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15. Februar 2006

Oper Frankfurt, 25. Februar 2006
"Death in Venice (Tod in Venedig)" von Benjamin Britten

"Death in Venice" ist die letzte Oper des englischen Komponisten Benjamin Britten (1913-1976) und wurde am 16. Juni 1973 im Rahmen des Aldeburgh Festivals uraufgeführt. Für Britten bot diese Komposition die Möglichkeit, die Arbeit schöpferischen Geistes – zwischen dem apollinischen und dem dionysischen Prinzip – deutlich zu machen.


Kim Begley als Aschenbach

Brittens Librettistin Myfanwy Piper hat sich bei der Konzeption des Dramas im äußeren Handlungsablauf an der 1912 erschienenen, gleichnamigen Novelle Thomas Manns orientiert: Der sich in einer Schaffenskrise befindende Schriftsteller Gustav Aschenbach reist nach Venedig, wo er sich in den 12-jährigen polnischen Knaben Tadzio verliebt und damit die Grenzen seiner bisherigen Welt überschreitet. Er glaubt, in Tadzio die Möglichkeiten vollkommener Form zu erkennen, um die er als Schriftsteller sein Leben lang gekämpft hat, fällt aber schließlich der in Venedig grassierenden Cholera zum Opfer.

Nach den Britten-Werken Peter Grimes (2001), The Turn of the Screw (2002) und Curlew River (2005) steht nun zum ersten Mal seine Thomas-Mann-Vertonung auf dem Spielplan der Oper Frankfurt. Die musikalische Leitung übernimmt Karen Kamensek, die seit 2003/04 als Generalmusikdirektorin am Theater Freiburg wirkt. In Frankfurt dirigierte sie bisher Brittens The Turn of the Screw, Verdis La Traviata und Gounods Roméo et Juliette. Regie führt Keith Warner, der dem Frankfurter Opernpublikum durch seine Inszenierungen von Rossinis La Cenerentola, Dallapiccolas Volo di notte und Il Prigioniero sowie Blochs Macbeth bekannt ist. Momentan arbeitet er an einem neuen Ring für das Royal Opera House Covent Garden London. Kim Begley gehört zur Riege der wichtigsten Tenöre Großbritanniens und kehrt nach einem Lohengrin Anfang der 90er Jahre wieder nach Frankfurt zurück. Der Countertenor William Towers (Apollo) singt erstmals in Frankfurt. Zu seinen zukünftigen Engagements gehören Aufgaben bei den Festivals von Aldeburgh und Bregenz. Weitere Partien werden von Solisten und Chorsolisten der Frankfurter Oper übernommen, angeführt von Johannes Martin Kränzle (Traveller), der in Frankfurt zuletzt als Tomski in Tschaikowskis Pique Dame und Valentin in Gounods Faust zu erleben war.

 

Frankfurter Allgemeine Zeitung
24. Februar 2006 

OPER
Klangphantasie
Schon mit dem vierten Bühnenwerk steht Karen Kamensek nun am Pult des Frankfurter Opernhauses. Erinnert sei nur an Brittens gruseliges Bühnenwerk „The Turn of the Screw", das sie im November 2002 zu einem bemerkenswerten Erfolg führte.

Von Gerhard Schroth

Wieder steht Britten auf dem Spielzettel, diesmal seine letzte Oper: „The Death in Venice", „Tod in Venedig" nach der berühmten, vielgelesenen und von Visconti kongenial verfilmten Novelle Thomas Manns. Wie kam es zu dem bemerkenswerten Aufstieg der in Chicago geborenen Dirigentin, die seit drei Jahren die Position der Generalmusikdirektorin in Freiburg innehat?

Früh erkannte die Mutter der Künstlerin, selbst Dirigentin und Flötistin, das musikalische Talent der Tochter. Also gab es Klavier- und Geigenunterricht, eine frühe Begegnung mit der Bühne - schon damals „The Turn of the Screw" - und die Entdeckung der Fähigkeit, andere für die Musik begeistern zu können.

Virtuosenliteratur

Die Opernschule der Indiana University bot dem Bühnen-Enthusiasmus der Studentin reiche Entfaltungsmöglichkeiten, schnell zeigte sich, daß das junge Talent, dessen Führungsqualitäten bald deutlich wurden, lieber mit Sängern arbeitete, als Virtuosenliteratur zu üben. Zwei Persönlichkeiten verdankt Karen Kamensek besonders viel: Dennis Russell Davies (während des Studiums) und Simone Young. Die australische Dirigentin, heute in Hamburg Leiterin des Musiktheaters, holte Karen Kamensek an einem kritischen Punkt ihrer Laufbahn zunächst als Assistentin an die New Yorker Metropolitan Opera, dann nach Europa.

