Frankfurter Rundschau
13. September 2005

Unter der glatten Haut des Boulevard
Mit einer smarten, musikalisch superben "Così fan tutte" geht das Staatstheater Wiesbaden in die Saison

VON STEFAN SCHICKHAUS

Die drei Herren sitzen da wie die Drei von der Tankstelle. Mit synchron überschlagenen Beinen, in aufrechter Haltung, mit heiterem Gemüt und gekleidet, als wären sie das Personal einer Boulevard-Komödie. Der eine im Kapitänsjackett, der andere im britisch-sportiven Pullover, der dritte im gestreiften Gecken-Anzug, das Haar mit Pomade auf den Stil der 1920er getrimmt. Guglielmo, Ferrando und der aalglatte Don Alfonso zeigen in den ersten Minuten, welches Genre diese Wiesbadener Così fan tutte-Produktion zitiert. Wobei zwischen Zitat und Inhalt die Grenzen fließend sind.

In Boulevard-Stücken wird gerne gesessen, und so spielen auch hier Sitzmöbel die gewichtigste Rolle. Im Grunde sind sie in der Inszenierung von Cesare Lievi die einzigen relevanten Bühnengegenstände. Man sitzt an Bistrotischen und auf Sofas, überschlägt die Beine oder rückt sich näher, und in Zeiten der Erregung darf ein Stuhl umgeworfen werden. Auf diese Weise wird Così fan tutte eine leichtes Lustspiel, ein kokettes Ding irgendwo zwischen Heinz Rühmann und Walter Giller angesiedelt.

Lievi & Mozart, die Dritte

Für den italienischen Regisseur Lievi ist dies in Wiesbaden bereits die dritte Mozart-Inszenierung, und es ist seine bislang sicher gelungenste. Was nicht eben viel heißen muss, denn die Zauberflöte und der Figaro der letzten Jahre waren unglücklich bis ärgerlich geraten. Die Così fan tutte jetzt, mit der das frisch renovierte Staatstheater Wiesbaden seine Spielzeit eröffnete, dagegen wirkt hübsch aufgeräumt.

"Dieses Lachen endet mit Tränen" singt Don Alfonso zwar, doch soweit wird es diesmal nicht unbedingt kommen. Lievi schafft den Übergang von der Komödie zur bitterbösen Tragödie nur bedingt. Dass Guglielmo sich letztlich betrinkt und ein Glas zerschmettert muss ausreichen, das fehlende Happy End zu symbolisieren. Dass das Così fan tutte-Spiel ein Menschen verachtendes, ein destruktives und zynisches ist, bricht sehr ansatzweise nur unter der glatten Haut des Boulevard hervor.

Musikalisch stellte sich bei dieser Spielzeiteröffnung mit Mozart der gleiche Effekt ein, wie man ihn bereits zum Auftakt der vergangenen Saison erleben konnte. Damals ging mit Rigoletto der Vorhang auf für Marc Piollet als neuen Wiesbadener GMD, und das Orchester klang wie verwandelt. Auch jetzt konnte man wieder nur staunen über das, was aus dem Orchestergraben kam: Brillantes, geschärftes Mozart-Spiel, mit viel Sinn für Stimmengeflechte und atemlose Streicherfiguren, eine superbe Leistung. Die Rezitative und manche Ensembles legte Piollet überraschend langsam an, was dann im Schlusssextett des ersten Aktes zu leichten Koordinationsproblemen führte. Die Stretta aber wuchs mit zunehmender Beschleunigung gleich wieder bestens zusammen.

An allen vorbei in die Herzen des Publikums sang sich die griechische Sopranistin Myrto Papatanasiu von der Volksoper Wien, dem bisherigen Arbeitsplatz des Dirigenten Piollet. Als Gast in Wiesbaden gab sie der Fiordiligi auch eine Extraportion an Emotionen und Ausdruckskraft mit, wobei sie in Fragen der Intonation und Präzision eher in die zweite Reihe gehörte. Da sangen ganz vorne der Tenor Lothar Odinius (ebenfalls als Gast) und der Bariton Thomas de Vries, die als Ferrando und Guglielmo ein ausgezeichnet harmonierendes, ebenso stimmschön wie akkurat agierendes Duo abgaben. Sandra Firrincieli sang die samtene Dorabella, Ute Döring hatte die Paraderolle der Despina und Olaf Franz gab den Don Alfonso.

