CORRIERE DELLA SERA
sabato, 28 gennaio, 2006

MUSICA LIRICA RAPPRESENTAZIONI
Un Tito strehleriano
E tutta la Germania abbraccia Amadeus

FRANCOFORTE. Idomeneo a Vienna, Finta giardiniera a Salisburgo e Zurigo, Figaro a Dresda, Don Giovanni a Magonza e Basilea, Così fan tutte a Hannover, Ratto dal serraglio a Berlino, Flauto magico a Monaco e Clemenza di Tito a Francoforte, per non dire della moltitudine di concerti organizzati in ogni dove e del prossimo Festival di Salisburgo tutto mozartiano: nei paesi di lingua tedesca il 250° anniversario della nascita del sommo tra i musicisti della nostra civiltà dà vita a un' orgia di nuove produzioni che impegna centinaia di artisti e si rivolge a migliaia di persone.

È un fatto anche mediatico senza precedenti per la musica d' arte. E seppur non manchino i toni sopra le righe, come ammonisce Harnoncourt, la circostanza fa riflettere, anche perché è dimostrato che il nume mozartiano va catturando un pubblico sempre più giovane e numeroso. Merito, certo, dei più importanti interpreti che calcano oggi le scene musicali e merito soprattutto dell' immediatezza, della naturalezza, della paradossale "facilità" del genio di Salisburgo - ecco il miracolo: dire le cose più profonde sull' uomo nella maniera più semplice -; ma merito anche di un teatro di regia che, sia pure tra alti e bassi, è diventato capace di raccontare queste verità senza luogo e senza tempo con un linguaggio visivo e gestuale moderno, che all' occorrenza sfrutta le risorse tecnologiche dei mezzi cinematografici, televisivi e informatici per rendere efficace e diretta "la cosa".

C'è poi chi si fa prendere la mano, come nel Così di Hannover dove Ferrando e Guglielmo appaiono vestiti da astronauti o nel Ratto di Berlino ambientato nel set di un film porno. Ma non è il caso dell'eccellente Clemenza di Tito che ha debuttato ieri sera ad Oper Frankfurt con Paolo Carignani sul podio e Christoph Loy, "regista dell' anno" (negli ultimi due anni) per la critica tedesca. È un Titus - come dicono qui - ambientato al giorno d'oggi ma per distinguere la dimensione del pubblico e del privato, il protagonista veste l'abito dell'imperatore romano quando deve apparire tra la folla.

È spettacolo intelligente, con un tipo di recitazione che ricorda i modi e i tempi strehleriani. Che sono dettati dalla musica, e in particolare dai rigogliosi recitativi secchi realizzati da Paolo Venanzoni con fortepiano e il violoncello di Johannes Oesterlee. Buono il cast: ottimo il Sesto di Alice Coote e il Tito di Kurt Streit, insufficiente solo la Vitellia di Silvana Dussmann. Ma tutto funziona bene per il serrato ritmo drammatico e la leggerezza (ma con tanta energia) del suono orchestrale di Carignani, che si rivela apostolo di quel moderno tipo di interpretazione mozartiana influenzata dai canoni del tardobarocco italiano. Successo vivissimo.

Enrico Girardi

 

Frankfurt Rundschau
30.01.2006

Konfusion der Güte
Paolo Carignani und Christof Loy mit "La clemenza di Tito" zum Mozartgeburtstag an der Oper Frankfurt

VON HANS-KLAUS JUNGHEINRICH

Was die Präsenz Mozarts an den Opernhäusern betrifft, so sind aus den "großen Fünf" längst die "großen Sieben" geworden, doch schwerer als mit dem genialisch-vielgestaltigen Idomeneo tut sich die Rezeptionsgeschichte mit dem Seria-Spätling La clemenza di Tito, der, ungeachtet der Nachbarschaft mit der Zauberflöte, als gemeinsame musikalische Schnittmenge mit diesem populären Stück kaum auch nur ein Dutzend Takte aufweist. Selbst der Mozartnarr und Idomeneo-Fan Richard Strauss machte um die Titusoper lieber einen Bogen.

Anstößig ist natürlich heute die faustdicke Güte des bedrängten Titelhelden, jene aufgeklärte Kunst der Freundlichkeit, Mäßigung und Selbstbeherrschung, die unsere Weimarer Klassiker als humanitär-politische Zukunftskraft so ernst beim Adel anmahnten. Demonstriert sich das (im Rahmen einer Huldigungsoper an den gerade amtierenden Kaiser) als Theatralisierung gusseiserner Tugendboldhaftigkeit, wird's fad oder unfreiwillig komisch. Mit parodistischen Glossierungen zwinkern sich die meisten modernen Interpreten durch das Werk. Regisseur Christof Loy, mit der (auch für das Wiener Mozartjahr bestimmten) Neuproduktion an der Oper Frankfurt betraut, tat das kaum.

Am ehesten noch in einem "Fototermin" zum kleinen Einzugsmarsch ziemlich am Anfang, einer etwas isoliert bleibenden Szene, mit der der Fakt Römer- und Kostümoper schnell abgehakt war. Ansonsten heutiges Dekor: leise klassizistisch angetöntes Schlosshotelzimmer (aber mit amerikanischem Standard) in der Eingangsszene des verschwörerischen Liebespaares Vitellia / Sextus. Späterhin durchweg "Hinteransichten" von offenbar nicht existierenden Repräsentations-Örtlichkeiten. So führte die von Herbert Murauer rege genutzte Drehbühne einmal Kantinen-Ödnis vor Holzwänden, auf der anderen Seite gerümpelige Abstellflächen vor.

Gespannte Stille, stumme Erwartung

Christof Loys Personenregie war vom ersten Moment an exzellent durchgearbeitet und hatte zum Schluss hin eine sich verstärkende Sogkraft. Dabei spielten auch bedeutungsvolle Pausen eine große Rolle. So im zweiten Akt nach dem Terzett Sextus / Titus / Publius. Es kommt zur entscheidenden Begegnung des verräterischen Freundes Sextus mit dem schmerzlich enttäuschten Titus. Der Betrogene sitzt in stummer Erwartung am Tisch, Sextus braucht unendlich lange, um ihm gegenüber endlich Platz zu nehmen, während Publius im Hintergrund die gespannte Stille dadurch unterläuft, dass er rumpelnd Stühle auf die Tische stellt. In das beklemmende Schweigen fährt Johannes Oesterlees leiser, vibratoloser Continuo-Violoncelloton wie ein stumpfes Messer hinein. Eine weitere Steigerung bedeutet hernach Vitellias Arie, mit der sie, die bis dahin massive Egoistin, ihre Kaiserinnen-Karriere opfert, um den ergebenen Sextus vor dem Tode zu bewahren. Über die musikalische Vorlage hinaus (denn die Arie, mit Verlaub gesagt, zählt keineswegs zu den inspirierteren psychologischen Finessen Mozarts) lenken Loy und die wunderbare Sängerdarstellerin Silvana Dussmann diese Strecke in eine veritable, nervenkitzelnde Wahnsinnsarie à la Lady Macbeth, Zarenbraut oder Lucia di Lammermoor.

Loy konterkariert schließlich das fade, ja fatale Jubelfinale, aber nicht durch dümmlich-unwürdige Veralberung, sondern durch den Eindruck von Konfusion. Da so viel Güte und Eintracht sichtlich nicht auszuhalten sind, begeben sich die Akteure, Titus allen voran, auf die Flucht, irren taumelnd durch die Gänge und Kavernen der wie ratlos daherfahrenden Drehbühne - ein offenes, unordentliches Ende, vieldeutige Infragestellung einer gerade mit dem Anschein zementierter Großherzigkeit suspekten Autoritätsversicherung. Hier wird nun alles als schwankend, unsicher, einsturzgefährdet imaginiert.