Die zahlreichen Stationen ihres Werdegangs sind für sie kein Gesprächsgegenstand, ihr Blick richtet sich vielmehr in die Zukunft. Zielstrebig plant die Dirigentin ihren weiteren Weg, wenn der Vertrag in Freiburg endet. Sie ist dankbar für die Fülle von Erfahrungen, die sie bei der Bewältigung unterschiedlichster Führungsaufgaben erwerben durfte, möchte sich aber in den nächsten Jahren stärker auf die Musik konzentrieren, also etwa ihr Repertoire erweitern. Schon heute freut sie sich auf das Dirigat von Donizettis „Liebestrank" in Hamburg.

Partiturenstudium

Viel verrät ein Blick in ihr Exemplar der Partitur von Brittens Oper, die morgen, Samstag, Premiere hat: farbige Linien gliedern die verwirrende Fülle von Notensystemen in klare Abschnitte, kritische Punkte wie Taktwechsel sind deutlich markiert. All dies zeigt die Hand einer Musikerin, die klare Vorstellungen für die zu gestaltende Musik entwickelt und gewohnt ist, sie umzusetzen. Sie ist sich nur zu genau bewußt, wie sie in einer Position, die lange reine Männerdomäne war, mit großem Interesse beobachtet wird und wie mit zunehmendem Erfolg auch die Erwartungen wachsen, die an sie gerichtet werden. Hier kann nur sorgfältige Vorbereitung beim Partiturenstudium helfen, mit bloßer Erfahrung ist es nicht getan.

Gerne erarbeitet sie die Partitur Brittens, sie schätzt die Freiheit der kompositorischen Gestaltung, die Aufschwünge der klanglichen Phantasie, die auch exotische Klangsphären einbezieht. Zugute kommt ihr hierbei, daß sie sich im Frankfurter Haus sehr wohl fühlt, die Arbeit als angenehm empfindet. Dies sind gute Ausgangsbedingungen für die Premiere am Samstag abend.

 

Frankfurter Neue Presse
15.02.2006

Jeder Mensch möchte etwas von sich verbergen
An der Oper Frankfurt hat am 25. Februar Benjamin Brittens „Der Tod in Venedig" Premiere, nach Thomas Manns Novelle.

Von Birgit Popp

Uraufgeführt wurde das Werk des britischen Komponisten (1913–76) im Jahr 1973 beim von ihm 1948 gegründeten Aldeburgh Festival. Wie in „Peter Grimes" (1945) und „Billy Budd" (1951) spielt in „Death in Venice" das Meer und seine Unendlichkeit sowohl musikalisch als auch inhaltlich eine bedeutende Rolle, ebenso wie die von Britten öffentlich nie eingestandene Homosexualität und die Fokussierung auf einen Außenseiter der Gesellschaft. Wie in Thomas Manns Novelle (1912) steht der erfolgreiche Schriftsteller Gustav von Aschenbach im Mittelpunkt, der seiner durch eine Schreibhemmung ausgelösten Reiselust folgend nach Venedig kommt, wo er sich in den 14-jährigen polnischen Knaben Tadzio verliebt und damit die Grenzen der Koventionalität überschreitet. Er glaubt, in Tadzio Schönheit und Vollkommenheit verkörpert zu sehen, um die er als Schriftsteller sein Leben lang gekämpft hat. Durch Tadzio kommt es in Aschenbach zu einem Kampf zwischen Vernunft und Leidenschaft, zwischen Apollo und Dionysos. Bisher vom Apollinischen regiert, überlässt sich Aschenbach am Ende ganz seinem Gefühl. Mit seinem moralischen Verfall geht auch der seiner ohnehin labilen Gesundheit einher und er erliegt der in Venedig grassierenden, wie seine Gefühle lange geheimgehaltenen Cholera.