Mit ihm stand nicht der übliche weise Greis auf der Bühne, sondern ein ungewohnt junger Strippenzieher, ein smarter Mephisto, dessen Knaufstock die Vorhänge bewegen und die Vorgänge steuern konnte. Stimmlich hat der Bassist Olaf Franz dabei vielleicht noch nicht die letzte kernige Souveränität, doch bei einer Boulevard-Komödie zählen Charme und Pomade ohnehin mehr als die Abgründe.

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Dokument erstellt am 12.09.2005 um 16:56:26 Uhr
Erscheinungsdatum 13.09.2005

 

Frankfurter Allgemeine Zeitung
12. September 2005 

Gar nicht so komisch: "Cosi fan tutte" im Staatstheater Wiesbaden

Eine Wette bringt alles ins Wanken. In nur vierundzwanzig Stunden. Läßt zwei glückliche Paare von ihren felsenfesten Liebesbeteuerungen abkommen, ein kurzes Glück im Partnertausch suchen, dann jäh erwachen aus diesem Sommertagstraum. Und er steht feixend daneben - Don Alfonso, der alternde Frauenfeind, hat die Wette gewonnen: "Cosi fan tutte" - so machen's alle. Eigentlich hat er ja nur die Frauen gemeint. Doch damit die Damen Dorabella und Fiordiligi ihre angeblich in den Krieg gezogenen Verlobten überhaupt fallenlassen, müssen erst mal die beiden Verlobten untreu werden: Guglielmo und Ferrando, als Albaner verkleidet, setzen all ihre vermeintlich exotischen Verführungskünste ein, um die Herzensdame des jeweils anderen von ihrem Liebesfelsen zu stürzen.

Am Ende dieses gar nicht so "komischen Singspiels in zwey Aufzügen", das Wolfgang Amadeus Mozart und sein Librettist Lorenzo da Ponte auf eine Anregung des österreichischen Kaisers Joseph II. hin 1790 am Wiener Burgtheater auf die Bühne brachten, verzeihen sich die Paare ihre Eskapaden - und sind schon wieder munter dabei, sich "ewige Treue" zu schwören. Doch ist's ein Ende mit Schrecken.

Ein Schrecken ohne Ende deutet sich im Staatstheater Wiesbaden an, wo Regisseur Cesare Lievi "Cosi fan tutte" zum kommenden Mozartjahr jetzt inszeniert hat. Weit auseinander stehen die vier betrogenen Betrüger, schauen sich gar nicht mehr an. Der Schlußgesang über die "Vernunft als Führerin" kommt erst im verzagten Piano über ihre Lippen, bevor sie es dem Publikum im wütenden Forte entgegenschleudern. Und Fiordiligi, die Standhafteste von allen, krallt sich mit Entsetzen am Vorhang fest, der sie schließlich umwirft, als er zugezogen wird.

Auf eine Verkleidungs- und Verführungsposse, die aus Mozarts Oper oft genug gemacht wurde, läßt Lievi sich nicht ein. Bei ihm gibt es noch etwas dahinter - so wie auf der karg mit Stühlen oder Sofa ausgestatteten Bühne Csaba Antals, der die schwarz-weiß marmorierte Spielfläche durch drei Vorhänge in verschiedene Ebenen einteilt, bis der Blick irgendwann freigelegt wird für die Weite von Himmel und Meer und einem Segelboot im Hintergrund. Lievi schafft eine Komödie mit Tiefgang, denn er hat ganz genau hingehört: Auf die Schlange der Verführung, die sich in rasanten Läufen schon durch die Ouvertüre schlängelt - wobei sich die Holzbläser des Hessischen Staatsorchesters unter dem sehr raschen Dirigat Marc Piollets einen perfekten Schlagabtausch liefern, dem die Streicher allerdings nicht ganz folgen können. Sie machen es aber in den Arien später durch rhythmisch sicheres Begleiten wieder wett, während hier die Holzbläser noch an ihrer Intonation feilen könnten.

Ein Ohr hat Lievi auch für die innere Zerrissenheit Fiordiligis, die sich in den weiten Intervallsprüngen ihrer "Felsenarie" äußert, für den "Wut und Schrecken" beider Damen, den sie an schnellen Tonleiter-Koloraturen auslassen, für den sentimentalen Ferrando, der in friedvoller Kantilene den "Hauch der Geliebten" besingt, sich später - wenn seine Dorabella "fällt" - um so verzweifelter das Los des Betrogenen von der Seele singt. Lievi hört auch der wankelmütigen Dorabella zu, die sehr schnell von der Zofe Despina lernt, wie man sich im tänzelnden Sechsachteltakt leichtfüßig fürs Lügen und Betrügen und "Gehorsam schaffen" begeistern kann. Lievi läßt seine Sänger spielen, was sie singen. So einfach machen es nicht alle.