Fast alle Vokalsolisten debütierten in ihren Rollen, geradezu ein Indiz für unverstellte Personencharakteristik. Loys Begabung, Sängerpotentiale dramaturgisch optimal prägnant zu mobilisieren, ist enorm. Silvana Dussmann machte so auch stimmliche Kanten und Schärfen zu hochexpressiven Merkmalen der machtgierigen Vitellia. Der Sextus von Alice Coote schien, umgetrieben von widersprüchlichen Emotionen, immer auf dem Sprung, ein aparter Kontrast zu der klaren, ruhig geführten Altstimme. Mit knappen Strichen lebhaft animiert der Annius von Jenny Carlstedt und der Publius von Simon Bailey. Die vorherrschend legere Yuppie-Kleidungsstrategie Murauers wurde bei der betont mädchenhaften, zart-verhalten intonierenden Servilia von Britta Stallmeister durchbrochen.

Akzente mit dem Hammerklavier

Ein besonderes Gesicht gewann die Aufführung auch durch die Mozart-Handschrift Paolo Carignanis. Bereits bei der ungemein flink angegangenen Ouvertüre zerstreuten sich alle Zweifel, ob diese Musik nicht doch von Gluck sei. Die Anspitzung der Tempi und Klangkonturen (hell-unschwammiges Paukentimbre) hatte mitunter fast eine Drift zum Karikaturistischen, doch wurde das dann wohltuend wieder aufgefangen durch lyrisches Ausholen und erfüllte Beruhigungen (erster Aktschluss).

Geradezu fabelhaft die spielerisch-elegant auch mit motivischem Material daherwirbelnden Rezitative, akzentuiert von Felice Venanzonis Hammerklavierpart. Auch von den größten Mozart-Experten ist Tito niemals weniger langweilig zu hören gewesen.

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Copyright © Frankfurter Rundschau online 2006
Dokument erstellt am 29.01.2006 um 16:12:01 Uhr
Erscheinungsdatum 30.01.2006

 

Neue Zürcher Zeitung
4. Februar 2006

Lieben und Leiden
"La clemenza di Tito" von Mozart in Frankfurt

Es beginnt gediegen: in einem luxuriösen Hotelzimmer mit Louis-XV-Doppelbett. Hier treffen sich Vitellia und Sesto zum Rendez-vous, streitend von Beginn an, denn Vitellia, deren Heiratsaspirationen auf Tito sich zerschlagen haben, verlangt von Sesto, dass er den Kaiser - seinen Freund und Protektor - umbringt, Sesto aber schiebt den Vollzug der Tat immer wieder hinaus. Das zweite Bild zeigt Tito auf der Höhe der Macht, während einer kurzen Huldigungsszene, die als Fototermin in antik-römischer Drapierung vonstatten geht, bevor der Herrscher die Rüstung ablegt und zum gewöhnlichen, durchaus heutigen Menschen wird. Dann führt uns der Ausstatter Herbert Murauer hinter die Kulissen.

In einem Lagerraum bedenkt Sesto, hin und her gerissen zwischen Leidenschaft und Freundestreue, seinen Attentatsplan, derweil Vitellia, die nun doch Kaiserin werden soll, nach ihm sucht. Das Kapitol steht in Flammen, Menschen flüchten (etwas theatralisch) vor Feuer und Rauch. Der Kaiser bleibt unversehrt, doch Sesto wird als Urheber des Anschlags entdeckt. Als sein Tod besiegelt scheint, gesteht Vitellia ihre Schuld, Tito, dessen Güte Mozarts Krönungsoper für Leopold II. den Titel gegeben hat, verzeiht allen, und die Ordnung scheint wiederhergestellt.

Doch es ist wie in allen grossen Mozart-Stücken: Die Menschen auf der Bühne sind nicht mehr dieselben, die sie zu Beginn waren, und wie sie weiterleben mit ihren Erfahrungen und Verletzungen, steht nirgends geschrieben. So zeigt Murauer am Schluss auf der rotierenden Bühne schwarzgekleidete Figuren, die jede Orientierung verloren haben. "Titus' Versuch, durch Güte eine Gleichheit zwischen den Menschen herzustellen, erweist sich als Konstrukt - oder als Utopie." So formuliert es der Regisseur Christof Loy, dem die Frankfurter Oper ihren Beitrag zum Mozart-Jahr anvertraut hat. Eine glückliche Wahl, denn wo es gilt, aus singenden Opernfiguren lebendige Menschen zu machen und seelischen Konflikten gestischen Ausdruck zu verleihen, da hat Loy heute wenige seinesgleichen.

Vergessen ist alles, was an das stereotype Schema der Opera seria erinnern könnte, aufgehoben die Grenze zwischen Rezitativ, Arie und Ensemble, weil jede Rolle aus der Ganzheit ihrer wechselnden, widersprüchlichen Empfindungen lebt und zugleich mit jeder anderen untrennbar verbunden ist. Am meisten profitiert von solcher Vermenschlichung die Figur der Vitellia, die von Silvana Dussmann faszinierend vielschichtig gezeichnet und mit einem Sopran von attraktiver Färbung und virtuoser Expressivität ausgestattet wird. Auch Tito hat in Kurt Streit einen Interpreten grossen Formats, der Schwächen in den Koloraturen durch differenzierte Ausdruckskraft kompensiert. Sestos jugendlicher Gefühlsüberschwang findet nicht nur in Alice Cootes Gebärdensprache, sondern auch in ihrem frei strömenden Mezzosopran vollkommene Entsprechung. Intensiv und stimmlich auf der Höhe ihrer Aufgaben auch Britta Stallmeister als sehr lyrische Servilia, Jenny Carlstedt als deren Geliebter Annio und Simon Bailey als Publio, klangvoll und fein nuanciert die Chöre.

Vollkommene Übereinstimmung scheint zwischen Loy und dem Dirigenten Paolo Carignani zu bestehen, denn nicht minder beredt, genau und ausdifferenziert als die szenische ist die musikalische Wiedergabe. Und wie Loy mit seinem Sängerensemble, so versteht es der Frankfurter GMD mit seinem Orchester, einen grossen Spannungsbogen aufzubauen, wobei zäsurartige Pausen im Wechsel mit äusserst bewegten Passagen stehen. - Die Leitung des Theaters an der Wien, wo der Auftakt zum Mozart-Reigen mit "Idomeneo" szenisch und musikalisch misslungen ist (NZZ 31. 1. 06), hat zumindest bei dieser Koproduktion eine glückliche Hand gehabt. Der Frankfurter "Tito" wird in Wien vom 26. März bis zum 5. April zu sehen sein.

MARIANNE ZELGER-VOGT

 

Die Welt
Montag, 30. Januar 2006

Frankfurt/Main
Christof Loys "Titus"

Der Romancier Eckhard Henscheid nannte "La clemenza di Titus", die späte Opera seria des Meisters, kürzlich "steifleinern" - und das Wort trifft es recht gut. An diesem Eindruck kann allerdings auch die Frankfurter Inszenierung von Christof Loy nicht viel ändern. Wie üblich versetzt Loy die Handlung aus dem antiken Rom in eine etwas unbestimmte Gegenwart: Vitellia entspinnt ihre Intrige gegen Kaiser Titus in riesigen, kahlen, klassizistisch anmutenden Räumen. Und Sextus, ihr ebenso wehleidiger wie letztlich doch williger Vollstrecker, bejammert das eigene verbrecherische Tun erst in einem merkwürdigem Backstage-Ambiente zwischen Bierkästen und dann in einer Art Kneipe im untrauten tête-à-tête mit Titus.

Es scheint uns kein übertrieben hartes Urteil, wenn man der Regie streckenweise eine gewisse Ratlosigkeit attestiert.

Daß Paolo Carignani ein erfahrener und temperamentvoller Mozart-Dirigent ist, hat er bereits bei den verschiedenen Wiederaufnahmen von Mozart-Opern in Frankfurt bewiesen. Unter den Sängerinnen stach vor allem Alice Coote heraus, die erstmals den Sextus sang und für ihre stimmlichen wie schauspielerischen Qualitäten vom Publikum überschwenglich gefeiert wurde. Und Kurt Streit machte als Titus eine hervorragende Figur.

Uwe Wittstock

 

Frankfurter Neue Presse
30.01.2006

Die Einsamkeit der Macht
Christof Loys Inszenierung von Mozarts „La clemenza di Tito" fand an der Frankfurter Oper zu einer sinnfällig psychologisierenden Deutung.