Für den britischen Regisseur Keith Warner, der mit Dallapiccolas „Volo di notte" und „Il prigioniero" sowie Blochs „Macbeth" in Frankfurt bereits eindringliche Regiearbeiten abgeliefert hat, war die Inszenierung von Brittens „Death in Venice" ein Lebenstraum. „Als Schuljunge war ich bei der eigentlichen Uraufführung 1973 an der Londoner Covent Garden anwesend und tief beeindruckt gewesen. Ich liebe das Stück. " Warner möchte allerdings von der Vorstellung abrücken, es sei vorrangig eine Oper über homosexuelle Empfindungen. „Für mich ist Aschenbach ein Beispiel dafür, dass wir alle Gefühle, Neigungen, Wünsche und Sehnsüchte besitzen, die wir unterdrücken und in unser Unterbewusstsein verdrängen. Wir besitzen alle Geheimnisse im Leben, die wir aus Angst vor der Meinung unserer Umgebung oder der Öffentlichkeit nicht preisgeben. Für mich ist ein ganz wichtiger Aspekt dieser Oper, dass es Britten, der ohne Zweifel ein verstecktes inneres Leben besaß, am Ende seines Lebens gelungen ist, ganz offen über das Problem der Homosexualität und der Anziehungskraft von Jungen auf erwachsene Männer zu sprechen, aber auch über die Folgen, die ein Zulassen dieser Gefühle mit sich bringt." Das bildliche Venedig spielt in Warners Inszenierung nur eine sehr begrenzte Rolle. „Eigentlich nur am Ende. Für mich drückt Venedig vor allem eine Atmosphäre aus. Es ist mehr ein Venedig der Gedanken, das Labyrinth der Kanäle ein Labyrinth des Geistes, wobei Venedig immer ein Sinnbild für Sinnlichkeit und Zweideutigkeit, so auch von Schönheit und Verfall und etwas Schwankendem, Torkelndem ist."

Neben dem Tenor gibt es in Brittens letzter Oper sieben Bariton-Partien, die in Frankfurt von Johannes Martin Kränzle interpretiert werden. Der britische Tenor Kim Begley, häufig in „Peter Grimes" und „Billy Budd" zu hören, wird sein Rollendebüt als Aschenbach in Frankfurt haben, wo er vor 17 Jahren sein Hausdebüt als Lohengrin gab. Der ehemalige Schauspieler wurde mit 29 entdeckt, als er den Bösewicht in einem Weihnachtsstück sang. Er wurde zwei Jahre später von der Londoner Covent-Garden-Oper engagiert und gastiert heute an der New Yorker Met, in Salzburg und Bayreuth. Für ihn ist die Partie des Aschenbach „eine der größten Herausforderungen für einen Tenor. Sie erfordert massive Konzentration, einen weiten Umfang an Farben und Dynamik und großes schauspielerisches Können. Außerdem wurde sie für Peter Pears geschrieben, der mit seiner einzigartigen Stimme Maßstäbe gesetzt hat." Für Begley hat Brittens Küstenwohnort viel mit seinem Werk zu tun. „In seiner gesamten Musik befindet sich eine ständige Bewegung. Ein kontinuierlicher Strom von Gedanken und Einfällen, der nie stoppt, wie die Gezeiten des Meeres oder die Strömung eines Flusses." Außerdem kann Begley sich mit der Rolle identifizieren. „Homosexualität war nie meine Sache, und doch war ich zu meiner Zeit am Theater als Kostümbildner von der schillernden, fröhlichen Gemeinschaft der Homosexuellen fasziniert. Auch als Katholik fühle ich mich angesprochen, weil die Oper von der Unterdrückung bestimmter Aspekte der Natur handelt, von dem, was du aus dir machst, von deiner Persönlichkeit."

Die musikalische Leitung der Premiere hat Karen Kamensek. Die in Chicago geborene Amerikanerin ist seit 2003 Generalmusikdirektorin an der Oper Freiburg.

 

Frankfurter Neue Presse
18.02.2006

Oper Frankfurt klärt auf

Vom 25. Februar an, der Premiere von Brittens „Death in Venice" (Tod in Venedig), bietet die Oper Frankfurt einen neuen Service an. Wie das Haus mitteilt, gibt es von diesem Datum an zu jeder Opernvorstellung des laufenden Spielplans vorab eine kostenlose Einführung im Chagallsaal oder im Salon im dritten Rang. Die kurzen Vorträge zu Handlung und Inzenierung der jeweiligen Produktion finden jeweils eine halbe Stunde vor Beginn der Vorstellung statt, bei der Premiere am 25. Februar also um 19 Uhr. (md)

 

WIESABDENER KURIER
25.02.2006

"Bilder suchen, die Bestand haben"
Norbert Abels, Chefdramaturg der Oper Frankfurt, arbeitet auch am Bayreuther "Ring" mit

Von Volker Milch

FRANKFURT In dem kleinen Raum, das ist der erste Eindruck beim Blick auf die Regale, wird viel gelesen und gedacht. Norbert Abels, der Chefdramaturg der Oper Frankfurt, nennt ihn "alte Bude", aber er meint es liebevoll.

