ganz auffällig an Auslastungszahlen gedreht so wie das die Politik mit ihren Arbeitslosenzahlen tut. Die Widerstandsburgen bröckeln.

Wie müsste das ideale Theater denn aussehen?

Für mich müssten im idealen Theater verschiedene Formen gleichberechtigt existieren dürfen: Einerseits das durchdachte und sinnliche Musiktheater, das nicht nur intellektuell ist, sondern in dem eine zwingende Konzeption mit einer hoch emotionalen Umsetzung zusammen findet. Andererseits: Uraufführungen - es zeichnet sich ja auch bei den Komponisten ab, dass sie ihren Elfenbeinturm wieder verlassen, dass Zeitgenössisches und Publikum wieder aufeinander treffen. Ich hatte das neulich in München am Gärtnerplatztheater erlebt: eine Uraufführung eines armenischen Komponisten, Das Beben von Awet Terterjan. Die ungeheuerliche Wirkung dieser Musik hatte sich herumgesprochen und so war plötzlich ein ganz neues Publikum in der Oper. So etwas gibt dann Hoffnung für die Zukunft.

Aber wie schmal ist der Grat zwischen dem Wunsch nach Begegnung von Zeitgenössischem und Publikum und dem Intendanten, der erst einmal in die Stadt hineinhört, um zu erfahren, was man sich dort für ein Theater wünscht?

Ich denke, der ist nicht so schmal. Begegnung meint ja keinen Kompromiss, kein Eingeständnis. Es geht unverändert darum, dass man etwas Zwingendes, Eigenständiges schafft, das durch seine Qualität begeistert. Nur das rechtfertigt auch überhaupt die Subventionierung. Und alles andere wäre auf lange Sicht für das System Theater tödlich.

Sie haben vor zwei Jahren in Bayreuth den "Holländer" inszeniert. Zur gleichen Zeit kündigte Wolfgang Wagner Regisseure wie Schlingensief oder Lars von Trier an. Das führte zu einer Polarisierung, in der sie plötzlich als "solider Handwerker" bezeichnet wurden.

Es war schon merkwürdig damals. Bevor Schlingensief und Lars von Trier in Bayreuth präsentiert wurden, war mein Name mit Erneuerung verbunden. Und plötzlich wurde das alles umgedeutet. Von heute auf morgen war ich der "Streber", da ich schon zuvor Opern inszeniert hatte.

Hat Sie das geärgert?

Ja. Alles andere wäre gelogen. Ich finde das Vokabular auch einfach unpassend.

Sie haben Opernregie studiert, parallel Tonsatz und Harmonielehre. Sie haben früh assistiert. Wie wichtig ist das Handwerk für Sie?

Es reicht nicht, nur einen atmosphärischen Teppich über ein Stück zu legen. Handwerk bedeutet akribische Vorbereitung, genaue erzählerische Linien. Handwerk schränkt einen neuen Blick ja nicht ein. Im Gegenteil: Berghaus, Neuenfels, das alles waren große Handwerker. Handwerk ermöglicht es mir, einen neuen Blick umzusetzen. Und ich scheue mich auch nicht, mich als einen Regisseur zu beschreiben, der sehr von der Musik herkommt, und als einen, der erzählen will - erzählen im Sinne des Entdeckens der Geheimnisse unter der Oberfläche.

Gibt es eigentlich für Sie als Regisseur ein Leben vor und nach Bayreuth? Sind Sie jetzt gefragter, haben Sie eine freiere Stückwahl, eine bessere Verhandlungsposition dem Intendanten gegenüber?

Bayreuth war nicht der markante Einschnitt. Ich habe davor schon zweimal bei den Salzburger Festspielen inszeniert, das hatte größere Auswirkungen. Mit der Zeit bin ich freier geworden, selbstbewusster, unabhängiger im gewissen Sinn. Meine Risikobereitschaft jedenfalls, das spüre ich, ist noch einmal gewachsen.

Interview: Tim Gorbauch

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Copyright © Frankfurter Rundschau online 2005
Dokument erstellt am 28.09.2005 um 17:12:51 Uhr
Erscheinungsdatum 29.09.2005

Interview
Claus Guth gilt als einer der profiliertesten Opernregisseure der jungen Generation. Der gebürtige Frankfurter hat an allen wichtigen Opernhäusern gearbeitet, darunter in Salzburg. 2003 debütierte er mit einer viel beachteten Neuinszenierung des "Fliegenden Holländers" bei den Festspielen in Bayreuth. An der Oper Frankfurt bringt er nun als Debütarbeit Verdis "Maskenball" auf die Bühne. Es dirigiert Paolo Carignani. Premiere ist am Sonntag, 2. Oktober, 18 Uhr. gor

 

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2. Oktober 2005

Oper Frankfurt
Giuseppe Verdi: "Un Ballo in Maschera (Ein Maskenball)"

Mit dieser Verdi-Oper gibt der 1964 in Frankfurt geborene Regisseur Claus Guth sein Hausdebüt und bringt damit Liebe, Hass, Intrigen und Mord auf die Bühne der Oper Frankfurt. Am 2. Oktober feiert der "Maskenball" seine Premiere.