Von Michael Dellith

Er hat es wieder einmal geschafft! Auch mit Mozarts „Titus", der letzten Oper des Komponisten, ist Loy, der schon mit der „Entführung" in Frankfurt Furore machte, ein großer Regiewurf gelungen. Mit seiner Inszenierung entkräftete er einige der Vorurteile und Kritikpunkte, die dem Auftragswerk zur Krönung Kaiser Leopolds II. zum König von Böhmen seit jeher anhaften: Mozart habe sich mit dem „Titus" der schon längst überholten schematisch-starren Barock-Form der Opera seria zugewandt; der stereotype Aufbau gestatte nur Pappfiguren, die keine Entwicklung durchlaufen; allein die Verschwörerin Vitellia biete als „rasende Diva" Entfaltungspotenzial.

Loy hat sehr genau in die Partitur geschaut, mit psychologischem Blick zwischen Textzeilen und Notenlinien den emotionalen Beweggründen der Figuren nachgespürt. Denn „La clemenza di Tito" ist weit mehr als eine Huldigungsoper, in der sich Herrscherlob und die Mahnung an die Tugenden eines Regenten miteinander verbinden. Loy zeigt „gefühlsechte" Personen auf der Bühne, keine historischen Gestalten. Sein Personal offenbart seelische Brüche, die Handelnden sind getrieben von den Irrungen und Wirrungen ihrer Liebesgefühle, schwankend zwischen Treue und Verrat, beherrscht von Machtgelüsten und der Sehnsucht nach privater Freundschaft auf der einen und Staatsräson auf der anderen Seite. Vor allem aber zeigt Loy Menschen in ihrer Einsamkeit. So weicht die private Sphäre des Anfangs, ein von Herbert Murauer (Bühnenbild und Kostüme) stilecht entworfenes feudales Hotelzimmer der italienischen Luxusklasse, einem zunehmend „offenen Theaterraum", in dem die Kulissen keinen Schutz mehr bieten, die Drehbühne immer schneller rotiert, die Figuren in ihrer Businesskleidung, umgeben von kahlen Wänden, ein paar Tischen und Stühlen und leeren Getränkekästen, ihren Halt zu verlieren drohen.

Dass dies kein blutleeres Konzept blieb, sondern sich zu bewegtem und bewegendem Musiktheater formte, ist der Vitalität der vorzüglichen Sänger-Darsteller zu danken. Kurt Streit, bei den Proben noch indisponiert, glänzte am Premierenabend mit einem ebenso geschmeidigen wie strahlkräftigen Timbre. Facettenreich in der Rollen-Gestaltung, legte er den Titus fernab des langweiligen Tenor-Schwächlings an – eine Figur, die auch zum spontanen Gefühlsausbruch fähig ist, es sich nicht leicht macht mit der Entscheidung, Gnade vor Recht walten und die Verräter und Brandstifter ungeschoren davonkommenzulassen. Silvana Dussmann als ränkesüchtige, verzweifelte Vitellia spielte stimmlich wie darstellerisch ihre ganze Bühnenpräsenz aus. Zu den intensivsten Ausdrucksmomenten gehörten freilich die Auftritte von Alice Coote in der Hosenrolle des Sextus. Zutiefst ergreifend gelang ihr etwa die ursprünglich für den Kastraten Domenico Bedini geschriebene Arie „Parto, ma tu ben mio" oder auch die Aussprache-Szene mit Titus im zweiten Akt. Mit ihren wunderbar biegsamen Stimmen trafen Britta Stallmeister als Servilia und Jenny Carlstedt in der Partie des Annius ebenfalls den tiefgründigen Mozart-Ton, ihnen zur Seite Simon Bailey als serviler Präfekt Publius und der von Alessandro Zuppardo tadellos vorbereitete Opernchor.

Exquisites drang auch aus dem Orchestergraben. Paolo Carignani spornte das Museumsorchester zu einem vibratoarmen, gleichwohl spannungsreichen, originalklangbewegten Spiel an. Schon die Ouvertüre wurde gleichsam auf der Stuhlkante musiziert, und die von der Continuo-Gruppe (Felice Venanzoni am Hammerklavier, Johannes Oesterlee am Cello) expressiv begleiteten Rezitative markierten Höhepunkte der Aufführung. Für Wien ist man mit dieser Koproduktion jedenfalls bestens gewappnet.

 

Darmstädter Echo
30.1.2006

Klänge wie aus dem Nichts
„La Clemenza di Tito": Seelendrama um Freundschaft und Verrat: Frankfurt feiert Mozarts Geburtstag mit einer glänzenden Aufführung in der Regie von Christof Loy – Das Publikum jubelt

Von Rotraut Fischer

FRANKFURT. Wie kann man ein Großereignis wie den Geburtstag Mozarts begehen? Mit einer angestaubten Haupt- und Staatsaktion, die zur Krönung Leopold II. zum König von Böhmen als Auftragsarbeit entstand und vom Komponisten zur Behebung seiner Geldsorgen angenommen wurde? Mit gipsbleicher Antike, die uns nichts mehr angeht? Das etwa ist über diese letzte, 1791 in Prag uraufgeführte Oper Mozarts „La Clemenza di Tito" gesagt worden. Der Komponist und sein Librettist Tommaso Mazzolà, der die oft vertonte Vorlage von Pietro Metastasio geschickt bearbeitete und nach Mozarts eigenem Urteil „zu einer wahren Oper" umarbeitete, haben die Typen der Opera seria durch psychologische Zeichnung von Charakteren ersetzt. Diese lieben und leiden vor allem in Ensembles von großer musikalischer und szenischer Wirkung.

Diese Ensembles werden in der Frankfurter Aufführung durch Dirigat und Regie noch gesteigert. Schon die Ouvertüre lässt aufhorchen. Paolo Carignani entfaltet Mozarts Musik mit Klängen wie aus dem Nichts. Im engen Zusammenhang mit dem szenischen Geschehen spricht diese Musik. So zaubert sie Idylle, wenn der Kaiser vom bäuerlichen Leben träumt; in der großen Arie der Vitellia, beweglich und expressiv gesungen von Silvana Dussmann, kippt sie vom großen Klang der Liebeserkenntnis in die schrille Lächerlichkeit kindischen Selbstmitleids; in den Haupt- und Staatsaktionen kommt sie auftrumpfend einher, in den Ensembles nimmt deutet sie an.

So entsteht in Harmonie mit dem Geschehen auf der Bühne eine Konstellation von aneinander und an sich selbst leidenden Personen. Diese schließt neben der von Leidenschaft getriebenen Vitellia und ihrem hörigen Geliebten und Werkzeug Sextus – meisterhaft und in feinen Schattierungen intoniert von Alice Coote – auch den Gegenpol ein, das Paar Servilia und Annius, die leicht, hell und ohne Makel interpretiert werden von Britta Stallmeister und Jenny Carlstedt. Sie alle kreisen um Titus, den milden Kaiser, der aber seiner Milde nicht froh werden darf. Kurt Streit, renommierter Mozartinterpret, gibt der Partie Kontur durch klangschönen und ausdrucksstarken Gesang.

Mozarts Thema ist auch in dieser Oper die Aufklärung. Aus einem Werk fürstlicher Repräsentationskunst macht er ein Seelendrama um Freundschaft und Verrat, in dem selbst der Fürst zum empfindsamen Bürger werden möchte. Doch hindert ihn seine Machtstellung daran, sich selbst treu zu bleiben. Das optische Konzept der Regie von Christof Loy, der schon mit Mozarts „Entführung" und auch mit Gounods „Faust" in Frankfurt Furore machte, zielt auf die Auflösung identifizierbarer Räume und damit auf Desillusionierung.

Die Regie entfaltet hier die Nachtseite der Aufklärung, wo Milde in Selbstverletzung umschlägt, weil sie unter den Bedingungen des Machterhalts nicht zu verwirklichen ist. Und auch das bürgerliche Gegenkonzept, die Freundschaft, hat als komplementäre Seite den Verrat. Auch die Staatsaktion wird demontiert: Titus steigt auf eine Streitwagenattrappe, ein Engel mit Lorbeerkranz wird über ihm abgeseilt – das Ganze entpuppt sich als Fototermin. Der Imperator wird wieder der Bürger König. So ist dieser „Titus" ein Abgesang auf die Welt des Ancien Régime. Er stellt aber auch die Frage nach Moral und Macht wie die nach dem Maß der Deformation. Das Publikum umjubelt die glänzende Aufführung.