Die Sänger nehmen das ernst, aber mit Spielfreude: Myrto Papatanasiu als temperamentvolle Fiordiligi ist kein Zierpüppchen, obgleich Kostümbildnerin Marina Luxardo sie, wie auch Dorabella, in schöne schwarz-weiß gemusterte Sommer- oder knallrote Cocktailkleider aus den fünfziger Jahren steckt. Diese Fiordiligi wehrt sich - schleudert die Verführerin Despina in der Felsenarie energisch von sich, stampft wütend auf. Daß dabei manche Felsenspitzen zu hoch, zu forciert, geraten, fällt kaum ins Gewicht - zumal die gerade in den Mezzofortelagen so wunderbar rund und obertonreich schwingende Sopranstimme Myrto Papatanasius vieles entschuldigt.

Sandra Firrincieli kann als eher ruhige Dorabella mit metallisch schimmerndem Mezzosopran mithalten: Ihre Dorabella ist nicht dumm - nur eben leicht entzündbar. Ein offenes Buch: Das Entsetzen steht ihr am Ende genauso ins Gesicht geschrieben wie die kindliche Freude zuvor, wenn Guglielmo ihr einen Herzanhänger schenkt. Daß sie in ihm nicht gleich den Geliebten der Schwester erkennt, ist Marina Luxardo zu verdanken, die beide Männer mit Perücken, Schnauzbärten und Turbanen tatsächlich so verkleidet hat, daß die strahlend weiß gekleideten Marineoffiziere aus dem ersten Akt nicht mehr auszumachen sind.

Auch sonst machen die Herren gute Figur im bösen Spiel: Thomas De Vries als Guglielmo mit charaktervoll herb-sprödem Bariton wandelt sich vom weltmännischen Charmeur zum Stühle schleudernden Polter-Macho, während Lothar Odinius sich als Sensibelchen Ferrando in brenzligen Situationen lieber hilfesuchend am Sofa festkrallt - wozu er, trotz etwas gepreßter Höhe, herrlich weich zu singen versteht. Ute Döring gibt als spritzige Kammerzofe Despina mit ihrem dunkel gefärbtem, schwererem Sopran keine leichte Soubrette vom Dienst, vielmehr die Frau mit Erfahrung. Wenig Erfahrung strahlt hingegen der Don Alfonso des Olaf Franz aus: Als ewiggestriger Frauenfeind in Gamaschen und Anzug der dreißiger Jahre gesteckt, ist er zu jung, um glaubhaft zu sein. Den Stock wie ein Revuestar schwingend geht er über alles Boshafte hinweg, das Mozarts Don Alfonso ausmacht. Trotz gut geölter Baritonstimme: ein Nadelstreifenmacho, kein Machiavelli. Der Lehrstunde in der "Schule der Liebhaber", wie bei Mozart im Titel stand, tut das keinen Abbruch - ihre Lektion haben alle Protagonisten dank Cesare Lievis guten Ohren gelernt.

URSULA BÖHMER

 

Frankfurter Neue Presse
13.09.2005

Die Liebe ist ein Naturgesetz
Mit Mozarts Buffa-Oper "Così fan tutte" unter Regie von Cesare Lievi ist das Wiesbadener Staatstheater in die neue Spielzeit gestartet.

Von Claudia Arthen

Es gibt Regisseure, die Mozarts "Così fan tutte" (So machen es alle) in die bunte Plastik-Puppenwelt von Barbie und Ken oder in die Hippie-Zeit versetzen. Der erfahrene italienische Regisseur Cesare Lievi verzichtet dagegen auf Aktionismus und spektakuläre Einfälle. Er inszeniert keine turbulente Verwechslungskomödie, die vom Witz der angeklebten Bärte lebt. Er definiert keinen konkreten Ort, keine konkrete Gesellschaft. Er knüpft im letzten Teil seiner Wiesbadener Mozart-Trilogie vielmehr da an, wo er bei "Don Giovanni" und "Figaros Hochzeit" aufgehört hatte, und lenkt den Blick auf das zynische Fazit der 1790 in Zusammenarbeit mit dem Librettisten Lorenzo da Ponte entstandenen Geschichte: Die herkömmlichen Begriffe von Liebe und Treue sind den Gesetzen der Natur unterworfen.