"Da hat schon Zehelein gesessen". Klaus Zehelein also, den der Dirigent Michael Gielen in seiner kürzlich erschienenen Autobiografie so würdigt: "Wenn heute noch von der Ära Gielen in Frankfurt gesprochen wird, so möchte ich korrigieren, sie müsste ebenso die Ära Zehelein heißen".

Von Gielen und seinem Chefdramaturgen Zehelein wurde Norbert Abels 1984 an die Frankfurter Oper geholt. Als "wissenschaftlicher Mitarbeiter", erinnert er sich lachend. Andere Zeiten, andere Sitten: Der mit sympathischer Selbstironie begabte Dramaturg amüsiert sich heute über das Hermetische eigener Texte, die sich bisweilen um Lesbarkeit wenig scherten. Für den Gast begibt er sich sogar auf die Suche nach den schwierigsten Stellen: "So schreibe ich heute nicht mehr".

Sein Reflexionsniveau ist freilich dabei nicht niedriger geworden - die intellektuelle Brillanz des promovierten Literatur- und Musikwissenschaftlers gehört seit über zwei Jahrzehnten zu den Konstanten einer an Höhen und Tiefen reichen Operngeschichte der Stadt Frankfurt. Einen Abstecher unternahm Abels nur 1996 bis 1998 (ohne Frankfurt ganz aufzugeben) als leitender Dramaturg nach Wiesbaden. Aber das Staatstheater erwies sich dann doch nicht als der ideale Nährboden für Ideen und Projekte, die er gemeinsam mit dem Regisseur Dominik Neuner geplant hatte. Aber zurück zu seinem Arbeitszimmer: Im prall gefüllten Regal türmt sich Frankfurter Operngeschichte. Ein Stapel verliert den Halt, fällt auf den Boden. Die Tendenz des Papiers zum Chaos kommentiert der Theatermann mit einem gewissen Fatalismus: "Das passiert immer wieder." Es gibt halt, signalisieren die Stapel, sehr viel zu tun: Im Vordergrund in diesen Tagen Benjamin Brittens Oper "Tod in Venedig" nach Thomas Manns Novelle. Heute hat sie Premiere. Norbert Abels redet sich warm, spricht über Affinitäten von Thomas Mann und Britten, über Ähnlichkeiten im disziplinierten Arbeitsverhalten, über ihre homoerotischen Neigungen, das Sublimieren der Leidenschaften. Verblüffend: Thomas Mann hätte sich, wie er in einem Brief schreibt, Britten als Komponisten der Filmmusik zu seinem "Doktor Faustus" vorstellen können. Übrigens, erzählt Abels, schreibe er auch gerade eine Britten-Monografie. Als hätte er nicht genug zu tun: Ein gewichtiges "Gastspiel" gibt er zur Zeit als verantwortlicher Produktionsdramaturg in der Festspielstadt Bayreuth. "Der Ring des Nibelungen" wird dort im Juli in der Inszenierung des Dramatikers Tankred Dorst Premiere haben. Hauptsächlich über die Freundschaft mit dem 80-jährigen Autor sei er nach Bayreuth gekommen, sagt Abels. "Dorst ist ein Mensch, der sich den neugierigen, forschenden Blick bewahrt hat, das bestimmt auch das Regie-Konzept". Dorsts Glaube an den "forschenden Menschen" werde den "Ring" wohl von der "Wiederkehr des Gleichen" und vom "Becketthaften" wegrücken. Der Dramatiker versuche nun, "sein eigenes poetisches Universum und das von Wagner zusammenzubringen".