 

OFFENBACH POST
31. Januar 2006

Mozarts Mahnmal für mehr Menschlichkeit
"La clemenza di Tito" als düsteres Psychodrama in Frankfurt

Ein Tyrann predigt die Gewaltlosigkeit und wird zum Opfer seiner Güte: "La clemenza di Tito", Mozarts letztes und düsterstes Stück, hat die Oper Frankfurt am Abend seines 250. Geburtstags aufgelegt. In einer Inszenierung des am Willy-Brandt-Platz wohl gelittenen "Regisseur des Jahres" 2003 und 2004 Christof Loy, die auf der großen, zumeist dunklen Bühne ein intimes Psychodrama in aktueller Kulisse und Kostümen entwickelt. Ihre szenische und bildliche Spröde kompensiert eine druckvolle Musik, die viele Spielregeln der Opera seria außer Kraft setzt.

Die expressiven Gesten der traurigen Helden unterstreicht zudem ein leicht aufgerauter Mozart-Klang, mit dem Generalmusikdirektor Paolo Carignani und das überaus engagiert wie kompakt aufspielende Frankfurter Museumsorchester im erleuchteten, der Bühne nahezu gleichgestellten Orchestergraben romantische Seelentiefe bezeugen. Perlte der Zwischenbeifall für die stark differierenden Gesangsleistungen der Protagonisten am Freitagabend noch ein wenig dünn, so zeigte sich das Premieren-Publikum am Ende in schönem Einklang mit Erfolgsregisseur und Akteuren, die - samt Mozart - gefeiert wurden.

Mozarts "Titus", ein Auftragswerk für die Krönung Leopolds II. 1791 zum König von Böhmen, wird gern als pure Huldigung an den gütigen Herrscher des auf stetig fließende Honorare angewiesenen Salzburgers denunziert. Dabei ist es ein auch heute noch brisantes hochpolitisches, herrschaftskritisches Opernstück, das den gottgleichen Tyrannen in die Niederungen des Menschlichen verweist: Das römische Capitol brennt, doch der gleich von zwei auf Mord erpichten Terroristen bedrängte Titus verzeiht und lässt Gnade walten. Der Teufelskreis aus Terror und Rache scheint beispielhaft durchbrochen. Und dies zu einem Zeitpunkt, als die Französische Revolution in vollem Gange war.

Der König von Gottes Gnaden sucht gnadenlos die absolute Nähe seiner ungnädigen Untertanen: Diesen fundamentalen Schwenk des Saulus zum Paulus macht Christof Loy schlagartig bildhaft auf der von Herbert Murauer ansonsten karg ausgestatteten, atmosphärisch unterkühlten Bühne klar. Ein Operettenengel schwebt mit der Krone über Titus im Ornat, der samt Hofstaat vor einem Gemälde des morbiden alten Rom ein Tableau stellt, auf das sich zeitgenössische Boulevard-Fotografen stürzen. Für den Mächtigen offenbar eine lästige Pflicht, der er sich schnell entledigt, um sich in Alltagskleidung unter sein Volk zu mischen, umgeben von einer glatzköpfigen Security.

Folgerichtig hält er auf einer tristen italienischen Piazza Hof, wo die Stühle schon hochgestellt sind. Während die intrigante, weil auf Herrschaft erpichte, in Kostüm und dunkler Sonnenbrille ausgesprochen mondän wirkende Vitellia den ihr hörigen Sesto in einem noblen Hotelzimmer auf Königsmord einschwört. Während die Attentäter wieder einmal durch den Personaleingang kommen, die Revolution ihre Kinder in einem öden Italo-Hinterhof versammelt, der auch in einem staubigen südamerikanischen Bananenstaat zu finden wäre. Die Drehbühne macht diese Vor- und Rückansichten möglich, Holzgerüste schüren zudem Zweifel an dem dauerhaften Gnadenakt: Ist die Szenerie vielleicht doch nur ein Potemkinsches Dorf?

Ebenso ambivalent kommt Carignanis Orchestersprache daher, schon in der Ouvertüre nachdrücklich forcierend, ablesbar in des Maestros Dirigat. Der derbe "Triumphmarsch" steht hier neben hoch empfindsamen melodiösen Entwicklungen, eine merkwürdig schillernde Spannung selbst in den das Drama bis an den Rand der Tragödie vorantreibenden Rezitativen, die von Felice Venanzoni am Hammerklavier und Johannes Oesterlee am Violoncello wie improvisatorisch aufgelöst und virtuos aufgepeppt wirken. Hinzu kommt eine Bestleistung des Holzbläsers, dem nur kurzfristig (und unerheblich) seine Klarinette einen Streich spielt. Mozarts Instrument der Liebe dürfte den Regisseur inspiriert haben. Setzt er doch nicht ohne Grund auf expressive Gestik, die einem Murnau-Film entlehnt sein könnte: Christof Loy, das Spiel von körperlicher Nähe und Distanz voll ausreizend, macht klar, dass Mozarts Protagonisten mehr aus Liebe als aus politischem Kalkül handeln.

Allen voran die keineswegs nur intrigante, hassenswerte, sondern Titus um jeden Preis liebende Vitellia der Silvana Dussmann, stimmlich von dämonischer Kraft und girrender Einflüsterung, deren dramatischer Sopran nur manchmal bei den Spitzentönen intonatorisch verrutscht. Ihre kunstvollen Koloraturen verschwimmen in diesem Psychodrama zu Emotion pur. Ihre "Geständnis-Arie" ist ein starkes stimmliches Stück.

Bei Mozart stiften Frauen den Terror an: So verkörpert Alice Coole in Hosenrolle den Sextus, heimlicher Geliebter der Vitellia und intimer Freund des Königs, ein ungemein eindringlicher feinstimmiger Sopran, wohl die intensivste Stimme der Premiere. Loy sorgt hier im Liebes clinch für groteske Stummfilm-Einstellungen und nutzt die Pause sehr bewusst als Spannungsmoment. So fällt der Vorhang erst spät, wenn sich Entsetzen breit macht ob des Geständnisses von Sextus, die Musik wird angelegentlich ausgebremst - über Generalpausen-Länge hinaus. Vor allem der Dialog zwischen dem Aufrührer aus Liebe, Sextus, dem vergeben wird, der sich indes nicht selbst vergeben kann, und dem enttäuschten Freund und König Titus nimmt gefangen. Dem gibt Kurt Streit starke körperliche Präsenz, sein Tenor wirkt freilich im Lauf der Zeit ein wenig angestrengt, was nicht wundert. Litt er doch noch zwei Tage vor der Premiere an einer Halsentzündung.

Zwischen Hoffen und Bangen: Als Servilia setzt Sopranistin Britta Stallmeister ihren makellosen, ausdrucksvollen Sopran ein, als ihr Geliebter Annius gibt der Alt von Jenny Carlstedt ein solides Rollendebüt. Gewohnt zuverlässig: Bassist Simon Bailey als Präfekt Publius, stimmlich fein ausgewogene Ensembles fixieren das jeweilige Hochgefühl. Der von Allessandro Zuppardo einstudierte Chor glänzt gleichermaßen als jubelnde wie als total verschreckte Volksmasse.

Bei der finalen Feier königlichen Großmuts kommt musikalisch noch einmal die gewisse Traurigkeit auf. Titus wirkt wie allein gelassen in der Masse der "Jubelperser" scheint an ihrer Loyalität zu zweifeln. Wohl der stärkste Moment dieser Inszenierung, die Mitte des Mozart-Jahres an Wiens Staatsoper wechseln wird. (ack)

 

NEWS Frankfurt
30.1.2006

„Eine deutsche Schweinerei!"
Zum 250. Geburtstag ehrte die Oper Mozart mit der Premiere von „La clemenza di Tito"

UNA PORCHERIA TEDESCA!", soll die Kaiserin aus ihrer Loge gerufen haben, als „La clemenza di Tito" von Wolfgang Amadeus Mozart anlässlich der Krönung Leopolds II. zum König von Böhmen uraufgeführt wurde. Von derartigen Ausrufen blieb die Premiere in der Oper Frankfurt verschont. Im Gegenteil. Das ausverkaufte Haus bejubelte das Stück, das übersetzt „Die Güte des Titus" heißt. Mozart, der an diesem Tag vor 250 Jahren geboren wurde, hätte sein Freude gehabt.