Vor der Kulisse heroischer Landschaftsgemälde im neo-klassizistischen Stil des ungarischen Malers Károly Markó (Bühnenbild: Csába Antal) erzählt Lievi auf schnörkellose Art und Weise den Plot von Mozarts Oper, der auf eine wahre Begebenheit zurückgehen soll: Zwei Männer stellen die Treue ihrer Verlobten auf die Probe, indem sie verkleidet jeweils der anderen den Hof machen. Die Frauen werden schwach, und am Ende stehen alle vor einem moralischen Scherbenhaufen. Das gilt auch für die beiden Strippenzieher des Verwirrspiels: Don Alfonso – Olaf Franz hätte ihm ein wenig mehr diabolische Durchtriebenheit geben können – und Zofe Despina – brillant und nuancenreich von Ute Döring gesungen. Beide treten gelegentlich vor den Vorhang, ziehen ihn auf und schließen ihn und machen damit deutlich, dass alles nur Theater ist.

Dass die Inszenierung an keiner Stelle statisch wirkt, verdankt sie nicht zuletzt der passablen darstellerischen Leistung der beiden Pärchen. Thomas de Vries ist ein vitaler Guglielmo mit variantenreichem Bariton, und Lothar Odinius verleiht dem Ferrando berückend lyrische Passagen. Treffend charakterisieren sie den emotionalen Höhenrausch der beiden Männer. Scheinbar mühelos meistert Sandra Firrincieli mit schlank geführtem, klangschönem Mezzosopran die Partie der Dorabella, ungeheuer ausdrucksvoll und mit glasklarer Höhe gestaltet Myrtò Papatanasiu die Rolle der Fiordiligi.

Das wunderbar mitfühlende Orchester unter der Leitung von Marc Piollet sorgt mit raschen, mitreißenden Tempi dafür, dass die Mozartsche Leichtigkeit an keiner Stelle verloren geht, und entfaltet alle emotionalen Doppelbödigkeiten und seelischen Abgründe der tragischen Komödie ganz aus dem natürlichen Spielfluss heraus.

 

WIESBADENER KURIER
13.09.2005

Beschädigte Gefühle in schönen Bildern
Cesare Lievi inszeniert, Marc Piollet dirigiert Mozarts "Così fan tutte" zum Saison-Auftakt des Staatstheaters

Von Volker Milch


Mut zu Momenten der Ruhe: Szene aus
Wolfgang Amadeus Mozarts "Cosd fan tutte".
Kaufhold

WIESBADEN Welche Gefühle sind echt und welche falsch im Liebes-Experiment des Don Alfonso? Wo hört das Theater auf, wo fängt die Wirklichkeit an? Der Regisseur Cesare Lievi und sein Bühnenbildner Csába Antal haben für die emotionale Verunsicherung, der die beiden jungen Paare in Mozarts "Cosd fan tutte" ausgesetzt sind, zunächst das Bild eines Theaters auf dem Theater gewählt. Die Wirklichkeit dort hat nicht nur einen, sondern viele doppelte Böden, und wenn Don Alfonso als Strippenzieher den Vorhang des Großen Hauses beiseite schiebt, folgt dahinter noch eine Reihe identischer Vorhänge.

Dort beginnt der Weg der Paare zur neuen Paarung, und die Folgen des "Treuetests", zu dem sich Ferrando und Guglielmo durch Don Alfonso verleiten lassen, werden verheerend sein. Ein Scherbenhaufen der Gefühle am Ende, und in der Tiefe der Bühne wartet die düstere Leere.

Nach Cesare Lievis in geschmackvollen Arrangements fast erstickten Inszenierungen von "Zauberflöte" und "Figaro" durfte man wohl skeptisch sein, denn dem Gefühlsrealismus von "Cosd fan tutte" ist mit schönen Bildern ja wohl noch weniger beizukommen - schon gar nicht aus der Perspektive einer illusionslosen Gegenwart.