Tödliches Schicksal verbindet sich mit sprudelnder Leichtigkeit aus der Tradition der französischen Opéra-comique, Komisches und Tragisches stehen dicht nebeneinander. Riccardo, gegen den eine Verschwörung im Gange ist, ist in unerfüllter Liebe zu Amelia, der Frau seines Freundes Renato.

Amelia erwidert seine Gefühle. Um sich jedoch aus dem inneren Widerstreit zwischen der Liebe zu ihrem Ehemann und ihren Gefühlen zu Riccardo zu befreien, erbittet sie von der Wahrsagerin Ulrica ein Mittel. Als Renato eine geheime Liebschaft zwischen Amelia und Riccardo vermutet, schließt er sich blind vor Eifersucht den Verschwörern an.

Die Mitwirkenden

Regisseur Claus Guth 2003 inszenierte bei den Bayreuther Festspielen den "Fliegenden Holländer" und gilt seither als einer der renommiertesten Regisseure der jüngeren Generation. Zu seinen letzte Arbeiten gehören Dukas’ "Ariane et Barbe-Bleue" in Zürich, "Rossinis Il barbiere di Siviglia" in Basel und Mozarts "Lucio Silla" bei den Wiener Festwochen.

Unter der musikalischen Leitung Paolo Carignani hat sich ein internationales Sängerensemble versammelt: Silvana Dussmann (Amelia) stellte sich dem Frankfurter Opernpublikum bereits als Kaiserin in Strauss’ "Die Frau ohne Schatten" vor. Diese Partie führte die Österreicherin zudem nach Brüssel, Chrysothemis (Strauss’ "Elektra") sang sie in München und Bellinis Norma in Berlin. Komplettiert wird das Ensemble durch den italienisch-südamerikanischen Tenor Carlo Ventre (Riccardo), den Italiener Marco Vratogna (Renato) sowie die ungarische Mezzosopranistin Ildikó Szönyi (Ulrica) vom Aalto-Theater Essen. (vapo)

 

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2. Oktober 2005

PREMIERE "UN BALLO IN MASCHERA"
Wundertüte der Theatermittel

VON STEFAN SCHICKHAUS

Die "Rheinische Post" hatte damals die hübscheste Überschrift gefunden: "Hitchcockolores". Damit betitelte sie ihren Verriss der "Holländer"-Umsetzung von Claus Guth bei den Bayreuther Festspielen 2003, wegen der Vogelschwarm-Projektionen auf Heizkörpern. Ob "etwas roh gezimmerte Psychokiste" oder "glänzend ausgefeilte und intelligente Inszenierung", Claus Guth versteht die Medien zu polarisieren. Spätestens sein tiefer Bayreuther Griff in die Wundertüte der Theatermittel machte klar, dass dieser 41-jährige Regisseur einer ist, der mit dem Brechen von Konventionen keinerlei Probleme hat und ebenso wenig mit dem Setzen von Ausrufezeichen.

Der gebürtige Frankfurter Guth inszeniert nun zum ersten Mal hier am Opernhaus, mit Giuseppe Verdis "Maskenball" hat er ein musikalisch zwar blendendes, szenisch aber nicht leicht in den Griff zu bekommendes Standardwerk der Opernliteratur abbekommen. Unter den Solisten sind vor allem Gäste, doch kennt man sie schon von anderen Frankfurter Produktionen: Silvana Dussmann (Bild ...) war die Kaiserin in "Die Frau ohne Schatten", Carlo Ventre gab den "Tosca"-Cavaradossi, Marco Vratogna war dort sein Gegenspieler Scarpia. Am Pult steht natürlich GMD Paolo Carignani, denn mit Verdi-Partituren kennt er sich aus wie nur wenige andere.

 

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Dienstag, 4. Oktober 2005

Verdi in der Bankenwelt
Eine spektakuläre Maskenball-Inszenierung an der Frankfurter Oper

Verdis „Maskenball" verlegt ins Wahlkampfbüro eines Politikers? Ein Hauptdarsteller, der aussieht wie Joseph Ackermann, Chef der Deutschen Bank? Die Oper Frankfurt provoziert mal wieder.