Die dramatische Geschichte spielt in Rom. Im ersten Akt plant Vitellia, die Tochter des Kaisers Vitellius, ein Attentat auf den spätrömischen Kaiser Titus, da dieser statt ihrer Servilia zur Frau erkoren hat. Ausführen soll die blutige Tat ihr ergebener Bruder Sestus, der mit Titus befreundet ist. Als der Kaiser erfährt, dass Servillia einen anderen liebt, beschließt er zugunsten Vitellias auf Servillia zu verzichten. Sestus indes ist nicht mehr aufzuhalten.

Im zweiten Akt, der Anschlag hat den Falschen erwischt, wird Sestus festgenommen und zum Tode verurteilt. Als Vittelia begreift, dass dieser bereit ist, für sie zu sterben, gesteht sie Titus ihre Schuld. Dieser lässt Milde walten und begnadigt Vittelia und Sestus.

Mozarts bestes Stück

Alles eitel Sonnenschein? Eben nicht. „La clemenza di Tito", inszeniert von Christof Loy, ist keine Bühnensoap, keine Alltagskost, kein Lustspiel mit erhobenem Zeigefinger. Die tragischste Figur ist Sestus, hervorragend verkörpert von Alice Coote. In ihrem expressiven Spiel verdichten sich die Handlungsstränge aller Akteure. Coote schafft es, dass der Opernbesucher dass Gefühl hat, links flüstere ein Engelchen, rechts ein Teufelchen, in ihr Gewissen.

Analog zur Geschichte visualisiert Herbert Murauers modernes Bühnenbild ein karges Zwangsbehältnis für Neurosen und Hysterien. Die Kulissen erscheinen dunkel, grau und monochrom. Der Eindruck wird durch die häufig matte und bleiche Lichtgebung von Olaf Winter noch verstärkt. Grau auch die Kostüme. Das Volk erscheint blutleer und mechanisch, wandelt langsamen Schrittes scheinbar richtungslos durch die Kulisse. Im Gegensatz dazu liefert die Requisite einige auflockernde Aspekte. Dazu zählt eine Aluminium-Stehleiter im ersten Akt.

Die Organisation von Klängen und Ereignissen durch Generalmusikdirektor Paolo Carignani hingegen, sowie die hinreißende Musik Mozarts („Manche meinen, sie gehöre zum Besten, was er komponiert habe", schreibt Mozart-Biograf Volkmar Braunbehrens) machten die Premiere zu einem perfekten Geburtstagsgeschenk. Nina Rodler

 

WIESBADENER KURIER
01.02.2006

Ungeheure Güte des Kaisers
Christof Loy inszeniert Mozarts Oper "La clemenza di Tito" in Frankfurt

Von Axel Zibulski


Mit kraftvollem, zuweilen aber auch flackerndem Tenor - Kurt Streit als Titus.
Foto: Aumüller

FRANKFURT Seine eigene Güte scheint Kaiser Titus nicht mehr geheuer zu sein. Das Volk lobt und preist ihn am Ende von Wolfgang Amadeus Mozarts Oper "La clemenza di Tito" wegen seiner Milde, seiner Gnadenakte. Doch er selbst irrt dazu, fast rasend, über die immer schneller sich drehende Bühne: So lässt Regisseur Christof Loy in seiner Frankfurter Neuinszenierung diese letzte der Mozart-Opern enden und hat in zweieinhalb Stunden zuvor doch nicht widerlegen können, dass das Stück ein heute schwierig aufzuführendes ist.

Mozart komponierte "La clemenza di Tito" in seinem Todesjahr 1791 - und in Eile. Die "Zauberflöte", drei Wochen später als die Opera seria um den römischen Kaiser Titus uraufgeführt, hatte er zu diesem Zeitpunkt schon weitgehend vollendet. Für "La clemenza di Tito" bediente er sich sogar der Mithilfe eines Schülers, wahrscheinlich Franz Xaver Süßmayr, der für manche Rezitativ-Passagen verantwortlich war. Allzu ernst scheint es Mozart um den Typus der zur Entstehungszeit des Werkes schon veralteten "Opera seria" also nicht gewesen zu sein. Und veraltet war zu diesem Zeitpunkt eigentlich auch schon das der Oper zugrunde liegende Libretto des Pietro Metastasio, eine schablonenhafte Verschwörungsgeschichte, in der Vitellia, Tochter des römischen Kaisers Vitellius, ihren Geliebten Sextus zu einem Attentat auf den Kaiser Titus anstiftet, das dieser überlebt und, statt Rache zu üben, die titelgebende Milde walten lässt.

So ist an "La clemenza di Tito" oft kritisiert worden, Mozart habe die Personen des Dramas bei weitem nicht so markant und individuell charakterisiert wie in den anderen seiner späten Opern. Ein Vorwurf, den auch Christof Loy in Frankfurt am ehesten noch hinsichtlich der Figur des Kaisers Titus entkräften kann: Er zeichnet ihn als eine Figur, die in ihrer Position gezwungen ist, das Private stets im Öffentlichen zeigen zu müssen: Das verstärken auch die Bühnenbilder von Herbert Murauer, der für den zweiten der beiden Akte ein Restaurant als durchaus passende Schnittstelle dieser Sphären errichtet hat. In dessen Hinterzimmer hatte sich zum Ende des ersten Akts Attentäter Sextus geflüchtet, den einst als Bühnen-Budenzauber gedachten Brand des Kapitols sieht man von hier aus nur in Gestalt vorbeziehender Rauchschwaden. Wenn Papierfetzen vorbeifliegen und sich Passanten in das Lokal flüchten, mag man sich an Bilder jüngerer Katastrophen erinnert fühlen. Aber selbst wenn hier eine Italien-Karte und nicht eine des Römischen Reiches an der Wand hängt: Aktuell will diese Oper mit dem inneren Konflikt des Imperators, der sich zur Gnade durchringt, partout nicht wirken.

Und auch in vokaler Hinsicht fällt der Eindruck der Premiere, die exakt an Mozarts 250. Geburtstag stattfand, zwiespältig aus: Kurt Streit singt einen wohl kraftvollen, dabei aber häufig forciert wirkenden Titus mit zuweilen recht flackerndem Tenor; seinen mühevollen Koloraturen fehlt dabei jede Spur von wendiger Geläufigkeit. Ebenso bleibt Silvana Dussmann als Vitellia einen kultivierten, technisch exakten Mozart-Gesang schuldig. Einen herausragenden Sextus immerhin bietet die Mezzosopranistin Alice Coote, ihr so empfindsam wie sicher gesungenes "Parto, parto" wird zu einem Höhepunkt dieser Premiere; ansprechend auch der silbrig-helle Sopran von Britta Stallmeister als Servilia, der Schwester des Sextus, und das dunkel-herbe Timbre von Jenny Carlstedt, die deren Geliebten Annius singt. Und dass zumindest die Musik von "La clemenza di Tito" nicht in Vergessenheit geraten sollte, unterstreichen Paolo Carignani und das Frankfurter Museumsorchester; sie interpretieren die Partitur, die gerade durch den oft solistischen Einsatz der Holzbläser besonderen Farbenreichtum gewinnt, im Sinne der historischen Aufführungspraxis klanglich kernig, zügig und frisch.

 

klassik.com
31. Januar 2006

La clemenza di Tito > Oper Frankfurt, 27. Januar 2006
Mozart vom Feinsten
Carignani beschert Frankfurt einen grandiosen Tito

Kritik von Andreas Schubert

Es gebe auch Menschen die seine Musik nicht mögen, munkelt man. Doch wo immer sie sich verstecken, dieses Jahr werden sie es schwer haben. Denn Mozart ist 2006 allgegenwärtig, ja überpräsent in Opernhäusern und Konzertsälen der Welt. Während so manches ehrgeizige Großprojekt (man denke an den 22teiligen Salzburger Opernmarathon) mit Quantität auftrumpft und dabei Kunst und Kraftanstrengung zu verwechseln riskiert, setzt man vielerorts eindeutige Zeichen in Sachen Qualität. Erfreulicherweise auch an der Oper Frankfurt.