Und noch einmal ein Blick in das Zimmer. Nach Persönlichem muss man nicht lange suchen. Links an der Pinnwand ein Foto der beiden Töchter, direkt daneben ein Bild des früh verstorbenen Freundes Herbert Wernicke. Einer der vielen wichtigen Namen einer langen Liste Frankfurter Regisseure und Begegnungen von Ruth Berghaus bis Keith Warner. Wernickes großartige Bilder (etwa aus dem "Ring") sind nicht nur in Frankfurt in den Köpfen des Publikums noch sehr präsent. Ihm ist sicher oft gelungen, was Norbert Abels von Theaterarbeit auch erwartet: "Bilder suchen, die Bestand haben". Oder: "Mit künstlichen Mitteln ein Bild der Wahrheit schaffen". Oft seien es nur Momente, in denen die "Theaterschminke" plötzlich weg ist, "am anderen Ende etwas ganz Einfaches erscheint". So wie der ihn bewegende Moment einer Berghaus-Inszenierung, wenn die Umstehenden einen Schritt von der sterbenden Violetta zurücktreten.

Auf solcher Suche will er nach seinem Selbstverständnis nicht als "Büro-Dramaturg", sondern als Produktionsdramaturg helfen, sieht sich in vielen Diskussionen aktiv an der Inszenierung beteiligt. Eine bei Intellektuellen seines Schlages keinesfalls selbstverständliche Herzlichkeit und Kommunikationsfreude dürften ihm die Aufgaben als "Vermittler" erleichtern - in "freundschaftlichen, fast familiären Strukturen" der Oper Frankfurt: "Ich hänge an diesem Haus".

 

HANAUER ANZEIGER
27. Februar 2006

Abrechnung mit dem Leben

Thomas Manns 1912 erschienener Novelle "Der Tod in Venedig" liegt ein autobiographisches Motiv zu Grunde. Der sich fremd und einsam fühlende Schriftsteller strandet in der Kulisse eines künstlichen Paradieses. Das labyrinthische Gewirr aus Kanälen und Brücken wird zum Sinnbild für die Innenwelt des Künstlers. An einem schweren Herzleiden erkrankt, folgt Benjamin Britten in der letzten seiner siebzehn Opern den Spuren des Gustav von Aschenbach. Diese Kalngwelt breitete sich jetzt in der Oper Frankfurt vor den Zuhörern aus.

Brittens Orchestrierungskunst imaginiert dabei die verschwimmenden Konturen der untergehenden Stadt. Die klangliche Verdunkelung des Oktavsturzes in Aschenbachs "Ich liebe Dich!" angesichts der Schönheit des Knaben verweist das Begehren des melancholischen Helden ins Traumrevier.

Der Tenor Aschenbach steht im Zentrum jeder der siebzehn Szenen. Kim Begley bewältigt den Marathon mit belcantischem Stimmglanz. Mögen der Figur in dieser Inszenierung auch Eleganz und Weltläufigkeit des berühmten Schriftstellers fehlen, den Schmerzensmann Aschenbach verkörpert Begley erschütternd und glaubwürdig. Der Gesang des Countertenors Apollo (ein hinreißendes Frankfurt-Debüt von William Towers) führt ins Licht der höchsten Höhen. Die Inszenierung des britischen Regisseurs Keith Warner bewegt sich zwischen Tag und Traum. (ju)

 

Frankfurter Rundschau
24. Februar 2006

"Ich bin kein schönes Möbelstück"

Laurenz Leky über seine Rolle in Brittens "Death in Venice", den Keith Warner für die Oper Frankfurt inszeniert

Laurenz Leky
Ganz anders als bei Visconti: Laurenz Leky
spielt den Tadzio in Brittens "Death in Venice".
(FR)

Frankfurter Rundschau: Herr Leky, Sie sind auserwählt, um Schönheit darzustellen. Haben Sie je Angst gehabt, als wunderbar anzusehendes Möbelstück auf der Bühne zu enden?

Laurenz Leky: Keith Warner, der Regisseur von Brittens Death in Venice, hat sie mir gleich genommen. Ich habe ihn lange vor Probenbeginn in Bayreuth getroffen, da wurde schnell klar, dass er die Rolle nicht nur dekorativ begreift. Im Gegenteil, er sagte, er wolle die Figur des Tadzio aufwerten.

Inwiefern?

Dazu gibt es eine schöne Geschichte. Ursprünglich ist Tadzio ja als Tänzer gedacht. Keith Warner war bei der Uraufführung dabei, 1973 in England, und mochte die Idee schon damals nicht, weil es ihm zu offensichtlich schwul wirkte. Er dachte, man müsse das anders erzählen. Als massiven Einbruch jahrelang unterdrückter Leidenschaften. Jahre später dann, Warner war inzwischen ein etablierter Opernregisseur, lernte er die Librettistin von Death in Venice kennen: Myfanfy Piper. Und sie sagte Warner, dass es Britten bei der Uraufführung ganz ähnlich ging.