Das Premierenpublikum reagiert:
- „Das ist nicht cool."
- „Nein, Nein!"
- „...weil sich das nicht gehört, dass man hier nicht Herrn Ackermann vorführen soll."
- „Eine Person des öffentlichen Lebens steht im Leben, also muss sie sich auf der Bühne wiedersehen lassen."

Verdis Riccardo ist in der Frankfurter Inszenierung ein Siegertyp, der sich jetzt noch feiern lässt. Am Ende aber wird er ermordet.Ein Spiel mit Ähnlichkeiten. Ist das legitim?
Das Publikum:
- „Das ist o.k."
– „Nein, überhaupt nicht."
- „Ich kenne Herrn Ackermann ganz gut, so sieht er nicht aus."
- „Ich habe die Ähnlichkeit gesehen, ich hab keinen Moment daran gedacht, dass wir das darauf zu beziehen haben, wirklich nicht."
- „Da kann er ja nichts zu, dass er ein rundes Gesicht und ein dunkles hat. Ich glaube, Herr Ackermann sieht auch ganz anders aus."
– „Vielleicht ist es auch Herr Gabriel."

Und was sagt die Frau eines Ex-Bankenchefs und Mutter des Regisseurs? „Überhaupt auf die Idee zu kommen, dass das Herr Ackermann sein könnte, hat nur mit der zufälligen Ähnlichkeit des Sängers zu tun."

Die Inszenierung lässt verschiedene Deutungen zu. Zufall oder Absicht? „Das ist ein Zufall," sagt Regisseur Claus Guth, "und das passt gut, es hätte auch jeder andere Politiker sein können. Ackermann hatte ich nicht im Visier."

Egal, ob Wirtschaftsboss oder Parteiführer: Claus Guth transportiert Verdis Held Riccardo in die Machtzentralen von heute. Ein Mann in Bedrängnis. Ihm droht der Verlust der Macht. Der kühle Stratege gleitet ab ins Irrationale. Er sucht Rat bei einer Putzfrau, die magische Fähigkeiten besitzen soll. Riccardos rationale Welt bekommt Risse.

Claus Guth: „Wo trifft man heute eigentlich das Absurde, das Irrationale? Das trifft man nicht, in dem man zu irgendwelchen wilden, verwegenen Orten geht, sondern das trifft man im Zweifelsfall im Stockwerk unter sich oder hinter der nächsten Tür."

Die Wahrsagerin Ulrica hat in der Inszenierung von Claus Guth alles Exotische verloren. Sie ist eine Putzfrau, die ihre Hexenkreise mit Scheuerpulver zieht. Die Menge lauscht gebannt: mittleres Management auf Motivationsseminar.
Und wiederum eine Stimme aus dem Publikum:
- „Man fühlt sich richtig wohl, wenn man das sieht. Das ist eine Authentizität, die man in der Oper nicht vermutet."

Die Wahrsagerin hat Riccardos Tod prophezeit. Er schlittert in die Katastrophe, sucht Halt bei Amelia, seiner heimlichen Liebe. Doch Sicherheiten gibt es keine in der Eiswüste der Macht.
Das Publikum:
- „Begeisternd, unglaublich spannend, überzeugend."
- „Fabelhaft."
– „Man muss es auch nicht so sehen, dass man da direkt einen Bezug zu Personen herstellt."

Wer der Mann auf dem Plakat nun wirklich sein soll – diese Frage tritt im Verlauf der Inszenierung in den Hintergrund. Der Regisseur vermeidet platte Eindeutigkeiten, spielt mit den Assoziationen. Die Musik ist brillant in Szene gesetzt, das Bühnenbild spiegelt die brüchige Innenwelt der Figuren: die Leere hinter der Fassade.

Riccardo hat den Boden unter den Füßen endgültig verloren. Er ist nur noch ein Schatten seiner selbst. „Der klare Weg in die Zukunft", wie es das Riesenplakat auf der Bühne zeigt, hat sich als Luftblase erwiesen.

Claus Guth: „Dies ist ein Versuch, zu zeigen, wie diese ganzen Bürowelten, die wir hier im Hintergrund sehen, diese Stockwerke, die man sieht, das sind keine wirklichen Architekturen, das sind Scheinarchitekturen, es gibt eine Fassade und da drin sind künstliche Wände, künstliche Decken, dahinter sind Kabel und Lüftungsschlitze, aber nichts ist da wirklich Substanz."
Der Machthaber will nicht einsehen, dass er schon längst verloren hat. Ende einer Karriere. Claus Guth macht Verdis Maskenball zu einem Stück von heute. Begeisterter Applaus im Parkett, einzelne Buhs von den Rängen. Ein großer Abend in der Oper Frankfurt.

Bericht: Manfred Scheyko