Dort beging man Mozarts 250. Geburtstag am 27. Januar mit einer Neuproduktion von ‘La clemenza di Tito’, die in musikalischer Hinsicht nicht nur dem Komponisten alle Ehre machte, sondern geradezu das Potential offenbarte, jeden Mozart-Muffel aus der Reserve zu locken. Bedauerlich, dass sich dieses Urteil nicht ganz ohne Einschränkungen auf die Inszenierung übertragen lässt. Denn Christof Loys dritte Regiearbeit in Frankfurt bleibt diesmal trotz aller Solidität insgesamt zu blass und undefiniert, um dauerhafte Eindrücke zu hinterlassen oder gar an seine triumphale ‘Entführung aus dem Serail’ und den beachtlichen ‘Faust’ anzuknüpfen.

Fragen wirft dabei vor allem das Gesamtkonzept auf, welches zwar teils kohärente Assoziationen hervorruft, das Stück aber nicht in einem klar umrissenen Kontext platziert. Wirkten das sterile, die Berechnung seiner Bewohnerin widerspiegelnde Schlafzimmer von Vitellia und ein leerer, die Einsamkeit der Figuren exponierender Gesellschaftsraum noch viel versprechend, verlor das Bühnenbild zusehends an Aussagekraft und Originalität, was den szenischen roten Faden bereits gegen Ende des ersten Aktes sehr strapazierte.

Dass er dennoch nicht abriss, ist einer gewohnt konsistenten Personenregie zu danken, die trotz missglückter Rahmensetzung alle Charaktere in ein stimmiges Bild zu fügen vermag. Loy gelingt das Kunststück, sie behutsam aus ihrer opera seria Schablone herauszulösen und in Menschen aus Fleisch und Blut zu verwandeln, deren individuelle Reaktionen auf die Milde des innerlich zerrissenen Tito, der nur für ein Fotoshooting den römischen Herrscher mimt, glaubhaft nachgezeichnet werden. Besonders dankenswert ist die intensive Ausgestaltung der langwierigen Seccorezitative, die Loy geschickt nutzt, um den dramatischen Bogen in Vorbereitung auf die jeweils folgende Musiknummer zu spannen. Zusammen mit der affektgeladenen Continuobegleitung erreichten sie eine fast an Accompagnati erinnernde Dichte. Überhaupt griffen Personenregie und Musik ohne Reibungsverluste ineinander an diesem Abend.

Selbst szenisch begründete, ungewöhnlich lange Zäsuren (etwa in Sestos erster Arie) blieben durchpulst von Spannung und stellten so das Schweigen ganz in den Dienst der Interpretation. Ermöglicht wurde diese Symbiose nicht nur durch Loys psychologisches Feingefühl, sondern auch durch die Leistung eines stimmlich und schauspielerisch gleichermaßen herausragenden Sängerensembles.

An erster Stelle ist hier Alice Coote zu nennen, der als Sesto ein ganz großer Wurf gelang. Ihr Mezzosopran vereint Klangschönheit und Jugendlichkeit des Timbres mit ausgezeichneter Technik, die ihr feinste, zu Herzen gehende Pianophrasen ebenso ermöglicht wie leuchtende, frei schwingende Spitzentöne und auf dem Atem federnde Koloraturen. Die innere Ruhe und Überzeugungskraft ihrer Gestaltung machten indes völlig vergessen, dass sie die Partie an diesem Abend zum ersten Mal sang. Eine ähnliche Intensität, wenn auch unter umgekehrten Vorzeichen, erreichte Silvana Dussmann mit ihrer Vitellia. Was Coote an Innigkeit transportierte, wog sie auf mit purer Energie und einer auch im Mezzavoce mitreißenden stimmlichen Präsenz. Wie sie in ihrer ersten Arie, im schwarzen Businesskostüm und mit Schminkutensilien ausgestattet auf dem Bett liegend, Gesicht und Gesang gleichermaßen perfekt kolorierte, war so hinreißend, dass die im Forte hin und wieder unsaubere Intonation ihres sonst gut fokussierten, biegsamen Soprans kaum ins Gewicht fiel.

Ein erfolgreicher Abend war es auch für die Solisten des Frankfurter Ensembles, die sich als absolut würdig erwiesen, ihre Partien demnächst am Theater an der Wien (wo die Inszenierung im Rahmen des Wiener Mozartjahres gezeigt werden wird) zu präsentieren. Neben Britta Stallmeister (Servilia) und Simon Bailey (Publio) ist vor allem Jenny Carlstedt als Annio hervorzuheben, die durch warmen, tadellos geführten Mezzosopran bestach und es sicherlich verdient hätte, in einer Wiederaufnahme den Sesto übertragen zu bekommen.

Gesanglich nicht ganz in Bestform erschien einzig Kurt Streit, der mit metallisch-markantem, in der Höhe leider zusehends eng geführtem Tenor dennoch ein überzeugendes, psychologisch ausgefeiltes Portrait des Tito lieferte und sich als polarisierender Mittelpunkt von Loys Figurenkonstellation mühelos behaupten konnte. Auch der Frankfurter Opernchor zeigte sich mit breitem dynamischem Spektrum und homogenem Klangbild von seiner besten Seite.

Doch was wären all die schönen Stimmen ohne Paolo Carignani, der dem wie ausgewechselt wirkenden Museumsorchester ein Höchstmaß an kammermusikalischer Präzision, klanglichem Nuancenreichtum und Sensibilität entlockte? Der langfristig scheidende GMD der Oper Frankfurt beweis einmal mehr, dass er nicht nur ein sicheres Gespür für ideale Tempi, geschmackvolle ritardandi und große Bögen hat, sondern seinen Sängern auch ein verlässlicher Begleiter sein kann. So kam im Laufe des Abends an vielen Stellen Mozart vom Feinsten zustande, der die Unausgegorenheit des Bühnenbildes letztlich doch zur Nebensache werden ließ und das Frankfurter Premierenpublikum an diesem Eherntag reich beschenkte.

 

das opernetz
31. Januar 2006

Die Einsamkeit des Titus

Worum geht es eigentlich in dieser Oper? So lautet die Frage, die eine Frau am Nebentisch der Opern-Gastronomie im ersten Rang an ihre Begleiter richtet. Daraufhin erhält sie folgende Antwort: Frau 2: „Ach, das geht hin und her." Mann: „Der Titus muss ein sehr netter Mensch gewesen sein." Kein Zweifel, dies ist die in typisch südhessischer Knappheit gehaltene kürzest mögliche Inhaltsangabe von „La clemenza di Tito". Freilich hat es sich Christof Loy nicht nehmen lassen, das Hin und Her noch ein wenig weiter auszuführen als die Herrschaften am Nebentisch.

La Clemenza di Tito, die Premiere pünktlich zum 250. Geburtstag des Opernhelden Mozart, wird – und da lässt sich die Autorin dieser Zeilen durchaus zu Prophetie hinreißen – zu ebenso einem erfolgreichen Dauerbrenner an der Oper Frankfurt werden wie die wundervolle „Entführung aus dem Serail" des Erfolgsregisseurs Loy. Einmal mehr zeigte er seine Stärke: Nämlich ein scheinbar oberflächliches Stück mit vermeintlich idealisierten, schablonenhaften Figuren nicht durch billige Gags der Lächerlichkeit preis zu geben, sondern im Gegenteil mit großem Ernst die Gefühle der Protagonisten dicht und anrührend wie in einem Kammerspiel dem Publikum zu präsentieren. Auf diese Weise werden selbst die langen Rezitative zu einem unerlässlich wichtigen Teil der Aufführung.

Statt Ornament und Personengewusel auf der Bühne lässt Loy in den Räumen von Herbert Murauer die Dialogszenen ablaufen – Vitellia als in ihrer Eitelkeit gekränkte Frau wandelt sich hier nachvollziehbar zur Liebenden; Sesto ist hier ein so sehr zwischen starken Gefühlen zerrissener Charakter, dass man für ihn tiefes Mitleid empfindet. Die Ausstattung – Bühne und Kostüme – lassen keine genaue zeitliche und räumliche Zuordnung zu, was die Konzentration auf das Wesentliche, nämlich Liebe, Begehren, Hass, Eifersucht, Zweifel, Güte und letztlich Einsamkeit noch verstärkt. Nach dem der nette Mensch Titus seinen letzten Akt der Güte getätigt hat, bleibt er, durch eine Kulissenwand räumlich getrennt von den anderen, alleine zurück. Herrschen, selbst mit Güte, macht einsam – zumindest den, der zu diesem Gefühl fähig ist.