Und also besetzt Warner den Tadzio hier in Frankfurt mit einem Schauspieler.

Genau. Was für mich dabei so interessant ist - Warner sieht den Tadzio nicht als eine knabenhafte Schönheit, die wie eine sehnsüchtige Projektion durch den Hintergrund schreitet, sondern als Menschen aus Fleisch und Blut. Darüber hinaus gibt es auch die Ebene des Tadzio in der Imagination Aschenbachs.

Der Tadzio ist ja nun auf ewig festgelegt durch Björn Andresen, der ihn in der Visconti-Verfilmung spielte. Kann so etwas noch Orientierung sein?

Natürlich hab ich mir den Film noch einmal angeschaut. Aber mir war schnell klar, dass ich das nicht bin, nicht sein kann. Ich bin 28, Andresen war 15, als er mit Visconti drehte. Und ich bin auch nicht diese feminine Schönheit. Für mich ist auch gerade das von Bedeutung: dass Tadzio vielleicht gar nicht diese schillernde, gottähnliche Schönheit ist, sondern ein ganz normaler Junge. Der Rest, die Überhöhung kommt von Aschenbach.

Es gibt ein wunderbares Zitat von Visconti, als er Andresen das erste Mal sah. Er habe etwas "vom Kopf des Wagenlenkers von Delphi und einem Gemälde von Edward Burne-Jones".

Tja, damit kann ich nicht dienen.

Aber wenn es nicht die reine Schönheit ist, was verkörpert Tadzio dann?

Er ist ein Junge am Anfang seiner Pubertät, der mit seinen Eltern samt Gouvernante in Urlaub ist. Darauf hat er nicht allzu viel Lust. Irgendwann bemerkt er die Blicke Aschenbachs, bemerkt sein Interesse. Mich interessiert nun, was das mit ihm macht. Inwieweit ihn das Wissen, bewundert zu werden, verändert.

Spüren Sie die Gefahr, dass dem Stück und gerade Ihrer Rolle ein Kitschpotential innewohnt, dem man ausweichen muss?

Ich denke, es geht auch hier darum, wie man die Rolle begreift. Wenn man auf der Bühne steht und denkt, jetzt will ich aber schön aussehen und sonst nichts, dann ist die Gefahr, Kitsch abzuliefern, natürlich da. Aber das gilt für jedes Stück.

Was aber ist heute noch an der Geschichte interessant?

Wie Leidenschaften, die unterdrückt, durch Disziplin zugedeckt werden, sich Bahn brechen. Und die Frage, was passiert, wenn die Unterdrückung nicht mehr funktioniert, wenn die Leidenschaften mit aller Macht vor einem stehen.

Und? Was passiert? Das dürfen Sie jetzt bestimmt nicht verraten.

Stimmt. Aber der Titel, so viel ist sicher, ist bezeichnend genug.

Sie sind Schauspieler. Ist die Oper für Sie Neuland?

Absolut. Ich war vorher vielleicht fünfmal in der Oper, davon viermal in der Zauberflöte.

Inwieweit funktioniert die Oper anders als das Schauspiel?

Meine Stichworte, auf die ich reagiere, sind nun Melodien oder Instrumentalklänge. Mit dem Vibraphon etwa muss ich einmal auf der Bühne sein. Das ist neu für mich und auch anstrengend, weil es ein anderes, ein genaueres Hören erfordert. Ansonsten, und das hat mich wirklich überrascht: in der Oper wird viel schneller gearbeitet.

Woran liegt das?

Sänger können zu Probenbeginn ihren Text. Bei Schauspielern, das muss ich zugeben, ist das nicht immer so.

Interview: Tim Gorbauch

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Copyright © Frankfurter Rundschau online 2006
Dokument erstellt am 23.02.2006 um 16:12:01 Uhr
Erscheinungsdatum 24.02.2006

Das Interview

Laurenz Leky (28) stammt aus Köln und studierte am Mozarteum in Salzburg Schauspiel. Nach einem Engagement am Rheinischen Landestheater Neuss ging er ans Theater der Jungen Welt in Leipzig, wo er in zwei Jahren an 14 Produktionen mitwirkte.

Ans Schauspiel Frankfurt holte ihn im Frühjahr 2005 Armin Petras (Gennaro in "Lucretia Borgia"). Dort sah ihn Keith Warner, Regisseur von Brittens "Death in Venice", und bat ihn, die Rolle des Tadzio zu übernehmen. gor