Um so überraschender die Premiere des "Dramma giocoso", mit dem die Saison im Staatstheater erfreulich begonnen hat. Gewiss, auch jetzt sind die Bilder ästhetisch wertvoll. An manchen Szenen, etwa im idyllisch ausgemalten "Gartensalon" Dorabellas und Fiordiligis, kann sich das Auge berauschen. Aber diesmal sind die mediterran-ätherischen Bilder nicht nur reizvoll, sondern von ganz anderer Lebendigkeit erfüllt. Das liegt sicher auch daran, dass diese Produktion, mit deren Niveau man guten Gewissens ins Mozart-Jahr 2006 gehen kann, die kerngesunde Basis für ihre szenische Glaubwürdigkeit aus dem Orchestergraben bezieht: Der Generalmusikdirektor Marc Piollet und das Staatsorchester leisten dort - von den brillanten Holzbläsern im Presto der Ouvertüre bis zum fragwürdigen Frohsinn des Finales - Erstaunliches an Präzision, Gestaltung und vor allem mitfühlender Begleitung. Im Zentrum stehen die fabelhaft austarierten, die Arien-Bonbons auch oft qualitativ überragenden Ensembles: Im Terzettino "Soave sia il vento" etwa scheint die Zeit still zu stehen. Immer wieder hat Lievis Inszenierung Mut zu magischen Momenten der Ruhe, des Innehaltens, in denen Piollets dynamisch differenzierte Mozart-Deutung die Spannung hält. Es gibt musikalisch - auch in den vom Hammerflügel begleiteten Rezitativen - vielleicht ein paar Patzer, aber nur wenige Momente wirklichen Spannungsabfalls.

Vokale Voraussetzung dazu ist eine überwiegend überzeugende Misch-Besetzung aus Gästen und Ensemble-Mitgliedern des Staatstheaters: Eine in der Gestaltung ihrer großen Arie "Per pieta, ben mio" anrührend verzweifelnde Fiordiligi ist die griechische Sopranistin Myrte Papatanasiu. Aus der Rokoko-Tändelei ist hier längst ein Psycho-Drama geworden. Der Ernst der tristen Lage lässt sich an den zunehmend länger werdenden Gesichtern der Liebhaber ablesen, und ihr albanischer Mummenschanz, den hier ohnehin niemand mehr glaubt, wird immer bedeutungsloser. Ebenfalls ein Gast ist Lothar Odinius als Ferrando: Ein schön timbrierter Tenor, der wie der Guglielmo des Thomas de Vries durchaus ein gewisses Etwas in der Stimme hat, das die Verführung der falschen und doch wohl richtigen Partner auch vokal glaubwürdig macht. Guglielmo wird später versuchen, die Ernüchterung im Suff zu ertränken - überhaupt sind die Personen sehr individuell charakterisiert, ihr deutliches Mienenspiel wird dem persönlichen Frustrationsgrad angepasst. Dem entsprechend kann Sandra Firrincielis viel versprechende Dorabella noch fröhlich grinsen, wenn bei Fiordiligi längst das heulende Elend ausgebrochen ist. Ein ausgekochtes Duo bilden der baritonal wendige Olaf Franz als sehr junger Don Alfonso und Ute Döring als eine vollsinnliche Despina jenseits des soubrettenhaften Leichtgewichts: Das gutturale "Ah", das sie beim Schlecken der Schokolade ausstößt, lässt tief blicken. Manche der von Marina Luxardo elegant eingekleideten Figuren scheinen Viscontis "Tod in Venedig" entsprungen zu sein: In blendend weißen Anzügen stechen die Herren Offiziere in See, Don Alfonso tänzelt mit seinem Stöckchen wie ein dekadenter Gigolo über die Bühne.

Natürlich ließen sich für Desillusionierung und Verfall der Gefühle drastischere Bilder finden. Lievi bleibt sich da als Ästhet treu und setzt auf poetische Eindringlichkeit, die ihre Wirkung aber nicht verfehlt. Die enttäuschten Hoffnungen der jungen Männer, die auf die Treue ihrer Geliebten gewettet hatten, gefrieren zum Beispiel in einem rührenden, keineswegs kitschigen Standbild: Die Musiker für die "bella Serenata", mit der sie den Triumph der Treue feiern wollten, sind schon auf der Bühne angetreten, aber sie werden nie spielen.

Und die trostlose Einsamkeit, die Vereinzelung, der die Menschen mit ihren irreparabel beschädigten Beziehungen dann im Finale ausgesetzt sind, lässt die musikalische Heiterkeit einigermaßen schal klingen.