Dass Loys Konzept so gut zum Tragen kommt, liegt aber letztlich daran, dass auch alle Sänger und Sängerinnen offenkundig damit etwas anfangen konnten. Durchweg überzeugende darstellerische und vor allem sängerische Leistungen. Besonders Kurt Streit als Titus und Alice Coote als Sesto verdienen Erwähnung, denn beide können geradezu als Idealbesetzung für ihre jeweilige Partie angesehen werden. Streit mit hellem Timbre und schlanken Ton. Coote mit warmen Mezzo enorm flexibel und agil, ohne je eine der großartigen Sesto-Arien gehetzt klingen zu lassen – im Gegenteil, sie suhlt sich förmlich in jedem Ton. Silvana Dussman als Vitellia, Britta Stallmeister als Servilia, Jenny Carlstedt als Annio und Simon Bailey als Publio runden das stimmige Bild ab.

Der Generaldirektor der Oper Frankfurt Paolo Carignani zeigte mit dem Frankfurter Museumsorchester, dass Mozart wunderbar klingen kann ohne Originalklang (was auch immer das ist) und „Mozart-Spezialisten" am Pult. Bereits die Ouvertüre ist so kompakt, spannungsgeladen und offeriert dabei doch stets ein so transparentes Klangbild, dass keiner der Sänger je in die Verlegenheit gerät, sich mit Kraft Gehör verschaffen zu müssen. Orchester und Sänger scheinen geradezu schlafwandlerisch miteinander zu harmonieren.

Obwohl in dem ein oder anderem belauschten Pausengespräch deutlich wurde, dass Mozarts späte Anlehnung an die Opera seria wenig bis gar nicht bekannt ist, entlud sich im Schlussapplaus eine – selbst für Frankfurter Verhältnisse – selten einhellige Begeisterung und Wärme für das gesamte Produktionsteam. Kein einziges leises Buh im ausverkauften Haus. Statt dessen Bravi und übermütige Pfiffe. Vor allem Alice Coote, Kurt Streit und Paolo Carignani sowie die Musiker des Museumsorchesters dürften angesichts der stürmischen Liebesbekundungen des Publikums sehr glücklich nachhause gegangen sein. (sr)

Musik 5/5
Gesang 5/5
Regie 5/5
Bühne 5/5
Publikum 5/5
Chat-Faktor 5/5

 

Online Musik Magazin
Februar 2006

Die Qualen des Titus

Von Christoph Wurzel

Der Schluss dieser Oper ist viel kritisiert worden. Unglaubwürdig sei die Milde des Titus, wenn er all jenen verzeiht, die seine Liebe verschmähen oder ihn gar ermorden wollen. Als wohl eher pflichtschuldiger Appell anlässlich der Krönung eines Herrscherpaares mag eine solche Botschaft hingehen. Doch heute scheint die Lösung, auch wenn man sie als Beitrag der "Aufklärung" gegen absolutistische Machtwillkür versteht, eher weltfremd und anachronistisch zu sein. In der neuen Frankfurter Mozart-Arbeit von Christof Loy scheint dafür aber eine schlüssige, ja menschlich bewegende Lösung auf: die Einsamkeit dieses Mannes ist es, die ihn "verzeihen" lässt, der Zwang, sich Menschen abhängig zu machen, von deren Dankbarkeit und Zuneigung er lebt. Solch vermeintliche Größe freilich muss er sich mit heftigsten Seelenqualen erkämpfen, die ihn am Schluss taumelnd über die Bühne treiben. Und nicht nur ihn - alle Beteiligten an diesem Psychokrieg müssen weiterleben mit dem, was sie sich gegenseitig angetan haben. Das Ende eines enorm spannenden, subtil gezeichneten psychologischen Kammerspiels, das Mozarts La clemenza di Tito in dieser Produktion an der Oper in Frankfurt darstellt.

Und so unterschiedlich können die Wege zu Mozart sein: am Abend danach gab es in Karlsruhe den Idomeneo als wuchtiges Breitwandspektakel. In Frankfurt dagegen ist Mozarts letzte Oper ein Abgesang auf die Seria, stattdessen ein Seelendrama unter Zeitgenossen. In Kostümen der schlichten Eleganz der upper class wird auf höchstem Anspannungsniveau ein Beziehungs- und Verstrickungsgeflecht seziert, das, weil es am Schluss eben nicht zur Tragödie wird, desto intensiver unter subkutanen Qualen in ein neues Gefühlschaos führt. Alles beginnt im Schlafzimmer des Paares Vitellia und Sextus (dezent und im oberen Komfortniveau), wo sich unvermittelt deren offener Beziehungskonflikt entläd und am Ende Sextus sich - aus Abhängigkeit zu ihr - von der karrieresüchtigen Vitellia zum Mord an seinem Freunde Titus anstiften lässt. Es ist ein innerlich schwacher, zweifelnder, mit sich ringender Sextus, den Alice Coote hier bisweilen eine Spur zu maniriert, aber im Ganzen doch beeindruckend darstellt. Sängerisch erfüllt sie die Rolle mit ihrer warmen, ungemein wandlungsfähigen Mezzostimme vollendet.

Alice Coote als Sextus

Vitellia dagegen, die Geliebte des Sextus, die ihn doch nur instrumentalisiert, um als Tochter des letzten Kaisers an die ihr vermeintlich zustehende Macht zu gelangen, blendet regelrecht in ihrer gleißender Kälte und in der Arie "Deh se piacer mi vuoi" ("Du sollst mir fest vertrauen, auf meine Liebe bauen") schneiden ihre Koloraturen messerscharf in Sestus` zerrissene Seele. Silvana Dussmann legt neben schauspielerischer Verve in ihrem Gesang einen lebhaften Ausdruck von Berechnung und Falschheit hinein.

Silvana Dussmann als Vitellia

Ebenso profiliert ist das andere Paar, Annius und Servilia, aber eher ausgeglichen und edel, auch im Kostüm als weniger extrovertiert und selbstbezogen charakterisiert. Auch hier glänzende Sängerleistungen von jungen Rollendebutanten: Britta Stallmeister als Servilia mit leichtem, geschmiedigen, idealistisch "reinem" Sopran und Jenny Carlstedt in der Rolle des Annius, des edlen Charakters mit entsprechend genauen vokalen Ausdrucksvaleurs.

Der gefragte Mozarttenor Kurt Streit singt zum ersten Mal in Frankfurt und überzeugt durch ein überaus genaues Rollenprofil. Stimmlich setzt er ein strahlendes metallisches Timbre ein, dem die warme, lyrische Seite fast fehlt; angemessen allerdings in dieser Rollenanlage als irritiert vereinsamter Herrscher mit intensiven Erfahrungen von Seelenferne und Versagung.

Kurt Streit als Titus

In dieser Personenkonstellation entwickelt sich also das Spiel um den Missbrauch von Freundschaft und Liebe - bis um den möglichen Preis des Todes. Hierfür hat Herbert Murauer eine funktionale und zugleich sinnstiftende Bühne gebaut. Es ist eine Sandwichwand, die mittels Drehbühne mal das besagte Boudoir zeigt oder einen neutralen Raum für die Huldigungsszene im 1. Akt, in der durch antikisierende Anspielungen eine leise, ironische, kurze Reminiszenz an das klassische Ambiente der Vorlage erlaubt wird. Die andere Seite stellt die Rückwand eines offensichtlich noch größeren Raumes, vielleicht einer Bühne, dar, zu dem eine Falttür hinausführt, eine Art Abstellplatz für allerhand Gebrauchsgegenstände. Als ironisches Apercu prangt an der Wand eine provisorisch aufgehängte Italienkarte, denn um die Macht im Imperium geht es in dieser Szene, wenn vom Aufstand und Attentat gegen Titus berichtet wird, die von Sextus angezettelt wurden.

In dieser Szenerie entfaltet das ob seiner Andeutungen und phantasierten Realitäten an sich schon ungeheure Aktfinale eine dramatisch noch größere Wirksamkeit. Im Hintergrund lassen sich Brand und Tumult vernehmen, der Fernchor schürt die Aufregung noch bis zum Maximum, während die Protagonisten auf die Vorderbühne stürzen und das Erschrecken über die unfassbare Tat sich ausbreitet - eine Szene von höchster Suggestivkraft und packendes Musiktheater im besten Sinn.

Finalszene des 1. Akts: Sextus(Alice Coote), Mitglieder des Chores, Vitellia ( Silvana Dussmann), Servilia (Britta Stallmeister) und Annius (Jenny Carlstedt) (von links)

Die gewendete Drehbühne zeigt im 2. Akt eine Art Restaurant als Austragungsort für die folgenden Verhandlungen um die Strafe für Treuebruch und Verrat, der für alle zu einem Prozess schmerzhafter Katharsis wird. Allerdings bleibt die hintere Wand unfertig, nur als Lattengerüst erkennbar, gewissermaßen ein Unort, ohne Reiz sich einzurichten. Gespannt und intensiv entwickelt sich am Bistrotisch das Zwiegespräch zwischen Titus und Sextus mit der anschließenden Rondoarie des Sextus ("Deh per questo istante solo") und dem Rezitativ des Titus ("Ove s`intese mai") zur großen Szene. Die subtile Personenführung des Regisseurs macht auch diese zu einem Höhepunkt musikdramatischer Intensität. Wie eine Speisekarte serviert Titus dem untreuen Freund dessen Todesurteil.

Aber nicht nur die glänzenden Sängerdarsteller und die präzise Regie machen diesen Opernabend zu einem Erlebnis, Mozarts Musik wird an seinem 250. Geburtstag von Paolo Carignani zu einem Fest voller spannungsgeladener Momente, feinster Klangnuancen in allen Stimmen, großer Anspannung der Empfindungen und dramatischer Gesten. Die Rezitative erhalten besonderes Gewicht, das Hammerklavier wird zum Instrument feinster Rhetorik und das Violoncello kommentier bis hin zur Klangverfremdung den textualen Sinn. Hochengagiert agiert das Orchester und folgt den feurigen Impulsen des Dirigenten. Wer je vermeinte, im Titus wenig von Mozarts farbenreicher Instrumentationskunst entdecken zu können, wurde hier eines Besseren belehrt. Sängerensemble, Orchester und Dirigent sowie das gesamte Regieteam wurden mit frenetischem Jubel überschüttet.

FAZIT
In jeder Hinsicht ein ganz großer Wurf.

 

FINANCIAL TIMES
February 7 2006

Oper Frankfurt
La clemenza di Tito

by Shirley Apthorp

Christof Loy's satisfying new production for the Frankfurt Opera lays bare the title figure's dilemmas. Herbert Murauer's sets and costumes show us how much of politics is theatre. Cavernous ceremonial rooms exist for photo opportunities and show. The real drama happens in storage rooms and antechambers.

Like Mozart himself, Loy shows us real people with strong feelings in a time of crisis. The setting is contemporary, the stakes are high, and the mood is dark. Thanks to an outstanding cast, it is an evening of gripping music theatre.

Kurt Streit's Titus is young, impassioned, honest and uncompromising, wonderfully offset by Silvana Dussmann's sophisticated, calculating Vitellia. But it is Alice Coote who most impresses, with a Sextus of such crackling heat that she almost combusts along with the Capitol. It requires no suspension of disbelief to perceive Coote as a tormented young man, and her singing is lithe, expressive and intelligent.

Paolo Carignani's musical direction is taut and coherent, though he tends to drive tempi too hard and often forces his singers. If he rides roughshod over some of the subtleties in the ensembles, at least he allows clear, articulate recitatives which move the drama forward with power and conviction. Orchestral playing is solid and overall pacing assured.

When all the confessions are out, the guilty reprieved and the thanks uttered, we are left with an impression of a society rocked to its foundations and a ruler robbed of his certainties. It is deeply unsettling, as Mozart should be. His music, as Frankfurt does well to remind us in this anniversary year, was not about soothing the ear.

 

Seen and Heard
International Opera Review

Mozart, La clemenza di Tito
Orchestra and Chorus of Frankfurt Opera
Paolo Carignani (conductor)
Christof Loy (director), Herbert Murauer (sets and costumes).
premiered on 27.01.2006 - performance seen: 2.2.2006 (SM)

Barely a month into the Mozart year, one could perhaps be forgiven for wishing it were already over. Nikolaus Harnoncourt is not the only one who is sickened by the greedy commercialism, not to mention some of the shoddy, ill-prepared performances of Mozart's music that we've already been subjected to. And there are still 11 more months to go! But now and then comes a ray of hope, performances that steer clear of Mozart's Greatest Hits and put his lesser-known works in the spotlight or throw new light on those masterpieces we think we know so well.

For the composer's 250th birthday itself on January 27, Frankfurt opera, which already has a string of very good Mozart stagings under its belt, turned its attention to that ugly duckling of the composer's operatic canon, the much-maligned late Opera seria, La clemenza di Tito. And far from being a stiff, turgid coronation spectacle, an unfashionable, obtusely-plotted work comprising an interminable series of arias alternating with dry recitative for cardboard cutout figures, director Christof Loy gives us a gripping music drama peopled by believable characters of flesh and blood.

He achieves that not by blinding us with breathless images and in-your-face actionism so characteristic of much modern-day Regietheater, but by giving the six main characters room and space to act out their internal emotional dramas. And space means long, dramatic silences at a number of key points, which rather than being symptomatic of any longeur to the evening, keep our pulses racing and contribute to the intensity of the drama. The single 'cello note that breaks just such a silence in the final confrontation between Titus and Sextus towards the end of Act II cuts like a knife.

Herbert Murauer's airy sets -- which range from run-down palazzo to what appears to be the backstage of an empty theatre -- and chic, understated costumes are elegant and unobtrusive. But perhaps the strength of Loy's reading relies above all on the excellent young cast that Frankfurt has assembled, all making their role-debuts, who are as good actors as they are singers.

Kurt Streit in the title role, with his light, sweet tenor, is utterly believable as the handsome, young emperor-in-the-making, struggling to live up to the image that both he himself and his people have imposed on him as a ruler of almost super-human fairness and justness. Indeed, in the final scene, as he is pursued by the crowds through the revolving set, it is almost as if his fabled clemency has become a curse that he finally tries to flee. Only once or twice did a slight edge and constrictedness creep into Streit's top notes.

The smallest of the roles, Publius, was excellently sung by Frankfurt's own bass-baritone Simon Bailey. And both Servilia and Annius were also superbly taken by ensemble members, Britta Stallmeister and Jenny Carlstedt. Stallmeister with her laser-point, feather-light soprano was girlishly affecting, while Carlstedt's mezzo was infinitely warm and secure. Silvana Dussmann also excelled as Vitellia, even if -- for my taste at least -- her voice was a mite too heavy for the role. One or two missed top notes aside in Act I, her aria in Act II where she realizes the extent of Sextus' love for her was gripping.

But the cornerstone of the evening was Alice Coote as Sextus. The youthful beauty of her mezzo coupled with astonishing poise and technical assurance made it hard to believe that she was making her role debut. Her range stretches from the most delicate piannissimi to glorious coloratura.

In the pit, Frankfurt's GMD Paolo Carignani was an expertly alert accompanist, fleet-footed and flexible, and totally synchronized with Loy's masterful timing on stage. The pared-down Museumsorchester, complete with the Hammerklavier continuo (Felice Venanzoni) which lent a pleasing period-instrument timbre to evening, was also excellent, and particular mention should perhaps be made of the extended clarinet and basset-horn solos.

All in all then, Frankfurt's new Titus, which is a co-production with the Theater an der Wien in Vienna, shows that the Mozart year has a lot more to offer than interminable pot-pourris and rehashes of "Eine kleine Nachtmusik". This is intelligent, committed music-making with a superb, young cast that may hopefully help contribute to a reassessment of a Mozart opera that has long been overlooked.

Simon Morgan